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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliche und Unuiaßgeblichcs

Eine entladne Seele.

Auf den Kopf der deutschen Bevölkerung kommen
jährlich nach Professor Forels Berechnung gegenwärtig 5(Z4 Liter Bier, was nach
Abzug der vielen Kinder und Frauen und der immerhin doch auch vorhandnen
Männer, die überhaupt keins trinken, für die wirklichen Biertrinker Wohl so ziemlich
das doppelte Quantum ausmachen dürfte. Diese drei Liter täglich, wenn das
Exempel richtig ist, geben allerlei zu denken. Manchem wird es tröstlich sein, daß
sie wenigstens kein Schnaps sind. Aber einem haben sie geradezu Freude gemacht,
svdas; er darüber einen Lobgesang anstimme, aus dem wir einige Stellen hierher¬
setzen: Wo ist der Grund der merkwürdigen Harmonie und Ausgeglichenheit in der
Bevölkerung und in dem Leben Münchens, das wie eine grüne Oase aus der
Dekadence des umgebenden Europas hervorleuchtet? So paradox es klingt, das
Bier ist der große Ausgleicher. Deu allzu unbewußter, instinktiven, beschränkten
Menschen stachelt es zur Thatkraft auf, und den allzu bewußten, nervösen Gehirn¬
menschen des lin alö sisols entlastet es von dem Übergewicht des Denkens und macht
ihn wieder zur That fähig. Nirgends fand ich so viel Tugenden der Gesundheit,
als da sind Einheitlichkeit, Mut, Einsicht und Lebenslust, Verständnis und Liebe
auch für das Andersgeartete und Höflichkeit, wie bei dem Münchner -- Kraft und
dabei doch ein heiterer, fast buddhistischer Gleichmut sind die Grundzüge seines
Charakters. Der deutsche Nationaltrank hat das Volk in Gesundheit, Jngend und Kraft
erhalten. Man möchte der ganzen deutscheu Nation zurufen: In ins siAnis vinee!

Die Modernen Essays von Max Messer (Dresden und Leipzig, Carl Reißner)
Handel" von sehr vielerlei, z. B. von Max Stirner, dem Luther des Individualis¬
mus, von Ricarda Huch, die nach dein Erlebnis riecht (daß dich!), und der Ver¬
fasser, der sie als Zwanzigjähriger zu schreiben anfing, um seine tief empfindende
und begeisterungsvolle Seele zu entlade", hat sie nun, im ganze" dreißig, in chrono¬
logischer Folge geordnet, herausgegeben, weil er damit etwas zu vollbringen glaubte,
was in unsrer Zeit der dekadenten Skepsis und Gefühlsmüdigkeit des Dankes
wert sei. Einst hat er sich von dei" Duft des Modernen berauschen lassen und
neue, ungewohnte Kulturen gesucht; jetzt möchte er, klar und nüchtern geworden,
ein Bild seiner eigne" Entwicklung und vielleicht auch der litterarischen Strömungen
seiner Zeit geben. -- Da die Entladung nach der frühesten Jahrzahl 1895 be¬
gonnen hat, er selbst also jetzt sechsundzwanzig Jahre alt sein wird, so hat er noch
genügend Zeit vor sich, seine Seele, ehe er sie aufs neue entladet, zu weiterer
Nüchternheit und Klarheit zu entwickeln.


Der Moralkodex eines "Herausgebers."

