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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Robert Mohls Lebenserinnerungen

lands in den Kreis der europäischen Völkerfnmilie gewesen ist. Die wieder¬
hergestellte Selbstherrschaft unter der Zarewna hatte aber noch eine andre
Bedeutung: durch sie gelangt zum erstenmal der zwingende Einfluß europäischer
Kultur auf die Geschicke Rußlands zum Ausdruck. Sophie hatte -- eine
Abnormität am Hofe ihres Vaters Alexei -- eifrigen Verkehr mit Ausländern
gepflogen, die zu dieser Zeit zahlreich nach Moskau kamen, um dort ihr Glück
zu machen. Von ihnen hatte sie Kenntnisse und Ideen gewonnen, die in dem
damaligen Nußland nur ganz vereinzelt angetroffen wurden. Es war die
Zeit, wo der Besitz einer kleinen Bibliothek, ein bescheidnes Wissen auf tech¬
nischem und militärischem Gebiet, oder eine geringe Vertrautheit mit staats¬
wirtschaftlichen und politischen Fragen zu einem entschiednen Übergewicht über
die Einheimischen verhelfen konnten. Sophiens Lehrer waren nach modernen
Begriffen Abenteurer, Glücksritter, Leute, wie wir sie heute etwa in der fran¬
zösischen Fremdenlegion anzutreffen pflegen. Aber ihre europäische Schulung
genügte, ihnen bei kluger Benutzung der Umstände deu Sieg über die beschränkte
und unwissende Bojarenpartei zu verleihen. Der Zusammenhang zwischen
dem Einfluß westeuropäischer Kultur und der Stärkung und Wiederaufrichtung
der zarischen Macht gehört zu den interessantesten Erscheinungen dieser Zeit;
er tritt uns in überzeugender Weise uuter dem jungen Zaren Peter -- nach¬
mals der Große genannt -- entgegen. Es kann nicht die Aufgabe dieser
Skizze sein, die Regierungsgcschichte der russischen Herrscher im einzelnen zu
verfolgen. Nur die Wellenlinie soll hier gezeichnet werden, die für den Auf-
und den Niedergang der Selbstherrschcridee so überaus charakteristisch ist.

(Schluß folgt)




Robert Mohls Lebenserinnerungen

l
i eich trifft zusammen, was die Lebenserinnerungen Robert Mohls,
die, nachdem ein Vierteljahrhundert seit seinem Tode verstrichen
st, der Öffentlichkeit übergeben worden sind,") zu einem unge¬
wöhnlich gehaltvollen und anziehenden Buche macht. Einmal
der große historische Hintergrund, der für die zweite Hälfte dieses
Lebens mehr als Hintergrund ist; denn Mohl ist ein Mithnndelnder gewesen,
zwar nicht in der vordersten Reihe, aber in sehr verschiednen Stellungen und
in den wichtigsten Zeiten, sodaß sich in seinem Lebensgang die Geschichte unsrer
nationalen Wiedergeburt vom Jahre 1848 bis ins neue Reich herein wieder¬
spiegelt. Er gehört zu denen, die bauen halfen, und die sich zuletzt noch des
fertigen Baus erfreuen durften. Doch bevor er sich in das öffentliche Leben



") Lebenserinnerungen von Robert von Mohl. 1799 bis 1875. Mit 13 Vildnissl
L Bände. Stuttgart, Deutsche Verlagsnnstcrlt, 1902.
Robert Mohls Lebenserinnerungen

lands in den Kreis der europäischen Völkerfnmilie gewesen ist. Die wieder¬
hergestellte Selbstherrschaft unter der Zarewna hatte aber noch eine andre
Bedeutung: durch sie gelangt zum erstenmal der zwingende Einfluß europäischer
Kultur auf die Geschicke Rußlands zum Ausdruck. Sophie hatte — eine
Abnormität am Hofe ihres Vaters Alexei — eifrigen Verkehr mit Ausländern
gepflogen, die zu dieser Zeit zahlreich nach Moskau kamen, um dort ihr Glück
zu machen. Von ihnen hatte sie Kenntnisse und Ideen gewonnen, die in dem
damaligen Nußland nur ganz vereinzelt angetroffen wurden. Es war die
Zeit, wo der Besitz einer kleinen Bibliothek, ein bescheidnes Wissen auf tech¬
nischem und militärischem Gebiet, oder eine geringe Vertrautheit mit staats¬
wirtschaftlichen und politischen Fragen zu einem entschiednen Übergewicht über
die Einheimischen verhelfen konnten. Sophiens Lehrer waren nach modernen
Begriffen Abenteurer, Glücksritter, Leute, wie wir sie heute etwa in der fran¬
zösischen Fremdenlegion anzutreffen pflegen. Aber ihre europäische Schulung
genügte, ihnen bei kluger Benutzung der Umstände deu Sieg über die beschränkte
und unwissende Bojarenpartei zu verleihen. Der Zusammenhang zwischen
dem Einfluß westeuropäischer Kultur und der Stärkung und Wiederaufrichtung
der zarischen Macht gehört zu den interessantesten Erscheinungen dieser Zeit;
er tritt uns in überzeugender Weise uuter dem jungen Zaren Peter — nach¬
mals der Große genannt — entgegen. Es kann nicht die Aufgabe dieser
Skizze sein, die Regierungsgcschichte der russischen Herrscher im einzelnen zu
verfolgen. Nur die Wellenlinie soll hier gezeichnet werden, die für den Auf-
und den Niedergang der Selbstherrschcridee so überaus charakteristisch ist.

