Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Absalons Brunucii

Königs Georg, der ihm persönlich sehr nahestehende Graf Erhard Wedell.
Es war natürlich, daß, soweit meine Ohren es aufnehmen durften, von den
die Zeit bewegenden politischen Dingen die Rede war. Der Abgeordnete
Miquel hatte den Tag oder zwei Tage vorher in längerer Rede den soge¬
nannten Urantrag Rudolf von Bennigsens auf Anschluß Hannovers an Preußen
verteidigt und hatte damit bei allen historischen Köpfen einen ungeheuern
Erfolg erzielt.

Wie großes er später auch auf dem Gebiete der Beredsamkeit geleistet
hat, so will es mir doch jetzt nach so langer Zeit immer noch scheinen, als
ob niemals eine größere Rede von seinen Lippen geflossen sei. Natürlich
waren die, deren zufälliger Tischgenosse ich war, ganz andrer Meinung. Es
waren echt welfische Heißsporne unter ihnen, die es sich mit der Wahl der
Worte nicht schwer machten. Es fielen harte, ehrabschneidende Worte, auch
der Charakter Miqnels wurde nicht geschont. Bis dahin hatte der Graf
Wedell geschwiegen, als es aber so weit kam, mischte er sich ein und sagte,
daß er gegen eine Verunglimpfung des Genannten Einspruch erheben müsse.
Ich habe Miquel auf der Schule in Lingen gekannt, so lauteten seiue Worte,
er war immer ein anstündiger und ehrenwerter Kamerad, den wir alle gern
hatten. Aus seiner politischen Gesinnung, die damals dieselbe war wie jetzt,
hat er niemals ein Hehl gemacht. Mag er sonst sein, was er will, und wenn
er mein politischer Geguer ist, so ist und bleibt er doch ein Ehrenmann. Von
den Feinden des Geschmähten wurde kein Wort mehr gesagt.


Arnold Fokka


Absalons Brunnen

on Kunst und Litteratur ist während der letzten Zeit in den Grenz¬
boten weniger zu lesen gewesen als sonst, denn wenn Zolltarif, Welt¬
handel und beinahe das ganze geräuschvolle Register der innern
Politik sich zum Worte drängen, dann sind die Musen gewohnt, be¬
scheiden ans die Seite zu treten, wenigstens bis jetzt noch, und bis
einmal der große Tag erschienen sein wird, wo die Notwendigkeiten
des Lebens schweigen, alle Tage Sonntag ist, und alles nur nach durch die Kunst
und für die Kunst geschieht. Dann werden in unsern Schulen Bilder nicht nur
hängen, sondern auch anstatt der weniger kurzweiligen Buchstabierfibeln von Hand
zu Hand gehn, unsre Kleinsten werden dann etwa den verschlafnen, unschädlichen
Hans Thoma erhalten, die vorlauten und frühreifen könnten allerlei Linienkunst
und tiefsinnigen "Buchschmuck" bekommen, die braven und guten müßten kopfüber
ins Wasser schießende Seejungsrauen oder sonst was vergnügliches haben, und die
unartigen Holbeins Totentanzbilderchen, zur Strafe so und so oft durch die Finger
zu ziehn wie einen Rosenkranz. Aber nicht genug damit. Während man bisher
die kleinen Finger, die unbefugterweise die Ränder der Schulhefte bekritzeln, unsanft
zu klopfen pflegte, wird man fortan ihre Krähenfuße sauber ausschneiden, Sortieren
und zu Museumssammluugen vereinigen, an denen die Großen dann die "Kindes-


Grmzbotm IV 1901 50
Absalons Brunucii

Königs Georg, der ihm persönlich sehr nahestehende Graf Erhard Wedell.
Es war natürlich, daß, soweit meine Ohren es aufnehmen durften, von den
die Zeit bewegenden politischen Dingen die Rede war. Der Abgeordnete
Miquel hatte den Tag oder zwei Tage vorher in längerer Rede den soge¬
nannten Urantrag Rudolf von Bennigsens auf Anschluß Hannovers an Preußen
verteidigt und hatte damit bei allen historischen Köpfen einen ungeheuern
Erfolg erzielt.

Wie großes er später auch auf dem Gebiete der Beredsamkeit geleistet
hat, so will es mir doch jetzt nach so langer Zeit immer noch scheinen, als
ob niemals eine größere Rede von seinen Lippen geflossen sei. Natürlich
waren die, deren zufälliger Tischgenosse ich war, ganz andrer Meinung. Es
waren echt welfische Heißsporne unter ihnen, die es sich mit der Wahl der
Worte nicht schwer machten. Es fielen harte, ehrabschneidende Worte, auch
der Charakter Miqnels wurde nicht geschont. Bis dahin hatte der Graf
Wedell geschwiegen, als es aber so weit kam, mischte er sich ein und sagte,
daß er gegen eine Verunglimpfung des Genannten Einspruch erheben müsse.
Ich habe Miquel auf der Schule in Lingen gekannt, so lauteten seiue Worte,
er war immer ein anstündiger und ehrenwerter Kamerad, den wir alle gern
hatten. Aus seiner politischen Gesinnung, die damals dieselbe war wie jetzt,
hat er niemals ein Hehl gemacht. Mag er sonst sein, was er will, und wenn
er mein politischer Geguer ist, so ist und bleibt er doch ein Ehrenmann. Von
den Feinden des Geschmähten wurde kein Wort mehr gesagt.


