Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

eine gute Statistik, deren Material ja gewiß in den Jahresberichten der ver-
schiednen Anstalten vorliegt, nenn Zehntel des 63 Seiten starken Literaturnach¬
weises schenken.


Heilung durch den Geist.

Über Methoden und Probleme der geistigen
Heilbehandlung belehrt uns Horatio W. Dresser in einer kleinen Schrift, von
der M. Müller bei Eugen Diederichs in Leipzig 1902 die einzig berechtigte Über¬
setzung herausgegeben hat. Der Verfasser "ist kein Ausübender des geistigen Heil¬
verfahrens, kein Anhänger irgend einer Sekte. Er ist nur ein Forscher nach Wahr¬
heit" und will nur die Ergebnisse fünfzehnjähriger Beobachtungen mitteilen. Er
stimmt der Lehre nicht bei, die unter dem Namen der Christlichen Wissenschaft
verkündigt wird. "Das geistige Heilverfahren, erzählt er, ist nicht von den An¬
hängern dieser Lehre ausgegangen, sondern von den Forschungen und der Praxis
des Dr. P. P. Quimby in Belfast, der meine Verwandte und auch Mrs. Eddy,
die Verfasserin der Schrift Wissenschaft und Gesundheit, geheilt hat. Ich habe
sämtliche Manuskripte des Dr. Quimby gelesen, die fälschlicherweise der Mrs. Eddy
zugeschrieben werden; sie sind das Ergebnis einer zwanzig Jahre langen Aus¬
übung der geistigen Heilmethode." In einer Zeit, da der Monismus den Wesens-
uuterschied von Körper und Geist aufhebt, in diesen Tagen, wo wir die Wunder
der drahtlosen Telegraphie und der alle Scheidewände durchdringenden Nadium-
strahlen anstaunen, wo wir alle Tage neue Wirkungen von Geist und Körper
kennen lernen, eben darum aber gestehn müssen, daß wir von Tag zu Tag weniger
wissen, was der Geist und was die Materie ist, in einer solchen Zeit ist es nicht
erlaubt, die neue wissenschaftliche Mystik, deren erste Begründer der Prophet des
Ob und Du Pret gewesen sind, schlechthin für Unsinn zu erklären. Wir dürfen
das um so weniger, seitdem Charcot und seiue Schüler Fälle vou Heilungen durch
den religiösen Glauben -- durch Autosuggestion, nennt es die moderne Wissen¬
schaft -- beobachtet haben, und wir müssen uns den Tatsachen dieses Gebietes
gegenüber darauf beschränken, bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern, daß auf
diesem Gebiete die Gefahr der Selbsttäuschung groß, die Täuschung andrer leicht,
darum äußerste skeptische Zurückhaltung und Vorsicht geboten ist. Dresser führt
alle Erscheinungen auf Schwingungen und Anpassungen zurück und nimmt u. a.
die Analogie eines Klaviers zu Hilfe, dessen Saiten mitschwingen, wenn die eines
benachbarten von den Hämmern getroffen werden. Er ist entschiedner Gegner des
positiven Christentums und wie alle modernen Mystiker Anhänger der monistischen
Entwicklungstheorie, die er zur Begründung seiner eignen Welt- und Lebensansicht
verwendet. "Krankheit ist die Wirkung einer falschen geistige" und physischen
Lebensführung" und kann nur durch deren Änderung gehoben werden. "Die Ent¬
wicklung keimt kein früheres goldnes Zeitalter. Was sie uns zu sagen gestattet,
ist, daß die Anstrengungen der Gegenwart eine bessere Zukunft herbeiführen können.
Die heutige" Ideale werde" als Wirklichkeiten, das tägliche Brot des morgigen
Geschlechts sein." Das jenseitige Absolute ist eine Fabel, die Wirklichkeit ist Gott.
