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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Jahrhunderts eine Einwohnerzahl von etwa 3500 hatte, während in Freiberg,
Leipzig und Dresden, damals den größten Städten der Wettiner, etwa je
5000 Bewohner waren. Aber diese Zahlen geben wohl nicht das richtige
Verhältnis der Bedeutung dieser Städte an; es scheint vielmehr, daß Torgau
wegen der großen dort nbgehaltnen Hoffestlichkeiten, fernerhin auch als häusiger
Sitz des Landtags im sechzehnten Jahrhundert an Bedeutung den genannten
Städten völlig gleich stand.

Die letzten fürstlichen Hochzeitsgüste, die der Harteufels in seinen Mauern
sah, waren teilweise recht unheimliche Gesellen, die dort eins der finstersten
Nachtstncke russischer Geschichte inszenierten: Zar Peter der Große, sein un¬
glücklicher Sohn Alexei und deren russisches Gefolge. Peter der Große kam
im Oktober 1711 von Karlsbad aus über Dresden zu Schiff in Torgau an,
um seinen einundzU'nnzigjnhrigen Sohn Alexei Petrvwitsch mit Charlotte
Christiane Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel zu vermählen. Der Zare-
witsch, an innerer Roheit und orientalischer Wollust dem Vater gleich, aber
ohne dessen staatsmünnischen Blick, war damals dem Vater als geheimer An¬
hänger der altrussischen Partei längst verdächtig; so sollte ihn die Ehe mit
der siebzehnjährigen deutsche,: Prinzessin der Sphäre westeuropäischer Kultur
unser bringen. Mit wie banger Sorge mochte die edle Christine Eberhardine, die
Gemahlin Augusts des Starken, die damals schon längst in Torgau oder Pretzsch
Hof hielt und die braunschweigische Prinzessin erzogen hatte, diesem Ehebunde
entgegensehen, und nun gar erst das arme Opfer, das dein barbarischen Unholde
angetraut wurde! Sie starb schon 1715, und drei Jahre später endete ihr
Gemahl im Gefängnis nnter der Kunde seines Vaters! Die Gesinuungsart,
die sich hier offenbart, hielt den Zaren nicht ab, in Torgau mit dem größten
Gelehrten dieser Zeit, mit Leibniz zusammenzukommen, der dahin zitiert und
"in, ihm mit einem russischen Titel und 1000 Rudeln Pension begnadet wurde!

(Schluß folgt)




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von Elftes Kapitel
Vorbereitungen

nsre Geschichte macht jetzt einen großen Schritt vorwärts, nämlich
über ganze dreiviertel Jahr weg, das ist die Zeit des Brautstandes
Doktor Duttmüllers und Alices. Jedermann weiß, daß ein Braut¬
stand, der einigermaßen für etwas gehalten sein will, nicht kürzer
sein darf. Schon wegen der Wäsche und der Monogramme. Thun
wir aber nicht Unrecht, diese schönste Zeit des Lebens ohne Bedenken
den Pcipierkorb zu werfen? Wir bitten zu erwägen erstens, daß, wenn diese
t auch für die Beteiligten die schönste des Lebens sein sollte, sie es für die


Grenz boten I 1902 78
Doktor Duttmüller und sein Freund

Jahrhunderts eine Einwohnerzahl von etwa 3500 hatte, während in Freiberg,
Leipzig und Dresden, damals den größten Städten der Wettiner, etwa je
5000 Bewohner waren. Aber diese Zahlen geben wohl nicht das richtige
Verhältnis der Bedeutung dieser Städte an; es scheint vielmehr, daß Torgau
wegen der großen dort nbgehaltnen Hoffestlichkeiten, fernerhin auch als häusiger
Sitz des Landtags im sechzehnten Jahrhundert an Bedeutung den genannten
Städten völlig gleich stand.

Die letzten fürstlichen Hochzeitsgüste, die der Harteufels in seinen Mauern
sah, waren teilweise recht unheimliche Gesellen, die dort eins der finstersten
Nachtstncke russischer Geschichte inszenierten: Zar Peter der Große, sein un¬
glücklicher Sohn Alexei und deren russisches Gefolge. Peter der Große kam
im Oktober 1711 von Karlsbad aus über Dresden zu Schiff in Torgau an,
um seinen einundzU'nnzigjnhrigen Sohn Alexei Petrvwitsch mit Charlotte
Christiane Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel zu vermählen. Der Zare-
witsch, an innerer Roheit und orientalischer Wollust dem Vater gleich, aber
ohne dessen staatsmünnischen Blick, war damals dem Vater als geheimer An¬
hänger der altrussischen Partei längst verdächtig; so sollte ihn die Ehe mit
der siebzehnjährigen deutsche,: Prinzessin der Sphäre westeuropäischer Kultur
unser bringen. Mit wie banger Sorge mochte die edle Christine Eberhardine, die
Gemahlin Augusts des Starken, die damals schon längst in Torgau oder Pretzsch
Hof hielt und die braunschweigische Prinzessin erzogen hatte, diesem Ehebunde
entgegensehen, und nun gar erst das arme Opfer, das dein barbarischen Unholde
angetraut wurde! Sie starb schon 1715, und drei Jahre später endete ihr
Gemahl im Gefängnis nnter der Kunde seines Vaters! Die Gesinuungsart,
die sich hier offenbart, hielt den Zaren nicht ab, in Torgau mit dem größten
Gelehrten dieser Zeit, mit Leibniz zusammenzukommen, der dahin zitiert und
"in, ihm mit einem russischen Titel und 1000 Rudeln Pension begnadet wurde!

