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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe
^. Grundbegriffe

o immer zwei Nationen aneinander grenzen, da findet auch in
Zeiten des Friedens ein beständiger Kampf statt. Unaufhörlich
dringen Bestandteile der einen Nation in größerer oder geringerer
Menge in den Bereich der andern hinüber. Nehmen sie dort
im Laufe der Zeit die Nationalität des sie umgebenden Volkes
a", so erleidet zwar die Nation, der sie ursprünglich angehörten, durch ihren
Abgang und die dadurch verursachte Stärkung der benachbarten Nation eine
Einbuße; die bisherige Sprachgrenze aber bleibt von Bestand. Behaupten sich
dagegen die vorgedruttgnen Bestandteile dauernd in der fremden Umgebung,
so wird die dort herrschende Nation notwendigerweise eingeengt durch Ent¬
stehung von Sprachinseln, die eine Veränderung der Sprachgrenze zur Folge
haben können.

Unser deutsches Sprachgebiet hat durch solche NatioualitätSkämpfe im
Laufe der Jahrhunderte manche größern und manche kleinern Veründningen
erfahren; weitere Verändrungen, die es in der Zukunft erleiden wird, werfen
schon ihre Schatten voraus.

Bevor ich aber auf diese Vorgänge einer zum Teil weit hinter uns
liegenden Vergangenheit und ferner auf das, was Nur von der Zukunft für
die Verbreitung unsrer Nationalität in Europa zu erwarten haben, näher ein¬
gehe, wird es nötig sein, für einige immer wiederkehrende Grundbegriffe Klar¬
heit zu schaffen.

Über den Begriff "Nationalität" sollte es nicht nötig sein, ein Wort zu
verlieren. Da jedoch nicht nur in unsrer Tagespresse, sondern sogar in
Schriften schweizerischer Universitätsprofessoren dieser Begriff mit dem der
Staatsangehörigkeit verwechselt und so von einer österreichischen, schweizerischen,
luxeinburgischeu "Nationalität" geredet wird, so dürften doch einige kurze
Bemerkungen am Platze sein. "Nation" wird häufig als Synonym von
"Voll" behandelt, ohne daß sich beide Worte genau decken. Man kann sehr,
Wohl von einem preußischen, österreichischen, schweizerischen, luxemburgischen
Volk sprechen, aber der Begriff Nation läßt sich mit keinem der aufgezählten


Grenzboten I 1902 8


Nationalitätskämpfe
^. Grundbegriffe

o immer zwei Nationen aneinander grenzen, da findet auch in
Zeiten des Friedens ein beständiger Kampf statt. Unaufhörlich
dringen Bestandteile der einen Nation in größerer oder geringerer
Menge in den Bereich der andern hinüber. Nehmen sie dort
im Laufe der Zeit die Nationalität des sie umgebenden Volkes
a», so erleidet zwar die Nation, der sie ursprünglich angehörten, durch ihren
Abgang und die dadurch verursachte Stärkung der benachbarten Nation eine
Einbuße; die bisherige Sprachgrenze aber bleibt von Bestand. Behaupten sich
dagegen die vorgedruttgnen Bestandteile dauernd in der fremden Umgebung,
so wird die dort herrschende Nation notwendigerweise eingeengt durch Ent¬
stehung von Sprachinseln, die eine Veränderung der Sprachgrenze zur Folge
haben können.

Unser deutsches Sprachgebiet hat durch solche NatioualitätSkämpfe im
Laufe der Jahrhunderte manche größern und manche kleinern Veründningen
erfahren; weitere Verändrungen, die es in der Zukunft erleiden wird, werfen
schon ihre Schatten voraus.

Bevor ich aber auf diese Vorgänge einer zum Teil weit hinter uns
liegenden Vergangenheit und ferner auf das, was Nur von der Zukunft für
die Verbreitung unsrer Nationalität in Europa zu erwarten haben, näher ein¬
gehe, wird es nötig sein, für einige immer wiederkehrende Grundbegriffe Klar¬
heit zu schaffen.

Über den Begriff „Nationalität" sollte es nicht nötig sein, ein Wort zu
verlieren. Da jedoch nicht nur in unsrer Tagespresse, sondern sogar in
Schriften schweizerischer Universitätsprofessoren dieser Begriff mit dem der
Staatsangehörigkeit verwechselt und so von einer österreichischen, schweizerischen,
luxeinburgischeu „Nationalität" geredet wird, so dürften doch einige kurze
Bemerkungen am Platze sein. „Nation" wird häufig als Synonym von
„Voll" behandelt, ohne daß sich beide Worte genau decken. Man kann sehr,
Wohl von einem preußischen, österreichischen, schweizerischen, luxemburgischen
Volk sprechen, aber der Begriff Nation läßt sich mit keinem der aufgezählten


Grenzboten I 1902 8
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[0065] [Abbildung] Nationalitätskämpfe ^. Grundbegriffe o immer zwei Nationen aneinander grenzen, da findet auch in Zeiten des Friedens ein beständiger Kampf statt. Unaufhörlich dringen Bestandteile der einen Nation in größerer oder geringerer Menge in den Bereich der andern hinüber. Nehmen sie dort im Laufe der Zeit die Nationalität des sie umgebenden Volkes a», so erleidet zwar die Nation, der sie ursprünglich angehörten, durch ihren Abgang und die dadurch verursachte Stärkung der benachbarten Nation eine Einbuße; die bisherige Sprachgrenze aber bleibt von Bestand. Behaupten sich dagegen die vorgedruttgnen Bestandteile dauernd in der fremden Umgebung, so wird die dort herrschende Nation notwendigerweise eingeengt durch Ent¬ stehung von Sprachinseln, die eine Veränderung der Sprachgrenze zur Folge haben können. Unser deutsches Sprachgebiet hat durch solche NatioualitätSkämpfe im Laufe der Jahrhunderte manche größern und manche kleinern Veründningen erfahren; weitere Verändrungen, die es in der Zukunft erleiden wird, werfen schon ihre Schatten voraus. Bevor ich aber auf diese Vorgänge einer zum Teil weit hinter uns liegenden Vergangenheit und ferner auf das, was Nur von der Zukunft für die Verbreitung unsrer Nationalität in Europa zu erwarten haben, näher ein¬ gehe, wird es nötig sein, für einige immer wiederkehrende Grundbegriffe Klar¬ heit zu schaffen. Über den Begriff „Nationalität" sollte es nicht nötig sein, ein Wort zu verlieren. Da jedoch nicht nur in unsrer Tagespresse, sondern sogar in Schriften schweizerischer Universitätsprofessoren dieser Begriff mit dem der Staatsangehörigkeit verwechselt und so von einer österreichischen, schweizerischen, luxeinburgischeu „Nationalität" geredet wird, so dürften doch einige kurze Bemerkungen am Platze sein. „Nation" wird häufig als Synonym von „Voll" behandelt, ohne daß sich beide Worte genau decken. Man kann sehr, Wohl von einem preußischen, österreichischen, schweizerischen, luxemburgischen Volk sprechen, aber der Begriff Nation läßt sich mit keinem der aufgezählten Grenzboten I 1902 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/65>, abgerufen am 28.04.2024.