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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Spitze die Behörden, sogar das Königspaar machte mit, und pflanzten die vorher
an Ort und Stelle geschafften Vänmchen, sangen eine extra dafür komponierte
Hymne, alles mit dem hierzulande üblichen Enthusiasmus. Sogar die Presse wurde
sentimental und machte die Kinder darauf aufmerksam, daß sich an dielen Orten
der Stadt die Spatzen des Abends einen besonders dichten Baum für die Nacht¬
ruhe aufsuchten; da diese nnn eine geraume Zeit brauchen, kreischen und sich zanken,
so wurden diese Bäume als "singende Bäume" bezeichnet.

Mit dem Abgang Bcieeellis verlor die Einrichtung der Baumanpflanzung schnell
ihren Reiz; die alte Sünde, die Arbeiten des Vorgängers als ungeschehn zu be¬
trachten, weil man selbst keinen Ruhm davon hat, zeigte sich auch hier; das Modell¬
feld an der Via Lntina verkam ungepflegt. Geschah das in der Hauptstadt, so
wird es im übrigen Lande wohl nicht besser gewesen sein.

Jetzt, wo Baceelli wieder am Ruder ist, hat er die Sache von neuem in die
Hand genommen und sie nnn, dnrch die Erfahrungen gewitzigt, durch Gesetz zu
eiuer Stantsaktion erhoben. Danach soll jetzt einmal im Jahre, im Frühling oder
im Herbst, wie es die klimatischen Verhältnisse der verschiednen Regionen erlauben,
das Fest durch Anpflanzung von Bäumen gefeiert werden. Die Forstadministration
bestimmt die dafür passenden Arten, die dann den einzelnen Gemeinden geliefert
werden. Es wäre aber auch zu wünschen, daß zugleich ein sehr strenges Gesetz
gegen mutwilligen Baumfrevel gegeben würde.. Mit Ernst ist in einem Lande, wo
der Boden so fruchtbar ist, daß, mau möchte fast sagen, sogar ein Besenstiel wieder
ausschlägt, wenn er in die Erde gesteckt wird, noch sehr viel zu machen, und so
schnell wird es nicht vorwärts gehn, daß die Künstler fürchten müßten, die klassischen
Konturen der italienischen Bergketten würden ihnen dadurch ruiniert!


F. Brunswick
Savonarola. Hiltgnrt Schottmüller

hat eine Answcchl von Predigten
des Frei Girolamo nebst zwei Briefen an seine Mutter, einem um seinen Vater,
einem poetischen Fragment und der im Kerker geschriebnen Betrachtung über den
Vnßpsnlm Miserere übersetzt und geschmückt mit einem Bildnisse Savonarolas nach
Frei Vartolomeo bei B. Behr (E. Bock) in Berlin (1901) herausgegeben. Man
erkennt aus diesen Herzensergüssen, daß der große Bußprediger ein vollkommen
naiver Mensch gewesen ist, der sein Inneres enthüllt, ohne etwas zu verberge"
oder durch Ausschmückung zu verhüllen, und so gewinnt man ein ganz sicheres Urteil
über seine Persönlichkeit und seinen Charakter. Es ist darum auch nicht zu ver¬
wundern, daß die Urteile derer, die ihn kennen, übereinstimmen; er tritt uns aus
diesen Briefen und Predigten so entgegen, wie ihn z. B. Giuv CaPPvni in seiner
Geschichte der florentinischen Republik gezeichnet hat.

Savonarola war kein Fanatiker. Er gehörte nicht zu denen, die, wenn sie
ins Kloster gehn, alle Bande der Natur zerreiße". Er liebte und verehrte seiue
Eltern herzlich auch als Mönch, blieb bekümmert um das Schicksal seiner Geschwister
und erklärte sich bereit, den Seinigen zu Hilfe zu eilen, wenn sie ihn dringend
brauchten, nnr bat er, sie möchten ihn nicht ohne Not in seinem erhabnen Berufe
stören. Er war auch kein Verächter von Kunst und Wissenschaft; er gründete eine
Studienanstalt, eine Malerschule und machte die Bibliothek der Mediceer dein
Publikum zugänglich. Dem Autodafe" der Varna oder Auatemi, das am Fasching
1496 veranstaltet wurde, sind nur schmutzige Bücher und Bilder, Maskenanzüge
und Gerät für Hazardspiele zum Opfer gefallen, nicht Kunstwerke; unter den ver¬
brannten Sachen wird ein einziges Stück, das Kunstwert gehabt haben soll, er¬
wähnt, ein Spieltisch von reicher Arbeit. Auch überspannt war Savonarola nicht,
nnr tief, entschieden und ehrlich; er glaubte aufrichtig alles, was die Kirche lehrt,
und war überzeugt, daß die Sittenvorschriften des Neuen Testaments für alle ver¬
bindlich seien, ihre Übertreter den zeitlichen und ewigen Strafen nicht entgehn
könnten; ein Mensch von solcher Art erscheint der Welt immer überspannt und
gerät unvermeidlich i" Konflikt mit ihr. Er hielt es nicht mehr aus "unter


Spitze die Behörden, sogar das Königspaar machte mit, und pflanzten die vorher
an Ort und Stelle geschafften Vänmchen, sangen eine extra dafür komponierte
Hymne, alles mit dem hierzulande üblichen Enthusiasmus. Sogar die Presse wurde
sentimental und machte die Kinder darauf aufmerksam, daß sich an dielen Orten
der Stadt die Spatzen des Abends einen besonders dichten Baum für die Nacht¬
ruhe aufsuchten; da diese nnn eine geraume Zeit brauchen, kreischen und sich zanken,
so wurden diese Bäume als „singende Bäume" bezeichnet.

