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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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einigten Königreiche, doch so, daß sämtliche Glieder eines höhern Grades über
den höchsten eines niedrigern stehn. Über allen, auch über den Erzbischöfen,
stehn natürlich die Prinzen von Geblüt. Die Grade sind Herzog, Marqueß,
Carl, Viscount, Baron. Zu den Baronen gehören die vier Lords des obersten
Gerichtshofs, deren Würde ebensowenig erblich ist wie die der Bischöfe. Sie
unterscheiden sich aber von den Bischöfen dadurch, daß ihren Frauen und seit
kurzem auch ihren Kindern der entsprechende Rang und Titel gegeben wird.
Den Grundstock des Oberhauses bilden die englischen Lords. Zu ihnen traten
1707 sechzehn Angehörige des schottischen Adels und 1801 achtundzwanzig
Iren. Der Nest sind Peers von Großbritannien oder vom Vereinigten König¬
reiche, deshalb alle erst verhältnismäßig neuen Ursprungs, aber an Zahl über¬
wiegen sie die andern. Der schottische Adel ist dabei, ebenso wie anfangs die
Vertretung Schottlands im Unterhause, stiefmütterlich behandelt worden. Er
ist durchgängig alter als der englische, der nur noch wenig Geschlechter aus
der Zeit vor den Tudors aufweist, und enthält in seinen achtundachtzig Mit¬
gliedern eine Reihe Namen, die auch außerhalb des britischen Reichs einen
guten Klang haben, wie Douglas, Campbell, Hamilton, Scott, Gordon,
Graham, Murray, um nur einige zu nennen. Viele von ihnen erfreuen sich
daneben eiues britischen Titels, der sie befähigt, dnrch bloßes Recht der Geburt
im Oberhause zu sitzen. Der Carl von Rosebery z. B. ist dort als Baron
Nvseberh. Andre aber, und nicht die schlechtesten, haben verschmäht, sich einen
neuen Würdenbrief anhängen zu lassen. Sechzehn von ihnen werden nun
dnrch die Wahl des schottischen Adels ins Oberhaus gesandt, die übrigen,
etwa zwanzig, sind übel daran. Sie sind wohl Peers, doch nicht Lords des
Parlaments. Auch der irische Adel tritt in Westminster nur mit achtundzwanzig
Vertretern auf, die der Mannigfaltigkeit wegen nicht wie die Schotten nur
für ein Parlament, sondern auf Lebenszeit gewühlt werden. Aber die Iren
haben das Recht, soweit das Vertrauen ihrer Standesgenossen ihnen keinen
Platz in Westminster giebt, in das Unterhaus einzutreten, wofür Palmerston
das bekannteste Beispiel ist. Der schottische Lord, der nicht zu den aus¬
erwählten sechzehn gehört, erscheint dagegen als ein politischer Paria. Er hat
gar keine politischen Rechte, außer dem des Steuerzahlers. Das Oberhaus
kennt ihn nicht, das Unterhaus ist ihm verschlossen, und eine Stimme bei den
Wahlen zum Unterhause steht ihm auch nicht zu.

Auch ohne die Teilnahme sämtlicher schottischen und irischen Peers ist
das Oberhaus zahlreich genug. Die Summe der im Heroldamte verzeichneten,
zu einem Sitze berechtigenden Titel würde es auf mehr als sechshundert Mit¬
glieder bringen. Thatsächlich sind es nicht ganz fünfhundertachtzig, da etwa zwei
Dutzend Titel gegenwärtig von Frauen oder Minderjährigen geführt werden.
Der Unterschied ist nicht groß, und praktisch bedeutet er gar nichts; denn die
Konservativen können unter allen Umständen ans eine erdrückende Mehrheit
rechnen. Ein Ansporn zu regem Besuche der Sitzungen liegt darin nicht.
Höchstens bei Fragen von ganz besondrer Wichtigkeit finden sich einige hundert


