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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe

mag erwähnt werden, daß es ebenso dringlich ist, wenn Maßregeln allgemeiner
Art von der Kurie geplant werden, die nur mit wesentlichen oder unwesent¬
lichen Änderungen bei uns zur Einführung gelangen könnten, daß dann die
Bischöfe diese Modifikationen rechtzeitig beantragen und auf ihre Durchführung
bestehn. Derartige Dinge werden dann wesentlich dazu beitragen, daß die
römische Auffassung deutscher Verhältnisse klarer und bestimmter wird, daß die
Vorurteile zerstreut werden, und unsrer katholischen Wissenschaft und Theologie
die Beachtung zu teil werde, die sie auf Grund ihrer Leistungen verlangen
kann. Die bisherige Zurückhaltung war vom Übel und muß einer durch¬
greifenden Änderung zum bessern Platz machen. Wie viele Kämpfe hat
Kardinal Laviqerie, Bischof Dupauloup, haben andre Bischöfe mit der Kurie
ausgefochten, durch die ihr Ansehen zu Hause wie in Rom nur gestiegen ist!
Warum kann das bei uns nicht gerade so sein?




Nationalitätskämpfe
Kämpfe von heute

is sich in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts der
Nationalismus kräftiger zu regen begann, waren viele von den
Erfolgen, die das Deutschtum in seinem letzten geräuschlosem
aber darum doch nachhaltigen Fortschreiten nach Osten errungen
hatte, mit einem Schlage auf das schwerste gefährdet. Die
passive Rolle, die die snbgermanischen Völker des europäischen Ostens bis
^ahin dem Vordringen des Deutschtums gegenüber gespielt hatten, wandelte
^es zu einem von Jahr zu Jahr mehr erstarkenden Widerstand, der nur zu
bald die Kraft in sich spürte, einen Tausch der Rollen herbeizuführen, indem
^' begann, seinerseits aggressiv vorzugehu.

Inzwischen herrschte allerorten in deutschen Landen die tiefste Ruhe. Die
revolutionäre Bewegung, die endlich im Jahre 1848 hell aufloderte, war bei
uns an nationalen Gedanke"! mehr als arm. In der harmlosesten Weise be-
^'köderte sich zwar der Deutsche für die Befreiungskampfe der Hellenen und
undt minder der Polen, ohne daß ihm eine Ahnung davon kam, wie schwer
^ sich damit an seinem eignen Fleisch und Blut versündigte. Aber daß die
^gue Nation einer Erneuerung bedürfte, die durch die landläufigen revolu¬
tionären Schlagworte und die von polnischen Agenten geleitete Wühlarbeit
"immermehr herbeigeführt werden konnte, daran dachten bei uns nur wenige.

Als dann im Gefolge der Revolution in ganz Mitteleuropa und vor
allem in Österreich-Ungarn ans allgemeinen Wahlen hervorgegangne Parla¬
mente zu thätiger Mitwirkung an der Leitung der Staaten berufen wurden,
^ar auf lange Zeiten hinaus an eine Beschwichtigung der einmal erregten
Ansätze nicht mehr zu denken. Die bei jeder Wahl von neuem cmf-


Grmzboten I 1902 68
Nationalitätskämpfe

mag erwähnt werden, daß es ebenso dringlich ist, wenn Maßregeln allgemeiner
Art von der Kurie geplant werden, die nur mit wesentlichen oder unwesent¬
lichen Änderungen bei uns zur Einführung gelangen könnten, daß dann die
Bischöfe diese Modifikationen rechtzeitig beantragen und auf ihre Durchführung
bestehn. Derartige Dinge werden dann wesentlich dazu beitragen, daß die
römische Auffassung deutscher Verhältnisse klarer und bestimmter wird, daß die
Vorurteile zerstreut werden, und unsrer katholischen Wissenschaft und Theologie
die Beachtung zu teil werde, die sie auf Grund ihrer Leistungen verlangen
kann. Die bisherige Zurückhaltung war vom Übel und muß einer durch¬
greifenden Änderung zum bessern Platz machen. Wie viele Kämpfe hat
Kardinal Laviqerie, Bischof Dupauloup, haben andre Bischöfe mit der Kurie
ausgefochten, durch die ihr Ansehen zu Hause wie in Rom nur gestiegen ist!
Warum kann das bei uns nicht gerade so sein?




Nationalitätskämpfe
Kämpfe von heute

is sich in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts der
Nationalismus kräftiger zu regen begann, waren viele von den
Erfolgen, die das Deutschtum in seinem letzten geräuschlosem
aber darum doch nachhaltigen Fortschreiten nach Osten errungen
hatte, mit einem Schlage auf das schwerste gefährdet. Die
passive Rolle, die die snbgermanischen Völker des europäischen Ostens bis
^ahin dem Vordringen des Deutschtums gegenüber gespielt hatten, wandelte
^es zu einem von Jahr zu Jahr mehr erstarkenden Widerstand, der nur zu
bald die Kraft in sich spürte, einen Tausch der Rollen herbeizuführen, indem
^' begann, seinerseits aggressiv vorzugehu.

