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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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(Lhile und Argentinien
Gin geographisch-politisches Problem

l
e Zeiten, wo uns die Länder dahinten in der Türkei, wo die
Völker aufeinander schlagen, ja irgend ein Fleck der Erde außer¬
halb Europas Hekubci sein konnten, sind längst vorüber. Die
frühere Kleinbürgerruhe hat uns die Weltpolitik ausgetrieben.
Heute sollte nichts auf dem Erdenrund geschehn, wobei nicht der
deutsche Kaiser ein Wort mitzureden Hütte.

Schon deshalb können uns die Dinge da drüben in Südamerika, die sich
Zwischen den beiden entwicklungsfähigsten Staaten des Kontinents abspielen,
nicht ganz kühl lassen. Es trifft sich überdies, daß Deutschland zugleich
an einer andern Stelle des Erdteils thätig engagiert ist, und ein politisches
Prinzip dabei berührt wird, die Pan-Amerika-Devise der Monroedoktriu, das
seinen Schatten leicht auch auf die hier zu behandelnden Konflikte Chiles und
Argentiniens werfen könnte. Vor allem aber bietet die Streitfrage der beiden
Staaten an sich in politischer und vor allem geographischer Hinsicht so außer-
ordentlich bemerkenswerte Züge, daß sie, zumal da ihre endgiltige Lösung gar
nicht abzusehen ist und sie noch jahrelang durch die Presse spuken dürfte, eine
eingehendere Betrachtung lohnt.

Die Republiken Argentinien und Chile berühren einander auf einer Strecke
von rund 32 Breitengraden, d. h. von mehr als 3500 Kilometern. Trotz
dieser Ausdehnung ihrer Berührungslinien war die gemeinsame Grenze bis
Zum Jahre 1881 durch keinen Vertrag genauer fixiert. Lauge Zeit hatten
sich daraus keinerlei Miszstände ergeben, noch war eine diplomatische Ver¬
ständigung notwendig geworden. Im mittlern Abschnitte der langen Linie hatte
die Natur eine Schranke aufgerichtet, die dank ihrer ununterbrochen Massig¬
keit und Höhe beiden Ländern ein deutliches Grenzzeichen entgegenstellte. Nur
un Norden und im Süden konnten eigentlich Schwierigkeiten entsteh". Im
Norden erhebt sich der Puna d'Ataknma, wo die Vulkane eine solche Masse von
^esteinstrümmern aufgehäuft haben, daß die Kordillere sich zu einem förm¬
lichen Plateau ausweitet. Die Zugänge zu dieser öden .Hochregion waren


Grenzboten I 1902 73


(Lhile und Argentinien
Gin geographisch-politisches Problem

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e Zeiten, wo uns die Länder dahinten in der Türkei, wo die
Völker aufeinander schlagen, ja irgend ein Fleck der Erde außer¬
halb Europas Hekubci sein konnten, sind längst vorüber. Die
frühere Kleinbürgerruhe hat uns die Weltpolitik ausgetrieben.
Heute sollte nichts auf dem Erdenrund geschehn, wobei nicht der
deutsche Kaiser ein Wort mitzureden Hütte.

Schon deshalb können uns die Dinge da drüben in Südamerika, die sich
Zwischen den beiden entwicklungsfähigsten Staaten des Kontinents abspielen,
nicht ganz kühl lassen. Es trifft sich überdies, daß Deutschland zugleich
an einer andern Stelle des Erdteils thätig engagiert ist, und ein politisches
Prinzip dabei berührt wird, die Pan-Amerika-Devise der Monroedoktriu, das
seinen Schatten leicht auch auf die hier zu behandelnden Konflikte Chiles und
Argentiniens werfen könnte. Vor allem aber bietet die Streitfrage der beiden
Staaten an sich in politischer und vor allem geographischer Hinsicht so außer-
ordentlich bemerkenswerte Züge, daß sie, zumal da ihre endgiltige Lösung gar
nicht abzusehen ist und sie noch jahrelang durch die Presse spuken dürfte, eine
eingehendere Betrachtung lohnt.

Die Republiken Argentinien und Chile berühren einander auf einer Strecke
von rund 32 Breitengraden, d. h. von mehr als 3500 Kilometern. Trotz
dieser Ausdehnung ihrer Berührungslinien war die gemeinsame Grenze bis
Zum Jahre 1881 durch keinen Vertrag genauer fixiert. Lauge Zeit hatten
sich daraus keinerlei Miszstände ergeben, noch war eine diplomatische Ver¬
ständigung notwendig geworden. Im mittlern Abschnitte der langen Linie hatte
die Natur eine Schranke aufgerichtet, die dank ihrer ununterbrochen Massig¬
keit und Höhe beiden Ländern ein deutliches Grenzzeichen entgegenstellte. Nur
un Norden und im Süden konnten eigentlich Schwierigkeiten entsteh». Im
Norden erhebt sich der Puna d'Ataknma, wo die Vulkane eine solche Masse von
^esteinstrümmern aufgehäuft haben, daß die Kordillere sich zu einem förm¬
lichen Plateau ausweitet. Die Zugänge zu dieser öden .Hochregion waren


Grenzboten I 1902 73
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/585>, abgerufen am 28.04.2024.