Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Doktor Duttmüller und sein Freund

und ich glaube, es war in der That auch die Art von Echtheit in der Insze¬
nierung, für die das in dem Stück in selbständigen Rollen mitwirkende oder
mit andern Worten wirklich mitessende und mittrinkende Personal das feinste Ver¬
Se. ständnis hatte.




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Neunzehntes Aapitel
Nachwirkungen

reignisse von der Bedeutung der Holzweißiger Volksversammlung
können nicht ohne Nachwirkungen bleiben. Herr Leberecht Bolze litt
sichtlich an Nedeverhaltung und Ärger, er wurde hinfällig und ganz
gelb im Gesicht. Onkel Alfons erließ in Hinterhäuser eine strenge,
gegen die Sozialdemokraten gerichtete Verfügung, wobei es nur schade
war, daß es in Hinterhäuser außer ein paar alten Holzhackern, die
übrigens nicht in Betracht kamen, keine Sozialdemokraten gab, und hielt am Stamm¬
tische donnernde Reden gegen die Niedertracht und die Gemeingefährlichkeit des roten
Gespenstes. Happich aber zählte mit Ruhe und Genugthuung seine Gelder, die
er von den Sozialisten verdient hatte, auf und legte sie in -- Heiurichshaller
Kuxen an.

Rummel hatte festgestellt, daß am Tage der Volksversammlung zweiundvierzig
Mann ohne Entschuldigung von der Arbeit weggeblieben waren. Das war um so
schlimmer, als man mit Entlassung gedroht hatte, wenn jemand, um die Volks¬
versammlung zu besuchen, nicht zur Arbeit kommen würde. Rummels Meinung
war, daß diese zweiundvierzig Mann sogleich abgelohnt werden müßten. Denn
wenn man jetzt nicht die Faust zeige, so wüchsen einem die Kerls über den Kopf.
Und wenn sie deswegen streiken wollten, möchten sie immerhin streiken, zum Krach
komme es binnen kurzem doch. Diese Meinung setzte Rummel dem Herrn Direktor
in aller Bescheidenheit auseinander.

Der Herr Direktor saß wie ein welker Apfel ans seinem Dreibein, hatte
die Beine hochgezogen, brütete vor sich hin und antwortete nicht. Er sah nicht
gut aus, schwammig, müde und nervös. Es war zweifelhaft, ob er überhaupt
zugehört hatte. Als Rummel seine Sache vorgetragen und nochmals wiederholt
hatte, trat eine Pause ein.

Herr Direktor, sagte Wandrer, Rummel möchte wissen, was er mit deu zwei¬
undvierzig Mann machen soll.

Abschießen I schrie der Direktor, darauf verfiel er wieder in sein Brüten.
Rummel hielt das Wort "Abschießen!" für einen direktorialen Scherz und sich für
verpflichtet, Beifall kundzugeben. Aber es kam ihm nicht von Herzen, denn
der Spaß war doch etwas zu blutig, und zum spaßen war die Lage nicht recht
geeignet. Der Direktor ermannte sich, es war wie wenn er einen Bann abwürfe,
und sagte in kaltem Geschäftstone: Zweiundvierzig Mann Mohren? Ich dächte
gar. Sie wissen doch, daß wir jeden Mann brauchen.

Ich mache darauf aufmerksam, sagte Wandrer, daß es hohe Zeit wird, daß
wir unsre Autorität wahren. Wir verlieren die Leute aus der Hand, und was
wird dann?


Doktor Duttmüller und sein Freund

und ich glaube, es war in der That auch die Art von Echtheit in der Insze¬
nierung, für die das in dem Stück in selbständigen Rollen mitwirkende oder
mit andern Worten wirklich mitessende und mittrinkende Personal das feinste Ver¬
Se. ständnis hatte.




Doktor Duttmüller und sein Freund
Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von
Neunzehntes Aapitel
Nachwirkungen

reignisse von der Bedeutung der Holzweißiger Volksversammlung
können nicht ohne Nachwirkungen bleiben. Herr Leberecht Bolze litt
sichtlich an Nedeverhaltung und Ärger, er wurde hinfällig und ganz
gelb im Gesicht. Onkel Alfons erließ in Hinterhäuser eine strenge,
gegen die Sozialdemokraten gerichtete Verfügung, wobei es nur schade
war, daß es in Hinterhäuser außer ein paar alten Holzhackern, die
übrigens nicht in Betracht kamen, keine Sozialdemokraten gab, und hielt am Stamm¬
tische donnernde Reden gegen die Niedertracht und die Gemeingefährlichkeit des roten
Gespenstes. Happich aber zählte mit Ruhe und Genugthuung seine Gelder, die
er von den Sozialisten verdient hatte, auf und legte sie in — Heiurichshaller
Kuxen an.

