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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Hellenentum und (Christentum
^ Die homerische Religion (Schluß,

urckhardt meint, als Stütze" der Moral seien die polytheistischen
Religionen nicht viel wert. Wohl wahr, aber daraus folgt
nicht, daß die polytheistischen Völker unmoralischer sei" müßte"
als die nwnotheistischen. Die alten Germanen sind nicht un^
moralischer gewesen als die alten Jude", de" Hindu begeistert
seine Neligio" zu den wunderbarsten asketischen Kraftleistungen, und die
heutigen Protestanten behaupten zwar, sie seien moralischer als die einem ab¬
geschwächten Polytheismus huldigenden Katholiken, aber den statistischen Be¬
weis für ihre Behauptung haben sie noch nicht erbracht. Auch beruht die
stärkere moralische Wirkung des Judentums und des Christentums nicht
eigentlich auf der Idee des einen Gottes, die sich zudem für den Christen in
eine Dreiheit gespalten hat, sondern auf etwas anderm. Die genannten beiden
Religionen sind nicht Erzeugnisse des Volksgeistes, sondern geoffenbarte Re¬
ligionen, treten denen, die sie annehmen, oder denen sie aufgezwungen werden,
als unfehlbare Autoritäten gegenüber und vermögen ihnen dadurch, wo die
Besserung nicht gelingt, wenigstens ein böses Gewissen und die Hölle heiß zu
machen. (Die Berechtigung des unzeitgemäßer Wortes Offenbarung soll später
nachgewiesen werden; vorläufig bitte ich die beleidigte Wissenschaft um Ent¬
schuldigung.) Die Griechen dagegen haben sich ihre Götter selbst geschaffen, und
als ein heiteres und lebenslustiges Volk haben sie sich Götter gemacht, vor
denen sie sich weder zu genieren noch allzusehr zu fürchten brauchten und mit
denen sich leben ließ, wie Burckhnrdt sagt. Daß das in moralischer Beziehung
bedenklich sei, hat Äschylus hervorgehoben, indem er die Athener in den Eume-
niden mahnt, nicht alles Furchterregende von sich zu entfernen. Soweit die
Götter sittliche Eigenschaften haben, sind diese ihnen von ihren Schöpfern ge-
liehn. Die Götter sind eben auch darin Abbilder der Menschen, und wie
denn das Geschöpf natürlich hinter dem Schöpfer zurückbleibt, so stehn die
Götter in der Moral einige Stufen unter den Meuschen, während der jüdische
und der christliche Gott mit seiner furchterregenden Heiligkeit in unerreichbarer
Höhe über ihnen thront. Ans der Entstehungsweise der griechischem Götter
darf man aber nicht materialistisch folgern, daß der olympische Himmel bloß
ein müßiges Spiegelbild ohne Wesenheit und Wirklichkeit, ohne Sinn und