In dem neu erschienenen eng¬
lischen Jnformationslexikon, das den Titel ^Vna,1'8 'Ab.g.t? führt, ist der Mornl-
kodex eines englischen Zeitungs- oder Zeitschriftenherausgebers durch folgende auf
ihn und sein Werk gehende Sentenzen charakterisiert, die wir der ^eg,clom^ ent¬
nehme": Alle Artikel sind zu lang, und die meisten wären besser nicht geschrieben. --
Man giebt besser Neuigkeiten als Ansichten. - - Nur keine Artikelserien. -- Jede
Kritik ist verdächtig und bleibt besser weg. -- Die Beiträge sollen ja nicht per¬
sönlich sein; das ist das Privilegiuni des Herausgebers oder Chefredakteurs. --
Ein Herausgeber argumentiert nicht, er behauptet. -- Jeder Beitragende muß hie
und da sich einen Strich gefallen lassen; das ist Machtausdruck. -- Ein Heraus-
geber muß brummig sein; das gehört zum Geschäft. -- Der Herausgeber muß
unsichtbar sein, anßer wenn er ein bestimmtes Rendezvous giebt, und auch daun
braucht er es nicht immer einzuhalten. -- Herausgeber haben Feinde, doch keine
Freunde; die erster" sind Menschen vom niedrigsten Charakter, die zweiten wäre"
Engel: wen" sie existierten. -- Jede Zeitung hat die Beiträge, die sie ver¬
dient. -- Einem Mitarbeiter soll man immer danke", doch niemals ihn loben. --
Das Urteil eines Chefredakteurs ist unfehlbar; nur seiner Feder passiert hie und
da einmal etwas. Entschuldige dich niemals: außer mit Invektiven. Fehler
sind unvermeidlich, Irrtümer entschuldbar, aber es ist nicht zu versteh", wen" ans


Maßgebliche und Unuiaßgeblichcs

Eine entladne Seele.

Auf den Kopf der deutschen Bevölkerung kommen
jährlich nach Professor Forels Berechnung gegenwärtig 5(Z4 Liter Bier, was nach
Abzug der vielen Kinder und Frauen und der immerhin doch auch vorhandnen
Männer, die überhaupt keins trinken, für die wirklichen Biertrinker Wohl so ziemlich
das doppelte Quantum ausmachen dürfte. Diese drei Liter täglich, wenn das
Exempel richtig ist, geben allerlei zu denken. Manchem wird es tröstlich sein, daß
sie wenigstens kein Schnaps sind. Aber einem haben sie geradezu Freude gemacht,
svdas; er darüber einen Lobgesang anstimme, aus dem wir einige Stellen hierher¬
setzen: Wo ist der Grund der merkwürdigen Harmonie und Ausgeglichenheit in der
Bevölkerung und in dem Leben Münchens, das wie eine grüne Oase aus der
Dekadence des umgebenden Europas hervorleuchtet? So paradox es klingt, das
Bier ist der große Ausgleicher. Deu allzu unbewußter, instinktiven, beschränkten
Menschen stachelt es zur Thatkraft auf, und den allzu bewußten, nervösen Gehirn¬
menschen des lin alö sisols entlastet es von dem Übergewicht des Denkens und macht
ihn wieder zur That fähig. Nirgends fand ich so viel Tugenden der Gesundheit,
als da sind Einheitlichkeit, Mut, Einsicht und Lebenslust, Verständnis und Liebe
auch für das Andersgeartete und Höflichkeit, wie bei dem Münchner — Kraft und
dabei doch ein heiterer, fast buddhistischer Gleichmut sind die Grundzüge seines
Charakters. Der deutsche Nationaltrank hat das Volk in Gesundheit, Jngend und Kraft
erhalten. Man möchte der ganzen deutscheu Nation zurufen: In ins siAnis vinee!