(Schluß folgt)




Robert Mohls Lebenserinnerungen

l
i eich trifft zusammen, was die Lebenserinnerungen Robert Mohls,
die, nachdem ein Vierteljahrhundert seit seinem Tode verstrichen
st, der Öffentlichkeit übergeben worden sind,") zu einem unge¬
wöhnlich gehaltvollen und anziehenden Buche macht. Einmal
der große historische Hintergrund, der für die zweite Hälfte dieses
Lebens mehr als Hintergrund ist; denn Mohl ist ein Mithnndelnder gewesen,
zwar nicht in der vordersten Reihe, aber in sehr verschiednen Stellungen und
in den wichtigsten Zeiten, sodaß sich in seinem Lebensgang die Geschichte unsrer
nationalen Wiedergeburt vom Jahre 1848 bis ins neue Reich herein wieder¬
spiegelt. Er gehört zu denen, die bauen halfen, und die sich zuletzt noch des
fertigen Baus erfreuen durften. Doch bevor er sich in das öffentliche Leben



") Lebenserinnerungen von Robert von Mohl. 1799 bis 1875. Mit 13 Vildnissl
L Bände. Stuttgart, Deutsche Verlagsnnstcrlt, 1902.
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[0026] Robert Mohls Lebenserinnerungen lands in den Kreis der europäischen Völkerfnmilie gewesen ist. Die wieder¬ hergestellte Selbstherrschaft unter der Zarewna hatte aber noch eine andre Bedeutung: durch sie gelangt zum erstenmal der zwingende Einfluß europäischer Kultur auf die Geschicke Rußlands zum Ausdruck. Sophie hatte — eine Abnormität am Hofe ihres Vaters Alexei — eifrigen Verkehr mit Ausländern gepflogen, die zu dieser Zeit zahlreich nach Moskau kamen, um dort ihr Glück zu machen. Von ihnen hatte sie Kenntnisse und Ideen gewonnen, die in dem damaligen Nußland nur ganz vereinzelt angetroffen wurden. Es war die Zeit, wo der Besitz einer kleinen Bibliothek, ein bescheidnes Wissen auf tech¬ nischem und militärischem Gebiet, oder eine geringe Vertrautheit mit staats¬ wirtschaftlichen und politischen Fragen zu einem entschiednen Übergewicht über die Einheimischen verhelfen konnten. Sophiens Lehrer waren nach modernen Begriffen Abenteurer, Glücksritter, Leute, wie wir sie heute etwa in der fran¬ zösischen Fremdenlegion anzutreffen pflegen. Aber ihre europäische Schulung genügte, ihnen bei kluger Benutzung der Umstände deu Sieg über die beschränkte und unwissende Bojarenpartei zu verleihen. Der Zusammenhang zwischen dem Einfluß westeuropäischer Kultur und der Stärkung und Wiederaufrichtung der zarischen Macht gehört zu den interessantesten Erscheinungen dieser Zeit; er tritt uns in überzeugender Weise uuter dem jungen Zaren Peter — nach¬ mals der Große genannt — entgegen. Es kann nicht die Aufgabe dieser Skizze sein, die Regierungsgcschichte der russischen Herrscher im einzelnen zu verfolgen. Nur die Wellenlinie soll hier gezeichnet werden, die für den Auf- und den Niedergang der Selbstherrschcridee so überaus charakteristisch ist. (Schluß folgt) Robert Mohls Lebenserinnerungen l i eich trifft zusammen, was die Lebenserinnerungen Robert Mohls, die, nachdem ein Vierteljahrhundert seit seinem Tode verstrichen st, der Öffentlichkeit übergeben worden sind,") zu einem unge¬ wöhnlich gehaltvollen und anziehenden Buche macht. Einmal der große historische Hintergrund, der für die zweite Hälfte dieses Lebens mehr als Hintergrund ist; denn Mohl ist ein Mithnndelnder gewesen, zwar nicht in der vordersten Reihe, aber in sehr verschiednen Stellungen und in den wichtigsten Zeiten, sodaß sich in seinem Lebensgang die Geschichte unsrer nationalen Wiedergeburt vom Jahre 1848 bis ins neue Reich herein wieder¬ spiegelt. Er gehört zu denen, die bauen halfen, und die sich zuletzt noch des fertigen Baus erfreuen durften. Doch bevor er sich in das öffentliche Leben ") Lebenserinnerungen von Robert von Mohl. 1799 bis 1875. Mit 13 Vildnissl L Bände. Stuttgart, Deutsche Verlagsnnstcrlt, 1902.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/26>, abgerufen am 29.04.2024.