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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Kaiserin Friedrich und die Volkswohlfahrt

>on der.Kaiserin Friedrich, die nach dreizehnjährigen entsagungs¬
vollen Witwenstande am 5, August vorigen Jahres ihrem tief¬
betrauerten Gemahl im Tode folgte, haben wir noch kein wirk¬
liches Lebensbild, und wir werden ein solches auch so bald nicht
! erhalten. Denn sie traf das Verhängnis, zwischen zwei Nationen
mitten inne zu stehn, der einen durch Geburt und Erziehung von Jngend auf
anzugehören, der andern erst durch ihre Vermählung und ihre politische
Stellung angehören zu miissen, ohne sich jemals mit ihr ganz eins fühlen zu
können. Es war ein Schicksal, das auch sonst Fürstentochter nicht selten treffen
mag, das aber sie mit ganz besondrer Schwere getroffen hat, Sie ist deshalb
bei uns niemals populär gewesen, eher das Gegenteil, und sie hat das ge¬
legentlich bitter empfunden. Man hat ihr in Deutschland immer und immer
wieder zum Vorwurf gemacht, daß sie zeitlebens mit Leib und Seele Eng¬
länderin geblieben sei, und in gewissem Sinne ist das wohl richtig. Aber
der wirkliche Grund ist damit nicht ganz getroffen. Sie war Engländerin,
nicht nur weil ihre Jugenderinnerungen dort wurzelten, sondern weil sie über¬
zeugt war, daß ihr Heimatland die höhere, die bessere Kultur habe, vor allem
Politisch und sozial auf einer höhern Entwicklungsstufe stehe als Deutschland.
Sie teilte die liberal-konstitutionellen Überzeugungen ihres Vaters, des Prinzen
Albert, dessen Liebling sie war, und sie Hütte zweifellos in Preußen und in
Deutschland am liebsten ein parlamentarisches Regiment liberaler Färbung ge¬
sehen, nicht weil es englisch war, sondern weil sie es für das beste hielt. In
dieser klaren, immer festgehaltnen Überzeugung traf sie damals mit dem ge¬
samten deutschen Liberalismus zusammen, der ja, als sie 1858 herüberkam,
in England sein politisches Ideal sah und mit dem Ministerium der "neuen
Ära" mich in Preußen ans Ruder gelangte. Nicht die Gelegenheit hat ihm
also gefehlt, seine politischen Ideen zu verwirklichen, sondern an seiner eignen
Unfähigkeit, große politische Fragen zu lösen, ist er damals gescheitert und
hat für sich die Zukunft verspielt. Damit kamen die konservativen Tendenzen


