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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Lords zur Abstimmung ein, um den Beschlüssen durch die Zahl größeres Ge¬
wicht zu geben. Auf annähernde Vollzähligkeit ist nie zu rechnen. Auch als
Gladstones Homerulevorlage verlvorfcn wurde, rühmen nur vierhundertsechzig
an der Abstimmung teil. Für gewöhnlich wird darum der Übelstand des
engen SitzungsaalS ebensowenig empfunden wie bei den Gemeinen. Dazu sind
die Sitzungen kurzer und nie so heiß. Die Redner haben keine Wähler zu
fürchten, und damit fällt die Versuchung zu langatmigen Reden weg, die bloß
für den Mann auf der Straße bestimmt sind und die eigentliche Arbeit
hindern.

(Schluß folgt)




Verminderung und Verbilligung der Prozesse
Lügen Josef von

Hering bezeichnet in seinein im Jahre 1872 erschienenen "Kampf
uns Recht" den Widerstand gegen daS Unrecht als Pflicht des
Berechtigten gegen sich selber und als Pflicht gegen das Gemein¬
wesen: Nicht das nüchterne Geldinteresse sei es, das den Ver-
- letzten antreibe und antreiben müsse, den Prozeß zu erhebe",
sondern der moralische Schmerz über das erlittne Unrecht; der Verletzte halte
1,e e Nechtskränknng für eine bewußt rechtswidrige, und gegenüber einer solchen
^ die Hartnäckigkeit, mit der der Verletzte den Angriff auf sein Recht zurück¬
weise, ganz so sittlich gerechtfertigt wie dem Diebe gegenüber. In einem solchen
Mill! die Partei durch Hinweisung auf die Kosten und sonstigen Folgen des
-Prozesses und die Unsicherheit des Ausganges vom Prozeß abschrecken zu
wollen, sei ein psychologischer Mißgriff, denn wer sein Recht preisgebe, gebe
5"!lleich das Recht preis, führe den Untergang des Rechts herbei. Der hart¬
näckig um sein Eigentum prozessierende Bauer sei dem Offizier gleichzustellen, der
Wne Ehre verteidige. Das richtige Rechtsgefühl finde mau bei dem reisenden
^"Müder, der dem Versuch einer Prellerei durch die Gastwirte und die Lohn-
U'löcher mit einer Mannhaftigkeit entgegentrete, als gelte es das Recht Alt-
^uglnnds zu verteidigen, zur Not seine Abreise verschiebe, tagelang am Ort
bleibe und den zehnfachen Betrag von dem ausgebe, was er sich zu zahlen
weigert. Die kläglichste Figur sei der Richter, der bei einem geringen Betrag
des Streitwertes dem Kläger eine Zahlung aus eigner Tasche anbiete, um den
Prozeß uns der Welt zu schaffe". Jeder, der sein vermeintliches Recht preis¬
gebe, versündige sich gegen die Gesamtheit und stehe nicht anders da als der
enizelue Soldat, der feige a"s der Schlacht entfliehe usw.

I" der praktischen Rechtspflege ist Ihering niemals thätig gewesen, u"d


Grenzboten III 1901 9

Lords zur Abstimmung ein, um den Beschlüssen durch die Zahl größeres Ge¬
wicht zu geben. Auf annähernde Vollzähligkeit ist nie zu rechnen. Auch als
Gladstones Homerulevorlage verlvorfcn wurde, rühmen nur vierhundertsechzig
an der Abstimmung teil. Für gewöhnlich wird darum der Übelstand des
engen SitzungsaalS ebensowenig empfunden wie bei den Gemeinen. Dazu sind
die Sitzungen kurzer und nie so heiß. Die Redner haben keine Wähler zu
fürchten, und damit fällt die Versuchung zu langatmigen Reden weg, die bloß
für den Mann auf der Straße bestimmt sind und die eigentliche Arbeit
hindern.

(Schluß folgt)




