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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Ain'r das A>'an?enve>-sich"iliigsgesetz

und rohes Geschäft ist es, so an der Schwelle des Iiwalidcnversichemngs-
gesetzes den Hauskliecht zu spielen; mancher wird nicht dazu passen. Man hat
im allgemeinen bei dem Aufbau des Versichernngskörpers deu ärztliche" Stand
recht schlecht behandelt. Auf alleu verantwortlichen Posten steht irgend ein
andrer, nur kein Arzt. Man hat ihm die Rolle zuerteilt, zu reden, wenn er
gefragt wird, und zu schweigen, wenn mau nicht nach seinem Rat handelt.
Man hat ihm dafür den allerilnangenehmsten Teil der ausführenden Arbeit
am JuvaliditätSversicheruugsgesetz überlassen, zugleich aber auch deu aller-
wichtigsten: deu Kampf mit den Antragstellern. Oder glnnben die Vorstands¬
mitglieder es zu sein, die die Nentenanträgc genehmigen oder verwerfen?
" Invalidenrente erhält derjenige Versicherte, sagt das Gesetz, welcher nicht mehr
imstande ist, dnrch eine seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Thätig¬
keit, die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Be¬
rufs zugemutet werden kann, ein Drittel desjenigen zu erwerben, was körperlich
und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in der¬
selben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen."

Es ist überaus schwierig, einem Menschen, der irgend ein Leiden hat,
anzusehen, ob der Rest seiner Erwerbsfähigkeit über oder unter einem Drittel
der normalen liegt, und noch schwerer ist es, die Ansicht, die man dem lebenden
Menschen gegenüber gewonnen hat, einer hohen Behörde schriftlich zu beweisen.
Man kann meist keinen Beweis führen, sondern nnr seine Ausicht möglichst
einleuchtend übermitteln. Damit liegt die Entscheidung aber zu allermeist in
dem ärztlichen Gutachten, und die Wirkung des Gesetzes hängt in hohen:
Grade von subjektiven Eigenschaften der Ärzte ab, ob sie mehr Harte oder
mehr Mitleid haben. Es ist nun sehr nötig, daß in der Verteidigung öffent¬
licher Gelder mit Härte Verfahren wird, das ist gewissenhafte Beamtentradition.
Wenn mau aber nicht verantwortlich ist für die Gesamtwirkung, so ist ein
wenig Mitleid viel befriedigender und viel bequemer, zumal wen" mau die
aufgewandte Zeit und Mühe nicht bezahlt erhält. Ein Arzt hat in sehr
launiger Weise einmal beschrieben, wie er einem Antragsteller in einstündiger
Konsultation hat auseinandersetzen müssen, daß er keinen Anspruch ans Rente
habe, am nächsten Tage dasselbe dessen Frau hat wiederhole" müssen, dann
den hartnäckigen Antragsteller noch hat aus seinem Hanse werfen, und endlich
"och el" .Klage- und Sühneverfahren hat aushalten müssen, bloß weil er die
drei Mark für das Attest nicht hat verdienen wollen.

(Schluß folgt)




Grenzlwton IV 190143
Ain'r das A>'an?enve>-sich«iliigsgesetz

und rohes Geschäft ist es, so an der Schwelle des Iiwalidcnversichemngs-
gesetzes den Hauskliecht zu spielen; mancher wird nicht dazu passen. Man hat
im allgemeinen bei dem Aufbau des Versichernngskörpers deu ärztliche» Stand
recht schlecht behandelt. Auf alleu verantwortlichen Posten steht irgend ein
andrer, nur kein Arzt. Man hat ihm die Rolle zuerteilt, zu reden, wenn er
gefragt wird, und zu schweigen, wenn mau nicht nach seinem Rat handelt.
Man hat ihm dafür den allerilnangenehmsten Teil der ausführenden Arbeit
am JuvaliditätSversicheruugsgesetz überlassen, zugleich aber auch deu aller-
wichtigsten: deu Kampf mit den Antragstellern. Oder glnnben die Vorstands¬
mitglieder es zu sein, die die Nentenanträgc genehmigen oder verwerfen?
„ Invalidenrente erhält derjenige Versicherte, sagt das Gesetz, welcher nicht mehr
imstande ist, dnrch eine seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Thätig¬
keit, die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Be¬
rufs zugemutet werden kann, ein Drittel desjenigen zu erwerben, was körperlich
und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in der¬
selben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen."

Es ist überaus schwierig, einem Menschen, der irgend ein Leiden hat,
anzusehen, ob der Rest seiner Erwerbsfähigkeit über oder unter einem Drittel
der normalen liegt, und noch schwerer ist es, die Ansicht, die man dem lebenden
Menschen gegenüber gewonnen hat, einer hohen Behörde schriftlich zu beweisen.
Man kann meist keinen Beweis führen, sondern nnr seine Ausicht möglichst
einleuchtend übermitteln. Damit liegt die Entscheidung aber zu allermeist in
dem ärztlichen Gutachten, und die Wirkung des Gesetzes hängt in hohen:
Grade von subjektiven Eigenschaften der Ärzte ab, ob sie mehr Harte oder
mehr Mitleid haben. Es ist nun sehr nötig, daß in der Verteidigung öffent¬
licher Gelder mit Härte Verfahren wird, das ist gewissenhafte Beamtentradition.
Wenn mau aber nicht verantwortlich ist für die Gesamtwirkung, so ist ein
wenig Mitleid viel befriedigender und viel bequemer, zumal wen» mau die
aufgewandte Zeit und Mühe nicht bezahlt erhält. Ein Arzt hat in sehr
launiger Weise einmal beschrieben, wie er einem Antragsteller in einstündiger
Konsultation hat auseinandersetzen müssen, daß er keinen Anspruch ans Rente
habe, am nächsten Tage dasselbe dessen Frau hat wiederhole» müssen, dann
den hartnäckigen Antragsteller noch hat aus seinem Hanse werfen, und endlich
»och el» .Klage- und Sühneverfahren hat aushalten müssen, bloß weil er die
drei Mark für das Attest nicht hat verdienen wollen.

(Schluß folgt)




Grenzlwton IV 190143
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/345>, abgerufen am 21.05.2024.