Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Z)le strategische Bedeutung der Alpenbahnen
Eine militärpolitische Studie

MHM>
^W^s?<vs ist bedauerlich, daß sich ein Teil der französischen Presse und
auch einige Schweizer Blätter, die unter westnachbarlichem Ein¬
flüsse stehn, noch immer nicht über die befestigten Anlagen
beruhigen können, die jetzt Deutschland angeblich ans unberech¬
tigten und unerwarteten Gründen zum Schutze seiner Südwest¬
front anlegen wolle. Der verständige Teil der deutschen Presse hat jn aus
Gründen des Patriotismus, und weil es anch sonst gut informierten Bericht¬
erstattern schwer fallen sollte, eine zutreffende Kenntnis von den Absichten
unsrer Lnndesverteidigungskominission zu haben, bisher davon Abstand ge¬
nommen, auf die Herausforderungen tendenziöser ausländischer Blätter einzu-
gehn. Auch wir wollen hier an dieser Richtschnur festhalten und ohne Be¬
achtung des Zetergeschreis unsrer westlichen Nachbarn auf ein Thema eingehn,
das zwar nicht unmittelbar mit den Grenzbefestigungen zusammenhängt, aber
doch von außerordentlicher Bedeutung für alle die Fragen sein dürfte, die nicht
nur für einen etwaigen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich an den
schweizerischen und den italienischen Grenzen, sondern vielleicht bei jedem
großen enropäischen Kriege in den Vordergrund treten können.

Rings um das italienische Niederland vom Ligurischen bis zum Adrin-
tischen Meere lagern die Gebirgsmassen der Alpen. Die Böschung dieser
geographisch ein zusammenhängendes Ganze bildenden, großartigen UmWallung
ist auf der nördlichen Seite weniger steil als auf der südlichen, weshalb die
Nachbarvölker leicht nach Italien dringen und die Geschicke des Landes lange
Zeit bestimmen konnten. Aber seit Italien ein geeintes Königreich geworden
ist, sind die Zeiten vorbei, wo die Ebnen der Lombardei ein dauernder
Kampfplatz namentlich zwischen Frankreich und dem Hause Habsburg waren.
Doch das neue Reich hat in seiner jetzigen Großmachtstcllung die europäischen
Interessen mit zu überwachen, und deshalb müssen auch seine Verkehrslinien
in den Alpen nicht nur in handelspolitischer, sondern anch in militärischer Be¬
ziehung richtig gewürdigt werden.

Schon oft sind die Alpen von Heeren überschritten worden, in neurer
Zeit auf den bekannten Straßen, die Napoleon I. durch die Verzweigungen


Grenzliolcn II 1802 7S


Z)le strategische Bedeutung der Alpenbahnen
Eine militärpolitische Studie

MHM>
^W^s?<vs ist bedauerlich, daß sich ein Teil der französischen Presse und
auch einige Schweizer Blätter, die unter westnachbarlichem Ein¬
flüsse stehn, noch immer nicht über die befestigten Anlagen
beruhigen können, die jetzt Deutschland angeblich ans unberech¬
tigten und unerwarteten Gründen zum Schutze seiner Südwest¬
front anlegen wolle. Der verständige Teil der deutschen Presse hat jn aus
Gründen des Patriotismus, und weil es anch sonst gut informierten Bericht¬
erstattern schwer fallen sollte, eine zutreffende Kenntnis von den Absichten
unsrer Lnndesverteidigungskominission zu haben, bisher davon Abstand ge¬
nommen, auf die Herausforderungen tendenziöser ausländischer Blätter einzu-
gehn. Auch wir wollen hier an dieser Richtschnur festhalten und ohne Be¬
achtung des Zetergeschreis unsrer westlichen Nachbarn auf ein Thema eingehn,
das zwar nicht unmittelbar mit den Grenzbefestigungen zusammenhängt, aber
doch von außerordentlicher Bedeutung für alle die Fragen sein dürfte, die nicht
nur für einen etwaigen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich an den
schweizerischen und den italienischen Grenzen, sondern vielleicht bei jedem
großen enropäischen Kriege in den Vordergrund treten können.

Rings um das italienische Niederland vom Ligurischen bis zum Adrin-
tischen Meere lagern die Gebirgsmassen der Alpen. Die Böschung dieser
geographisch ein zusammenhängendes Ganze bildenden, großartigen UmWallung
ist auf der nördlichen Seite weniger steil als auf der südlichen, weshalb die
Nachbarvölker leicht nach Italien dringen und die Geschicke des Landes lange
Zeit bestimmen konnten. Aber seit Italien ein geeintes Königreich geworden
ist, sind die Zeiten vorbei, wo die Ebnen der Lombardei ein dauernder
Kampfplatz namentlich zwischen Frankreich und dem Hause Habsburg waren.
Doch das neue Reich hat in seiner jetzigen Großmachtstcllung die europäischen
Interessen mit zu überwachen, und deshalb müssen auch seine Verkehrslinien
in den Alpen nicht nur in handelspolitischer, sondern anch in militärischer Be¬
ziehung richtig gewürdigt werden.