Arnold Fokka


Absalons Brunnen

on Kunst und Litteratur ist während der letzten Zeit in den Grenz¬
boten weniger zu lesen gewesen als sonst, denn wenn Zolltarif, Welt¬
handel und beinahe das ganze geräuschvolle Register der innern
Politik sich zum Worte drängen, dann sind die Musen gewohnt, be¬
scheiden ans die Seite zu treten, wenigstens bis jetzt noch, und bis
einmal der große Tag erschienen sein wird, wo die Notwendigkeiten
des Lebens schweigen, alle Tage Sonntag ist, und alles nur nach durch die Kunst
und für die Kunst geschieht. Dann werden in unsern Schulen Bilder nicht nur
hängen, sondern auch anstatt der weniger kurzweiligen Buchstabierfibeln von Hand
zu Hand gehn, unsre Kleinsten werden dann etwa den verschlafnen, unschädlichen
Hans Thoma erhalten, die vorlauten und frühreifen könnten allerlei Linienkunst
und tiefsinnigen „Buchschmuck" bekommen, die braven und guten müßten kopfüber
ins Wasser schießende Seejungsrauen oder sonst was vergnügliches haben, und die
unartigen Holbeins Totentanzbilderchen, zur Strafe so und so oft durch die Finger
zu ziehn wie einen Rosenkranz. Aber nicht genug damit. Während man bisher
die kleinen Finger, die unbefugterweise die Ränder der Schulhefte bekritzeln, unsanft
zu klopfen pflegte, wird man fortan ihre Krähenfuße sauber ausschneiden, Sortieren
und zu Museumssammluugen vereinigen, an denen die Großen dann die „Kindes-


