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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Die Frauenbewegung während der französischen
Revolution

KWM!N den vielbesprvchnen Tagesfragen der modernen Zeit gehört
ohne Zweifel die Frauenfrage. Sie berührt die rechtliche, poli¬
tische, wirtschaftliche und sittliche Seite des Frauenlebens; dabei
machen sich regelmäßig Versuche geltend, die Stellung der Frauen
in der menschlichen Gesellschaft neu zu regeln: die Gesamtheit
dieser Bestrebungen pflegt man heute mit dem Schlagwort "Frauenbewegung"
zusammenzufassen. Mehr als hundert Jahre sind seit dem ersten Auftauchen
der wichtigen Probleme verflossen; denn die große französische Revolution, die
den Zusammensturz der alten Gesellschaftsordnung herbeiführte, muß als Aus¬
gangspunkt der Frauenbewegung angesehen werden.

Der französische General Marquis de Lafayette, der an dein nordameri-
knnischen Freiheitskriege teilgenommen hatte, brachte am 11. Juli 1789 seine
berühmte "Erste Erklärung der Rechte der Menschen und der Bürger" vor
die frnuzösische Nationalversammlung. Hier sprach er, wie ein Abgeordneter
artig bemerkte, "über die Freiheit so, wie er für die Freiheit gekämpft hatte."
Sein Entwurf, der nur Rechte, aber keine Pflichten enthielt, begann also:
Die Natur hat die Menschen frei und gleich geschaffen, die für die Gesellschafts¬
ordnung nötigen Unterschiede sind nur auf den öffentlichen Nutzen begründet.
Und dann fügt er hinzu: Jeder Mensch kommt mit unveräußerlichen und un-
vorgreiflichen Rechten zur Welt. Solche Rechte sind: die Freiheit aller seiner
Meinungen, die Sorge für seine Ehre und sein Leben, das Recht des Eigen¬
tums, die freie Verfügung über seine Person, seine Arbeit, alle seine Fähig¬
keiten, die Mitteilung seiner Gedanken auf jedem möglichen Wege, das Streben
nach Wohlfahrt und der Widerstand gegen Unterdrückung. Die Ausübung der
natürlichen Rechte hat keine Schranken als die, die allen andern Mitgliedern
der Gesellschaft den Genuß der Rechte sichern usw.

So heißt der Anfang der ersten Fassung des Themas, das nun wochen¬
lang in erregten Debatten von der Nationalversammlung erörtert wurde. In¬
zwischen kam es in der Nacht vom 4. zum 5. August 1789 zu den bekannten
Verzichtleistungen. Der Klerus überbot den Adel, der Adel den Klerus, als
es sich darum handelte, Vorrechte und Titel aufzugeben. "Es war, wie ein
Geschichtschreiber zutreffend sagt, ein Taumel der Aufopferung, ein Ehrgeiz
der Selbstverleugnung, das Endergebnis eine Liste von Beschlüssen, die mehr
wert waren als alles Reden von den Menschenrechten, denn es wurde in den
Gesetzen vom 4. zum 5. August der Rechtsboden einer neuen Gesellschafts¬
ordnung geschaffen."




Die Frauenbewegung während der französischen
Revolution

KWM!N den vielbesprvchnen Tagesfragen der modernen Zeit gehört
ohne Zweifel die Frauenfrage. Sie berührt die rechtliche, poli¬
tische, wirtschaftliche und sittliche Seite des Frauenlebens; dabei
machen sich regelmäßig Versuche geltend, die Stellung der Frauen
in der menschlichen Gesellschaft neu zu regeln: die Gesamtheit
dieser Bestrebungen pflegt man heute mit dem Schlagwort „Frauenbewegung"
zusammenzufassen. Mehr als hundert Jahre sind seit dem ersten Auftauchen
der wichtigen Probleme verflossen; denn die große französische Revolution, die
den Zusammensturz der alten Gesellschaftsordnung herbeiführte, muß als Aus¬
gangspunkt der Frauenbewegung angesehen werden.

Der französische General Marquis de Lafayette, der an dein nordameri-
knnischen Freiheitskriege teilgenommen hatte, brachte am 11. Juli 1789 seine
berühmte „Erste Erklärung der Rechte der Menschen und der Bürger" vor
die frnuzösische Nationalversammlung. Hier sprach er, wie ein Abgeordneter
artig bemerkte, „über die Freiheit so, wie er für die Freiheit gekämpft hatte."
Sein Entwurf, der nur Rechte, aber keine Pflichten enthielt, begann also:
Die Natur hat die Menschen frei und gleich geschaffen, die für die Gesellschafts¬
ordnung nötigen Unterschiede sind nur auf den öffentlichen Nutzen begründet.
Und dann fügt er hinzu: Jeder Mensch kommt mit unveräußerlichen und un-
vorgreiflichen Rechten zur Welt. Solche Rechte sind: die Freiheit aller seiner
Meinungen, die Sorge für seine Ehre und sein Leben, das Recht des Eigen¬
tums, die freie Verfügung über seine Person, seine Arbeit, alle seine Fähig¬
keiten, die Mitteilung seiner Gedanken auf jedem möglichen Wege, das Streben
nach Wohlfahrt und der Widerstand gegen Unterdrückung. Die Ausübung der
natürlichen Rechte hat keine Schranken als die, die allen andern Mitgliedern
der Gesellschaft den Genuß der Rechte sichern usw.

So heißt der Anfang der ersten Fassung des Themas, das nun wochen¬
lang in erregten Debatten von der Nationalversammlung erörtert wurde. In¬
zwischen kam es in der Nacht vom 4. zum 5. August 1789 zu den bekannten
Verzichtleistungen. Der Klerus überbot den Adel, der Adel den Klerus, als
es sich darum handelte, Vorrechte und Titel aufzugeben. „Es war, wie ein
Geschichtschreiber zutreffend sagt, ein Taumel der Aufopferung, ein Ehrgeiz
der Selbstverleugnung, das Endergebnis eine Liste von Beschlüssen, die mehr
wert waren als alles Reden von den Menschenrechten, denn es wurde in den
Gesetzen vom 4. zum 5. August der Rechtsboden einer neuen Gesellschafts¬
ordnung geschaffen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/340>, abgerufen am 04.05.2024.