Hellenentum und (Christentum
^ Die homerische Religion (Schluß,

urckhardt meint, als Stütze» der Moral seien die polytheistischen
Religionen nicht viel wert. Wohl wahr, aber daraus folgt
nicht, daß die polytheistischen Völker unmoralischer sei» müßte»
als die nwnotheistischen. Die alten Germanen sind nicht un^
moralischer gewesen als die alten Jude», de» Hindu begeistert
seine Neligio» zu den wunderbarsten asketischen Kraftleistungen, und die
heutigen Protestanten behaupten zwar, sie seien moralischer als die einem ab¬
geschwächten Polytheismus huldigenden Katholiken, aber den statistischen Be¬
weis für ihre Behauptung haben sie noch nicht erbracht. Auch beruht die
stärkere moralische Wirkung des Judentums und des Christentums nicht
eigentlich auf der Idee des einen Gottes, die sich zudem für den Christen in
eine Dreiheit gespalten hat, sondern auf etwas anderm. Die genannten beiden
Religionen sind nicht Erzeugnisse des Volksgeistes, sondern geoffenbarte Re¬
ligionen, treten denen, die sie annehmen, oder denen sie aufgezwungen werden,
als unfehlbare Autoritäten gegenüber und vermögen ihnen dadurch, wo die
Besserung nicht gelingt, wenigstens ein böses Gewissen und die Hölle heiß zu
machen. (Die Berechtigung des unzeitgemäßer Wortes Offenbarung soll später
nachgewiesen werden; vorläufig bitte ich die beleidigte Wissenschaft um Ent¬
schuldigung.) Die Griechen dagegen haben sich ihre Götter selbst geschaffen, und
als ein heiteres und lebenslustiges Volk haben sie sich Götter gemacht, vor
denen sie sich weder zu genieren noch allzusehr zu fürchten brauchten und mit
denen sich leben ließ, wie Burckhnrdt sagt. Daß das in moralischer Beziehung
bedenklich sei, hat Äschylus hervorgehoben, indem er die Athener in den Eume-
niden mahnt, nicht alles Furchterregende von sich zu entfernen. Soweit die
Götter sittliche Eigenschaften haben, sind diese ihnen von ihren Schöpfern ge-
liehn. Die Götter sind eben auch darin Abbilder der Menschen, und wie
denn das Geschöpf natürlich hinter dem Schöpfer zurückbleibt, so stehn die
Götter in der Moral einige Stufen unter den Meuschen, während der jüdische
und der christliche Gott mit seiner furchterregenden Heiligkeit in unerreichbarer
Höhe über ihnen thront. Ans der Entstehungsweise der griechischem Götter
darf man aber nicht materialistisch folgern, daß der olympische Himmel bloß
ein müßiges Spiegelbild ohne Wesenheit und Wirklichkeit, ohne Sinn und


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[0346] [Abbildung] Hellenentum und (Christentum ^ Die homerische Religion (Schluß, urckhardt meint, als Stütze» der Moral seien die polytheistischen Religionen nicht viel wert. Wohl wahr, aber daraus folgt nicht, daß die polytheistischen Völker unmoralischer sei» müßte» als die nwnotheistischen. Die alten Germanen sind nicht un^ moralischer gewesen als die alten Jude», de» Hindu begeistert seine Neligio» zu den wunderbarsten asketischen Kraftleistungen, und die heutigen Protestanten behaupten zwar, sie seien moralischer als die einem ab¬ geschwächten Polytheismus huldigenden Katholiken, aber den statistischen Be¬ weis für ihre Behauptung haben sie noch nicht erbracht. Auch beruht die stärkere moralische Wirkung des Judentums und des Christentums nicht eigentlich auf der Idee des einen Gottes, die sich zudem für den Christen in eine Dreiheit gespalten hat, sondern auf etwas anderm. Die genannten beiden Religionen sind nicht Erzeugnisse des Volksgeistes, sondern geoffenbarte Re¬ ligionen, treten denen, die sie annehmen, oder denen sie aufgezwungen werden, als unfehlbare Autoritäten gegenüber und vermögen ihnen dadurch, wo die Besserung nicht gelingt, wenigstens ein böses Gewissen und die Hölle heiß zu machen. (Die Berechtigung des unzeitgemäßer Wortes Offenbarung soll später nachgewiesen werden; vorläufig bitte ich die beleidigte Wissenschaft um Ent¬ schuldigung.) Die Griechen dagegen haben sich ihre Götter selbst geschaffen, und als ein heiteres und lebenslustiges Volk haben sie sich Götter gemacht, vor denen sie sich weder zu genieren noch allzusehr zu fürchten brauchten und mit denen sich leben ließ, wie Burckhnrdt sagt. Daß das in moralischer Beziehung bedenklich sei, hat Äschylus hervorgehoben, indem er die Athener in den Eume- niden mahnt, nicht alles Furchterregende von sich zu entfernen. Soweit die Götter sittliche Eigenschaften haben, sind diese ihnen von ihren Schöpfern ge- liehn. Die Götter sind eben auch darin Abbilder der Menschen, und wie denn das Geschöpf natürlich hinter dem Schöpfer zurückbleibt, so stehn die Götter in der Moral einige Stufen unter den Meuschen, während der jüdische und der christliche Gott mit seiner furchterregenden Heiligkeit in unerreichbarer Höhe über ihnen thront. Ans der Entstehungsweise der griechischem Götter darf man aber nicht materialistisch folgern, daß der olympische Himmel bloß ein müßiges Spiegelbild ohne Wesenheit und Wirklichkeit, ohne Sinn und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/346>, abgerufen am 03.05.2024.