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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das englische: llöniatnm

das verdankte sie vor allem ihrer deutschen Mutter, die es verstanden hatte,
die Thronerbin von der sittlich verderbten Luft des Hoff fern zu halten und
sie in Reinheit auf ihre künftige Stellung vorzubereiten. Man braucht bloß
Jsabellci vou Spanien zum Vergleich heranzuziehn, und man wird den Wert
dieser deutschen Fran richtig würdigen, die durch ihre Erziehungsweise für Gro߬
britannien mehr gethan hat, als die Geschichtbücher melden. In vielen Staaten
des Festlands zeigt die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts eine
Stärkung des monarchischen Gefühls, wohl begründet durch die politischen
Leistungen der Monarchen. In England beruht die Stärkung lediglich auf
der unpolitischen Persönlichkeit der Königin Viktoria.

Sie suchte nicht die Volksgunst, die dein Träger einer Krone immer
schon halbwegs entgegenkommt. Auch zu der Zeit des Prinzen Albert zog
sie das Leben im Familienkreise rauschenden Festlichkeiten vor, und als Witwe
ist sie nur äußerst selten in der Öffentlichkeit erschienen. Dennoch hat sie die
Liebe ihres Volkes genossen wie keiner ihrer Vorgänger, einzig, weil sie per¬
sönlich Achtung einflößte.

Ein wichtiger Punkt freilich darf dabei nicht vergessen werden, nämlich
daß ihre Mutter es für weise gehalten hatte, sie zu einer durchaus konstitu¬
tionellen Fürstin zu erziehn. Ein Herrscher, der seine Räte nach eignem Gut¬
dünken wählt, der einen eignen Willen hat und die Macht, ihn durchzusetzen,
kann einer Beurteilung im guten wie schlimmen nicht entgehn. Ein rein kon¬
stitutioneller Monarch dagegen ist solcher Beurteilung nicht unterworfen. Po¬
litisch ist er ein geheimnisvolles, unpersönliches Etwas. Was dem Volke
sichtbar wird, ist nicht der König, sondern nur ein mit dem Königstitel ge¬
schmückter Mensch. Der König selbst ist so unnahbar wie die Gottheit eines
theokratischen Staats, und Lob wie Tadel fällt auf die Minister allein.

Die britische Verfassung läßt sich einem dreigeteilten Baume vergleichen.
Der mittelste Sproß, die Verlängerung des Stamms, ist das Königtum; aber
zu seinen Seiten sind die beiden Zweige der Lords und der Gemeinen empor¬
gewachsen und haben ihm allmählich Licht und Luft genommen, sodaß er nur
noch mit dürren Zweigen als dünner verkümmerter Schoß zwischen ihnen steht.
Die starken Seitenäste schützen ihn vor dem Sturm, doch die Sicherheit hat
er mit seiner eignen Schwäche erkauft. Stunde er allein, der Wind würde
ihn zerknicken, und brächen die Zweige, sie rissen ihn mit ins Verderben.

Wilhelm IV. sträubte sich noch, die Schwache des Königtums anzuerkennen,
die Königin Viktoria ist immer eine konstitutionelle Königin gewesen, ohne
irgend welchen Vorbehalt, zu dem sie berechtigt gewesen wäre. Die berühmte
Westicm av supon-z des Jahres 1839 macht davon nnr scheinbar eine Aus¬
nahme.

Als Lord Melbournes Ministerium gefallen war, verlangte Peel, der die
Bildung einer neuen Regierung übernommen hatte, auch die Entfernung zweier
Damen aus dem königlichen Hofhält, weil sie in engen verwandtschaftlichen
Beziehungen zu Führern der scheidenden Whigpartei standen, ein Begehren,


Das englische: llöniatnm

das verdankte sie vor allem ihrer deutschen Mutter, die es verstanden hatte,
die Thronerbin von der sittlich verderbten Luft des Hoff fern zu halten und
sie in Reinheit auf ihre künftige Stellung vorzubereiten. Man braucht bloß
Jsabellci vou Spanien zum Vergleich heranzuziehn, und man wird den Wert
dieser deutschen Fran richtig würdigen, die durch ihre Erziehungsweise für Gro߬
britannien mehr gethan hat, als die Geschichtbücher melden. In vielen Staaten
des Festlands zeigt die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts eine
Stärkung des monarchischen Gefühls, wohl begründet durch die politischen
Leistungen der Monarchen. In England beruht die Stärkung lediglich auf
der unpolitischen Persönlichkeit der Königin Viktoria.

Sie suchte nicht die Volksgunst, die dein Träger einer Krone immer
schon halbwegs entgegenkommt. Auch zu der Zeit des Prinzen Albert zog
sie das Leben im Familienkreise rauschenden Festlichkeiten vor, und als Witwe
ist sie nur äußerst selten in der Öffentlichkeit erschienen. Dennoch hat sie die
Liebe ihres Volkes genossen wie keiner ihrer Vorgänger, einzig, weil sie per¬
sönlich Achtung einflößte.

Ein wichtiger Punkt freilich darf dabei nicht vergessen werden, nämlich
daß ihre Mutter es für weise gehalten hatte, sie zu einer durchaus konstitu¬
tionellen Fürstin zu erziehn. Ein Herrscher, der seine Räte nach eignem Gut¬
dünken wählt, der einen eignen Willen hat und die Macht, ihn durchzusetzen,
kann einer Beurteilung im guten wie schlimmen nicht entgehn. Ein rein kon¬
stitutioneller Monarch dagegen ist solcher Beurteilung nicht unterworfen. Po¬
litisch ist er ein geheimnisvolles, unpersönliches Etwas. Was dem Volke
sichtbar wird, ist nicht der König, sondern nur ein mit dem Königstitel ge¬
schmückter Mensch. Der König selbst ist so unnahbar wie die Gottheit eines
theokratischen Staats, und Lob wie Tadel fällt auf die Minister allein.

Die britische Verfassung läßt sich einem dreigeteilten Baume vergleichen.
Der mittelste Sproß, die Verlängerung des Stamms, ist das Königtum; aber
zu seinen Seiten sind die beiden Zweige der Lords und der Gemeinen empor¬
gewachsen und haben ihm allmählich Licht und Luft genommen, sodaß er nur
noch mit dürren Zweigen als dünner verkümmerter Schoß zwischen ihnen steht.
Die starken Seitenäste schützen ihn vor dem Sturm, doch die Sicherheit hat
er mit seiner eignen Schwäche erkauft. Stunde er allein, der Wind würde
ihn zerknicken, und brächen die Zweige, sie rissen ihn mit ins Verderben.

Wilhelm IV. sträubte sich noch, die Schwache des Königtums anzuerkennen,
die Königin Viktoria ist immer eine konstitutionelle Königin gewesen, ohne
irgend welchen Vorbehalt, zu dem sie berechtigt gewesen wäre. Die berühmte
Westicm av supon-z des Jahres 1839 macht davon nnr scheinbar eine Aus¬
nahme.

Als Lord Melbournes Ministerium gefallen war, verlangte Peel, der die
Bildung einer neuen Regierung übernommen hatte, auch die Entfernung zweier
Damen aus dem königlichen Hofhält, weil sie in engen verwandtschaftlichen
Beziehungen zu Führern der scheidenden Whigpartei standen, ein Begehren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/476>, abgerufen am 20.05.2024.