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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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England und Rußland

dem sich die Königin widersetzte. Die Sache erregte damals ein größeres Aus-
sehen, als sie verdiente; für den Gang der Regierung Ware der Einfluß, den
die beiden Damen hätten ausüben können, von keiner Bedeutung gewesen.
Peel jedoch verzichtete lieber auf eine Kabinettbildnng, als daß er von seiner
Forderung abgestanden wäre, und Melbourne mußte die Zügel wieder er¬
greifen. Thatsächlich hatten der Königin autokratische Anwandlungen fern¬
gelegen. Was sie empörte, war nur, daß sie gehalten sein sollte, mit jedem
Kabinettwechsel auch ihre persönliche Umgebung und ihre Freundinnen zu
wechseln. Später aber ließ sie Änderungen in der Besetzung der obersten
Stellen ihres Haushalts zu, gab also nach.

Nichts zeigt den Stand der königlichen Macht in England besser als
dieser Einfluß der Politik auf den Hofstaat. Die Oberhofmeisterin iMistrsW
ok tus Kodes) hat im königlichen Kleiderschrank so wenig eine politische Auf¬
gabe zu erfüllen, wie der Oberstallmeister bei den Pferden. Aber je nach der
Regierung werden die Kleider konservativ oder liberal aufgehängt und die
Pferde konservativ oder liberal gestriegelt. Die großen Hofämter mit ihren
Gehalten gelten als rechtmäßige Beute der herrschenden Partei, und die persön¬
lichen Gefühle des Monarchen kommen dabei nicht in Betracht. Folgerichtig
hat der Träger der Krone auch in der Besoldung der einzelnen Stellen keine
Stimme. Er durs die Zivilliste nicht vertuenden, wie ihm beliebt. Jedem
freien Briten ist erlaubt, sein Einkommen, und wo kein Fideikommiß besteht,
auch sein Kapital zu vergeuden, ohne daß sich jemand dreinzumischen das Recht
hat. Es ist nach britischen Gesetz nicht möglich, einen offenkundiger Ver¬
schwender zu entmündigen, wie anderswo geschieht. Bloß der arme König
wird wie ein Minderjähriger behandelt, dem man nicht zutraut, einen eignen
Haushalt zu führen. Das Parlament setzt genau fest, wie die Gelder der
Zivilliste zu verwenden sind, und nur ein verhältnismäßig kleiner Teil ist der
parlamentarischen Spürnase vorenthalten und der freien Verfügung des Königs
überlassen. (Schluß folgt)




England und Rußland

icht zum erstenmal taucht der Gedanke auf, zwischen den beiden
größten Reichen der Gegenwart eine Verständigung herzustellen.
Zarte Hände haben in Kopenhagen schon oft an diesem Ge¬
spinst gesponnen, und jüngst hat eine der angesehensten eng¬
lischen Monatsschriften, die Mtiong.1 Rsvisv, einen wohlüber¬
legten Vorschlag für ein solches Einvernehmen gemacht. Im äußersten Osten


England und Rußland

dem sich die Königin widersetzte. Die Sache erregte damals ein größeres Aus-
sehen, als sie verdiente; für den Gang der Regierung Ware der Einfluß, den
die beiden Damen hätten ausüben können, von keiner Bedeutung gewesen.
Peel jedoch verzichtete lieber auf eine Kabinettbildnng, als daß er von seiner
Forderung abgestanden wäre, und Melbourne mußte die Zügel wieder er¬
greifen. Thatsächlich hatten der Königin autokratische Anwandlungen fern¬
gelegen. Was sie empörte, war nur, daß sie gehalten sein sollte, mit jedem
Kabinettwechsel auch ihre persönliche Umgebung und ihre Freundinnen zu
wechseln. Später aber ließ sie Änderungen in der Besetzung der obersten
Stellen ihres Haushalts zu, gab also nach.