We"n die Ausüber des geistigen Heilverfahrens die Kranken zu überreden suchen,
daß ihr Leiden, daß überhaupt das Übel, das Böse bloße Einbildung sei und mit
dieser Einbildung verschwinde, so ist das falsch. Das Böse ist ein Bestandteil der
Wirklichkeit und muß durch die Wiederherstellung der gestörten Harmonie vernichtet
werden. Das Mittel der Wiederherstellung ist das Gebet, worunter jedoch nichts
andres verstanden werden darf als die Erhebung des Gemüts zum Ideal. Im
Schlüsse heißt es, der Körper sei schwerfälliger und reagiere langsamer auf An¬
regungen als der Geist, darum müsse man Geduld mit ihm haben, sich den Ge¬
setzen der physischen Natur anpassen, keinen Zwang auf ihn üben wollen. "Lerne
von deinem Körper, schreite in seinem Rhythmus vorwärts öder Herr Professor
haben gut reden, wird der Rekrut auf dem Marsch oder auf dem Kasernenhofe sagen;
hier gilt ein andrer Rhythmus^. Die Hälfte unsrer Leiden wird durch unsre Un¬
geduld verursacht. In einfacher Ruhe, in der Ruhe unsrer Nerven liegt eine un¬
endliche Hilfsquelle."


Maßgebliches und Unmaßgebliches

eine gute Statistik, deren Material ja gewiß in den Jahresberichten der ver-
schiednen Anstalten vorliegt, nenn Zehntel des 63 Seiten starken Literaturnach¬
weises schenken.


Heilung durch den Geist.

Über Methoden und Probleme der geistigen
Heilbehandlung belehrt uns Horatio W. Dresser in einer kleinen Schrift, von
der M. Müller bei Eugen Diederichs in Leipzig 1902 die einzig berechtigte Über¬
setzung herausgegeben hat. Der Verfasser „ist kein Ausübender des geistigen Heil¬
verfahrens, kein Anhänger irgend einer Sekte. Er ist nur ein Forscher nach Wahr¬
heit" und will nur die Ergebnisse fünfzehnjähriger Beobachtungen mitteilen. Er
stimmt der Lehre nicht bei, die unter dem Namen der Christlichen Wissenschaft
verkündigt wird. „Das geistige Heilverfahren, erzählt er, ist nicht von den An¬
hängern dieser Lehre ausgegangen, sondern von den Forschungen und der Praxis
des Dr. P. P. Quimby in Belfast, der meine Verwandte und auch Mrs. Eddy,
die Verfasserin der Schrift Wissenschaft und Gesundheit, geheilt hat. Ich habe
sämtliche Manuskripte des Dr. Quimby gelesen, die fälschlicherweise der Mrs. Eddy
zugeschrieben werden; sie sind das Ergebnis einer zwanzig Jahre langen Aus¬
übung der geistigen Heilmethode." In einer Zeit, da der Monismus den Wesens-
uuterschied von Körper und Geist aufhebt, in diesen Tagen, wo wir die Wunder
der drahtlosen Telegraphie und der alle Scheidewände durchdringenden Nadium-
strahlen anstaunen, wo wir alle Tage neue Wirkungen von Geist und Körper
kennen lernen, eben darum aber gestehn müssen, daß wir von Tag zu Tag weniger
wissen, was der Geist und was die Materie ist, in einer solchen Zeit ist es nicht
erlaubt, die neue wissenschaftliche Mystik, deren erste Begründer der Prophet des
Ob und Du Pret gewesen sind, schlechthin für Unsinn zu erklären. Wir dürfen
das um so weniger, seitdem Charcot und seiue Schüler Fälle vou Heilungen durch
den religiösen Glauben — durch Autosuggestion, nennt es die moderne Wissen¬
schaft — beobachtet haben, und wir müssen uns den Tatsachen dieses Gebietes
gegenüber darauf beschränken, bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern, daß auf
diesem Gebiete die Gefahr der Selbsttäuschung groß, die Täuschung andrer leicht,
darum äußerste skeptische Zurückhaltung und Vorsicht geboten ist. Dresser führt
alle Erscheinungen auf Schwingungen und Anpassungen zurück und nimmt u. a.
die Analogie eines Klaviers zu Hilfe, dessen Saiten mitschwingen, wenn die eines
benachbarten von den Hämmern getroffen werden. Er ist entschiedner Gegner des
positiven Christentums und wie alle modernen Mystiker Anhänger der monistischen
Entwicklungstheorie, die er zur Begründung seiner eignen Welt- und Lebensansicht
verwendet. „Krankheit ist die Wirkung einer falschen geistige» und physischen
Lebensführung" und kann nur durch deren Änderung gehoben werden. „Die Ent¬
wicklung keimt kein früheres goldnes Zeitalter. Was sie uns zu sagen gestattet,
ist, daß die Anstrengungen der Gegenwart eine bessere Zukunft herbeiführen können.