Mit dem Abgang Bcieeellis verlor die Einrichtung der Baumanpflanzung schnell
ihren Reiz; die alte Sünde, die Arbeiten des Vorgängers als ungeschehn zu be¬
trachten, weil man selbst keinen Ruhm davon hat, zeigte sich auch hier; das Modell¬
feld an der Via Lntina verkam ungepflegt. Geschah das in der Hauptstadt, so
wird es im übrigen Lande wohl nicht besser gewesen sein.

Jetzt, wo Baceelli wieder am Ruder ist, hat er die Sache von neuem in die
Hand genommen und sie nnn, dnrch die Erfahrungen gewitzigt, durch Gesetz zu
eiuer Stantsaktion erhoben. Danach soll jetzt einmal im Jahre, im Frühling oder
im Herbst, wie es die klimatischen Verhältnisse der verschiednen Regionen erlauben,
das Fest durch Anpflanzung von Bäumen gefeiert werden. Die Forstadministration
bestimmt die dafür passenden Arten, die dann den einzelnen Gemeinden geliefert
werden. Es wäre aber auch zu wünschen, daß zugleich ein sehr strenges Gesetz
gegen mutwilligen Baumfrevel gegeben würde.. Mit Ernst ist in einem Lande, wo
der Boden so fruchtbar ist, daß, mau möchte fast sagen, sogar ein Besenstiel wieder
ausschlägt, wenn er in die Erde gesteckt wird, noch sehr viel zu machen, und so
schnell wird es nicht vorwärts gehn, daß die Künstler fürchten müßten, die klassischen
Konturen der italienischen Bergketten würden ihnen dadurch ruiniert!


F. Brunswick
Savonarola. Hiltgnrt Schottmüller

hat eine Answcchl von Predigten
des Frei Girolamo nebst zwei Briefen an seine Mutter, einem um seinen Vater,
einem poetischen Fragment und der im Kerker geschriebnen Betrachtung über den
Vnßpsnlm Miserere übersetzt und geschmückt mit einem Bildnisse Savonarolas nach
Frei Vartolomeo bei B. Behr (E. Bock) in Berlin (1901) herausgegeben. Man
erkennt aus diesen Herzensergüssen, daß der große Bußprediger ein vollkommen
naiver Mensch gewesen ist, der sein Inneres enthüllt, ohne etwas zu verberge«
oder durch Ausschmückung zu verhüllen, und so gewinnt man ein ganz sicheres Urteil
über seine Persönlichkeit und seinen Charakter. Es ist darum auch nicht zu ver¬
wundern, daß die Urteile derer, die ihn kennen, übereinstimmen; er tritt uns aus
diesen Briefen und Predigten so entgegen, wie ihn z. B. Giuv CaPPvni in seiner
Geschichte der florentinischen Republik gezeichnet hat.

Savonarola war kein Fanatiker. Er gehörte nicht zu denen, die, wenn sie
ins Kloster gehn, alle Bande der Natur zerreiße«. Er liebte und verehrte seiue
Eltern herzlich auch als Mönch, blieb bekümmert um das Schicksal seiner Geschwister
und erklärte sich bereit, den Seinigen zu Hilfe zu eilen, wenn sie ihn dringend
brauchten, nnr bat er, sie möchten ihn nicht ohne Not in seinem erhabnen Berufe
stören. Er war auch kein Verächter von Kunst und Wissenschaft; er gründete eine
Studienanstalt, eine Malerschule und machte die Bibliothek der Mediceer dein
Publikum zugänglich. Dem Autodafe" der Varna oder Auatemi, das am Fasching
1496 veranstaltet wurde, sind nur schmutzige Bücher und Bilder, Maskenanzüge
und Gerät für Hazardspiele zum Opfer gefallen, nicht Kunstwerke; unter den ver¬
brannten Sachen wird ein einziges Stück, das Kunstwert gehabt haben soll, er¬
wähnt, ein Spieltisch von reicher Arbeit. Auch überspannt war Savonarola nicht,
nnr tief, entschieden und ehrlich; er glaubte aufrichtig alles, was die Kirche lehrt,
und war überzeugt, daß die Sittenvorschriften des Neuen Testaments für alle ver¬
bindlich seien, ihre Übertreter den zeitlichen und ewigen Strafen nicht entgehn
könnten; ein Mensch von solcher Art erscheint der Welt immer überspannt und
gerät unvermeidlich i» Konflikt mit ihr. Er hielt es nicht mehr aus „unter


