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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Hinderung nicht allein hundert-, sondern tausendfältig eingeworfen/' Und am
Abend des 3. Oktobers kam es zwischen Moritz und Hans zu einem so harten
Wortwechsel, daß weder die Bitten der Hessen, noch die Vorstellungen des
Franzosen den Riß wieder zu flicken vermochten. Am nächsten Morgen ritt
der Küstriner mitsamt den preußischen und mecklenburgischen Vollmachten
"heimlich wie die Katze von der Boue" von dannen.

Trotzdem kam um 5. Oktober wenigstens zwischen den in Lochau Zurück¬
gebliebnen ein Vertrag zustande, und dieser erhielt auch am 15. Januar 1552
im Schlosse Chambord schließlich die Bestätigung und Unterschrift Heinrichs II.
Diese Ratifikation aber wurde erst gegeben, nachdem der Bischof von Bayonne
selbst an den französischen Hof zurückgekehrt war und seinem königlichen
Herrn ein aus dem persönlichen Verkehr geschöpftes deutlicheres Bild der
diplomatischen Umsicht und kriegerischen Thatkraft des Kurfürsten Moritz
entworfen hatte. Wie verblendet waren dagegen die spanischen und die
burgundischen Staatsmänner Karls V., allen voran Grnuvella, der damals
offen erklärte: "Der Kurfürst von Sachsen habe so wenig wie der Markgraf
von Brandenburg hinreichenden Verstand und Kredit, um eine große Unter¬
nehmung zu leiten, beide seien zu beschränkt, um hervorragende Anschläge aus¬
zuführen." Erst als das kaiserliche Kriegsvolk bei Reutte in Tirol zersprengt,
die Ehrenberger Klause erstürmt war und der Kaiser über die Berge flüchten
mußte, erkannten sie, daß sie in dem Kurfürsten von Sachsen ihren Meister
gefunden hatten. Eine Rolle in der hohen Politik hat die Lochau seitdem
nicht wieder gespielt: zwei Jahrzehnte später sanken auch die Mauern des
alten Schlosses in Trümmer, aber an seiner Stelle erhob sich bald ein neuer,
glänzenderer Sitz fürstlichen Lebeus, ein nicht unbedeutendes Zentrum wirt¬
schaftlicher und geistiger Kultur des sechzehnten Jahrhunderts: die Annaburg.

(Schluß folgt)




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Siebentes Kapitel
Wie die Karten gemischt werden

er Herr Obersteiger kam aus der Villa des Herrn Direktors und
s" begab sich in das Förderhaus, über dessen Dache die weißen Dampf¬
walken pufften und die Seilräder sich drehten. Der Herr Obersteiger
machte ein Gesicht wie ein Bullenbeißer. Als er an den Förderschacht
trat und sah, wie der Bergmann, der dort die Signale hinab und
herauf durch Anschlagen zu geben und abzunehmen hatte, seinen Posten
einen Augenblick verlassen hatte, um sich seine Pfeife zu stopfen, hätte er ihn beinahe
aufgefressen. Darauf trat er, gefolgt von einem Bergmann, der die Szene mit
angesehen hatte, auf die Förderschale, das ist die tasterförmige Buhne, die, an dem


Doktor Duttmüller und sein Freund

Hinderung nicht allein hundert-, sondern tausendfältig eingeworfen/' Und am
Abend des 3. Oktobers kam es zwischen Moritz und Hans zu einem so harten
Wortwechsel, daß weder die Bitten der Hessen, noch die Vorstellungen des
Franzosen den Riß wieder zu flicken vermochten. Am nächsten Morgen ritt
der Küstriner mitsamt den preußischen und mecklenburgischen Vollmachten
„heimlich wie die Katze von der Boue" von dannen.

Trotzdem kam um 5. Oktober wenigstens zwischen den in Lochau Zurück¬
gebliebnen ein Vertrag zustande, und dieser erhielt auch am 15. Januar 1552
im Schlosse Chambord schließlich die Bestätigung und Unterschrift Heinrichs II.
Diese Ratifikation aber wurde erst gegeben, nachdem der Bischof von Bayonne
selbst an den französischen Hof zurückgekehrt war und seinem königlichen
Herrn ein aus dem persönlichen Verkehr geschöpftes deutlicheres Bild der
diplomatischen Umsicht und kriegerischen Thatkraft des Kurfürsten Moritz
entworfen hatte. Wie verblendet waren dagegen die spanischen und die
burgundischen Staatsmänner Karls V., allen voran Grnuvella, der damals
offen erklärte: „Der Kurfürst von Sachsen habe so wenig wie der Markgraf
von Brandenburg hinreichenden Verstand und Kredit, um eine große Unter¬
nehmung zu leiten, beide seien zu beschränkt, um hervorragende Anschläge aus¬
zuführen." Erst als das kaiserliche Kriegsvolk bei Reutte in Tirol zersprengt,
die Ehrenberger Klause erstürmt war und der Kaiser über die Berge flüchten
mußte, erkannten sie, daß sie in dem Kurfürsten von Sachsen ihren Meister
gefunden hatten. Eine Rolle in der hohen Politik hat die Lochau seitdem
nicht wieder gespielt: zwei Jahrzehnte später sanken auch die Mauern des
alten Schlosses in Trümmer, aber an seiner Stelle erhob sich bald ein neuer,
glänzenderer Sitz fürstlichen Lebeus, ein nicht unbedeutendes Zentrum wirt¬
schaftlicher und geistiger Kultur des sechzehnten Jahrhunderts: die Annaburg.