(Schluß folgt)




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Vorbereitungen

nsre Geschichte macht jetzt einen großen Schritt vorwärts, nämlich
über ganze dreiviertel Jahr weg, das ist die Zeit des Brautstandes
Doktor Duttmüllers und Alices. Jedermann weiß, daß ein Braut¬
stand, der einigermaßen für etwas gehalten sein will, nicht kürzer
sein darf. Schon wegen der Wäsche und der Monogramme. Thun
wir aber nicht Unrecht, diese schönste Zeit des Lebens ohne Bedenken
den Pcipierkorb zu werfen? Wir bitten zu erwägen erstens, daß, wenn diese
t auch für die Beteiligten die schönste des Lebens sein sollte, sie es für die


Grenz boten I 1902 78
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[0625] Doktor Duttmüller und sein Freund Jahrhunderts eine Einwohnerzahl von etwa 3500 hatte, während in Freiberg, Leipzig und Dresden, damals den größten Städten der Wettiner, etwa je 5000 Bewohner waren. Aber diese Zahlen geben wohl nicht das richtige Verhältnis der Bedeutung dieser Städte an; es scheint vielmehr, daß Torgau wegen der großen dort nbgehaltnen Hoffestlichkeiten, fernerhin auch als häusiger Sitz des Landtags im sechzehnten Jahrhundert an Bedeutung den genannten Städten völlig gleich stand. Die letzten fürstlichen Hochzeitsgüste, die der Harteufels in seinen Mauern sah, waren teilweise recht unheimliche Gesellen, die dort eins der finstersten Nachtstncke russischer Geschichte inszenierten: Zar Peter der Große, sein un¬ glücklicher Sohn Alexei und deren russisches Gefolge. Peter der Große kam im Oktober 1711 von Karlsbad aus über Dresden zu Schiff in Torgau an, um seinen einundzU'nnzigjnhrigen Sohn Alexei Petrvwitsch mit Charlotte Christiane Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel zu vermählen. Der Zare- witsch, an innerer Roheit und orientalischer Wollust dem Vater gleich, aber ohne dessen staatsmünnischen Blick, war damals dem Vater als geheimer An¬ hänger der altrussischen Partei längst verdächtig; so sollte ihn die Ehe mit der siebzehnjährigen deutsche,: Prinzessin der Sphäre westeuropäischer Kultur unser bringen. Mit wie banger Sorge mochte die edle Christine Eberhardine, die Gemahlin Augusts des Starken, die damals schon längst in Torgau oder Pretzsch Hof hielt und die braunschweigische Prinzessin erzogen hatte, diesem Ehebunde entgegensehen, und nun gar erst das arme Opfer, das dein barbarischen Unholde angetraut wurde! Sie starb schon 1715, und drei Jahre später endete ihr Gemahl im Gefängnis nnter der Kunde seines Vaters! Die Gesinuungsart, die sich hier offenbart, hielt den Zaren nicht ab, in Torgau mit dem größten Gelehrten dieser Zeit, mit Leibniz zusammenzukommen, der dahin zitiert und "in, ihm mit einem russischen Titel und 1000 Rudeln Pension begnadet wurde! (Schluß folgt) Doktor Duttmüller und sein Freund Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von Elftes Kapitel Vorbereitungen nsre Geschichte macht jetzt einen großen Schritt vorwärts, nämlich über ganze dreiviertel Jahr weg, das ist die Zeit des Brautstandes Doktor Duttmüllers und Alices. Jedermann weiß, daß ein Braut¬ stand, der einigermaßen für etwas gehalten sein will, nicht kürzer sein darf. Schon wegen der Wäsche und der Monogramme. Thun wir aber nicht Unrecht, diese schönste Zeit des Lebens ohne Bedenken den Pcipierkorb zu werfen? Wir bitten zu erwägen erstens, daß, wenn diese t auch für die Beteiligten die schönste des Lebens sein sollte, sie es für die Grenz boten I 1902 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/625>, abgerufen am 28.04.2024.