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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Einnahmeausfall, daß die Postverwaltung alle Veranlassung hat, die auf Tarif¬
ermäßigungen gerichteten Wünsche des Publikums, so berechtigt sie auch erscheinen
mögen, mit Rücksicht auf die Gestaltung der Finanzen mit Vorsicht aufzunehmen.


Aphorismen.

Es werden mindestens tausend sein, und sie stehn in einem
bei Winter in Heidelberg erschienenen Bande von reichlich 200 Seiten unter dem
Titel: Greift nur hinein. Neue Aphorismen von Georg von Oertzen. Unzusaminen-
hängenden Einfällen eines erfahrnen und gedankenreichen Mannes zu folgen kann
ein großes Vergnügen sein, wenn es auch mit der Unbequemlichkeit fortgesetzten
Ans- und Abspringens erkauft werden muß, aber diese Aphorismen sind zu kurz,
um etwas zu sagen, und sie sprechen meistenteils ganz selbstverständliche Dinge aus,
sodaß das etwaige Neue nur in einer Prägung besteht, die für die Sache nichts
austrägt. Das führt dann zum Wortspiel, das nur zu leicht gesucht wird, z. B.
"Wenn die Nervosität Thränen vergießt, weint sie unechte Perlen" oder "Das
Leben hat ungezählte Lungen, aber nur einen Atem, den des Vergehens" usw.
Unhöfliche Menschen würden so etwas "Kalauer" nennen. Am wenigsten dürfen
solche Wortknnststücke schwerverständlich sein, weil der Aufwand an Nachdenken durch
den enttäuschend bescheidnen Ertrag nicht gedeckt werden kann, oder gar unver¬
ständlich, z. B. "Schweigsamkeit ist die Amme der Unabhängigkeit" oder "Wann
sind wir alt? Wenn in unserm unwillkürlichen Streit mit dem Kalender dieser
uns selbst zum Bundesgenossen hat" oder "nahestehende beantworten zuweilen auch
das Gleichgiltige, das wir sagen, so, als glaubten sie, daß wir gegen Zustimmung
empfindlich sind." Vollends aber darf sich, wenn die Wortkunst auf die Wirklich¬
keit der Dinge trifft, in dieser Gleichung nichts Falsches finden, z. B. "Der Versuch,
eine unwillkommne geistige Bewegung aufzuhalten, ist wie das Spiel des Kindes
am Strande. Es bemüht sich das Meer auszuschöpfen, weil es sich vor dem Bade
fürchtet." Ein seltsames Kind! "Der Knopf auf dem Beutel steht in Verbindung
mit dem Klingelzug zum Herzen. Drücken Sie gefälligst." Ja, aber wo? Auf
dem Knopf des Beutels hat der Besitzer selbst die Hand. Könnte ich da mit Erfolg
drücken, so brauchte ich mich nicht mehr an sein Herz zu wenden. Eher könnte ich
auf sein Herz zu drücke" suchen, ob sich von da aus der Beutel aufthun würde,
aber dann ist der Beutelkopf für mich überflüssig, und ich brauche einen Hcrzknovf.
Maximen können endlich mich durchaus falsch sein, sollten es freilich nicht: "Nur
im Traum ist jemand der, für den er sich selbst hält." Hat der Verfasser zu
wenig erlebt? Gewiß nicht, denn wir sehen aus der Liste der "Schriftsteller
der Gegenwart" in Spemanns Goldnem Buch der Weltlitteratnr, daß er ein
äußerlich bevorzugtes und an Anregungen sicherlich ergiebiges Leben hinter sich hat.