Die Modernen Essays von Max Messer (Dresden und Leipzig, Carl Reißner)
Handel» von sehr vielerlei, z. B. von Max Stirner, dem Luther des Individualis¬
mus, von Ricarda Huch, die nach dein Erlebnis riecht (daß dich!), und der Ver¬
fasser, der sie als Zwanzigjähriger zu schreiben anfing, um seine tief empfindende
und begeisterungsvolle Seele zu entlade», hat sie nun, im ganze» dreißig, in chrono¬
logischer Folge geordnet, herausgegeben, weil er damit etwas zu vollbringen glaubte,
was in unsrer Zeit der dekadenten Skepsis und Gefühlsmüdigkeit des Dankes
wert sei. Einst hat er sich von dei» Duft des Modernen berauschen lassen und
neue, ungewohnte Kulturen gesucht; jetzt möchte er, klar und nüchtern geworden,
ein Bild seiner eigne» Entwicklung und vielleicht auch der litterarischen Strömungen
seiner Zeit geben. — Da die Entladung nach der frühesten Jahrzahl 1895 be¬
gonnen hat, er selbst also jetzt sechsundzwanzig Jahre alt sein wird, so hat er noch
genügend Zeit vor sich, seine Seele, ehe er sie aufs neue entladet, zu weiterer
Nüchternheit und Klarheit zu entwickeln.


Der Moralkodex eines „Herausgebers."

In dem neu erschienenen eng¬
lischen Jnformationslexikon, das den Titel ^Vna,1'8 'Ab.g.t? führt, ist der Mornl-
kodex eines englischen Zeitungs- oder Zeitschriftenherausgebers durch folgende auf
ihn und sein Werk gehende Sentenzen charakterisiert, die wir der ^eg,clom^ ent¬
nehme»: Alle Artikel sind zu lang, und die meisten wären besser nicht geschrieben. —
Man giebt besser Neuigkeiten als Ansichten. - - Nur keine Artikelserien. — Jede
Kritik ist verdächtig und bleibt besser weg. — Die Beiträge sollen ja nicht per¬
sönlich sein; das ist das Privilegiuni des Herausgebers oder Chefredakteurs. —
Ein Herausgeber argumentiert nicht, er behauptet. — Jeder Beitragende muß hie
und da sich einen Strich gefallen lassen; das ist Machtausdruck. — Ein Heraus-
geber muß brummig sein; das gehört zum Geschäft. — Der Herausgeber muß
unsichtbar sein, anßer wenn er ein bestimmtes Rendezvous giebt, und auch daun
braucht er es nicht immer einzuhalten. — Herausgeber haben Feinde, doch keine
Freunde; die erster» sind Menschen vom niedrigsten Charakter, die zweiten wäre»
Engel: wen» sie existierten. — Jede Zeitung hat die Beiträge, die sie ver¬
dient. — Einem Mitarbeiter soll man immer danke», doch niemals ihn loben. —
Das Urteil eines Chefredakteurs ist unfehlbar; nur seiner Feder passiert hie und
da einmal etwas. Entschuldige dich niemals: außer mit Invektiven. Fehler
sind unvermeidlich, Irrtümer entschuldbar, aber es ist nicht zu versteh», wen» ans