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[0063] Spitze die Behörden, sogar das Königspaar machte mit, und pflanzten die vorher an Ort und Stelle geschafften Vänmchen, sangen eine extra dafür komponierte Hymne, alles mit dem hierzulande üblichen Enthusiasmus. Sogar die Presse wurde sentimental und machte die Kinder darauf aufmerksam, daß sich an dielen Orten der Stadt die Spatzen des Abends einen besonders dichten Baum für die Nacht¬ ruhe aufsuchten; da diese nnn eine geraume Zeit brauchen, kreischen und sich zanken, so wurden diese Bäume als „singende Bäume" bezeichnet. Mit dem Abgang Bcieeellis verlor die Einrichtung der Baumanpflanzung schnell ihren Reiz; die alte Sünde, die Arbeiten des Vorgängers als ungeschehn zu be¬ trachten, weil man selbst keinen Ruhm davon hat, zeigte sich auch hier; das Modell¬ feld an der Via Lntina verkam ungepflegt. Geschah das in der Hauptstadt, so wird es im übrigen Lande wohl nicht besser gewesen sein. Jetzt, wo Baceelli wieder am Ruder ist, hat er die Sache von neuem in die Hand genommen und sie nnn, dnrch die Erfahrungen gewitzigt, durch Gesetz zu eiuer Stantsaktion erhoben. Danach soll jetzt einmal im Jahre, im Frühling oder im Herbst, wie es die klimatischen Verhältnisse der verschiednen Regionen erlauben, das Fest durch Anpflanzung von Bäumen gefeiert werden. Die Forstadministration bestimmt die dafür passenden Arten, die dann den einzelnen Gemeinden geliefert werden. Es wäre aber auch zu wünschen, daß zugleich ein sehr strenges Gesetz gegen mutwilligen Baumfrevel gegeben würde.. Mit Ernst ist in einem Lande, wo der Boden so fruchtbar ist, daß, mau möchte fast sagen, sogar ein Besenstiel wieder ausschlägt, wenn er in die Erde gesteckt wird, noch sehr viel zu machen, und so schnell wird es nicht vorwärts gehn, daß die Künstler fürchten müßten, die klassischen Konturen der italienischen Bergketten würden ihnen dadurch ruiniert! F. Brunswick Savonarola. Hiltgnrt Schottmüller hat eine Answcchl von Predigten des Frei Girolamo nebst zwei Briefen an seine Mutter, einem um seinen Vater, einem poetischen Fragment und der im Kerker geschriebnen Betrachtung über den Vnßpsnlm Miserere übersetzt und geschmückt mit einem Bildnisse Savonarolas nach Frei Vartolomeo bei B. Behr (E. Bock) in Berlin (1901) herausgegeben. Man erkennt aus diesen Herzensergüssen, daß der große Bußprediger ein vollkommen naiver Mensch gewesen ist, der sein Inneres enthüllt, ohne etwas zu verberge« oder durch Ausschmückung zu verhüllen, und so gewinnt man ein ganz sicheres Urteil über seine Persönlichkeit und seinen Charakter. Es ist darum auch nicht zu ver¬ wundern, daß die Urteile derer, die ihn kennen, übereinstimmen; er tritt uns aus diesen Briefen und Predigten so entgegen, wie ihn z. B. Giuv CaPPvni in seiner Geschichte der florentinischen Republik gezeichnet hat. Savonarola war kein Fanatiker. Er gehörte nicht zu denen, die, wenn sie ins Kloster gehn, alle Bande der Natur zerreiße«. Er liebte und verehrte seiue Eltern herzlich auch als Mönch, blieb bekümmert um das Schicksal seiner Geschwister und erklärte sich bereit, den Seinigen zu Hilfe zu eilen, wenn sie ihn dringend brauchten, nnr bat er, sie möchten ihn nicht ohne Not in seinem erhabnen Berufe stören. Er war auch kein Verächter von Kunst und Wissenschaft; er gründete eine Studienanstalt, eine Malerschule und machte die Bibliothek der Mediceer dein Publikum zugänglich. Dem Autodafe" der Varna oder Auatemi, das am Fasching 1496 veranstaltet wurde, sind nur schmutzige Bücher und Bilder, Maskenanzüge und Gerät für Hazardspiele zum Opfer gefallen, nicht Kunstwerke; unter den ver¬ brannten Sachen wird ein einziges Stück, das Kunstwert gehabt haben soll, er¬ wähnt, ein Spieltisch von reicher Arbeit. Auch überspannt war Savonarola nicht, nnr tief, entschieden und ehrlich; er glaubte aufrichtig alles, was die Kirche lehrt, und war überzeugt, daß die Sittenvorschriften des Neuen Testaments für alle ver¬ bindlich seien, ihre Übertreter den zeitlichen und ewigen Strafen nicht entgehn könnten; ein Mensch von solcher Art erscheint der Welt immer überspannt und gerät unvermeidlich i» Konflikt mit ihr. Er hielt es nicht mehr aus „unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/63>, abgerufen am 29.04.2024.