(Schluß folgt)




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Siebentes Kapitel
Wie die Karten gemischt werden

er Herr Obersteiger kam aus der Villa des Herrn Direktors und
s» begab sich in das Förderhaus, über dessen Dache die weißen Dampf¬
walken pufften und die Seilräder sich drehten. Der Herr Obersteiger
machte ein Gesicht wie ein Bullenbeißer. Als er an den Förderschacht
trat und sah, wie der Bergmann, der dort die Signale hinab und
herauf durch Anschlagen zu geben und abzunehmen hatte, seinen Posten
einen Augenblick verlassen hatte, um sich seine Pfeife zu stopfen, hätte er ihn beinahe
aufgefressen. Darauf trat er, gefolgt von einem Bergmann, der die Szene mit
angesehen hatte, auf die Förderschale, das ist die tasterförmige Buhne, die, an dem


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[0386] Doktor Duttmüller und sein Freund Hinderung nicht allein hundert-, sondern tausendfältig eingeworfen/' Und am Abend des 3. Oktobers kam es zwischen Moritz und Hans zu einem so harten Wortwechsel, daß weder die Bitten der Hessen, noch die Vorstellungen des Franzosen den Riß wieder zu flicken vermochten. Am nächsten Morgen ritt der Küstriner mitsamt den preußischen und mecklenburgischen Vollmachten „heimlich wie die Katze von der Boue" von dannen. Trotzdem kam um 5. Oktober wenigstens zwischen den in Lochau Zurück¬ gebliebnen ein Vertrag zustande, und dieser erhielt auch am 15. Januar 1552 im Schlosse Chambord schließlich die Bestätigung und Unterschrift Heinrichs II. Diese Ratifikation aber wurde erst gegeben, nachdem der Bischof von Bayonne selbst an den französischen Hof zurückgekehrt war und seinem königlichen Herrn ein aus dem persönlichen Verkehr geschöpftes deutlicheres Bild der diplomatischen Umsicht und kriegerischen Thatkraft des Kurfürsten Moritz entworfen hatte. Wie verblendet waren dagegen die spanischen und die burgundischen Staatsmänner Karls V., allen voran Grnuvella, der damals offen erklärte: „Der Kurfürst von Sachsen habe so wenig wie der Markgraf von Brandenburg hinreichenden Verstand und Kredit, um eine große Unter¬ nehmung zu leiten, beide seien zu beschränkt, um hervorragende Anschläge aus¬ zuführen." Erst als das kaiserliche Kriegsvolk bei Reutte in Tirol zersprengt, die Ehrenberger Klause erstürmt war und der Kaiser über die Berge flüchten mußte, erkannten sie, daß sie in dem Kurfürsten von Sachsen ihren Meister gefunden hatten. Eine Rolle in der hohen Politik hat die Lochau seitdem nicht wieder gespielt: zwei Jahrzehnte später sanken auch die Mauern des alten Schlosses in Trümmer, aber an seiner Stelle erhob sich bald ein neuer, glänzenderer Sitz fürstlichen Lebeus, ein nicht unbedeutendes Zentrum wirt¬ schaftlicher und geistiger Kultur des sechzehnten Jahrhunderts: die Annaburg. (Schluß folgt) Doktor Duttmüller und sein Freund Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von Siebentes Kapitel Wie die Karten gemischt werden er Herr Obersteiger kam aus der Villa des Herrn Direktors und s» begab sich in das Förderhaus, über dessen Dache die weißen Dampf¬ walken pufften und die Seilräder sich drehten. Der Herr Obersteiger machte ein Gesicht wie ein Bullenbeißer. Als er an den Förderschacht trat und sah, wie der Bergmann, der dort die Signale hinab und herauf durch Anschlagen zu geben und abzunehmen hatte, seinen Posten einen Augenblick verlassen hatte, um sich seine Pfeife zu stopfen, hätte er ihn beinahe aufgefressen. Darauf trat er, gefolgt von einem Bergmann, der die Szene mit angesehen hatte, auf die Förderschale, das ist die tasterförmige Buhne, die, an dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/386>, abgerufen am 28.04.2024.