Wenn es auch vielleicht zu tausend Aphorismen nicht gereicht hätte, etwas mehr
6s emol ha'ete man doch erwarten mögen. Die wirklichen Fragmentisten sprechen
immer über einen Inhalt, über Politik, Litteratur, Kunst oder Gesellschaft, aber nicht
über beliebige Allgemeinheiten. Vielleicht hat der Verfasser einer ästhetischen Doktrin
zuliebe, nach der geistreiche Aussprüche möglichst abstrakt sein müssen, die seinen so
allgemein gehalten, daß er sie um nicht einmal mehr in Gruppen hat ordnen können,
Wildern sie in ununterbrochnem Zuge an uns vorbeiführt. Das ist ermüdend, und es
Würde zu entschuldigen sein, wenn unsrer Aufmerksamkeit manches Bessere entgangen
wäre, wie z. B. "Leise, sagt die Eitelkeit als die liebenswürdige Führerin durch
unser Inneres, leise -- sonst will das Gewissen mich mit." Das klingt recht hübsch,
>se aber doch im Grunde nicht mehr als ein Bonmot. Andrerseits haben wir nach
den Beispielen für das Verfehlte wirklich nicht gesucht, wir hätten sie leicht ver¬
zehnfachen können, und wo wir immer aufs Geratewohl eine Seite aufschlagen,
finden wir Sätze, die keinem etwas besondres sagen, wie die folgenden zwei gleich
hintereinander: "Wer sich ärgert, ist wunder als der Betrübte, und böser als der
Zornige." "Undank macht die Wohlthat zur Pesfimistin." Wir meinen, dergleichen
liest man einander in der Familie vor, oder man schreibt es Freunden ins Stamm-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Einnahmeausfall, daß die Postverwaltung alle Veranlassung hat, die auf Tarif¬
ermäßigungen gerichteten Wünsche des Publikums, so berechtigt sie auch erscheinen
mögen, mit Rücksicht auf die Gestaltung der Finanzen mit Vorsicht aufzunehmen.


Aphorismen.

Es werden mindestens tausend sein, und sie stehn in einem
bei Winter in Heidelberg erschienenen Bande von reichlich 200 Seiten unter dem
Titel: Greift nur hinein. Neue Aphorismen von Georg von Oertzen. Unzusaminen-
hängenden Einfällen eines erfahrnen und gedankenreichen Mannes zu folgen kann
ein großes Vergnügen sein, wenn es auch mit der Unbequemlichkeit fortgesetzten
Ans- und Abspringens erkauft werden muß, aber diese Aphorismen sind zu kurz,
um etwas zu sagen, und sie sprechen meistenteils ganz selbstverständliche Dinge aus,
sodaß das etwaige Neue nur in einer Prägung besteht, die für die Sache nichts
austrägt. Das führt dann zum Wortspiel, das nur zu leicht gesucht wird, z. B.
„Wenn die Nervosität Thränen vergießt, weint sie unechte Perlen" oder „Das
Leben hat ungezählte Lungen, aber nur einen Atem, den des Vergehens" usw.
Unhöfliche Menschen würden so etwas „Kalauer" nennen. Am wenigsten dürfen
solche Wortknnststücke schwerverständlich sein, weil der Aufwand an Nachdenken durch
den enttäuschend bescheidnen Ertrag nicht gedeckt werden kann, oder gar unver¬
ständlich, z. B. „Schweigsamkeit ist die Amme der Unabhängigkeit" oder „Wann
sind wir alt? Wenn in unserm unwillkürlichen Streit mit dem Kalender dieser
uns selbst zum Bundesgenossen hat" oder „nahestehende beantworten zuweilen auch
das Gleichgiltige, das wir sagen, so, als glaubten sie, daß wir gegen Zustimmung
empfindlich sind." Vollends aber darf sich, wenn die Wortkunst auf die Wirklich¬
keit der Dinge trifft, in dieser Gleichung nichts Falsches finden, z. B. „Der Versuch,
eine unwillkommne geistige Bewegung aufzuhalten, ist wie das Spiel des Kindes
am Strande. Es bemüht sich das Meer auszuschöpfen, weil es sich vor dem Bade
fürchtet." Ein seltsames Kind! „Der Knopf auf dem Beutel steht in Verbindung
mit dem Klingelzug zum Herzen. Drücken Sie gefälligst." Ja, aber wo? Auf
dem Knopf des Beutels hat der Besitzer selbst die Hand. Könnte ich da mit Erfolg
drücken, so brauchte ich mich nicht mehr an sein Herz zu wenden. Eher könnte ich
auf sein Herz zu drücke» suchen, ob sich von da aus der Beutel aufthun würde,
aber dann ist der Beutelkopf für mich überflüssig, und ich brauche einen Hcrzknovf.
