Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Iveihuachten vor Paris

er von des Lebens äußerster Grenze aus nur den schwarzen, gleitenden Strom
des Todes. Und unter allen Erinnerungen seines Lebens fand sich nicht eine, die
ihn hinüber tragen konnte. Da begriff er, daß es nur eine einzige große Lebens¬
frage giebt. Er sank in die Kniee vor all den tausendzüngigen Anklagen und
bebte vor dem Richterspruch. So verbrachte er die ganze Nacht.

Da begannen plötzlich die Glocken der Kindheit zu läuten, und es wurde so
still in seinem Innern wie in einer Kirche, in der die Gemeinde mit andächtig
gebeugtem Haupte sitzt. Ans den geheimsten Tiefen seiner Seele, wo die Kindheits-
erinnerungen seit vielen, vielen Jahren geschlummert hatten, klangen die Glocken
wie ein heiliger Gesang durch die Stille, und die Stimme seiner Mutter sprach
die wenigen Worte: Unser Vater, der dn bist ini Himmel! Unwillkürlich faltete
Spreu seine Hände, und als die alten Worte wieder lebendig wurden auf seiner
Zunge, da stand es fest und sicher für thu, daß ihn eine liebende und allmächtige Hand
ergreifen und festhalten würde, wenn er nun ans die Wasser des Todes hinausglitte.

Am nächsten Morgen sagte Spreu zu seiner Frau: Nun wird es bald Zeit
zur Abreise für mich. -- Ane neigte sich über ihn und sagte, er könne ja doch
auch wieder gesund werden. -- Nein, es ist nach mir geschickt morden. , . , Nun
ist es mir, als ob ich in der Fremde gedient hätte und nnn wieder heim dürfte.
Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, Ane, dann würde ich besser
darauf achten, daß über der Erde ein Himmel ist, denn , . . ein Hustenanfall
unterbrach ihn. Ane konnte vor Rührung kein Wort sprechen, sie schüttelte ihm
die Kissen auf, während ihr die Thränen ans den Augen liefen.

Ach ja! begann Sören wieder. Jeder hat seinen Dienst; ich habe den
meinigen gehabt. Im Grunde genommen sind wir ja alle zusammen Dienstleute!
Und einmal kommt der letzte Ziehtag! -- Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest;
sie sollte das letzte sein, was er losließ.

Zum letztenmal ließ der alte Streiter in Gedanken den Blick über seine Acker
gleiten, die hinter der grünen Hecke wogten, über das kleine Königreich, das er
sich von der rauhen Düne erobert hatte. Dann sagte er zu seinem Sohne: Ver¬
sprich mir, mein Junge, daß dn dich niemals für überwunden erklären willst. Ich
will dir etwas sagen, worüber du manchmal nachdenken kannst: Der, der etwas
will, der kann auch etwas!

Er hatte einen leichten und ruhigen Tod.

Rund um seine Anpflanzung sind andre herangewachsen. Und wenn der West¬
wind über die jütländischen Dünen braust und durch die Wipfel der Nadelhölzer
manscht, dann tönt es feierlich und wehmütig im Andenken an Sören Brander.




Weihnachten vor Paris
Georg Stellanus von(Schluß)

>aut wurde denn auch bei seiner Ankunft sofort durch den Nacht-
Hausknecht in das Zimmer der beiden Herren geführt, gab seinem
Prinzipal, der anfänglich nicht recht wußte, wo er war, den von
Frau Hahn zur Besorgung an ihn empfangner Brief und zog sich
weislich an die Thür zum Hausknecht zurück, da ihm nicht besonders
.....daran lag, daß Herr Hahn "die Nase und das Auge" zuerst in
Gegenwart des Schindelmüllers bemerkte. Das würde eine Auseinandersetzung ge-


Iveihuachten vor Paris

er von des Lebens äußerster Grenze aus nur den schwarzen, gleitenden Strom
des Todes. Und unter allen Erinnerungen seines Lebens fand sich nicht eine, die
ihn hinüber tragen konnte. Da begriff er, daß es nur eine einzige große Lebens¬
frage giebt. Er sank in die Kniee vor all den tausendzüngigen Anklagen und
bebte vor dem Richterspruch. So verbrachte er die ganze Nacht.