Inzwischen herrschte allerorten in deutschen Landen die tiefste Ruhe. Die
revolutionäre Bewegung, die endlich im Jahre 1848 hell aufloderte, war bei
uns an nationalen Gedanke»! mehr als arm. In der harmlosesten Weise be-
^'köderte sich zwar der Deutsche für die Befreiungskampfe der Hellenen und
undt minder der Polen, ohne daß ihm eine Ahnung davon kam, wie schwer
^ sich damit an seinem eignen Fleisch und Blut versündigte. Aber daß die
^gue Nation einer Erneuerung bedürfte, die durch die landläufigen revolu¬
tionären Schlagworte und die von polnischen Agenten geleitete Wühlarbeit
"immermehr herbeigeführt werden konnte, daran dachten bei uns nur wenige.

Als dann im Gefolge der Revolution in ganz Mitteleuropa und vor
allem in Österreich-Ungarn ans allgemeinen Wahlen hervorgegangne Parla¬
mente zu thätiger Mitwirkung an der Leitung der Staaten berufen wurden,
^ar auf lange Zeiten hinaus an eine Beschwichtigung der einmal erregten
Ansätze nicht mehr zu denken. Die bei jeder Wahl von neuem cmf-


Grmzboten I 1902 68
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[0545] Nationalitätskämpfe mag erwähnt werden, daß es ebenso dringlich ist, wenn Maßregeln allgemeiner Art von der Kurie geplant werden, die nur mit wesentlichen oder unwesent¬ lichen Änderungen bei uns zur Einführung gelangen könnten, daß dann die Bischöfe diese Modifikationen rechtzeitig beantragen und auf ihre Durchführung bestehn. Derartige Dinge werden dann wesentlich dazu beitragen, daß die römische Auffassung deutscher Verhältnisse klarer und bestimmter wird, daß die Vorurteile zerstreut werden, und unsrer katholischen Wissenschaft und Theologie die Beachtung zu teil werde, die sie auf Grund ihrer Leistungen verlangen kann. Die bisherige Zurückhaltung war vom Übel und muß einer durch¬ greifenden Änderung zum bessern Platz machen. Wie viele Kämpfe hat Kardinal Laviqerie, Bischof Dupauloup, haben andre Bischöfe mit der Kurie ausgefochten, durch die ihr Ansehen zu Hause wie in Rom nur gestiegen ist! Warum kann das bei uns nicht gerade so sein? Nationalitätskämpfe Kämpfe von heute is sich in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts der Nationalismus kräftiger zu regen begann, waren viele von den Erfolgen, die das Deutschtum in seinem letzten geräuschlosem aber darum doch nachhaltigen Fortschreiten nach Osten errungen hatte, mit einem Schlage auf das schwerste gefährdet. Die passive Rolle, die die snbgermanischen Völker des europäischen Ostens bis ^ahin dem Vordringen des Deutschtums gegenüber gespielt hatten, wandelte ^es zu einem von Jahr zu Jahr mehr erstarkenden Widerstand, der nur zu bald die Kraft in sich spürte, einen Tausch der Rollen herbeizuführen, indem ^' begann, seinerseits aggressiv vorzugehu. Inzwischen herrschte allerorten in deutschen Landen die tiefste Ruhe. Die revolutionäre Bewegung, die endlich im Jahre 1848 hell aufloderte, war bei uns an nationalen Gedanke»! mehr als arm. In der harmlosesten Weise be- ^'köderte sich zwar der Deutsche für die Befreiungskampfe der Hellenen und undt minder der Polen, ohne daß ihm eine Ahnung davon kam, wie schwer ^ sich damit an seinem eignen Fleisch und Blut versündigte. Aber daß die ^gue Nation einer Erneuerung bedürfte, die durch die landläufigen revolu¬ tionären Schlagworte und die von polnischen Agenten geleitete Wühlarbeit "immermehr herbeigeführt werden konnte, daran dachten bei uns nur wenige. Als dann im Gefolge der Revolution in ganz Mitteleuropa und vor allem in Österreich-Ungarn ans allgemeinen Wahlen hervorgegangne Parla¬ mente zu thätiger Mitwirkung an der Leitung der Staaten berufen wurden, ^ar auf lange Zeiten hinaus an eine Beschwichtigung der einmal erregten Ansätze nicht mehr zu denken. Die bei jeder Wahl von neuem cmf- Grmzboten I 1902 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/545>, abgerufen am 29.04.2024.