einigten Königreiche, doch so, daß sämtliche Glieder eines höhern Grades über
den höchsten eines niedrigern stehn. Über allen, auch über den Erzbischöfen,
stehn natürlich die Prinzen von Geblüt. Die Grade sind Herzog, Marqueß,
Carl, Viscount, Baron. Zu den Baronen gehören die vier Lords des obersten
Gerichtshofs, deren Würde ebensowenig erblich ist wie die der Bischöfe. Sie
unterscheiden sich aber von den Bischöfen dadurch, daß ihren Frauen und seit
kurzem auch ihren Kindern der entsprechende Rang und Titel gegeben wird.
Den Grundstock des Oberhauses bilden die englischen Lords. Zu ihnen traten
1707 sechzehn Angehörige des schottischen Adels und 1801 achtundzwanzig
Iren. Der Nest sind Peers von Großbritannien oder vom Vereinigten König¬
reiche, deshalb alle erst verhältnismäßig neuen Ursprungs, aber an Zahl über¬
wiegen sie die andern. Der schottische Adel ist dabei, ebenso wie anfangs die
Vertretung Schottlands im Unterhause, stiefmütterlich behandelt worden. Er
ist durchgängig alter als der englische, der nur noch wenig Geschlechter aus
der Zeit vor den Tudors aufweist, und enthält in seinen achtundachtzig Mit¬
gliedern eine Reihe Namen, die auch außerhalb des britischen Reichs einen
guten Klang haben, wie Douglas, Campbell, Hamilton, Scott, Gordon,
Graham, Murray, um nur einige zu nennen. Viele von ihnen erfreuen sich
daneben eiues britischen Titels, der sie befähigt, dnrch bloßes Recht der Geburt
im Oberhause zu sitzen. Der Carl von Rosebery z. B. ist dort als Baron
Nvseberh. Andre aber, und nicht die schlechtesten, haben verschmäht, sich einen
neuen Würdenbrief anhängen zu lassen. Sechzehn von ihnen werden nun
dnrch die Wahl des schottischen Adels ins Oberhaus gesandt, die übrigen,
etwa zwanzig, sind übel daran. Sie sind wohl Peers, doch nicht Lords des
Parlaments. Auch der irische Adel tritt in Westminster nur mit achtundzwanzig
Vertretern auf, die der Mannigfaltigkeit wegen nicht wie die Schotten nur
für ein Parlament, sondern auf Lebenszeit gewühlt werden. Aber die Iren
haben das Recht, soweit das Vertrauen ihrer Standesgenossen ihnen keinen
Platz in Westminster giebt, in das Unterhaus einzutreten, wofür Palmerston
das bekannteste Beispiel ist. Der schottische Lord, der nicht zu den aus¬
erwählten sechzehn gehört, erscheint dagegen als ein politischer Paria. Er hat
gar keine politischen Rechte, außer dem des Steuerzahlers. Das Oberhaus
kennt ihn nicht, das Unterhaus ist ihm verschlossen, und eine Stimme bei den
Wahlen zum Unterhause steht ihm auch nicht zu.

Auch ohne die Teilnahme sämtlicher schottischen und irischen Peers ist
das Oberhaus zahlreich genug. Die Summe der im Heroldamte verzeichneten,
zu einem Sitze berechtigenden Titel würde es auf mehr als sechshundert Mit¬
glieder bringen. Thatsächlich sind es nicht ganz fünfhundertachtzig, da etwa zwei
Dutzend Titel gegenwärtig von Frauen oder Minderjährigen geführt werden.
Der Unterschied ist nicht groß, und praktisch bedeutet er gar nichts; denn die
Konservativen können unter allen Umständen ans eine erdrückende Mehrheit
rechnen. Ein Ansporn zu regem Besuche der Sitzungen liegt darin nicht.
Höchstens bei Fragen von ganz besondrer Wichtigkeit finden sich einige hundert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/72>, abgerufen am 12.05.2024.