Rummel hatte festgestellt, daß am Tage der Volksversammlung zweiundvierzig
Mann ohne Entschuldigung von der Arbeit weggeblieben waren. Das war um so
schlimmer, als man mit Entlassung gedroht hatte, wenn jemand, um die Volks¬
versammlung zu besuchen, nicht zur Arbeit kommen würde. Rummels Meinung
war, daß diese zweiundvierzig Mann sogleich abgelohnt werden müßten. Denn
wenn man jetzt nicht die Faust zeige, so wüchsen einem die Kerls über den Kopf.
Und wenn sie deswegen streiken wollten, möchten sie immerhin streiken, zum Krach
komme es binnen kurzem doch. Diese Meinung setzte Rummel dem Herrn Direktor
in aller Bescheidenheit auseinander.

Der Herr Direktor saß wie ein welker Apfel ans seinem Dreibein, hatte
die Beine hochgezogen, brütete vor sich hin und antwortete nicht. Er sah nicht
gut aus, schwammig, müde und nervös. Es war zweifelhaft, ob er überhaupt
zugehört hatte. Als Rummel seine Sache vorgetragen und nochmals wiederholt
hatte, trat eine Pause ein.

Herr Direktor, sagte Wandrer, Rummel möchte wissen, was er mit deu zwei¬
undvierzig Mann machen soll.

Abschießen I schrie der Direktor, darauf verfiel er wieder in sein Brüten.
Rummel hielt das Wort „Abschießen!" für einen direktorialen Scherz und sich für
verpflichtet, Beifall kundzugeben. Aber es kam ihm nicht von Herzen, denn
der Spaß war doch etwas zu blutig, und zum spaßen war die Lage nicht recht
geeignet. Der Direktor ermannte sich, es war wie wenn er einen Bann abwürfe,
und sagte in kaltem Geschäftstone: Zweiundvierzig Mann Mohren? Ich dächte
gar. Sie wissen doch, daß wir jeden Mann brauchen.

