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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

der Försterei gesehen worden. Und heute waren beide abgereist, und sie, Lydia,
hatte es mit eignen Augen sehen wollen, wer es sei, und sie hatte es gesehen, und
nun war alles aus. Und damit entbrannte Lydias Zorn von neuem, und sie vergoß
Thränen und wünschte ihrem Doktor alles mögliche Böse.

Aber Ellen kostümierte sich in der Eile mit Tuch und Barett als Leporello
und sang: Darum Donna, laßt ihn laufen, er ist Eures Zorns nicht wert.




Aus Alices Tagebuch

Ich habe das Gefühl, obdachlos und schutzlos zu sein. Nur die Frau ist
geborgen. Für sie tritt der Mann ein; er fordert Rechenschaft, wenn man sie
beleidigt. Wer schützt uns? Uns darf man ungestraft kränken. Wir dürfen
nicht einmal verraten lassen, was wir fühlen, wir müssen lächeln, wenn auch das
Herz weh thut.




Ich begreife mein eignes Herz nicht. Was war er mir denn? Ein Meteor,
das aufleuchtet und schnell erlischt. Mir war er schon längst erloschen. Und
doch fühle ich eine Leere im Herzen. Es ist mir zu Mute, wie wenn jemand
gestorben wäre.




Die Welt, in der er lebte, war eine Welt des Scheins, erdachte Dinge,
erdachte Gedanken. Alles unwahr. Kann ich mich wundern, daß er selber un¬
wahr ist?--




Ich will mich nicht beklagen. Ich habe glückliche Tage gehabt. Mancher
würde mich beneiden und würde Grund dazu haben. Keine Sorge, kein Wunsch,
der versagt worden wäre. Und doch kann ich nicht sagen, daß ich glücklich bin.
Sicher, es ist unrecht von mir. Aber ich kann nicht anders. Ich fühle mich über¬
flüssig, und das schmerzt mich. Nur wenn ich Mama pflegen darf, wenn ich mit
dem Doktor zusammen helfen und dienen kann, bin ich froh.




Der gute Papa. Er erweist mir alle Liebe. Er sieht mich an, als sei ich
sein Sorgenkind. Bin ichs nicht vielleicht? Ich thäte alles, um ihm seine Sorge
zu nehmen."




Nach ein paar Tagen saß Doktor Duttmüller in seinem Zimmer und früh¬
stückte. Da trat Dörcher herein, eilig, wie sie aus ihrer Mutter Küche gekommen
>var, das heißt nicht sehr sauber, und rief: Herr Doktor, eben ist der Brannfelser
Fleischer durchgekommen. Er erzählte, daß hinter ihm ein Wagen käme mit der-
alten Duttmüllern und einer Dame mit einem großen Hut. Das wollte ich Ihnen
"ur sagen, damit Sie wissen, woran Sie sind.

schön, Dörcher, erwiderte der Doktor.

Dörcher hielt die Wange hin, aber der Doktor nahm keine Notiz davon,
sondern nahm seinen Hut und ging zum Frvnhofe.

Eine Stunde später kam Klapphorn mit einem Teller in der Hand, auf dem
^n Glas Limonade stand, aus dem Schlafzimmer der gnädigen Frau in das
Wohnzimmer, wo Ellen war, schüttelte wohl zwanzigmal den Kopf und setzte den
Teller wie geistesabwesend mitten auf "dem gnädigen Herrn sein" Frühstück.


Doktor Duttmüller und sein Freund

der Försterei gesehen worden. Und heute waren beide abgereist, und sie, Lydia,
hatte es mit eignen Augen sehen wollen, wer es sei, und sie hatte es gesehen, und
nun war alles aus. Und damit entbrannte Lydias Zorn von neuem, und sie vergoß
Thränen und wünschte ihrem Doktor alles mögliche Böse.

Aber Ellen kostümierte sich in der Eile mit Tuch und Barett als Leporello
und sang: Darum Donna, laßt ihn laufen, er ist Eures Zorns nicht wert.




Aus Alices Tagebuch

Ich habe das Gefühl, obdachlos und schutzlos zu sein. Nur die Frau ist
geborgen. Für sie tritt der Mann ein; er fordert Rechenschaft, wenn man sie
beleidigt. Wer schützt uns? Uns darf man ungestraft kränken. Wir dürfen
nicht einmal verraten lassen, was wir fühlen, wir müssen lächeln, wenn auch das
Herz weh thut.




Ich begreife mein eignes Herz nicht. Was war er mir denn? Ein Meteor,
das aufleuchtet und schnell erlischt. Mir war er schon längst erloschen. Und
doch fühle ich eine Leere im Herzen. Es ist mir zu Mute, wie wenn jemand
gestorben wäre.




Die Welt, in der er lebte, war eine Welt des Scheins, erdachte Dinge,
erdachte Gedanken. Alles unwahr. Kann ich mich wundern, daß er selber un¬
wahr ist?--




Ich will mich nicht beklagen. Ich habe glückliche Tage gehabt. Mancher
würde mich beneiden und würde Grund dazu haben. Keine Sorge, kein Wunsch,
der versagt worden wäre. Und doch kann ich nicht sagen, daß ich glücklich bin.
Sicher, es ist unrecht von mir. Aber ich kann nicht anders. Ich fühle mich über¬
flüssig, und das schmerzt mich. Nur wenn ich Mama pflegen darf, wenn ich mit
dem Doktor zusammen helfen und dienen kann, bin ich froh.




Der gute Papa. Er erweist mir alle Liebe. Er sieht mich an, als sei ich
sein Sorgenkind. Bin ichs nicht vielleicht? Ich thäte alles, um ihm seine Sorge
zu nehmen.»




Nach ein paar Tagen saß Doktor Duttmüller in seinem Zimmer und früh¬
stückte. Da trat Dörcher herein, eilig, wie sie aus ihrer Mutter Küche gekommen
>var, das heißt nicht sehr sauber, und rief: Herr Doktor, eben ist der Brannfelser
Fleischer durchgekommen. Er erzählte, daß hinter ihm ein Wagen käme mit der-
alten Duttmüllern und einer Dame mit einem großen Hut. Das wollte ich Ihnen
"ur sagen, damit Sie wissen, woran Sie sind.

schön, Dörcher, erwiderte der Doktor.

Dörcher hielt die Wange hin, aber der Doktor nahm keine Notiz davon,
sondern nahm seinen Hut und ging zum Frvnhofe.

Eine Stunde später kam Klapphorn mit einem Teller in der Hand, auf dem
^n Glas Limonade stand, aus dem Schlafzimmer der gnädigen Frau in das
Wohnzimmer, wo Ellen war, schüttelte wohl zwanzigmal den Kopf und setzte den
Teller wie geistesabwesend mitten auf „dem gnädigen Herrn sein" Frühstück.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/581>, abgerufen am 28.04.2024.