Die heutige» Ideale werde» als Wirklichkeiten, das tägliche Brot des morgigen
Geschlechts sein." Das jenseitige Absolute ist eine Fabel, die Wirklichkeit ist Gott.
We»n die Ausüber des geistigen Heilverfahrens die Kranken zu überreden suchen,
daß ihr Leiden, daß überhaupt das Übel, das Böse bloße Einbildung sei und mit
dieser Einbildung verschwinde, so ist das falsch. Das Böse ist ein Bestandteil der
Wirklichkeit und muß durch die Wiederherstellung der gestörten Harmonie vernichtet
werden. Das Mittel der Wiederherstellung ist das Gebet, worunter jedoch nichts
andres verstanden werden darf als die Erhebung des Gemüts zum Ideal. Im
Schlüsse heißt es, der Körper sei schwerfälliger und reagiere langsamer auf An¬
regungen als der Geist, darum müsse man Geduld mit ihm haben, sich den Ge¬
setzen der physischen Natur anpassen, keinen Zwang auf ihn üben wollen. „Lerne
von deinem Körper, schreite in seinem Rhythmus vorwärts öder Herr Professor
haben gut reden, wird der Rekrut auf dem Marsch oder auf dem Kasernenhofe sagen;
hier gilt ein andrer Rhythmus^. Die Hälfte unsrer Leiden wird durch unsre Un¬
geduld verursacht. In einfacher Ruhe, in der Ruhe unsrer Nerven liegt eine un¬
endliche Hilfsquelle."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242212"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_445" prev="#ID_444"> eine gute Statistik, deren Material ja gewiß in den Jahresberichten der ver-<lb/>
schiednen Anstalten vorliegt, nenn Zehntel des 63 Seiten starken Literaturnach¬<lb/>
weises schenken.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Heilung durch den Geist.</head>
            <p xml:id="ID_446"> Über Methoden und Probleme der geistigen<lb/>
Heilbehandlung belehrt uns Horatio W. Dresser in einer kleinen Schrift, von<lb/>
der M. Müller bei Eugen Diederichs in Leipzig 1902 die einzig berechtigte Über¬<lb/>
setzung herausgegeben hat. Der Verfasser &#x201E;ist kein Ausübender des geistigen Heil¬<lb/>
verfahrens, kein Anhänger irgend einer Sekte. Er ist nur ein Forscher nach Wahr¬<lb/>
heit" und will nur die Ergebnisse fünfzehnjähriger Beobachtungen mitteilen. Er<lb/>
stimmt der Lehre nicht bei, die unter dem Namen der Christlichen Wissenschaft<lb/>
verkündigt wird. &#x201E;Das geistige Heilverfahren, erzählt er, ist nicht von den An¬<lb/>
hängern dieser Lehre ausgegangen, sondern von den Forschungen und der Praxis<lb/>
des Dr. P. P. Quimby in Belfast, der meine Verwandte und auch Mrs. Eddy,<lb/>
die Verfasserin der Schrift Wissenschaft und Gesundheit, geheilt hat. Ich habe<lb/>
sämtliche Manuskripte des Dr. Quimby gelesen, die fälschlicherweise der Mrs. Eddy<lb/>
zugeschrieben werden; sie sind das Ergebnis einer zwanzig Jahre langen Aus¬<lb/>
übung der geistigen Heilmethode." In einer Zeit, da der Monismus den Wesens-<lb/>
uuterschied von Körper und Geist aufhebt, in diesen Tagen, wo wir die Wunder<lb/>
der drahtlosen Telegraphie und der alle Scheidewände durchdringenden Nadium-<lb/>
strahlen anstaunen, wo wir alle Tage neue Wirkungen von Geist und Körper<lb/>
kennen lernen, eben darum aber gestehn müssen, daß wir von Tag zu Tag weniger<lb/>
wissen, was der Geist und was die Materie ist, in einer solchen Zeit ist es nicht<lb/>
erlaubt, die neue wissenschaftliche Mystik, deren erste Begründer der Prophet des<lb/>
Ob und Du Pret gewesen sind, schlechthin für Unsinn zu erklären. Wir dürfen<lb/>
das um so weniger, seitdem Charcot und seiue Schüler Fälle vou Heilungen durch<lb/>
