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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Österreichisches

wärtigen Beamtenininisterinms darauf schließen. Aber mich dort wird schließlich
die Erkenntnis zum Durchbruch kommen, daß sich die Entwicklung der Mensch¬
heit nicht in dem Kampfe zwischen Klerikalismus und Liberalismus erschöpft,
sondern daß endlich das Fazit dieses Prozesses gezogen werden muß und
zwar durch vollständige Ausscheidung von Religion und Kirche ans der
Politik; der Staat muß endlich mit dem Josephinismns brechen, der die Kirche
zu eiuer staatlichen Polizei- und Korrektionsanstalt herabdrückt, die katholische
Kirche dagegen wird auf die Ausübung jeder politischen Gewalt ans ihre
Angehörigen verzichten müssen. Selbstverständlich kaun sie dann ihre Autorität
nur dadurch behaupte", daß sie ihre heute schon zum Teil erstarrten Formen,
in die sie einst den göttlichen Kern der Lehre Christi gefaßt hatte, zerbricht
und ihn auch der gebildeten katholischen Welt wieder zugänglich macht. Nach
dieser Richtung weisen all die auffallenden Erscheinungen hin, die hier skizziert
worden siud. Ob sie eine Reform der katholischen Kirche einleiten, das wird
davon abhängen, wie sich zunächst der reichsdentsche Katholizismus zu der
Frage stellen wird. Das Buch Ehrhards hat ja die Approbation eines
deutschen Kirchenfürsten erhalten und erführe in der reichsdentschen Zentrnms-
Presse rückhaltlose Anerkennung; aber man darf nicht vergessen, daß von
Ehrhard zu den Anschauungen über katholische Reformen, die die breiten
katholischen Kreise in Österreich zum großen Teile schon erobert haben, noch
ein weiter Schritt ist, der nicht gethan werden kann, ohne daß so mancher
Stein in dem dogmatischen Aufbau der katholischen Kirche, der ehedem vielleicht
notwendig war, heute aber als beengende und hindernde Zuthat empfunden
wird, aus dem Wege geräumt werden muß.


Julius Patzelt
2. Staatsstreichgedanken

Das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrath, dessen ausschlag¬
gebende Bestandteile. Tschechen und Dentschböhmen, ans den von uns in
Heft 45 des vorigen Jahrgangs geschilderten Wahlen hervorgegangen sind,
hat manche an seine Haltung geknüpften Befürchtungen, aber auch einige
schüchterne Hoffnungen bis jetzt zu einem gewissen Teile gerechtfertigt. Trotz
der beim Zusammentritt des Reichsrath vom Ministerpräsidenten Dr. Körber
an die Parteien gerichteten eindringlichen Mahnung, den unabweislichen und
unaufschiebbaren Staatsuotwendigkeiteu Rechnung zu tragen, trat alsbald
eine zum Teil in das Gewand von Dringlichkeitsnnträgcn gehüllte versteckte
Obstruktion zu Tage und rückte die Erledigung des vom Ministerpräsidenten
aufgestellten Programms in unabsehbare Ferne. Da waren es die Obmänner
der deutschen Parteien, die durch nachdrückliche Erklärung ihrer Arbeits¬
willigkeit den endlichen Beginn der Budgetdebatte ermöglichten. In sehr be¬
merkenswerten Reden trat der Rumäne Lupul für eine starke Zentmlregiernng,
sur ein starkes Zentrnlpcirlamcnt, für die deutsche Staatssprache ein, be¬
kämpfte der Sozialdemokrat Pcrnerstorfer den nationalen Chauvinismus und
insbesondre den auf die Germanisierung der Tschechen abzielenden Punkt
des alldeutschen Programms, verfocht der Klerikale Kathrein die Rechte des


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wärtigen Beamtenininisterinms darauf schließen. Aber mich dort wird schließlich
die Erkenntnis zum Durchbruch kommen, daß sich die Entwicklung der Mensch¬
heit nicht in dem Kampfe zwischen Klerikalismus und Liberalismus erschöpft,
sondern daß endlich das Fazit dieses Prozesses gezogen werden muß und
zwar durch vollständige Ausscheidung von Religion und Kirche ans der
Politik; der Staat muß endlich mit dem Josephinismns brechen, der die Kirche
zu eiuer staatlichen Polizei- und Korrektionsanstalt herabdrückt, die katholische
Kirche dagegen wird auf die Ausübung jeder politischen Gewalt ans ihre
Angehörigen verzichten müssen. Selbstverständlich kaun sie dann ihre Autorität
nur dadurch behaupte», daß sie ihre heute schon zum Teil erstarrten Formen,
in die sie einst den göttlichen Kern der Lehre Christi gefaßt hatte, zerbricht
und ihn auch der gebildeten katholischen Welt wieder zugänglich macht. Nach
dieser Richtung weisen all die auffallenden Erscheinungen hin, die hier skizziert
worden siud. Ob sie eine Reform der katholischen Kirche einleiten, das wird
davon abhängen, wie sich zunächst der reichsdentsche Katholizismus zu der
Frage stellen wird. Das Buch Ehrhards hat ja die Approbation eines
deutschen Kirchenfürsten erhalten und erführe in der reichsdentschen Zentrnms-
Presse rückhaltlose Anerkennung; aber man darf nicht vergessen, daß von
Ehrhard zu den Anschauungen über katholische Reformen, die die breiten
katholischen Kreise in Österreich zum großen Teile schon erobert haben, noch
ein weiter Schritt ist, der nicht gethan werden kann, ohne daß so mancher
Stein in dem dogmatischen Aufbau der katholischen Kirche, der ehedem vielleicht
notwendig war, heute aber als beengende und hindernde Zuthat empfunden
wird, aus dem Wege geräumt werden muß.


