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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Heimen Nliquels

Männern gerechnet werden kann. Dagegen muß ich hier um so entschiedner
Stellung zu einem Punkte nehmen, der mehrfach Gegenstand der öffentlichen
Diskussion gewesen ist.

Daß Miauet, dessen ganzes Leben mehr als irgend eines seiner noch
lebenden Zeitgenossen nnter den Augen der Öffentlichkeit gelegen hat, der
Zielpunkt vieler und erbitterter Feindschaften war, ist ein so selbstverständliches
Ding, daß man darüber weiter kein Wort zu verlieren braucht. Wenn einer
in der großen Politik es allen recht machen will, so legt er gerade damit
vielleicht das schlechteste Zeugnis über sich ab. Aber die Verleumdung brauchte
sich wie beim Fürsten Bismarck nicht an seine Fersen zu heften. Es ist leicht
von einem Staatsmanne gesagt, daß er die Gunst der Lage für seine persön¬
lichen Zwecke ausgenützt habe, aber schwer ist es, den damit angehefteten
Makel wieder abzuwaschen. Wer eine solche Menge von Urteilen über Miquel
in den Höhen und den Tiefen des Volkes gehört hat, wie nur die Gelegen¬
heit geboten wurde, der hat auch ein Urteil darüber, wie tief das also aus¬
gespritzte Gift frißt. Es ist nur ein schwacher Trost sür den gewissenhaften
Mann, daß bei weitem das meiste von dem, was jetzt noch im Gedächtnis der
vielen haftet, allein im natürlichen Wandel der Zeit wieder weggeschwemmt
wird, denn manches bleibt auch da sitzen, wo später die Quellen der Geschichte
gesucht werden. Freilich dies alles aus den Ecken wegzukratzen ist nicht Wohl
möglich, aber man soll doch mit bester Kraft bemüht sein zu verhindern, daß
es sich noch weiter einnistet.

Aus diesem Grunde und nicht etwa aus landsmännischer Vorliebe habe
ich mir die Gelegenheit nicht entgehn lassen, mich an der Stelle, wo seine
Wiege stand, nach dem Wesen des Mannes umzuthun, der so lange Zeit an
der Leitung der Geschicke des neuen Reichs teilgenommen hat. Man wird
sagen, daß die Ausbeute spärlich genug gewesen sei, aber darüber darf uicht
vergessen werden, daß sie dafür um so reiner und wahrhafter ist. Die Zeug¬
nisse, die ich gebracht habe, sind wie aus Kindermund, sonder Falsch und Hehl.
Will man sich aber darauf versteifen, daß sie auf den Anfang und uicht auf
das Ende gehn, und daß zwischen diesem und jenem eine Menge Wandlungen
möglich sei, so mag daran erinnert werden, daß der Grundzug des individuellen
menschlichen Charakters immer derselbe bleibt, und daß der Mann halten muß,
was das Kind verspricht.

Es sei mir erlaubt, noch ein weiteres Zeugnis hierher zu setzen. In dein
denkwürdigen Jahre 1866 war ich Hauslehrer in der Familie des Barons
von dem Bussche-Streithorst, der als hannoverscher Kammerherr im Winter
in Hannover und im Sommer in Thale am Harz wohnte, wo er einen aus¬
gedehnten Großgrundbesitz hatte. Noch mag bemerkt werden, daß er als In¬
haber dieser Güter Mitglied des preußischen Herrenhauses war und in dieser
Eigenschaft später auch bei Gelegenheit seinen Protest gegen die Annexion von
Hannover abgegeben hat. Es war lange Zeit vor diesem Ereignis, daß eines
guten Tags mehrere Herren und Damen vom hannoverschen Adel an unsrer
Mittagstafel versammelt waren; unter ihnen war auch der Flügeladjutant des


Aus der Heimen Nliquels

Männern gerechnet werden kann. Dagegen muß ich hier um so entschiedner
Stellung zu einem Punkte nehmen, der mehrfach Gegenstand der öffentlichen
Diskussion gewesen ist.

Daß Miauet, dessen ganzes Leben mehr als irgend eines seiner noch
lebenden Zeitgenossen nnter den Augen der Öffentlichkeit gelegen hat, der
Zielpunkt vieler und erbitterter Feindschaften war, ist ein so selbstverständliches
Ding, daß man darüber weiter kein Wort zu verlieren braucht. Wenn einer
in der großen Politik es allen recht machen will, so legt er gerade damit
vielleicht das schlechteste Zeugnis über sich ab. Aber die Verleumdung brauchte
sich wie beim Fürsten Bismarck nicht an seine Fersen zu heften. Es ist leicht
von einem Staatsmanne gesagt, daß er die Gunst der Lage für seine persön¬
lichen Zwecke ausgenützt habe, aber schwer ist es, den damit angehefteten
Makel wieder abzuwaschen. Wer eine solche Menge von Urteilen über Miquel
in den Höhen und den Tiefen des Volkes gehört hat, wie nur die Gelegen¬
heit geboten wurde, der hat auch ein Urteil darüber, wie tief das also aus¬
gespritzte Gift frißt. Es ist nur ein schwacher Trost sür den gewissenhaften
Mann, daß bei weitem das meiste von dem, was jetzt noch im Gedächtnis der
vielen haftet, allein im natürlichen Wandel der Zeit wieder weggeschwemmt
wird, denn manches bleibt auch da sitzen, wo später die Quellen der Geschichte
gesucht werden. Freilich dies alles aus den Ecken wegzukratzen ist nicht Wohl
möglich, aber man soll doch mit bester Kraft bemüht sein zu verhindern, daß
es sich noch weiter einnistet.