Nichts zeigt den Stand der königlichen Macht in England besser als
dieser Einfluß der Politik auf den Hofstaat. Die Oberhofmeisterin iMistrsW
ok tus Kodes) hat im königlichen Kleiderschrank so wenig eine politische Auf¬
gabe zu erfüllen, wie der Oberstallmeister bei den Pferden. Aber je nach der
Regierung werden die Kleider konservativ oder liberal aufgehängt und die
Pferde konservativ oder liberal gestriegelt. Die großen Hofämter mit ihren
Gehalten gelten als rechtmäßige Beute der herrschenden Partei, und die persön¬
lichen Gefühle des Monarchen kommen dabei nicht in Betracht. Folgerichtig
hat der Träger der Krone auch in der Besoldung der einzelnen Stellen keine
Stimme. Er durs die Zivilliste nicht vertuenden, wie ihm beliebt. Jedem
freien Briten ist erlaubt, sein Einkommen, und wo kein Fideikommiß besteht,
auch sein Kapital zu vergeuden, ohne daß sich jemand dreinzumischen das Recht
hat. Es ist nach britischen Gesetz nicht möglich, einen offenkundiger Ver¬
schwender zu entmündigen, wie anderswo geschieht. Bloß der arme König
wird wie ein Minderjähriger behandelt, dem man nicht zutraut, einen eignen
Haushalt zu führen. Das Parlament setzt genau fest, wie die Gelder der
Zivilliste zu verwenden sind, und nur ein verhältnismäßig kleiner Teil ist der
parlamentarischen Spürnase vorenthalten und der freien Verfügung des Königs
überlassen. (Schluß folgt)




England und Rußland

icht zum erstenmal taucht der Gedanke auf, zwischen den beiden
größten Reichen der Gegenwart eine Verständigung herzustellen.
Zarte Hände haben in Kopenhagen schon oft an diesem Ge¬
spinst gesponnen, und jüngst hat eine der angesehensten eng¬
lischen Monatsschriften, die Mtiong.1 Rsvisv, einen wohlüber¬
legten Vorschlag für ein solches Einvernehmen gemacht. Im äußersten Osten


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[0477] England und Rußland dem sich die Königin widersetzte. Die Sache erregte damals ein größeres Aus- sehen, als sie verdiente; für den Gang der Regierung Ware der Einfluß, den die beiden Damen hätten ausüben können, von keiner Bedeutung gewesen. Peel jedoch verzichtete lieber auf eine Kabinettbildnng, als daß er von seiner Forderung abgestanden wäre, und Melbourne mußte die Zügel wieder er¬ greifen. Thatsächlich hatten der Königin autokratische Anwandlungen fern¬ gelegen. Was sie empörte, war nur, daß sie gehalten sein sollte, mit jedem Kabinettwechsel auch ihre persönliche Umgebung und ihre Freundinnen zu wechseln. Später aber ließ sie Änderungen in der Besetzung der obersten Stellen ihres Haushalts zu, gab also nach. Nichts zeigt den Stand der königlichen Macht in England besser als dieser Einfluß der Politik auf den Hofstaat. Die Oberhofmeisterin iMistrsW ok tus Kodes) hat im königlichen Kleiderschrank so wenig eine politische Auf¬ gabe zu erfüllen, wie der Oberstallmeister bei den Pferden. Aber je nach der Regierung werden die Kleider konservativ oder liberal aufgehängt und die Pferde konservativ oder liberal gestriegelt. Die großen Hofämter mit ihren Gehalten gelten als rechtmäßige Beute der herrschenden Partei, und die persön¬ lichen Gefühle des Monarchen kommen dabei nicht in Betracht. Folgerichtig hat der Träger der Krone auch in der Besoldung der einzelnen Stellen keine Stimme. Er durs die Zivilliste nicht vertuenden, wie ihm beliebt. Jedem freien Briten ist erlaubt, sein Einkommen, und wo kein Fideikommiß besteht, auch sein Kapital zu vergeuden, ohne daß sich jemand dreinzumischen das Recht hat. Es ist nach britischen Gesetz nicht möglich, einen offenkundiger Ver¬ schwender zu entmündigen, wie anderswo geschieht. Bloß der arme König wird wie ein Minderjähriger behandelt, dem man nicht zutraut, einen eignen Haushalt zu führen. Das Parlament setzt genau fest, wie die Gelder der Zivilliste zu verwenden sind, und nur ein verhältnismäßig kleiner Teil ist der parlamentarischen Spürnase vorenthalten und der freien Verfügung des Königs überlassen. (Schluß folgt) England und Rußland icht zum erstenmal taucht der Gedanke auf, zwischen den beiden größten Reichen der Gegenwart eine Verständigung herzustellen. Zarte Hände haben in Kopenhagen schon oft an diesem Ge¬ spinst gesponnen, und jüngst hat eine der angesehensten eng¬ lischen Monatsschriften, die Mtiong.1 Rsvisv, einen wohlüber¬ legten Vorschlag für ein solches Einvernehmen gemacht. Im äußersten Osten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/477>, abgerufen am 03.05.2024.