Julius Patzelt
2. Staatsstreichgedanken

Das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrath, dessen ausschlag¬
gebende Bestandteile. Tschechen und Dentschböhmen, ans den von uns in
Heft 45 des vorigen Jahrgangs geschilderten Wahlen hervorgegangen sind,
hat manche an seine Haltung geknüpften Befürchtungen, aber auch einige
schüchterne Hoffnungen bis jetzt zu einem gewissen Teile gerechtfertigt. Trotz
der beim Zusammentritt des Reichsrath vom Ministerpräsidenten Dr. Körber
an die Parteien gerichteten eindringlichen Mahnung, den unabweislichen und
unaufschiebbaren Staatsuotwendigkeiteu Rechnung zu tragen, trat alsbald
eine zum Teil in das Gewand von Dringlichkeitsnnträgcn gehüllte versteckte
Obstruktion zu Tage und rückte die Erledigung des vom Ministerpräsidenten
aufgestellten Programms in unabsehbare Ferne. Da waren es die Obmänner
der deutschen Parteien, die durch nachdrückliche Erklärung ihrer Arbeits¬
willigkeit den endlichen Beginn der Budgetdebatte ermöglichten. In sehr be¬
merkenswerten Reden trat der Rumäne Lupul für eine starke Zentmlregiernng,
sur ein starkes Zentrnlpcirlamcnt, für die deutsche Staatssprache ein, be¬
kämpfte der Sozialdemokrat Pcrnerstorfer den nationalen Chauvinismus und
insbesondre den auf die Germanisierung der Tschechen abzielenden Punkt
des alldeutschen Programms, verfocht der Klerikale Kathrein die Rechte des


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[0183] Österreichisches wärtigen Beamtenininisterinms darauf schließen. Aber mich dort wird schließlich die Erkenntnis zum Durchbruch kommen, daß sich die Entwicklung der Mensch¬ heit nicht in dem Kampfe zwischen Klerikalismus und Liberalismus erschöpft, sondern daß endlich das Fazit dieses Prozesses gezogen werden muß und zwar durch vollständige Ausscheidung von Religion und Kirche ans der Politik; der Staat muß endlich mit dem Josephinismns brechen, der die Kirche zu eiuer staatlichen Polizei- und Korrektionsanstalt herabdrückt, die katholische Kirche dagegen wird auf die Ausübung jeder politischen Gewalt ans ihre Angehörigen verzichten müssen. Selbstverständlich kaun sie dann ihre Autorität nur dadurch behaupte», daß sie ihre heute schon zum Teil erstarrten Formen, in die sie einst den göttlichen Kern der Lehre Christi gefaßt hatte, zerbricht und ihn auch der gebildeten katholischen Welt wieder zugänglich macht. Nach dieser Richtung weisen all die auffallenden Erscheinungen hin, die hier skizziert worden siud. Ob sie eine Reform der katholischen Kirche einleiten, das wird davon abhängen, wie sich zunächst der reichsdentsche Katholizismus zu der Frage stellen wird. Das Buch Ehrhards hat ja die Approbation eines deutschen Kirchenfürsten erhalten und erführe in der reichsdentschen Zentrnms- Presse rückhaltlose Anerkennung; aber man darf nicht vergessen, daß von Ehrhard zu den Anschauungen über katholische Reformen, die die breiten katholischen Kreise in Österreich zum großen Teile schon erobert haben, noch ein weiter Schritt ist, der nicht gethan werden kann, ohne daß so mancher Stein in dem dogmatischen Aufbau der katholischen Kirche, der ehedem vielleicht notwendig war, heute aber als beengende und hindernde Zuthat empfunden wird, aus dem Wege geräumt werden muß. Julius Patzelt 2. Staatsstreichgedanken Das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichsrath, dessen ausschlag¬ gebende Bestandteile. Tschechen und Dentschböhmen, ans den von uns in Heft 45 des vorigen Jahrgangs geschilderten Wahlen hervorgegangen sind, hat manche an seine Haltung geknüpften Befürchtungen, aber auch einige schüchterne Hoffnungen bis jetzt zu einem gewissen Teile gerechtfertigt. Trotz der beim Zusammentritt des Reichsrath vom Ministerpräsidenten Dr. Körber an die Parteien gerichteten eindringlichen Mahnung, den unabweislichen und unaufschiebbaren Staatsuotwendigkeiteu Rechnung zu tragen, trat alsbald eine zum Teil in das Gewand von Dringlichkeitsnnträgcn gehüllte versteckte Obstruktion zu Tage und rückte die Erledigung des vom Ministerpräsidenten aufgestellten Programms in unabsehbare Ferne. Da waren es die Obmänner der deutschen Parteien, die durch nachdrückliche Erklärung ihrer Arbeits¬ willigkeit den endlichen Beginn der Budgetdebatte ermöglichten. In sehr be¬ merkenswerten Reden trat der Rumäne Lupul für eine starke Zentmlregiernng, sur ein starkes Zentrnlpcirlamcnt, für die deutsche Staatssprache ein, be¬ kämpfte der Sozialdemokrat Pcrnerstorfer den nationalen Chauvinismus und insbesondre den auf die Germanisierung der Tschechen abzielenden Punkt des alldeutschen Programms, verfocht der Klerikale Kathrein die Rechte des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/183>, abgerufen am 29.04.2024.