Aus diesem Grunde und nicht etwa aus landsmännischer Vorliebe habe
ich mir die Gelegenheit nicht entgehn lassen, mich an der Stelle, wo seine
Wiege stand, nach dem Wesen des Mannes umzuthun, der so lange Zeit an
der Leitung der Geschicke des neuen Reichs teilgenommen hat. Man wird
sagen, daß die Ausbeute spärlich genug gewesen sei, aber darüber darf uicht
vergessen werden, daß sie dafür um so reiner und wahrhafter ist. Die Zeug¬
nisse, die ich gebracht habe, sind wie aus Kindermund, sonder Falsch und Hehl.
Will man sich aber darauf versteifen, daß sie auf den Anfang und uicht auf
das Ende gehn, und daß zwischen diesem und jenem eine Menge Wandlungen
möglich sei, so mag daran erinnert werden, daß der Grundzug des individuellen
menschlichen Charakters immer derselbe bleibt, und daß der Mann halten muß,
was das Kind verspricht.

Es sei mir erlaubt, noch ein weiteres Zeugnis hierher zu setzen. In dein
denkwürdigen Jahre 1866 war ich Hauslehrer in der Familie des Barons
von dem Bussche-Streithorst, der als hannoverscher Kammerherr im Winter
in Hannover und im Sommer in Thale am Harz wohnte, wo er einen aus¬
gedehnten Großgrundbesitz hatte. Noch mag bemerkt werden, daß er als In¬
haber dieser Güter Mitglied des preußischen Herrenhauses war und in dieser
Eigenschaft später auch bei Gelegenheit seinen Protest gegen die Annexion von
Hannover abgegeben hat. Es war lange Zeit vor diesem Ereignis, daß eines
guten Tags mehrere Herren und Damen vom hannoverschen Adel an unsrer
Mittagstafel versammelt waren; unter ihnen war auch der Flügeladjutant des


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[0400] Aus der Heimen Nliquels Männern gerechnet werden kann. Dagegen muß ich hier um so entschiedner Stellung zu einem Punkte nehmen, der mehrfach Gegenstand der öffentlichen Diskussion gewesen ist. Daß Miauet, dessen ganzes Leben mehr als irgend eines seiner noch lebenden Zeitgenossen nnter den Augen der Öffentlichkeit gelegen hat, der Zielpunkt vieler und erbitterter Feindschaften war, ist ein so selbstverständliches Ding, daß man darüber weiter kein Wort zu verlieren braucht. Wenn einer in der großen Politik es allen recht machen will, so legt er gerade damit vielleicht das schlechteste Zeugnis über sich ab. Aber die Verleumdung brauchte sich wie beim Fürsten Bismarck nicht an seine Fersen zu heften. Es ist leicht von einem Staatsmanne gesagt, daß er die Gunst der Lage für seine persön¬ lichen Zwecke ausgenützt habe, aber schwer ist es, den damit angehefteten Makel wieder abzuwaschen. Wer eine solche Menge von Urteilen über Miquel in den Höhen und den Tiefen des Volkes gehört hat, wie nur die Gelegen¬ heit geboten wurde, der hat auch ein Urteil darüber, wie tief das also aus¬ gespritzte Gift frißt. Es ist nur ein schwacher Trost sür den gewissenhaften Mann, daß bei weitem das meiste von dem, was jetzt noch im Gedächtnis der vielen haftet, allein im natürlichen Wandel der Zeit wieder weggeschwemmt wird, denn manches bleibt auch da sitzen, wo später die Quellen der Geschichte gesucht werden. Freilich dies alles aus den Ecken wegzukratzen ist nicht Wohl möglich, aber man soll doch mit bester Kraft bemüht sein zu verhindern, daß es sich noch weiter einnistet. Aus diesem Grunde und nicht etwa aus landsmännischer Vorliebe habe ich mir die Gelegenheit nicht entgehn lassen, mich an der Stelle, wo seine Wiege stand, nach dem Wesen des Mannes umzuthun, der so lange Zeit an der Leitung der Geschicke des neuen Reichs teilgenommen hat. Man wird sagen, daß die Ausbeute spärlich genug gewesen sei, aber darüber darf uicht vergessen werden, daß sie dafür um so reiner und wahrhafter ist. Die Zeug¬ nisse, die ich gebracht habe, sind wie aus Kindermund, sonder Falsch und Hehl. Will man sich aber darauf versteifen, daß sie auf den Anfang und uicht auf das Ende gehn, und daß zwischen diesem und jenem eine Menge Wandlungen möglich sei, so mag daran erinnert werden, daß der Grundzug des individuellen menschlichen Charakters immer derselbe bleibt, und daß der Mann halten muß, was das Kind verspricht. Es sei mir erlaubt, noch ein weiteres Zeugnis hierher zu setzen. In dein denkwürdigen Jahre 1866 war ich Hauslehrer in der Familie des Barons von dem Bussche-Streithorst, der als hannoverscher Kammerherr im Winter in Hannover und im Sommer in Thale am Harz wohnte, wo er einen aus¬ gedehnten Großgrundbesitz hatte. Noch mag bemerkt werden, daß er als In¬ haber dieser Güter Mitglied des preußischen Herrenhauses war und in dieser Eigenschaft später auch bei Gelegenheit seinen Protest gegen die Annexion von Hannover abgegeben hat. Es war lange Zeit vor diesem Ereignis, daß eines guten Tags mehrere Herren und Damen vom hannoverschen Adel an unsrer Mittagstafel versammelt waren; unter ihnen war auch der Flügeladjutant des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/400>, abgerufen am 20.05.2024.