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[0062] Maßgebliche und Unuiaßgeblichcs Eine entladne Seele. Auf den Kopf der deutschen Bevölkerung kommen jährlich nach Professor Forels Berechnung gegenwärtig 5(Z4 Liter Bier, was nach Abzug der vielen Kinder und Frauen und der immerhin doch auch vorhandnen Männer, die überhaupt keins trinken, für die wirklichen Biertrinker Wohl so ziemlich das doppelte Quantum ausmachen dürfte. Diese drei Liter täglich, wenn das Exempel richtig ist, geben allerlei zu denken. Manchem wird es tröstlich sein, daß sie wenigstens kein Schnaps sind. Aber einem haben sie geradezu Freude gemacht, svdas; er darüber einen Lobgesang anstimme, aus dem wir einige Stellen hierher¬ setzen: Wo ist der Grund der merkwürdigen Harmonie und Ausgeglichenheit in der Bevölkerung und in dem Leben Münchens, das wie eine grüne Oase aus der Dekadence des umgebenden Europas hervorleuchtet? So paradox es klingt, das Bier ist der große Ausgleicher. Deu allzu unbewußter, instinktiven, beschränkten Menschen stachelt es zur Thatkraft auf, und den allzu bewußten, nervösen Gehirn¬ menschen des lin alö sisols entlastet es von dem Übergewicht des Denkens und macht ihn wieder zur That fähig. Nirgends fand ich so viel Tugenden der Gesundheit, als da sind Einheitlichkeit, Mut, Einsicht und Lebenslust, Verständnis und Liebe auch für das Andersgeartete und Höflichkeit, wie bei dem Münchner — Kraft und dabei doch ein heiterer, fast buddhistischer Gleichmut sind die Grundzüge seines Charakters. Der deutsche Nationaltrank hat das Volk in Gesundheit, Jngend und Kraft erhalten. Man möchte der ganzen deutscheu Nation zurufen: In ins siAnis vinee! Die Modernen Essays von Max Messer (Dresden und Leipzig, Carl Reißner) Handel» von sehr vielerlei, z. B. von Max Stirner, dem Luther des Individualis¬ mus, von Ricarda Huch, die nach dein Erlebnis riecht (daß dich!), und der Ver¬ fasser, der sie als Zwanzigjähriger zu schreiben anfing, um seine tief empfindende und begeisterungsvolle Seele zu entlade», hat sie nun, im ganze» dreißig, in chrono¬ logischer Folge geordnet, herausgegeben, weil er damit etwas zu vollbringen glaubte, was in unsrer Zeit der dekadenten Skepsis und Gefühlsmüdigkeit des Dankes wert sei. Einst hat er sich von dei» Duft des Modernen berauschen lassen und neue, ungewohnte Kulturen gesucht; jetzt möchte er, klar und nüchtern geworden, ein Bild seiner eigne» Entwicklung und vielleicht auch der litterarischen Strömungen seiner Zeit geben. — Da die Entladung nach der frühesten Jahrzahl 1895 be¬ gonnen hat, er selbst also jetzt sechsundzwanzig Jahre alt sein wird, so hat er noch genügend Zeit vor sich, seine Seele, ehe er sie aufs neue entladet, zu weiterer Nüchternheit und Klarheit zu entwickeln. Der Moralkodex eines „Herausgebers." In dem neu erschienenen eng¬ lischen Jnformationslexikon, das den Titel ^Vna,1'8 'Ab.g.t? führt, ist der Mornl- kodex eines englischen Zeitungs- oder Zeitschriftenherausgebers durch folgende auf ihn und sein Werk gehende Sentenzen charakterisiert, die wir der ^eg,clom^ ent¬ nehme»: Alle Artikel sind zu lang, und die meisten wären besser nicht geschrieben. — Man giebt besser Neuigkeiten als Ansichten. - - Nur keine Artikelserien. — Jede Kritik ist verdächtig und bleibt besser weg. — Die Beiträge sollen ja nicht per¬ sönlich sein; das ist das Privilegiuni des Herausgebers oder Chefredakteurs. — Ein Herausgeber argumentiert nicht, er behauptet. — Jeder Beitragende muß hie und da sich einen Strich gefallen lassen; das ist Machtausdruck. — Ein Heraus- geber muß brummig sein; das gehört zum Geschäft. — Der Herausgeber muß unsichtbar sein, anßer wenn er ein bestimmtes Rendezvous giebt, und auch daun braucht er es nicht immer einzuhalten. — Herausgeber haben Feinde, doch keine Freunde; die erster» sind Menschen vom niedrigsten Charakter, die zweiten wäre» Engel: wen» sie existierten. — Jede Zeitung hat die Beiträge, die sie ver¬ dient. — Einem Mitarbeiter soll man immer danke», doch niemals ihn loben. — Das Urteil eines Chefredakteurs ist unfehlbar; nur seiner Feder passiert hie und da einmal etwas. Entschuldige dich niemals: außer mit Invektiven. Fehler sind unvermeidlich, Irrtümer entschuldbar, aber es ist nicht zu versteh», wen» ans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/62>, abgerufen am 29.04.2024.