den religiösen Glauben &#x2014; durch Autosuggestion, nennt es die moderne Wissen¬<lb/>
schaft &#x2014; beobachtet haben, und wir müssen uns den Tatsachen dieses Gebietes<lb/>
gegenüber darauf beschränken, bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern, daß auf<lb/>
diesem Gebiete die Gefahr der Selbsttäuschung groß, die Täuschung andrer leicht,<lb/>
darum äußerste skeptische Zurückhaltung und Vorsicht geboten ist. Dresser führt<lb/>
alle Erscheinungen auf Schwingungen und Anpassungen zurück und nimmt u. a.<lb/>
die Analogie eines Klaviers zu Hilfe, dessen Saiten mitschwingen, wenn die eines<lb/>
benachbarten von den Hämmern getroffen werden. Er ist entschiedner Gegner des<lb/>
positiven Christentums und wie alle modernen Mystiker Anhänger der monistischen<lb/>
Entwicklungstheorie, die er zur Begründung seiner eignen Welt- und Lebensansicht<lb/>
verwendet. &#x201E;Krankheit ist die Wirkung einer falschen geistige» und physischen<lb/>
Lebensführung" und kann nur durch deren Änderung gehoben werden. &#x201E;Die Ent¬<lb/>
wicklung keimt kein früheres goldnes Zeitalter. Was sie uns zu sagen gestattet,<lb/>
ist, daß die Anstrengungen der Gegenwart eine bessere Zukunft herbeiführen können.<lb/>
Die heutige» Ideale werde» als Wirklichkeiten, das tägliche Brot des morgigen<lb/>
Geschlechts sein." Das jenseitige Absolute ist eine Fabel, die Wirklichkeit ist Gott.<lb/>
We»n die Ausüber des geistigen Heilverfahrens die Kranken zu überreden suchen,<lb/>
daß ihr Leiden, daß überhaupt das Übel, das Böse bloße Einbildung sei und mit<lb/>
dieser Einbildung verschwinde, so ist das falsch. Das Böse ist ein Bestandteil der<lb/>
Wirklichkeit und muß durch die Wiederherstellung der gestörten Harmonie vernichtet<lb/>
werden. Das Mittel der Wiederherstellung ist das Gebet, worunter jedoch nichts<lb/>
andres verstanden werden darf als die Erhebung des Gemüts zum Ideal. Im<lb/>
Schlüsse heißt es, der Körper sei schwerfälliger und reagiere langsamer auf An¬<lb/>
regungen als der Geist, darum müsse man Geduld mit ihm haben, sich den Ge¬<lb/>
setzen der physischen Natur anpassen, keinen Zwang auf ihn üben wollen. &#x201E;Lerne<lb/>
von deinem Körper, schreite in seinem Rhythmus vorwärts öder Herr Professor<lb/>
haben gut reden, wird der Rekrut auf dem Marsch oder auf dem Kasernenhofe sagen;<lb/>
hier gilt ein andrer Rhythmus^. Die Hälfte unsrer Leiden wird durch unsre Un¬<lb/>
geduld verursacht. In einfacher Ruhe, in der Ruhe unsrer Nerven liegt eine un¬<lb/>
endliche Hilfsquelle."</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Maßgebliches und Unmaßgebliches eine gute Statistik, deren Material ja gewiß in den Jahresberichten der ver- schiednen Anstalten vorliegt, nenn Zehntel des 63 Seiten starken Literaturnach¬ weises schenken. Heilung durch den Geist. Über Methoden und Probleme der geistigen Heilbehandlung belehrt uns Horatio W. Dresser in einer kleinen Schrift, von der M. Müller bei Eugen Diederichs in Leipzig 1902 die einzig berechtigte Über¬ setzung herausgegeben hat. Der Verfasser „ist kein Ausübender des geistigen Heil¬ verfahrens, kein Anhänger irgend einer Sekte. Er ist nur ein Forscher nach Wahr¬ heit" und will nur die Ergebnisse fünfzehnjähriger Beobachtungen mitteilen. Er stimmt der Lehre nicht bei, die unter dem Namen der Christlichen Wissenschaft verkündigt wird. „Das geistige Heilverfahren, erzählt er, ist nicht von den An¬ hängern dieser Lehre ausgegangen, sondern von den