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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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ist, in ihren einzelnen Abteilungen und Fächern französisch oder niederländisch,
nordisch, englisch oder amerikanisch. Beispiele dazu kann sich jeder leicht suchen,
es verhält sich ja in der schönen Litteratur der Modernen auch nicht anders,
und wenn man in solchen Dingen zählen und snmmieren könnte, so wurde
wohl abgesehen von der Architektur das französische Borbild immer noch vor¬
herrsche". Daß die Zentrale Paris die Gefolgschaft ablehnt, unter Umständen
auch auspfeift, schwächt die Liebe nicht ab. Wir brauchen übrigens kaum zu
bemerken, daß wir Böcklin, Thoma und eine ganze Reihe andrer Namen gar
nicht in diese Modernen hinzurechnen, sie werden nnr u. ig. Suno mitgeführt,
als Ehrenmitglieder, und Böcklin z, B. hat sich oft genug in Gesprächen diese
Kameradschaft gründlich verbeten, obwohl sie bekanntlich seiner Popularisierung
sehr nützlich gewesen ist. Also die Moderne nun - wir glauben uicht, daß sich
unser Kaiser da schon um etwas gebracht habe, was ihm bereitet war --, sie wird
auch einmal älter werden, wie alles auf der Welt, soweit es nicht ganz ver¬
geht. Sie kann dann, wenn sie die Thorheiten ihrer Kindheit abgestoßen hat,
ihre Zeit haben, und der Kaiser, der jung ist und wills Gott noch vieles er¬
lebt und vieles fördert, wird dann die zu finden wissen, denen er geben kann,
was er diesesmal seinen Künstlern von der historischen Richtung gegeben hat.




Beethoven als Märtyrer
von Hermann Rretzschmcir

i as Wesen des Künstlers ist eine der wenigen metaphysischen
Fragen, die eines größern Publikums immer sicher find. Sie
st aber zugleich eine der schwierigsten, vielleicht die, bei der sich
das Urteil am stärksten nach Zeitdoktrinen zu richten pflegt.
Soweit es sich um Musiker handelt, ist das leicht nachzuweisen.
Besonders scharf scheidet sich da die erste von der zweiten Hälfte des neun¬
zehnten Jahrhunderts. Jene geht unter romantischem Einfluß auf bunte, an
Anekdoten reiche Lebensbilder aus, ihre Helden sind Lieblinge des Schicksals,
und wenn es ihnen doch hart geht, hilft ihnen, wie dem Eichendorffschen
Taugenichts," das innere Glück und der Humor. Mau kann sich bei den
Musikerromanen der Rau und Genossen, den Novellen der Polko wohl ärgern,
wenn ein großer Mann vor allem als Pfahlbürger, als Bruder Lustig und
gar als Freund des "Heurigen" erscheint, aber die Methode an sich hat in
harmlosen Kreisen und unter der Jugend der Musik manche Freunde geworben.
Sie ist durch Schopenhauer verdrängt worden, der persönlich erlebte Kränkungen
w die Lehre vom leidenden Genius umsetzte und dafür in einer Zeit, die durch
'hre gesteigerte Öffentlichkeit gerade den bessern Künstlernaturen das Leben sehr
^schweren kann, einen günstigen Boden fand. Die Wagnerbiographie ist be-


ist, in ihren einzelnen Abteilungen und Fächern französisch oder niederländisch,
nordisch, englisch oder amerikanisch. Beispiele dazu kann sich jeder leicht suchen,
es verhält sich ja in der schönen Litteratur der Modernen auch nicht anders,
und wenn man in solchen Dingen zählen und snmmieren könnte, so wurde
wohl abgesehen von der Architektur das französische Borbild immer noch vor¬
herrsche». Daß die Zentrale Paris die Gefolgschaft ablehnt, unter Umständen
auch auspfeift, schwächt die Liebe nicht ab. Wir brauchen übrigens kaum zu
bemerken, daß wir Böcklin, Thoma und eine ganze Reihe andrer Namen gar
nicht in diese Modernen hinzurechnen, sie werden nnr u. ig. Suno mitgeführt,
als Ehrenmitglieder, und Böcklin z, B. hat sich oft genug in Gesprächen diese
Kameradschaft gründlich verbeten, obwohl sie bekanntlich seiner Popularisierung
sehr nützlich gewesen ist. Also die Moderne nun - wir glauben uicht, daß sich
unser Kaiser da schon um etwas gebracht habe, was ihm bereitet war —, sie wird
auch einmal älter werden, wie alles auf der Welt, soweit es nicht ganz ver¬
geht. Sie kann dann, wenn sie die Thorheiten ihrer Kindheit abgestoßen hat,
ihre Zeit haben, und der Kaiser, der jung ist und wills Gott noch vieles er¬
lebt und vieles fördert, wird dann die zu finden wissen, denen er geben kann,
was er diesesmal seinen Künstlern von der historischen Richtung gegeben hat.




Beethoven als Märtyrer
von Hermann Rretzschmcir

i as Wesen des Künstlers ist eine der wenigen metaphysischen
Fragen, die eines größern Publikums immer sicher find. Sie
st aber zugleich eine der schwierigsten, vielleicht die, bei der sich
das Urteil am stärksten nach Zeitdoktrinen zu richten pflegt.
Soweit es sich um Musiker handelt, ist das leicht nachzuweisen.
Besonders scharf scheidet sich da die erste von der zweiten Hälfte des neun¬
zehnten Jahrhunderts. Jene geht unter romantischem Einfluß auf bunte, an
Anekdoten reiche Lebensbilder aus, ihre Helden sind Lieblinge des Schicksals,
und wenn es ihnen doch hart geht, hilft ihnen, wie dem Eichendorffschen
Taugenichts," das innere Glück und der Humor. Mau kann sich bei den
Musikerromanen der Rau und Genossen, den Novellen der Polko wohl ärgern,
wenn ein großer Mann vor allem als Pfahlbürger, als Bruder Lustig und
gar als Freund des „Heurigen" erscheint, aber die Methode an sich hat in
harmlosen Kreisen und unter der Jugend der Musik manche Freunde geworben.
Sie ist durch Schopenhauer verdrängt worden, der persönlich erlebte Kränkungen
w die Lehre vom leidenden Genius umsetzte und dafür in einer Zeit, die durch
'hre gesteigerte Öffentlichkeit gerade den bessern Künstlernaturen das Leben sehr
^schweren kann, einen günstigen Boden fand. Die Wagnerbiographie ist be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/87>, abgerufen am 28.04.2024.