Da begannen plötzlich die Glocken der Kindheit zu läuten, und es wurde so
still in seinem Innern wie in einer Kirche, in der die Gemeinde mit andächtig
gebeugtem Haupte sitzt. Ans den geheimsten Tiefen seiner Seele, wo die Kindheits-
erinnerungen seit vielen, vielen Jahren geschlummert hatten, klangen die Glocken
wie ein heiliger Gesang durch die Stille, und die Stimme seiner Mutter sprach
die wenigen Worte: Unser Vater, der dn bist ini Himmel! Unwillkürlich faltete
Spreu seine Hände, und als die alten Worte wieder lebendig wurden auf seiner
Zunge, da stand es fest und sicher für thu, daß ihn eine liebende und allmächtige Hand
ergreifen und festhalten würde, wenn er nun ans die Wasser des Todes hinausglitte.

Am nächsten Morgen sagte Spreu zu seiner Frau: Nun wird es bald Zeit
zur Abreise für mich. — Ane neigte sich über ihn und sagte, er könne ja doch
auch wieder gesund werden. — Nein, es ist nach mir geschickt morden. , . , Nun
ist es mir, als ob ich in der Fremde gedient hätte und nnn wieder heim dürfte.
Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, Ane, dann würde ich besser
darauf achten, daß über der Erde ein Himmel ist, denn , . . ein Hustenanfall
unterbrach ihn. Ane konnte vor Rührung kein Wort sprechen, sie schüttelte ihm
die Kissen auf, während ihr die Thränen ans den Augen liefen.

Ach ja! begann Sören wieder. Jeder hat seinen Dienst; ich habe den
meinigen gehabt. Im Grunde genommen sind wir ja alle zusammen Dienstleute!
Und einmal kommt der letzte Ziehtag! — Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest;
sie sollte das letzte sein, was er losließ.

Zum letztenmal ließ der alte Streiter in Gedanken den Blick über seine Acker
gleiten, die hinter der grünen Hecke wogten, über das kleine Königreich, das er
sich von der rauhen Düne erobert hatte. Dann sagte er zu seinem Sohne: Ver¬
sprich mir, mein Junge, daß dn dich niemals für überwunden erklären willst. Ich
will dir etwas sagen, worüber du manchmal nachdenken kannst: Der, der etwas
will, der kann auch etwas!

Er hatte einen leichten und ruhigen Tod.

Rund um seine Anpflanzung sind andre herangewachsen. Und wenn der West¬
wind über die jütländischen Dünen braust und durch die Wipfel der Nadelhölzer
manscht, dann tönt es feierlich und wehmütig im Andenken an Sören Brander.




Weihnachten vor Paris
Georg Stellanus von(Schluß)

