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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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mit überging, und insofern er diese Verbindung altpreußischer Straffheit mit
der reichen deutschen Geistesbildung seinen Eltern verdankt, hat Curtius auch
für ihn gearbeitet.




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(Schluß)
2, Volkswirtschaft und Zozicilismus

n volkswirtschaftlichen und sozialen Dingen haben in den Heften
der klumMit6 ^ouvello meist, aber nicht ausschließlich, Sozia¬
listen das Wort; doch gehören nur wenige von diesen zu den
doktrinären und extremen. Wilhelm de Grecs behandelt vom
soziologischen Standpunkt aus das Geld-, Kredit- und Bank¬
wesen und gibt in der Einleitung eine Begriffserkläruug des Sozialismus, die
diesen vollkommen rechtfertigen würde, wenn sie allgemein zuträfe, "Sozialismus
ist die Reaktion der Gesamtheit gegen den Egoismus vou Personen oder
Klassen, Und zwar eine Reaktion der Gesellschaft, nicht des Staates, sofern
man unter dem Staat die Negierung versteht, denn diese kann ebensowohl
egoistisch als sozialistisch sein; sie kann persönliche und Klasseninteressen ver¬
treten, allerdings aber auch das allgemeine Interesse im Gegensatz zu Partikular¬
interessen; und das zweite hat sie oft getan. Das ist die negative Wirksam¬
keit des Sozialismus. Um zu ermitteln, was er positiv leistet, muß man
seine wesentlichen Bestrebungen von den Gestaltungen unterscheiden, die er im
Laufe seiner geschichtlichen Entwicklung, annimmt. Sein wesentliches Streben
ist, wie wir sehen werden, darauf gerichtet, die Vermögensgleichheit zu erhalten
oder wiederherzustellen und zu befestigen, dadurch das Familienleben sowie das
ästhetische, das moralische und das Rechtsleben und als die Krönung des
Ganzen die politische Selbstregierung zu sichern; alles dieses fördert zugleich
die von der Hypertrophie einzelner Glieder der Gesellschaft gefährdete persön¬
liche Freiheit." Der Verfasser zeigt ganz richtig, daß der Streit zwischen So¬
zialismus und Individualismus gcgeustandlos ist, weil beide Erscheinungen
nur Pole derselben Kraft sind, die anders als in der polaren Entzweiung gar
nicht wirken kann, sodaß wir die eine ohne die andre weder zu denken noch zu
definieren vermögen. Nur durch Abstraktion könne man ein einzelnes Lebens¬
element zum einzigen, zum absoluten machen. Darum sei auch die Form des
Sozialismus, die mau Kommunismus nenne, nur relativ, und in gewissem
Grade in den Staatseinrichtungen eigentlich immer vorhanden. Wo er sich
aber im Gegensatz zum Bestehenden geltend mache, da gehöre die Feindschaft
gegen das Geld in jeder Form zu seinen charakteristischen Eigenschaften, weil
Geld und Kredit die Vermvgensungleichheit außerordentlich fördern. Sein
soziologisches Lehrgebäude nennt der Verfasser Kontraktualismus; bei diesem Worte
dürfe man aber nicht an Rousseaus Sozialkontrakt denken. Auf der untersten
Stufe vollzögen sich die gegenseitigen Zugeständnisse als unbewußte Reflex-


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mit überging, und insofern er diese Verbindung altpreußischer Straffheit mit
der reichen deutschen Geistesbildung seinen Eltern verdankt, hat Curtius auch
für ihn gearbeitet.




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(Schluß)
2, Volkswirtschaft und Zozicilismus