Maximen können endlich mich durchaus falsch sein, sollten es freilich nicht: „Nur
im Traum ist jemand der, für den er sich selbst hält." Hat der Verfasser zu
wenig erlebt? Gewiß nicht, denn wir sehen aus der Liste der „Schriftsteller
der Gegenwart" in Spemanns Goldnem Buch der Weltlitteratnr, daß er ein
äußerlich bevorzugtes und an Anregungen sicherlich ergiebiges Leben hinter sich hat.
Wenn es auch vielleicht zu tausend Aphorismen nicht gereicht hätte, etwas mehr
6s emol ha'ete man doch erwarten mögen. Die wirklichen Fragmentisten sprechen
immer über einen Inhalt, über Politik, Litteratur, Kunst oder Gesellschaft, aber nicht
über beliebige Allgemeinheiten. Vielleicht hat der Verfasser einer ästhetischen Doktrin
zuliebe, nach der geistreiche Aussprüche möglichst abstrakt sein müssen, die seinen so
allgemein gehalten, daß er sie um nicht einmal mehr in Gruppen hat ordnen können,
Wildern sie in ununterbrochnem Zuge an uns vorbeiführt. Das ist ermüdend, und es
Würde zu entschuldigen sein, wenn unsrer Aufmerksamkeit manches Bessere entgangen
wäre, wie z. B. „Leise, sagt die Eitelkeit als die liebenswürdige Führerin durch
unser Inneres, leise — sonst will das Gewissen mich mit." Das klingt recht hübsch,
>se aber doch im Grunde nicht mehr als ein Bonmot. Andrerseits haben wir nach
den Beispielen für das Verfehlte wirklich nicht gesucht, wir hätten sie leicht ver¬
zehnfachen können, und wo wir immer aufs Geratewohl eine Seite aufschlagen,
finden wir Sätze, die keinem etwas besondres sagen, wie die folgenden zwei gleich
hintereinander: „Wer sich ärgert, ist wunder als der Betrübte, und böser als der
Zornige." „Undank macht die Wohlthat zur Pesfimistin." Wir meinen, dergleichen
liest man einander in der Familie vor, oder man schreibt es Freunden ins Stamm-


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[0463] Maßgebliches und Unmaßgebliches Einnahmeausfall, daß die Postverwaltung alle Veranlassung hat, die auf Tarif¬ ermäßigungen gerichteten Wünsche des Publikums, so berechtigt sie auch erscheinen mögen, mit Rücksicht auf die Gestaltung der Finanzen mit Vorsicht aufzunehmen. Aphorismen. Es werden mindestens tausend sein, und sie stehn in einem bei Winter in Heidelberg erschienenen Bande von reichlich 200 Seiten unter dem Titel: Greift nur hinein. Neue Aphorismen von Georg von Oertzen. Unzusaminen- hängenden Einfällen eines erfahrnen und gedankenreichen Mannes zu folgen kann ein großes Vergnügen sein, wenn es auch mit der Unbequemlichkeit fortgesetzten Ans- und Abspringens erkauft werden muß, aber diese Aphorismen sind zu kurz, um etwas zu sagen, und sie sprechen meistenteils ganz selbstverständliche Dinge aus, sodaß das etwaige Neue nur in einer Prägung besteht, die für die Sache nichts austrägt. Das führt dann zum Wortspiel, das nur zu leicht gesucht wird, z. B. „Wenn die Nervosität Thränen vergießt, weint sie unechte Perlen" oder „Das Leben hat ungezählte Lungen, aber nur einen Atem, den des Vergehens" usw. Unhöfliche Menschen würden so etwas „Kalauer" nennen. Am wenigsten dürfen solche Wortknnststücke schwerverständlich sein, weil