>aut wurde denn auch bei seiner Ankunft sofort durch den Nacht-
Hausknecht in das Zimmer der beiden Herren geführt, gab seinem
Prinzipal, der anfänglich nicht recht wußte, wo er war, den von
Frau Hahn zur Besorgung an ihn empfangner Brief und zog sich
weislich an die Thür zum Hausknecht zurück, da ihm nicht besonders
.....daran lag, daß Herr Hahn „die Nase und das Auge" zuerst in
Gegenwart des Schindelmüllers bemerkte. Das würde eine Auseinandersetzung ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0669" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236491"/>
          <fw type="header" place="top"> Iveihuachten vor Paris</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2524" prev="#ID_2523"> er von des Lebens äußerster Grenze aus nur den schwarzen, gleitenden Strom<lb/>
des Todes. Und unter allen Erinnerungen seines Lebens fand sich nicht eine, die<lb/>
ihn hinüber tragen konnte. Da begriff er, daß es nur eine einzige große Lebens¬<lb/>
frage giebt. Er sank in die Kniee vor all den tausendzüngigen Anklagen und<lb/>
bebte vor dem Richterspruch.  So verbrachte er die ganze Nacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2525"> Da begannen plötzlich die Glocken der Kindheit zu läuten, und es wurde so<lb/>
still in seinem Innern wie in einer Kirche, in der die Gemeinde mit andächtig<lb/>
gebeugtem Haupte sitzt. Ans den geheimsten Tiefen seiner Seele, wo die Kindheits-<lb/>
erinnerungen seit vielen, vielen Jahren geschlummert hatten, klangen die Glocken<lb/>
wie ein heiliger Gesang durch die Stille, und die Stimme seiner Mutter sprach<lb/>
die wenigen Worte: Unser Vater, der dn bist ini Himmel! Unwillkürlich faltete<lb/>
Spreu seine Hände, und als die alten Worte wieder lebendig wurden auf seiner<lb/>
Zunge, da stand es fest und sicher für thu, daß ihn eine liebende und allmächtige Hand<lb/>
ergreifen und festhalten würde, wenn er nun ans die Wasser des Todes hinausglitte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2526"> Am nächsten Morgen sagte Spreu zu seiner Frau: Nun wird es bald Zeit<lb/>
zur Abreise für mich. &#x2014; Ane neigte sich über ihn und sagte, er könne ja doch<lb/>
auch wieder gesund werden. &#x2014; Nein, es ist nach mir geschickt morden. , . , Nun<lb/>
ist es mir, als ob ich in der Fremde gedient hätte und nnn wieder heim dürfte.<lb/>
Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, Ane, dann würde ich besser<lb/>
darauf achten, daß über der Erde ein Himmel ist, denn , . . ein Hustenanfall<lb/>
unterbrach ihn. Ane konnte vor Rührung kein Wort sprechen, sie schüttelte ihm<lb/>
die Kissen auf, während ihr die Thränen ans den Augen liefen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2527"> Ach ja! begann Sören wieder. Jeder hat seinen Dienst; ich habe den<lb/>
meinigen gehabt. Im Grunde genommen sind wir ja alle zusammen Dienstleute!<lb/>
Und einmal kommt der letzte Ziehtag! &#x2014; Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest;<lb/>
sie sollte das letzte sein, was er losließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2528"> Zum letztenmal ließ der alte Streiter in Gedanken den Blick über seine Acker<lb/>
gleiten, die hinter der grünen Hecke wogten, über das kleine Königreich, das er<lb/>
sich von der rauhen Düne erobert hatte. Dann sagte er zu seinem Sohne: Ver¬<lb/>
sprich mir, mein Junge, daß dn dich niemals für überwunden erklären willst. Ich<lb/>
will dir etwas sagen, worüber du manchmal nachdenken kannst: Der, der etwas<lb/>
will, der kann auch etwas!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2529"> Er hatte einen leichten und ruhigen Tod.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2530"> Rund um seine Anpflanzung sind andre herangewachsen. Und wenn der West¬<lb/>
wind über die jütländischen Dünen braust und durch die Wipfel der Nadelhölzer<lb/>