n volkswirtschaftlichen und sozialen Dingen haben in den Heften
der klumMit6 ^ouvello meist, aber nicht ausschließlich, Sozia¬
listen das Wort; doch gehören nur wenige von diesen zu den
doktrinären und extremen. Wilhelm de Grecs behandelt vom
soziologischen Standpunkt aus das Geld-, Kredit- und Bank¬
wesen und gibt in der Einleitung eine Begriffserkläruug des Sozialismus, die
diesen vollkommen rechtfertigen würde, wenn sie allgemein zuträfe, „Sozialismus
ist die Reaktion der Gesamtheit gegen den Egoismus vou Personen oder
Klassen, Und zwar eine Reaktion der Gesellschaft, nicht des Staates, sofern
man unter dem Staat die Negierung versteht, denn diese kann ebensowohl
egoistisch als sozialistisch sein; sie kann persönliche und Klasseninteressen ver¬
treten, allerdings aber auch das allgemeine Interesse im Gegensatz zu Partikular¬
interessen; und das zweite hat sie oft getan. Das ist die negative Wirksam¬
keit des Sozialismus. Um zu ermitteln, was er positiv leistet, muß man
seine wesentlichen Bestrebungen von den Gestaltungen unterscheiden, die er im
Laufe seiner geschichtlichen Entwicklung, annimmt. Sein wesentliches Streben
ist, wie wir sehen werden, darauf gerichtet, die Vermögensgleichheit zu erhalten
oder wiederherzustellen und zu befestigen, dadurch das Familienleben sowie das
ästhetische, das moralische und das Rechtsleben und als die Krönung des
Ganzen die politische Selbstregierung zu sichern; alles dieses fördert zugleich
die von der Hypertrophie einzelner Glieder der Gesellschaft gefährdete persön¬
liche Freiheit." Der Verfasser zeigt ganz richtig, daß der Streit zwischen So¬
zialismus und Individualismus gcgeustandlos ist, weil beide Erscheinungen
nur Pole derselben Kraft sind, die anders als in der polaren Entzweiung gar
nicht wirken kann, sodaß wir die eine ohne die andre weder zu denken noch zu
definieren vermögen. Nur durch Abstraktion könne man ein einzelnes Lebens¬
element zum einzigen, zum absoluten machen. Darum sei auch die Form des
Sozialismus, die mau Kommunismus nenne, nur relativ, und in gewissem
Grade in den Staatseinrichtungen eigentlich immer vorhanden. Wo er sich
aber im Gegensatz zum Bestehenden geltend mache, da gehöre die Feindschaft
gegen das Geld in jeder Form zu seinen charakteristischen Eigenschaften, weil
Geld und Kredit die Vermvgensungleichheit außerordentlich fördern. Sein
soziologisches Lehrgebäude nennt der Verfasser Kontraktualismus; bei diesem Worte
dürfe man aber nicht an Rousseaus Sozialkontrakt denken. Auf der untersten
Stufe vollzögen sich die gegenseitigen Zugeständnisse als unbewußte Reflex-


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[0112] Aus einer französischen Zeitschrift mit überging, und insofern er diese Verbindung altpreußischer Straffheit mit der reichen deutschen Geistesbildung seinen Eltern verdankt, hat Curtius auch für ihn gearbeitet. Aus einer französischen Zeitschrift (Schluß) 2, Volkswirtschaft und Zozicilismus n volkswirtschaftlichen und sozialen Dingen haben in den Heften der klumMit6 ^ouvello meist, aber nicht ausschließlich, Sozia¬ listen das Wort; doch gehören nur wenige von diesen zu den doktrinären und extremen. Wilhelm de Grecs behandelt vom soziologischen Standpunkt aus das Geld-, Kredit- und Bank¬ wesen und gibt in der Einleitung eine Begriffserkläruug des Sozialismus, die diesen vollkommen rechtfertigen würde, wenn sie allgemein zuträfe, „Sozialismus ist die Reaktion der Gesamtheit gegen den Egoismus vou Personen oder Klassen, Und zwar eine Reaktion der Gesellschaft, nicht des Staates, sofern man unter dem Staat die Negierung versteht, denn diese kann ebensowohl egoistisch als sozialistisch sein; sie kann persönliche und Klasseninteressen ver¬ treten, allerdings aber auch das allgemeine Interesse im Gegensatz zu Partikular¬ interessen; und das zweite hat sie oft getan. Das ist die negative Wirksam¬ keit des Sozialismus. Um zu ermitteln, was er positiv leistet, muß man seine wesentlichen Bestrebungen von den Gestaltungen unterscheiden, die er im Laufe seiner geschichtlichen Entwicklung, annimmt. Sein wesentliches Streben ist, wie wir sehen werden, darauf gerichtet, die Vermögensgleichheit zu erhalten oder wiederherzustellen und zu befestigen, dadurch das Familienleben sowie das ästhetische, das moralische und das Rechtsleben und als die Krönung des Ganzen die politische Selbstregierung zu sichern; alles dieses fördert zugleich die von der Hypertrophie einzelner Glieder der Gesellschaft gefährdete persön¬ liche Freiheit." Der Verfasser zeigt ganz richtig, daß der Streit zwischen So¬ zialismus und Individualismus gcgeustandlos ist, weil beide Erscheinungen nur Pole derselben Kraft sind, die anders als in der polaren Entzweiung gar nicht wirken kann, sodaß wir die eine ohne die andre weder zu denken noch zu definieren vermögen. Nur durch Abstraktion könne man ein einzelnes Lebens¬ element zum einzigen, zum absoluten machen. Darum sei auch die Form des Sozialismus, die mau Kommunismus nenne, nur relativ, und in gewissem Grade in den Staatseinrichtungen eigentlich immer vorhanden. Wo er sich aber im Gegensatz zum Bestehenden geltend mache, da gehöre die Feindschaft gegen das Geld in jeder Form zu seinen charakteristischen Eigenschaften, weil Geld und Kredit die Vermvgensungleichheit außerordentlich fördern. Sein soziologisches Lehrgebäude nennt der Verfasser Kontraktualismus; bei diesem Worte dürfe man aber nicht an Rousseaus Sozialkontrakt denken. Auf der untersten Stufe vollzögen sich die gegenseitigen Zugeständnisse als unbewußte Reflex-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/112>, abgerufen am 05.05.2024.