der Aufwand an Nachdenken durch den enttäuschend bescheidnen Ertrag nicht gedeckt werden kann, oder gar unver¬ ständlich, z. B. „Schweigsamkeit ist die Amme der Unabhängigkeit" oder „Wann sind wir alt? Wenn in unserm unwillkürlichen Streit mit dem Kalender dieser uns selbst zum Bundesgenossen hat" oder „nahestehende beantworten zuweilen auch das Gleichgiltige, das wir sagen, so, als glaubten sie, daß wir gegen Zustimmung empfindlich sind." Vollends aber darf sich, wenn die Wortkunst auf die Wirklich¬ keit der Dinge trifft, in dieser Gleichung nichts Falsches finden, z. B. „Der Versuch, eine unwillkommne geistige Bewegung aufzuhalten, ist wie das Spiel des Kindes am Strande. Es bemüht sich das Meer auszuschöpfen, weil es sich vor dem Bade fürchtet." Ein seltsames Kind! „Der Knopf auf dem Beutel steht in Verbindung mit dem Klingelzug zum Herzen. Drücken Sie gefälligst." Ja, aber wo? Auf dem Knopf des Beutels hat der Besitzer selbst die Hand. Könnte ich da mit Erfolg drücken, so brauchte ich mich nicht mehr an sein Herz zu wenden. Eher könnte ich auf sein Herz zu drücke» suchen, ob sich von da aus der Beutel aufthun würde, aber dann ist der Beutelkopf für mich überflüssig, und ich brauche einen Hcrzknovf. Maximen können endlich mich durchaus falsch sein, sollten es freilich nicht: „Nur im Traum ist jemand der, für den er sich selbst hält." Hat der Verfasser zu wenig erlebt? Gewiß nicht, denn wir sehen aus der Liste der „Schriftsteller der Gegenwart" in Spemanns Goldnem Buch der Weltlitteratnr, daß er ein äußerlich bevorzugtes und an Anregungen sicherlich ergiebiges Leben hinter sich hat. Wenn es auch vielleicht zu tausend Aphorismen nicht gereicht hätte, etwas mehr 6s emol ha'ete man doch erwarten mögen. Die wirklichen Fragmentisten sprechen immer über einen Inhalt, über Politik, Litteratur, Kunst oder Gesellschaft, aber nicht über beliebige Allgemeinheiten. Vielleicht hat der Verfasser einer ästhetischen Doktrin zuliebe, nach der geistreiche Aussprüche möglichst abstrakt sein müssen, die seinen so allgemein gehalten, daß er sie um nicht einmal mehr in Gruppen hat ordnen können, Wildern sie in ununterbrochnem Zuge an uns vorbeiführt. Das ist ermüdend, und es Würde zu entschuldigen sein, wenn unsrer Aufmerksamkeit manches Bessere entgangen wäre, wie z. B. „Leise, sagt die Eitelkeit als die liebenswürdige Führerin durch unser Inneres, leise — sonst will das Gewissen mich mit." Das klingt recht hübsch, >se aber doch im Grunde nicht mehr als ein Bonmot. Andrerseits haben wir nach den Beispielen für das Verfehlte wirklich nicht gesucht, wir hätten sie leicht ver¬ zehnfachen können, und wo wir immer aufs Geratewohl eine Seite aufschlagen, finden wir Sätze, die keinem etwas besondres sagen, wie die folgenden zwei gleich hintereinander: „Wer sich ärgert, ist wunder als der Betrübte, und böser als der Zornige." „Undank macht die Wohlthat zur Pesfimistin." Wir meinen, dergleichen liest man einander in der Familie vor, oder man schreibt es Freunden ins Stamm-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/463>, abgerufen am 29.04.2024.