manscht, dann tönt es feierlich und wehmütig im Andenken an Sören Brander.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Weihnachten vor Paris<lb/><note type="byline"> Georg Stellanus</note> von(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2531" next="#ID_2532"> &gt;aut wurde denn auch bei seiner Ankunft sofort durch den Nacht-<lb/>
Hausknecht in das Zimmer der beiden Herren geführt, gab seinem<lb/>
Prinzipal, der anfänglich nicht recht wußte, wo er war, den von<lb/>
Frau Hahn zur Besorgung an ihn empfangner Brief und zog sich<lb/>
weislich an die Thür zum Hausknecht zurück, da ihm nicht besonders<lb/>
.....daran lag, daß Herr Hahn &#x201E;die Nase und das Auge" zuerst in<lb/>
Gegenwart des Schindelmüllers bemerkte. Das würde eine Auseinandersetzung ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0669] Iveihuachten vor Paris er von des Lebens äußerster Grenze aus nur den schwarzen, gleitenden Strom des Todes. Und unter allen Erinnerungen seines Lebens fand sich nicht eine, die ihn hinüber tragen konnte. Da begriff er, daß es nur eine einzige große Lebens¬ frage giebt. Er sank in die Kniee vor all den tausendzüngigen Anklagen und bebte vor dem Richterspruch. So verbrachte er die ganze Nacht. Da begannen plötzlich die Glocken der Kindheit zu läuten, und es wurde so still in seinem Innern wie in einer Kirche, in der die Gemeinde mit andächtig gebeugtem Haupte sitzt. Ans den geheimsten Tiefen seiner Seele, wo die Kindheits- erinnerungen seit vielen, vielen Jahren geschlummert hatten, klangen die Glocken wie ein heiliger Gesang durch die Stille, und die Stimme seiner Mutter sprach die wenigen Worte: Unser Vater, der dn bist ini Himmel! Unwillkürlich faltete Spreu seine Hände, und als die alten Worte wieder lebendig wurden auf seiner Zunge, da stand es fest und sicher für thu, daß ihn eine liebende und allmächtige Hand ergreifen und festhalten würde, wenn er nun ans die Wasser des Todes hinausglitte. Am nächsten Morgen sagte Spreu zu seiner Frau: Nun wird es bald Zeit zur Abreise für mich. — Ane neigte sich über ihn und sagte, er könne ja doch auch wieder gesund werden. — Nein, es ist nach mir geschickt morden. , . , Nun ist es mir, als ob ich in der Fremde gedient hätte und nnn wieder heim dürfte. Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, Ane, dann würde ich besser darauf achten, daß über der Erde ein Himmel ist, denn , . . ein Hustenanfall unterbrach ihn. Ane konnte vor Rührung kein Wort sprechen, sie schüttelte ihm die Kissen auf, während ihr die Thränen ans den Augen liefen. Ach ja! begann Sören wieder. Jeder hat seinen Dienst; ich habe den meinigen gehabt. Im Grunde genommen sind wir ja alle zusammen Dienstleute! Und einmal kommt der letzte Ziehtag! — Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest; sie sollte das letzte sein, was er losließ. Zum letztenmal ließ der alte Streiter in Gedanken den Blick über seine Acker gleiten, die hinter der grünen Hecke wogten, über das kleine Königreich, das er sich von der rauhen Düne erobert hatte. Dann sagte er zu seinem Sohne: Ver¬ sprich mir, mein Junge, daß dn dich niemals für überwunden erklären willst. Ich will dir etwas sagen, worüber du manchmal nachdenken kannst: Der, der etwas will, der kann auch etwas! Er hatte einen leichten und ruhigen Tod. Rund um seine Anpflanzung sind andre herangewachsen. Und wenn der West¬ wind über die jütländischen Dünen braust und durch die Wipfel der Nadelhölzer manscht, dann tönt es feierlich und wehmütig im Andenken an Sören Brander. Weihnachten vor Paris Georg Stellanus von(Schluß) >aut wurde denn auch bei seiner Ankunft sofort durch den Nacht- Hausknecht in das Zimmer der beiden Herren geführt, gab seinem Prinzipal, der anfänglich nicht recht wußte, wo er war, den von Frau Hahn zur Besorgung an ihn empfangner Brief und zog sich weislich an die Thür zum Hausknecht zurück, da ihm nicht besonders .....daran lag, daß Herr Hahn „die Nase und das Auge" zuerst in Gegenwart des Schindelmüllers bemerkte. Das würde eine Auseinandersetzung ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/669
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/669>, abgerufen am 03.05.2024.