Grmzbotm IV 1901 50
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236223"/>
          <fw type="header" place="top"> Absalons Brunucii</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1532" prev="#ID_1531"> Königs Georg, der ihm persönlich sehr nahestehende Graf Erhard Wedell.<lb/>
Es war natürlich, daß, soweit meine Ohren es aufnehmen durften, von den<lb/>
die Zeit bewegenden politischen Dingen die Rede war. Der Abgeordnete<lb/>
Miquel hatte den Tag oder zwei Tage vorher in längerer Rede den soge¬<lb/>
nannten Urantrag Rudolf von Bennigsens auf Anschluß Hannovers an Preußen<lb/>
verteidigt und hatte damit bei allen historischen Köpfen einen ungeheuern<lb/>
Erfolg erzielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1533"> Wie großes er später auch auf dem Gebiete der Beredsamkeit geleistet<lb/>
hat, so will es mir doch jetzt nach so langer Zeit immer noch scheinen, als<lb/>
ob niemals eine größere Rede von seinen Lippen geflossen sei. Natürlich<lb/>
waren die, deren zufälliger Tischgenosse ich war, ganz andrer Meinung. Es<lb/>
waren echt welfische Heißsporne unter ihnen, die es sich mit der Wahl der<lb/>
Worte nicht schwer machten. Es fielen harte, ehrabschneidende Worte, auch<lb/>
der Charakter Miqnels wurde nicht geschont. Bis dahin hatte der Graf<lb/>
Wedell geschwiegen, als es aber so weit kam, mischte er sich ein und sagte,<lb/>
daß er gegen eine Verunglimpfung des Genannten Einspruch erheben müsse.<lb/>
Ich habe Miquel auf der Schule in Lingen gekannt, so lauteten seiue Worte,<lb/>
er war immer ein anstündiger und ehrenwerter Kamerad, den wir alle gern<lb/>
hatten. Aus seiner politischen Gesinnung, die damals dieselbe war wie jetzt,<lb/>
hat er niemals ein Hehl gemacht. Mag er sonst sein, was er will, und wenn<lb/>
er mein politischer Geguer ist, so ist und bleibt er doch ein Ehrenmann. Von<lb/>
den Feinden des Geschmähten wurde kein Wort mehr gesagt.</p><lb/>
          <note type="byline"> Arnold Fokka</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Absalons Brunnen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1534" next="#ID_1535"> on Kunst und Litteratur ist während der letzten Zeit in den Grenz¬<lb/>
boten weniger zu lesen gewesen als sonst, denn wenn Zolltarif, Welt¬<lb/>
handel und beinahe das ganze geräuschvolle Register der innern<lb/>
Politik sich zum Worte drängen, dann sind die Musen gewohnt, be¬<lb/>
scheiden ans die Seite zu treten, wenigstens bis jetzt noch, und bis<lb/>
einmal der große Tag erschienen sein wird, wo die Notwendigkeiten<lb/>
des Lebens schweigen, alle Tage Sonntag ist, und alles nur nach durch die Kunst<lb/>
und für die Kunst geschieht. Dann werden in unsern Schulen Bilder nicht nur<lb/>
hängen, sondern auch anstatt der weniger kurzweiligen Buchstabierfibeln von Hand<lb/>
zu Hand gehn, unsre Kleinsten werden dann etwa den verschlafnen, unschädlichen<lb/>
Hans Thoma erhalten, die vorlauten und frühreifen könnten allerlei Linienkunst<lb/>
und tiefsinnigen &#x201E;Buchschmuck" bekommen, die braven und guten müßten kopfüber<lb/>
ins Wasser schießende Seejungsrauen oder sonst was vergnügliches haben, und die<lb/>
unartigen Holbeins Totentanzbilderchen, zur Strafe so und so oft durch die Finger<lb/>
zu ziehn wie einen Rosenkranz. Aber nicht genug damit. Während man bisher<lb/>
die kleinen Finger, die unbefugterweise die Ränder der Schulhefte bekritzeln, unsanft<lb/>
zu klopfen pflegte, wird man fortan ihre Krähenfuße sauber ausschneiden, Sortieren<lb/>
und zu Museumssammluugen vereinigen, an denen die Großen dann die &#x201E;Kindes-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbotm IV 1901 50</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] Absalons Brunucii Königs Georg, der ihm persönlich sehr nahestehende Graf Erhard Wedell. Es war natürlich, daß, soweit meine Ohren es aufnehmen durften, von den die Zeit bewegenden politischen Dingen die Rede war. Der Abgeordnete Miquel hatte den Tag oder zwei Tage vorher in längerer Rede den soge¬ nannten Urantrag Rudolf von Bennigsens auf Anschluß Hannovers an Preußen verteidigt und hatte damit bei allen historischen Köpfen einen ungeheuern Erfolg erzielt. Wie großes er später auch auf dem Gebiete der Beredsamkeit geleistet hat, so will es mir doch jetzt nach so langer Zeit immer noch scheinen, als ob niemals eine größere Rede von seinen Lippen geflossen sei. Natürlich waren die, deren zufälliger Tischgenosse ich war, ganz andrer Meinung. Es waren echt welfische Heißsporne unter ihnen, die es sich mit der Wahl der Worte nicht schwer machten. Es fielen harte, ehrabschneidende Worte, auch der Charakter Miqnels wurde nicht geschont. Bis dahin hatte der Graf Wedell geschwiegen, als es aber so weit kam, mischte er sich ein und sagte, daß er gegen eine Verunglimpfung des Genannten Einspruch erheben müsse. Ich habe Miquel auf der Schule in Lingen gekannt, so lauteten seiue Worte, er war immer ein anstündiger und ehrenwerter Kamerad, den wir alle gern hatten. Aus seiner politischen Gesinnung, die damals dieselbe war wie jetzt, hat er niemals ein Hehl gemacht. Mag er sonst sein, was er will, und wenn er mein politischer Geguer ist, so ist und bleibt er doch ein Ehrenmann. Von den Feinden des Geschmähten wurde kein Wort mehr gesagt. Arnold Fokka Absalons Brunnen on Kunst und Litteratur ist während der letzten Zeit in den Grenz¬ boten weniger zu lesen gewesen als sonst, denn wenn Zolltarif, Welt¬ handel und beinahe das ganze geräuschvolle Register der innern Politik sich zum Worte drängen, dann sind die Musen gewohnt, be¬ scheiden ans die Seite zu treten, wenigstens bis jetzt noch, und bis einmal der große Tag erschienen sein wird, wo die Notwendigkeiten des Lebens schweigen, alle Tage Sonntag ist, und alles nur nach durch die Kunst und für die Kunst geschieht. Dann werden in unsern Schulen Bilder nicht nur hängen, sondern auch anstatt der weniger kurzweiligen Buchstabierfibeln von Hand zu Hand gehn, unsre Kleinsten werden dann etwa den verschlafnen, unschädlichen Hans Thoma erhalten, die vorlauten und frühreifen könnten allerlei Linienkunst und tiefsinnigen „Buchschmuck" bekommen, die braven und guten müßten kopfüber ins Wasser schießende Seejungsrauen oder sonst was vergnügliches haben, und die unartigen Holbeins Totentanzbilderchen, zur Strafe so und so oft durch die Finger zu ziehn wie einen Rosenkranz. Aber nicht genug damit. Während man bisher die kleinen Finger, die unbefugterweise die Ränder der Schulhefte bekritzeln, unsanft zu klopfen pflegte, wird man fortan ihre Krähenfuße sauber ausschneiden, Sortieren und zu Museumssammluugen vereinigen, an denen die Großen dann die „Kindes- Grmzbotm IV 1901 50

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/401>, abgerufen am 03.05.2024.