Forschungen und der Praxis des Dr. P. P. Quimby in Belfast, der meine Verwandte und auch Mrs. Eddy, die Verfasserin der Schrift Wissenschaft und Gesundheit, geheilt hat. Ich habe sämtliche Manuskripte des Dr. Quimby gelesen, die fälschlicherweise der Mrs. Eddy zugeschrieben werden; sie sind das Ergebnis einer zwanzig Jahre langen Aus¬ übung der geistigen Heilmethode." In einer Zeit, da der Monismus den Wesens- uuterschied von Körper und Geist aufhebt, in diesen Tagen, wo wir die Wunder der drahtlosen Telegraphie und der alle Scheidewände durchdringenden Nadium- strahlen anstaunen, wo wir alle Tage neue Wirkungen von Geist und Körper kennen lernen, eben darum aber gestehn müssen, daß wir von Tag zu Tag weniger wissen, was der Geist und was die Materie ist, in einer solchen Zeit ist es nicht erlaubt, die neue wissenschaftliche Mystik, deren erste Begründer der Prophet des Ob und Du Pret gewesen sind, schlechthin für Unsinn zu erklären. Wir dürfen das um so weniger, seitdem Charcot und seiue Schüler Fälle vou Heilungen durch den religiösen Glauben — durch Autosuggestion, nennt es die moderne Wissen¬ schaft — beobachtet haben, und wir müssen uns den Tatsachen dieses Gebietes gegenüber darauf beschränken, bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern, daß auf diesem Gebiete die Gefahr der Selbsttäuschung groß, die Täuschung andrer leicht, darum äußerste skeptische Zurückhaltung und Vorsicht geboten ist. Dresser führt alle Erscheinungen auf Schwingungen und Anpassungen zurück und nimmt u. a. die Analogie eines Klaviers zu Hilfe, dessen Saiten mitschwingen, wenn die eines benachbarten von den Hämmern getroffen werden. Er ist entschiedner Gegner des positiven Christentums und wie alle modernen Mystiker Anhänger der monistischen Entwicklungstheorie, die er zur Begründung seiner eignen Welt- und Lebensansicht verwendet. „Krankheit ist die Wirkung einer falschen geistige» und physischen Lebensführung" und kann nur durch deren Änderung gehoben werden. „Die Ent¬ wicklung keimt kein früheres goldnes Zeitalter. Was sie uns zu sagen gestattet, ist, daß die Anstrengungen der Gegenwart eine bessere Zukunft herbeiführen können. Die heutige» Ideale werde» als Wirklichkeiten, das tägliche Brot des morgigen Geschlechts sein." Das jenseitige Absolute ist eine Fabel, die Wirklichkeit ist Gott. We»n die Ausüber des geistigen Heilverfahrens die Kranken zu überreden suchen, daß ihr Leiden, daß überhaupt das Übel, das Böse bloße Einbildung sei und mit dieser Einbildung verschwinde, so ist das falsch. Das Böse ist ein Bestandteil der Wirklichkeit und muß durch die Wiederherstellung der gestörten Harmonie vernichtet werden. Das Mittel der Wiederherstellung ist das Gebet, worunter jedoch nichts andres verstanden werden darf als die Erhebung des Gemüts zum Ideal. Im Schlüsse heißt es, der Körper sei schwerfälliger und reagiere langsamer auf An¬ regungen als der Geist, darum müsse man Geduld mit ihm haben, sich den Ge¬ setzen der physischen Natur anpassen, keinen Zwang auf ihn üben wollen. „Lerne von deinem Körper, schreite in seinem Rhythmus vorwärts öder Herr Professor haben gut reden, wird der Rekrut auf dem Marsch oder auf dem Kasernenhofe sagen; hier gilt ein andrer Rhythmus^. Die Hälfte unsrer Leiden wird durch unsre Un¬ geduld verursacht. In einfacher Ruhe, in der Ruhe unsrer Nerven liegt eine un¬ endliche Hilfsquelle."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/145>, abgerufen am 05.05.2024.