Verminderung und Verbilligung der Prozesse
Lügen Josef von

Hering bezeichnet in seinein im Jahre 1872 erschienenen „Kampf
uns Recht" den Widerstand gegen daS Unrecht als Pflicht des
Berechtigten gegen sich selber und als Pflicht gegen das Gemein¬
wesen: Nicht das nüchterne Geldinteresse sei es, das den Ver-
- letzten antreibe und antreiben müsse, den Prozeß zu erhebe»,
sondern der moralische Schmerz über das erlittne Unrecht; der Verletzte halte
1,e e Nechtskränknng für eine bewußt rechtswidrige, und gegenüber einer solchen
^ die Hartnäckigkeit, mit der der Verletzte den Angriff auf sein Recht zurück¬
weise, ganz so sittlich gerechtfertigt wie dem Diebe gegenüber. In einem solchen
Mill! die Partei durch Hinweisung auf die Kosten und sonstigen Folgen des
-Prozesses und die Unsicherheit des Ausganges vom Prozeß abschrecken zu
wollen, sei ein psychologischer Mißgriff, denn wer sein Recht preisgebe, gebe
5"!lleich das Recht preis, führe den Untergang des Rechts herbei. Der hart¬
näckig um sein Eigentum prozessierende Bauer sei dem Offizier gleichzustellen, der
Wne Ehre verteidige. Das richtige Rechtsgefühl finde mau bei dem reisenden
^"Müder, der dem Versuch einer Prellerei durch die Gastwirte und die Lohn-
U'löcher mit einer Mannhaftigkeit entgegentrete, als gelte es das Recht Alt-
^uglnnds zu verteidigen, zur Not seine Abreise verschiebe, tagelang am Ort
bleibe und den zehnfachen Betrag von dem ausgebe, was er sich zu zahlen
weigert. Die kläglichste Figur sei der Richter, der bei einem geringen Betrag
des Streitwertes dem Kläger eine Zahlung aus eigner Tasche anbiete, um den
Prozeß uns der Welt zu schaffe». Jeder, der sein vermeintliches Recht preis¬
gebe, versündige sich gegen die Gesamtheit und stehe nicht anders da als der
enizelue Soldat, der feige a»s der Schlacht entfliehe usw.

I» der praktischen Rechtspflege ist Ihering niemals thätig gewesen, u»d


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[0073] Lords zur Abstimmung ein, um den Beschlüssen durch die Zahl größeres Ge¬ wicht zu geben. Auf annähernde Vollzähligkeit ist nie zu rechnen. Auch als Gladstones Homerulevorlage verlvorfcn wurde, rühmen nur vierhundertsechzig an der Abstimmung teil. Für gewöhnlich wird darum der Übelstand des engen SitzungsaalS ebensowenig empfunden wie bei den Gemeinen. Dazu sind die Sitzungen kurzer und nie so heiß. Die Redner haben keine Wähler zu fürchten, und damit fällt die Versuchung zu langatmigen Reden weg, die bloß für den Mann auf der Straße bestimmt sind und die eigentliche Arbeit hindern. (Schluß folgt) Verminderung und Verbilligung der Prozesse Lügen Josef von Hering bezeichnet in seinein im Jahre 1872 erschienenen „Kampf uns Recht" den Widerstand gegen daS Unrecht als Pflicht des Berechtigten gegen sich selber und als Pflicht gegen das Gemein¬ wesen: Nicht das nüchterne Geldinteresse sei es, das den Ver- - letzten antreibe und antreiben müsse, den Prozeß zu erhebe», sondern der moralische Schmerz über das erlittne Unrecht; der Verletzte halte 1,e e Nechtskränknng für eine bewußt rechtswidrige, und gegenüber einer solchen ^ die Hartnäckigkeit, mit der der Verletzte den Angriff auf sein Recht zurück¬ weise, ganz so sittlich gerechtfertigt wie dem Diebe gegenüber. In einem solchen Mill! die Partei durch Hinweisung auf die Kosten und sonstigen Folgen des -Prozesses und die Unsicherheit des Ausganges vom Prozeß abschrecken zu wollen, sei ein psychologischer Mißgriff, denn wer sein Recht preisgebe, gebe 5"!lleich das Recht preis, führe den Untergang des Rechts herbei. Der hart¬ näckig um sein Eigentum prozessierende Bauer sei dem Offizier gleichzustellen, der Wne Ehre verteidige. Das richtige Rechtsgefühl finde mau bei dem reisenden ^"Müder, der dem Versuch einer Prellerei durch die Gastwirte und die Lohn- U'löcher mit einer Mannhaftigkeit entgegentrete, als gelte es das Recht Alt- ^uglnnds zu verteidigen, zur Not seine Abreise verschiebe, tagelang am Ort bleibe und den zehnfachen Betrag von dem ausgebe, was er sich zu zahlen weigert. Die kläglichste Figur sei der Richter, der bei einem geringen Betrag des Streitwertes dem Kläger eine Zahlung aus eigner Tasche anbiete, um den Prozeß uns der Welt zu schaffe». Jeder, der sein vermeintliches Recht preis¬ gebe, versündige sich gegen die Gesamtheit und stehe nicht anders da als der enizelue Soldat, der feige a»s der Schlacht entfliehe usw. I» der praktischen Rechtspflege ist Ihering niemals thätig gewesen, u»d Grenzboten III 1901 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/73>, abgerufen am 28.04.2024.