Ich mache darauf aufmerksam, sagte Wandrer, daß es hohe Zeit wird, daß
wir unsre Autorität wahren. Wir verlieren die Leute aus der Hand, und was
wird dann?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237680"/>
          <fw type="header" place="top"> Doktor Duttmüller und sein Freund</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1943" prev="#ID_1942"> und ich glaube, es war in der That auch die Art von Echtheit in der Insze¬<lb/>
nierung, für die das in dem Stück in selbständigen Rollen mitwirkende oder<lb/>
mit andern Worten wirklich mitessende und mittrinkende Personal das feinste Ver¬<lb/><note type="byline"> Se.</note> ständnis hatte. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Doktor Duttmüller und sein Freund<lb/><note type="byline"> Fritz Anders (Max Allihn)</note> Line Geschichte aus der Gegenwart von<lb/>
Neunzehntes Aapitel<lb/>
Nachwirkungen </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1944"> reignisse von der Bedeutung der Holzweißiger Volksversammlung<lb/>
können nicht ohne Nachwirkungen bleiben. Herr Leberecht Bolze litt<lb/>
sichtlich an Nedeverhaltung und Ärger, er wurde hinfällig und ganz<lb/>
gelb im Gesicht. Onkel Alfons erließ in Hinterhäuser eine strenge,<lb/>
gegen die Sozialdemokraten gerichtete Verfügung, wobei es nur schade<lb/>
war, daß es in Hinterhäuser außer ein paar alten Holzhackern, die<lb/>
übrigens nicht in Betracht kamen, keine Sozialdemokraten gab, und hielt am Stamm¬<lb/>
tische donnernde Reden gegen die Niedertracht und die Gemeingefährlichkeit des roten<lb/>
Gespenstes. Happich aber zählte mit Ruhe und Genugthuung seine Gelder, die<lb/>
er von den Sozialisten verdient hatte, auf und legte sie in &#x2014; Heiurichshaller<lb/>
Kuxen an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1945"> Rummel hatte festgestellt, daß am Tage der Volksversammlung zweiundvierzig<lb/>
Mann ohne Entschuldigung von der Arbeit weggeblieben waren. Das war um so<lb/>
schlimmer, als man mit Entlassung gedroht hatte, wenn jemand, um die Volks¬<lb/>
versammlung zu besuchen, nicht zur Arbeit kommen würde. Rummels Meinung<lb/>
war, daß diese zweiundvierzig Mann sogleich abgelohnt werden müßten. Denn<lb/>
wenn man jetzt nicht die Faust zeige, so wüchsen einem die Kerls über den Kopf.<lb/>
Und wenn sie deswegen streiken wollten, möchten sie immerhin streiken, zum Krach<lb/>
komme es binnen kurzem doch. Diese Meinung setzte Rummel dem Herrn Direktor<lb/>
in aller Bescheidenheit auseinander.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1946"> Der Herr Direktor saß wie ein welker Apfel ans seinem Dreibein, hatte<lb/>
die Beine hochgezogen, brütete vor sich hin und antwortete nicht. Er sah nicht<lb/>
gut aus, schwammig, müde und nervös. Es war zweifelhaft, ob er überhaupt<lb/>
zugehört hatte. Als Rummel seine Sache vorgetragen und nochmals wiederholt<lb/>
hatte, trat eine Pause ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1947"> Herr Direktor, sagte Wandrer, Rummel möchte wissen, was er mit deu zwei¬<lb/>
undvierzig Mann machen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1948"> Abschießen I schrie der Direktor, darauf verfiel er wieder in sein Brüten.<lb/>
Rummel hielt das Wort &#x201E;Abschießen!" für einen direktorialen Scherz und sich für<lb/>
verpflichtet, Beifall kundzugeben. Aber es kam ihm nicht von Herzen, denn<lb/>
der Spaß war doch etwas zu blutig, und zum spaßen war die Lage nicht recht<lb/>
geeignet. Der Direktor ermannte sich, es war wie wenn er einen Bann abwürfe,<lb/>
und sagte in kaltem Geschäftstone: Zweiundvierzig Mann Mohren? Ich dächte<lb/>
gar.  Sie wissen doch, daß wir jeden Mann brauchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1949"> Ich mache darauf aufmerksam, sagte Wandrer, daß es hohe Zeit wird, daß<lb/>
wir unsre Autorität wahren. Wir verlieren die Leute aus der Hand, und was<lb/>
wird dann?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Doktor Duttmüller und sein Freund und ich glaube, es war in der That auch die Art von Echtheit in der Insze¬ nierung, für die das in dem Stück in selbständigen Rollen mitwirkende oder mit andern Worten wirklich mitessende und mittrinkende Personal das feinste Ver¬ Se. ständnis hatte. Doktor Duttmüller und sein Freund Fritz Anders (Max Allihn) Line Geschichte aus der Gegenwart von Neunzehntes Aapitel Nachwirkungen reignisse von der Bedeutung der Holzweißiger Volksversammlung können nicht ohne Nachwirkungen bleiben. Herr Leberecht Bolze litt sichtlich an Nedeverhaltung und Ärger, er wurde hinfällig und ganz gelb im Gesicht. Onkel Alfons erließ in Hinterhäuser eine strenge, gegen die Sozialdemokraten gerichtete Verfügung, wobei es nur schade war, daß es in Hinterhäuser außer ein paar alten Holzhackern, die übrigens nicht in Betracht kamen, keine Sozialdemokraten gab, und hielt am Stamm¬ tische donnernde Reden gegen die Niedertracht und die Gemeingefährlichkeit des roten Gespenstes. Happich aber zählte mit Ruhe und Genugthuung seine Gelder, die er von den Sozialisten verdient hatte, auf und legte sie in — Heiurichshaller Kuxen an. Rummel hatte festgestellt, daß am Tage der Volksversammlung zweiundvierzig Mann ohne Entschuldigung von der Arbeit weggeblieben waren. Das war um so schlimmer, als man mit Entlassung gedroht hatte, wenn jemand, um die Volks¬ versammlung zu besuchen, nicht zur Arbeit kommen würde. Rummels Meinung war, daß diese zweiundvierzig Mann sogleich abgelohnt werden müßten. Denn wenn man jetzt nicht die Faust zeige, so wüchsen einem die Kerls über den Kopf. Und wenn sie deswegen streiken wollten, möchten sie immerhin streiken, zum Krach komme es binnen kurzem doch. Diese Meinung setzte Rummel dem Herrn Direktor in aller Bescheidenheit auseinander. Der Herr Direktor saß wie ein welker Apfel ans seinem Dreibein, hatte die Beine hochgezogen, brütete vor sich hin und antwortete nicht. Er sah nicht gut aus, schwammig, müde und nervös. Es war zweifelhaft, ob er überhaupt zugehört hatte. Als Rummel seine Sache vorgetragen und nochmals wiederholt hatte, trat eine Pause ein. Herr Direktor, sagte Wandrer, Rummel möchte wissen, was er mit deu zwei¬ undvierzig Mann machen soll. Abschießen I schrie der Direktor, darauf verfiel er wieder in sein Brüten. Rummel hielt das Wort „Abschießen!" für einen direktorialen Scherz und sich für verpflichtet, Beifall kundzugeben. Aber es kam ihm nicht von Herzen, denn der Spaß war doch etwas zu blutig, und zum spaßen war die Lage nicht recht geeignet. Der Direktor ermannte sich, es war wie wenn er einen Bann abwürfe, und sagte in kaltem Geschäftstone: Zweiundvierzig Mann Mohren? Ich dächte gar. Sie wissen doch, daß wir jeden Mann brauchen. Ich mache darauf aufmerksam, sagte Wandrer, daß es hohe Zeit wird, daß wir unsre Autorität wahren. Wir verlieren die Leute aus der Hand, und was wird dann?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/394>, abgerufen am 29.04.2024.