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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Drei Wiener Aiinstbriefe

Hältnisse zu überschauen und zu beurteilen. Es müßte mit der größten Freude
begrüßt werden, wenn die Leitung der Gregoriana die objektive Berechtigung
der erhobnen Einwände anerkennen und möglichst rasch Wandel schaffen wollte.
Ob dabei nicht auch eine Änderung des Prüfungsmodus für die akademischen
Grade, namentlich für die schriftlichen Arbeiten, ins Auge zu fassen wäre,
will ich heute des nähern nicht untersuchen. Sicher ist auch, daß die rein
syllogistische Form der mündlichen Prüfung eine gewisse Einseitigkeit naturnot-
wendig im Gefolge haben muß, wodurch die allgemeine Bewertung der an der
Gregvriana erworbnen akademischen Ehren nicht sonderlich gehoben wird.




Drei Wiener Kunstbriefe
(Schluß)

er diese Figur des sitzenden gerade von vorn betrachtet, wie
wir es zuerst gethan haben, und wie es die Ausstellung gewiß
zunächst und vielleicht auch zuletzt wieder erfordert, der bemerkt
auf der rotbraunen Marmvrscholle ganz vorn noch einen Block
aus grauschwarzem, weißgeädertem Stein. Durch keine irgendwie
bekannte Form ruft er eine Gegenstaudsvorstellung in uns wach. Erst wenn
wir gewahr werden, daß eine Vogelkralle seitlich daraus hervorsieht, versuchen
wir das Gesieder zu erkennen und finden auch den Kopf, der sich seitwärts
abbiegt mit seinem krummen Schnabel, aber nur unvollständig heraushebt, bis
wir ergänzende Blicke in schräger Richtung zu Hilfe nehmen. Gehn wir
etwas herum, so sehen wir: es ist ein Adler, der sich an den Rand der Fels¬
platte klammert. Und von der einen Seite ist er wunderbar beobachtet, in
seiner Eigentümlichkeit und seinem augenblicklichen Ausdruck mit großartiger
Treue wiedergegeben. Scheu blickt er, blinzelnden Auges meint man, wie
geblendet empor. Die Flügel breiten sich vom Körper, aber nicht zum Fluge,
sondern nur so weit, als rührten auch sie senkrecht an deu Boden, wohl eher,
als senkten sie sich der eignen Schwere folgend nach vollbrachter Fahrt durch
die Lüfte, doch ist anch der Moment der Landung nicht deutlich.

Die Federn sträuben sich um Leibe und bauschen sich zu dicker Fülle um
den Hals; die vorgestreckten Krallen greifen seitwärts entlang, wie zu gleitender
Bewegung des Körpers, als ob das Tier zusammenschaudernd zurückwiche
und sich uicht getraue gerade hinzusitzen. Das bestätigt auch der Anblick vom
Rücken her, der allerdings zugleich eine ganz andre merkwürdige Erscheinung
darbietet: hier wirkt das Federkleid des Adlers wie ein Mantel, als ob sich unter
ihm keine Vogelglieder souderu die Arme eines Menschen bewegte", eines
kauernden geschmeidigen Voltigeurs in dieser übergehängten Verkleidung, deren
schimmernde, glänzende Oberfläche doch die andersartigen Formen durch¬
scheinen läßt. Gern vermeiden wir diesen gaukelnden Schein und halten uns
lieber an den Eindruck von der andern Seite her: da genießen wir ein frap-


Grenzboten II 1902 KI
Drei Wiener Aiinstbriefe

Hältnisse zu überschauen und zu beurteilen. Es müßte mit der größten Freude
begrüßt werden, wenn die Leitung der Gregoriana die objektive Berechtigung
der erhobnen Einwände anerkennen und möglichst rasch Wandel schaffen wollte.
Ob dabei nicht auch eine Änderung des Prüfungsmodus für die akademischen
Grade, namentlich für die schriftlichen Arbeiten, ins Auge zu fassen wäre,
will ich heute des nähern nicht untersuchen. Sicher ist auch, daß die rein
syllogistische Form der mündlichen Prüfung eine gewisse Einseitigkeit naturnot-
wendig im Gefolge haben muß, wodurch die allgemeine Bewertung der an der
Gregvriana erworbnen akademischen Ehren nicht sonderlich gehoben wird.




Drei Wiener Kunstbriefe
(Schluß)

er diese Figur des sitzenden gerade von vorn betrachtet, wie
wir es zuerst gethan haben, und wie es die Ausstellung gewiß
zunächst und vielleicht auch zuletzt wieder erfordert, der bemerkt
auf der rotbraunen Marmvrscholle ganz vorn noch einen Block
aus grauschwarzem, weißgeädertem Stein. Durch keine irgendwie
bekannte Form ruft er eine Gegenstaudsvorstellung in uns wach. Erst wenn
wir gewahr werden, daß eine Vogelkralle seitlich daraus hervorsieht, versuchen
wir das Gesieder zu erkennen und finden auch den Kopf, der sich seitwärts
abbiegt mit seinem krummen Schnabel, aber nur unvollständig heraushebt, bis
wir ergänzende Blicke in schräger Richtung zu Hilfe nehmen. Gehn wir
etwas herum, so sehen wir: es ist ein Adler, der sich an den Rand der Fels¬
platte klammert. Und von der einen Seite ist er wunderbar beobachtet, in
seiner Eigentümlichkeit und seinem augenblicklichen Ausdruck mit großartiger
Treue wiedergegeben. Scheu blickt er, blinzelnden Auges meint man, wie
geblendet empor. Die Flügel breiten sich vom Körper, aber nicht zum Fluge,
sondern nur so weit, als rührten auch sie senkrecht an deu Boden, wohl eher,
als senkten sie sich der eignen Schwere folgend nach vollbrachter Fahrt durch
die Lüfte, doch ist anch der Moment der Landung nicht deutlich.

