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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Ad'in'g Wilhelm I. und die Beschießung von Paris

neues Material für die in: Vorstehenden ausgesprochnen Warnungen geliefert.
Vor allen Dingen die beispiellose Rede des Abgeordneten Liebermann v. Sonnen¬
berg, der doch Hütte bedenken müssen, daß durch Beschimpfungen, und seien
sie noch so massiv, keine Abrechnung zwischen zwei gegeneinander gereizten
Völkern herbeigeführt werden kann, und daß andre Parlamente vielleicht auch
über entsprechende Kräfte verfügen, die ihrem Deutschenhaß durch Beschimpfungen
an die Adresse Deutschlands und seiner Staatsmänner Luft machen können.
Was wird damit gewonnen? Aber auch die Reden des deutschen Reichs¬
kanzlers, so tadelfrei sie, objektiv betrachtet, waren, haben nnr ein Echo noch
größern Zornes und Hasses hervorgerufen. Selbstverständlich will ich die
britischen Ergüsse nicht in Schutz nehmen, auch die neusten nicht. Aber die
Heftigkeit dieses neuen Zankes muß doch allerseits die ruhig urteilenden Leute
veranlassen, das Ihrige zur Beendigung beizutragen.




König Wilhelm I. und die Beschießung von Paris

le "Gedanken und Erinnerungen" des Fürsten Bismarck haben
das Gedächtnis an die große Zeit, in der das neue Deutsche
Reich gegründet wurde, in unserm Volke wieder lebhaft wach¬
gerufen; ihr Reiz und ihr Wert liegen besonders in der persön¬
lichen Seite, da sie ja vielfach nicht sowohl den eigentlichen
Thatbestand als vielmehr die Eindrücke und Ansichten Bismarcks wiedergebe!?.
So war es nur natürlich, wenn sie teilweise auch Widerspruch und Entgeg¬
nungen wachgerufen, aber gerade dadurch auch dazu beigetragen haben, daß
unsre Erkenntnis über jene Ereignisse wesentlich klarer geworden ist. Hierzu
gehört auch die Frage der Beschießung von Paris, die bekanntlich seinerzeit,
wie wenig andre, nicht nur die Armee, sondern das ganze Volk in hohen:
Grade beschäftigt und erregt hat. Durch neue, eben durch diese "Erinnerungen"
angeregte Veröffentlichungen z. B. der Generale von Blume und von Müller,
namentlich des zweiten, darf diese Frage jetzt als in allen wesentlichen
Punkten geklärt bezeichnet werden, und deshalb erscheint es umsomehr von
Nutzen, die nun feststehenden Thatsachen in gemeinverständlicher Weise dar¬
zustellen, als auch unsre berufensten Historiker, z. B. Professor E. Marcks in
seinem vortrefflichen Buche: Kaiser Wilhelm I., die eigentliche militärische Frage
als noch jetzt strittig bezeichnen und dadurch zu unzutreffender Schlüssen
kommen.

Die Belagerung von Paris wurde gleich nach der Schlacht von Sedan
ins Auge gefaßt; es war die Zeit, wo die Ansichten des Königs und des
Generalstabs wesentlich auseinandergingen, und wo der König allein richtig
voraussah, daß der schwerere Teil des Krieges nun erst beginne. "Ich muß
nur immer zur Borsicht mahnen," so hat er wiederholt ausgesprochen; und


Ad'in'g Wilhelm I. und die Beschießung von Paris

neues Material für die in: Vorstehenden ausgesprochnen Warnungen geliefert.
Vor allen Dingen die beispiellose Rede des Abgeordneten Liebermann v. Sonnen¬
berg, der doch Hütte bedenken müssen, daß durch Beschimpfungen, und seien
sie noch so massiv, keine Abrechnung zwischen zwei gegeneinander gereizten
Völkern herbeigeführt werden kann, und daß andre Parlamente vielleicht auch
über entsprechende Kräfte verfügen, die ihrem Deutschenhaß durch Beschimpfungen
an die Adresse Deutschlands und seiner Staatsmänner Luft machen können.
Was wird damit gewonnen? Aber auch die Reden des deutschen Reichs¬
kanzlers, so tadelfrei sie, objektiv betrachtet, waren, haben nnr ein Echo noch
größern Zornes und Hasses hervorgerufen. Selbstverständlich will ich die
britischen Ergüsse nicht in Schutz nehmen, auch die neusten nicht. Aber die
Heftigkeit dieses neuen Zankes muß doch allerseits die ruhig urteilenden Leute
veranlassen, das Ihrige zur Beendigung beizutragen.




König Wilhelm I. und die Beschießung von Paris

le „Gedanken und Erinnerungen" des Fürsten Bismarck haben
das Gedächtnis an die große Zeit, in der das neue Deutsche
Reich gegründet wurde, in unserm Volke wieder lebhaft wach¬
gerufen; ihr Reiz und ihr Wert liegen besonders in der persön¬
lichen Seite, da sie ja vielfach nicht sowohl den eigentlichen
Thatbestand als vielmehr die Eindrücke und Ansichten Bismarcks wiedergebe!?.
So war es nur natürlich, wenn sie teilweise auch Widerspruch und Entgeg¬
nungen wachgerufen, aber gerade dadurch auch dazu beigetragen haben, daß
unsre Erkenntnis über jene Ereignisse wesentlich klarer geworden ist. Hierzu
gehört auch die Frage der Beschießung von Paris, die bekanntlich seinerzeit,
wie wenig andre, nicht nur die Armee, sondern das ganze Volk in hohen:
Grade beschäftigt und erregt hat. Durch neue, eben durch diese „Erinnerungen"
angeregte Veröffentlichungen z. B. der Generale von Blume und von Müller,
namentlich des zweiten, darf diese Frage jetzt als in allen wesentlichen
Punkten geklärt bezeichnet werden, und deshalb erscheint es umsomehr von
Nutzen, die nun feststehenden Thatsachen in gemeinverständlicher Weise dar¬
zustellen, als auch unsre berufensten Historiker, z. B. Professor E. Marcks in
seinem vortrefflichen Buche: Kaiser Wilhelm I., die eigentliche militärische Frage
als noch jetzt strittig bezeichnen und dadurch zu unzutreffender Schlüssen
kommen.

Die Belagerung von Paris wurde gleich nach der Schlacht von Sedan
ins Auge gefaßt; es war die Zeit, wo die Ansichten des Königs und des
Generalstabs wesentlich auseinandergingen, und wo der König allein richtig
voraussah, daß der schwerere Teil des Krieges nun erst beginne. „Ich muß
nur immer zur Borsicht mahnen," so hat er wiederholt ausgesprochen; und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/186>, abgerufen am 29.04.2024.