Grenzbown I! 1902 15


Kaiserin Friedrich und die Volkswohlfahrt

>on der.Kaiserin Friedrich, die nach dreizehnjährigen entsagungs¬
vollen Witwenstande am 5, August vorigen Jahres ihrem tief¬
betrauerten Gemahl im Tode folgte, haben wir noch kein wirk¬
liches Lebensbild, und wir werden ein solches auch so bald nicht
! erhalten. Denn sie traf das Verhängnis, zwischen zwei Nationen
mitten inne zu stehn, der einen durch Geburt und Erziehung von Jngend auf
anzugehören, der andern erst durch ihre Vermählung und ihre politische
Stellung angehören zu miissen, ohne sich jemals mit ihr ganz eins fühlen zu
können. Es war ein Schicksal, das auch sonst Fürstentochter nicht selten treffen
mag, das aber sie mit ganz besondrer Schwere getroffen hat, Sie ist deshalb
bei uns niemals populär gewesen, eher das Gegenteil, und sie hat das ge¬
legentlich bitter empfunden. Man hat ihr in Deutschland immer und immer
wieder zum Vorwurf gemacht, daß sie zeitlebens mit Leib und Seele Eng¬
länderin geblieben sei, und in gewissem Sinne ist das wohl richtig. Aber
der wirkliche Grund ist damit nicht ganz getroffen. Sie war Engländerin,
nicht nur weil ihre Jugenderinnerungen dort wurzelten, sondern weil sie über¬
zeugt war, daß ihr Heimatland die höhere, die bessere Kultur habe, vor allem
Politisch und sozial auf einer höhern Entwicklungsstufe stehe als Deutschland.
Sie teilte die liberal-konstitutionellen Überzeugungen ihres Vaters, des Prinzen
Albert, dessen Liebling sie war, und sie Hütte zweifellos in Preußen und in
Deutschland am liebsten ein parlamentarisches Regiment liberaler Färbung ge¬
sehen, nicht weil es englisch war, sondern weil sie es für das beste hielt. In
dieser klaren, immer festgehaltnen Überzeugung traf sie damals mit dem ge¬
samten deutschen Liberalismus zusammen, der ja, als sie 1858 herüberkam,
in England sein politisches Ideal sah und mit dem Ministerium der „neuen
Ära" mich in Preußen ans Ruder gelangte. Nicht die Gelegenheit hat ihm
also gefehlt, seine politischen Ideen zu verwirklichen, sondern an seiner eignen
Unfähigkeit, große politische Fragen zu lösen, ist er damals gescheitert und
hat für sich die Zukunft verspielt. Damit kamen die konservativen Tendenzen


Grenzbown I! 1902 15
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[0121] [Abbildung] Kaiserin Friedrich und die Volkswohlfahrt >on der.Kaiserin Friedrich, die nach dreizehnjährigen entsagungs¬ vollen Witwenstande am 5, August vorigen Jahres ihrem tief¬ betrauerten Gemahl im Tode folgte, haben wir noch kein wirk¬ liches Lebensbild, und wir werden ein solches auch so bald nicht ! erhalten. Denn sie traf das Verhängnis, zwischen zwei Nationen mitten inne zu stehn, der einen durch Geburt und Erziehung von Jngend auf anzugehören, der andern erst durch ihre Vermählung und ihre politische Stellung angehören zu miissen, ohne sich jemals mit ihr ganz eins fühlen zu können. Es war ein Schicksal, das auch sonst Fürstentochter nicht selten treffen mag, das aber sie mit ganz besondrer Schwere getroffen hat, Sie ist deshalb bei uns niemals populär gewesen, eher das Gegenteil, und sie hat das ge¬ legentlich bitter empfunden. Man hat ihr in Deutschland immer und immer wieder zum Vorwurf gemacht, daß sie zeitlebens mit Leib und Seele Eng¬ länderin geblieben sei, und in gewissem Sinne ist das wohl richtig. Aber der wirkliche Grund ist damit nicht ganz getroffen. Sie war Engländerin, nicht nur weil ihre Jugenderinnerungen dort wurzelten, sondern weil sie über¬ zeugt war, daß ihr Heimatland die höhere, die bessere Kultur habe, vor allem Politisch und sozial auf einer höhern Entwicklungsstufe stehe als Deutschland. Sie teilte die liberal-konstitutionellen Überzeugungen ihres Vaters, des Prinzen Albert, dessen Liebling sie war, und sie Hütte zweifellos in Preußen und in Deutschland am liebsten ein parlamentarisches Regiment liberaler Färbung ge¬ sehen, nicht weil es englisch war, sondern weil sie es für das beste hielt. In dieser klaren, immer festgehaltnen Überzeugung traf sie damals mit dem ge¬ samten deutschen Liberalismus zusammen, der ja, als sie 1858 herüberkam, in England sein politisches Ideal sah und mit dem Ministerium der „neuen Ära" mich in Preußen ans Ruder gelangte. Nicht die Gelegenheit hat ihm also gefehlt, seine politischen Ideen zu verwirklichen, sondern an seiner eignen Unfähigkeit, große politische Fragen zu lösen, ist er damals gescheitert und hat für sich die Zukunft verspielt. Damit kamen die konservativen Tendenzen Grenzbown I! 1902 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/121>, abgerufen am 29.04.2024.