Schon oft sind die Alpen von Heeren überschritten worden, in neurer
Zeit auf den bekannten Straßen, die Napoleon I. durch die Verzweigungen


Grenzliolcn II 1802 7S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0633" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237919"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341875_237285/figures/grenzboten_341875_237285_237919_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Z)le strategische Bedeutung der Alpenbahnen<lb/>
Eine militärpolitische Studie</head><lb/>
          <p xml:id="ID_3218"> MHM&gt;<lb/>
^W^s?&lt;vs ist bedauerlich, daß sich ein Teil der französischen Presse und<lb/>
auch einige Schweizer Blätter, die unter westnachbarlichem Ein¬<lb/>
flüsse stehn, noch immer nicht über die befestigten Anlagen<lb/>
beruhigen können, die jetzt Deutschland angeblich ans unberech¬<lb/>
tigten und unerwarteten Gründen zum Schutze seiner Südwest¬<lb/>
front anlegen wolle. Der verständige Teil der deutschen Presse hat jn aus<lb/>
Gründen des Patriotismus, und weil es anch sonst gut informierten Bericht¬<lb/>
erstattern schwer fallen sollte, eine zutreffende Kenntnis von den Absichten<lb/>
unsrer Lnndesverteidigungskominission zu haben, bisher davon Abstand ge¬<lb/>
nommen, auf die Herausforderungen tendenziöser ausländischer Blätter einzu-<lb/>
gehn. Auch wir wollen hier an dieser Richtschnur festhalten und ohne Be¬<lb/>
achtung des Zetergeschreis unsrer westlichen Nachbarn auf ein Thema eingehn,<lb/>
das zwar nicht unmittelbar mit den Grenzbefestigungen zusammenhängt, aber<lb/>
doch von außerordentlicher Bedeutung für alle die Fragen sein dürfte, die nicht<lb/>
nur für einen etwaigen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich an den<lb/>
schweizerischen und den italienischen Grenzen, sondern vielleicht bei jedem<lb/>
großen enropäischen Kriege in den Vordergrund treten können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3219"> Rings um das italienische Niederland vom Ligurischen bis zum Adrin-<lb/>
tischen Meere lagern die Gebirgsmassen der Alpen. Die Böschung dieser<lb/>
geographisch ein zusammenhängendes Ganze bildenden, großartigen UmWallung<lb/>
ist auf der nördlichen Seite weniger steil als auf der südlichen, weshalb die<lb/>
Nachbarvölker leicht nach Italien dringen und die Geschicke des Landes lange<lb/>
Zeit bestimmen konnten. Aber seit Italien ein geeintes Königreich geworden<lb/>
ist, sind die Zeiten vorbei, wo die Ebnen der Lombardei ein dauernder<lb/>
Kampfplatz namentlich zwischen Frankreich und dem Hause Habsburg waren.<lb/>
Doch das neue Reich hat in seiner jetzigen Großmachtstcllung die europäischen<lb/>
Interessen mit zu überwachen, und deshalb müssen auch seine Verkehrslinien<lb/>
in den Alpen nicht nur in handelspolitischer, sondern anch in militärischer Be¬<lb/>
ziehung richtig gewürdigt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3220" next="#ID_3221"> Schon oft sind die Alpen von Heeren überschritten worden, in neurer<lb/>
Zeit auf den bekannten Straßen, die Napoleon I. durch die Verzweigungen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzliolcn II 1802 7S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0633] [Abbildung] Z)le strategische Bedeutung der Alpenbahnen Eine militärpolitische Studie MHM> ^W^s?<vs ist bedauerlich, daß sich ein Teil der französischen Presse und auch einige Schweizer Blätter, die unter westnachbarlichem Ein¬ flüsse stehn, noch immer nicht über die befestigten Anlagen beruhigen können, die jetzt Deutschland angeblich ans unberech¬ tigten und unerwarteten Gründen zum Schutze seiner Südwest¬ front anlegen wolle. Der verständige Teil der deutschen Presse hat jn aus Gründen des Patriotismus, und weil es anch sonst gut informierten Bericht¬ erstattern schwer fallen sollte, eine zutreffende Kenntnis von den Absichten unsrer Lnndesverteidigungskominission zu haben, bisher davon Abstand ge¬ nommen, auf die Herausforderungen tendenziöser ausländischer Blätter einzu- gehn. Auch wir wollen hier an dieser Richtschnur festhalten und ohne Be¬ achtung des Zetergeschreis unsrer westlichen Nachbarn auf ein Thema eingehn, das zwar nicht unmittelbar mit den Grenzbefestigungen zusammenhängt, aber doch von außerordentlicher Bedeutung für alle die Fragen sein dürfte, die nicht nur für einen etwaigen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich an den schweizerischen und den italienischen Grenzen, sondern vielleicht bei jedem großen enropäischen Kriege in den Vordergrund treten können. Rings um das italienische Niederland vom Ligurischen bis zum Adrin- tischen Meere lagern die Gebirgsmassen der Alpen. Die Böschung dieser geographisch ein zusammenhängendes Ganze bildenden, großartigen UmWallung ist auf der nördlichen Seite weniger steil als auf der südlichen, weshalb die Nachbarvölker leicht nach Italien dringen und die Geschicke des Landes lange Zeit bestimmen konnten. Aber seit Italien ein geeintes Königreich geworden ist, sind die Zeiten vorbei, wo die Ebnen der Lombardei ein dauernder Kampfplatz namentlich zwischen Frankreich und dem Hause Habsburg waren. Doch das neue Reich hat in seiner jetzigen Großmachtstcllung die europäischen Interessen mit zu überwachen, und deshalb müssen auch seine Verkehrslinien in den Alpen nicht nur in handelspolitischer, sondern anch in militärischer Be¬ ziehung richtig gewürdigt werden. Schon oft sind die Alpen von Heeren überschritten worden, in neurer Zeit auf den bekannten Straßen, die Napoleon I. durch die Verzweigungen Grenzliolcn II 1802 7S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/633
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/633>, abgerufen am 29.04.2024.