Die Federn sträuben sich um Leibe und bauschen sich zu dicker Fülle um
den Hals; die vorgestreckten Krallen greifen seitwärts entlang, wie zu gleitender
Bewegung des Körpers, als ob das Tier zusammenschaudernd zurückwiche
und sich uicht getraue gerade hinzusitzen. Das bestätigt auch der Anblick vom
Rücken her, der allerdings zugleich eine ganz andre merkwürdige Erscheinung
darbietet: hier wirkt das Federkleid des Adlers wie ein Mantel, als ob sich unter
ihm keine Vogelglieder souderu die Arme eines Menschen bewegte», eines
kauernden geschmeidigen Voltigeurs in dieser übergehängten Verkleidung, deren
schimmernde, glänzende Oberfläche doch die andersartigen Formen durch¬
scheinen läßt. Gern vermeiden wir diesen gaukelnden Schein und halten uns
lieber an den Eindruck von der andern Seite her: da genießen wir ein frap-


Grenzboten II 1902 KI
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[0425] Drei Wiener Aiinstbriefe Hältnisse zu überschauen und zu beurteilen. Es müßte mit der größten Freude begrüßt werden, wenn die Leitung der Gregoriana die objektive Berechtigung der erhobnen Einwände anerkennen und möglichst rasch Wandel schaffen wollte. Ob dabei nicht auch eine Änderung des Prüfungsmodus für die akademischen Grade, namentlich für die schriftlichen Arbeiten, ins Auge zu fassen wäre, will ich heute des nähern nicht untersuchen. Sicher ist auch, daß die rein syllogistische Form der mündlichen Prüfung eine gewisse Einseitigkeit naturnot- wendig im Gefolge haben muß, wodurch die allgemeine Bewertung der an der Gregvriana erworbnen akademischen Ehren nicht sonderlich gehoben wird. Drei Wiener Kunstbriefe (Schluß) er diese Figur des sitzenden gerade von vorn betrachtet, wie wir es zuerst gethan haben, und wie es die Ausstellung gewiß zunächst und vielleicht auch zuletzt wieder erfordert, der bemerkt auf der rotbraunen Marmvrscholle ganz vorn noch einen Block aus grauschwarzem, weißgeädertem Stein. Durch keine irgendwie bekannte Form ruft er eine Gegenstaudsvorstellung in uns wach. Erst wenn wir gewahr werden, daß eine Vogelkralle seitlich daraus hervorsieht, versuchen wir das Gesieder zu erkennen und finden auch den Kopf, der sich seitwärts abbiegt mit seinem krummen Schnabel, aber nur unvollständig heraushebt, bis wir ergänzende Blicke in schräger Richtung zu Hilfe nehmen. Gehn wir etwas herum, so sehen wir: es ist ein Adler, der sich an den Rand der Fels¬ platte klammert. Und von der einen Seite ist er wunderbar beobachtet, in seiner Eigentümlichkeit und seinem augenblicklichen Ausdruck mit großartiger Treue wiedergegeben. Scheu blickt er, blinzelnden Auges meint man, wie geblendet empor. Die Flügel breiten sich vom Körper, aber nicht zum Fluge, sondern nur so weit, als rührten auch sie senkrecht an deu Boden, wohl eher, als senkten sie sich der eignen Schwere folgend nach vollbrachter Fahrt durch die Lüfte, doch ist anch der Moment der Landung nicht deutlich. Die Federn sträuben sich um Leibe und bauschen sich zu dicker Fülle um den Hals; die vorgestreckten Krallen greifen seitwärts entlang, wie zu gleitender Bewegung des Körpers, als ob das Tier zusammenschaudernd zurückwiche und sich uicht getraue gerade hinzusitzen. Das bestätigt auch der Anblick vom Rücken her, der allerdings zugleich eine ganz andre merkwürdige Erscheinung darbietet: hier wirkt das Federkleid des Adlers wie ein Mantel, als ob sich unter ihm keine Vogelglieder souderu die Arme eines Menschen bewegte», eines kauernden geschmeidigen Voltigeurs in dieser übergehängten Verkleidung, deren schimmernde, glänzende Oberfläche doch die andersartigen Formen durch¬ scheinen läßt. Gern vermeiden wir diesen gaukelnden Schein und halten uns lieber an den Eindruck von der andern Seite her: da genießen wir ein frap- Grenzboten II 1902 KI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/425>, abgerufen am 29.04.2024.