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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

fcssor Lücke 1843 zum erstenmal gebraucht, und die wesentlichen Einrichtungen:
Kindcranstalt, Brüdcranstnlt, Innere Mission im engern Sinne hat bekanntlich
Johann Heinrich Wiehern geschaffen. Dem geschichtlichen Teile, der zahlreiche bio¬
graphische Skizzen enthält, reiht sich als zweiter und Hnnptteil die Beschreibung
des gegenwärtigen Bestandes der Innern Mission an. Wie reich sich deren Tätig¬
keit entfaltet hat, bezeugen schon die Kapitelüberschriften. Auf die "Evangelisation,"
zu der auch die Veranstaltungen für Volksbildung und Volksnnterhaltung gerechnet
werden, und die Gemeinschaftspflege folgen Erziehung und Unterricht von Kindern
mit sechs, Erziehung und Bewahrung der Jugend mit neun verschiednen Arten von
Anstalten und Vereinen, dann die Bewahrung der Gefährdeten, die Rettung der
Verlornen, die Pflege der Gebrechlichen und der Kranken, der Kampf gegen soziale
Notstände mit zusammen 26 verschiednen Einrichtungen.

Die Geguer, deren einflußreichste auf der einen Seite die Vertreter der
Gartenlanbenhumanitcit, auf der andern die Sozialdemokraten sind, werfen der
Innern Mission vor, daß sie die Liebestätigkeit nur als Mittel für kirchliche Zwecke
übe, und daß sie die Pfleglinge ihrer Wohltätigkeitsanstalten mit Bigotterie und
Pietisterei nicht allein quäle, sondern auch, sofern es sich um erziehuugsbedürftigc
handelt, verbitte, wo nicht zugrunde richte. Jedoch wo Mißgriffe vorkommen, die
den zweiten Vorwurf rechtfertigen, entstammen sie dem Unverstand untergeordneter
Organe, nicht den Absichten der Leiter und dem Geiste des Instituts. Schäfer
hebt in der Beschreibung aller Arten von Kinder- und Jugeudaustalten als not¬
wendig hervor, daß es darin fröhlich zugehn müsse. Von der Herberge zur Heimat
sagt er, sie solle ein gutes christliches Gasthaus, keine Bekehrungsanstalt sein. "Was
an geistlichem Einfluß möglich ist, darf nur soweit wie in jedem christlichen Hause
sich geltend machen: vor allem dadurch, daß man es den Reisenden so gut gibt und
so behaglich macht, wie für billiges Geld möglich ist. Wehe, wenn man das Christen¬
tum nur an der Hnusiuschrift merkt, nicht aber auch an der vollen Schüssel, dem
reinlichen Bett! Sodann dadurch, daß sich der Hausvater um das Wohl und Wehe
seiner Gäste mit Teilnahme kümmert, ihnen persönlich nahe kommt, sich mit ihnen
unterhält, sie berät. Endlich durch Bewahrung vor den, Laster durch die christ¬
liche Hausordnung, die jede ernste Versuchung fernhält, und durch die Einladung
zur Morgen- und Abendandacht, der Folge zu leisten niemand gezwungen wird."
Und in dem Abschnitt über die Behandlung der verwahrlosten Kinder heißt es:
"Eine große Gefahr bei ihrer Erziehung ist das Anpredigen, viele christliche Worte
machen. Man spreche wenig, handle konsequent, voll Liebe -- das wirkt mehr."
Die Züchtigungen, wo sie notwendig sind, sollen nicht zuchthausmäßig sein, sondern
den Sitten des christlichen Hauses entsprechen.

Der erste Vorwurf ist insofern begründet, als die Innere Mission offen be¬
kennt, daß ihr das Heil der Seelen über alles gehe, die Wiedergewinnung der der
Kirche Entfremdeten ihr Hauptzweck, die nnßerkirchliche Verkündigung des Gottes-
worls ihr vornehmstes Mittel und alle Liebcstätigkeit nur ein Mittel zweiter
Ordnung sei. Aber das Elend in seinen hunderterlei Gestalten ist nnn einmal
vorhanden, und wenn sich für Tausende von Hilfsbedürftigen keine andern Retter
finden, als die durch religiöse Beweggründe getriebnen, will man jene lieber um¬
kommen als durch Pietisten retten lassen? Die Innere Mission hat in Deutsch¬
land 400 Rcttuugshduser für 14000 Kinder begründet. Ist das nicht eine gro߬
artige und unbedingt dankenswerte Leistung? Am wenigsten sind Zcitnngschreibcr
dagegen zu eifern berechtigt, deren Humanität sich nnr im Geschwätz äußert, nicht
in persönlichen Opfern bewährt. Die dort angegebne Zahl erinnert uns an einen
Mangel des Buches: sie steht so ziemlich allein. Statistische Nachweise der Wirk¬
samkeit der Missionare und ihrer Erfolge fehlen gänzlich, und das macht arg¬
wöhnisch in unsrer statistisch exakten Zeit. Freilich ist das Buch nur für die
Diakonen und Diakonissen geschrieben. Aber wenn der Verfasser den guten Ruf
der Jnnern Mission fördern will, den sie doch nicht entbehren kann, dann muß
er wünschen, daß es auch Außenstehende lesen, und solche würden ihm gern für


Maßgebliches und Unmaßgebliches

fcssor Lücke 1843 zum erstenmal gebraucht, und die wesentlichen Einrichtungen:
Kindcranstalt, Brüdcranstnlt, Innere Mission im engern Sinne hat bekanntlich
Johann Heinrich Wiehern geschaffen. Dem geschichtlichen Teile, der zahlreiche bio¬
graphische Skizzen enthält, reiht sich als zweiter und Hnnptteil die Beschreibung
des gegenwärtigen Bestandes der Innern Mission an. Wie reich sich deren Tätig¬
keit entfaltet hat, bezeugen schon die Kapitelüberschriften. Auf die „Evangelisation,"
zu der auch die Veranstaltungen für Volksbildung und Volksnnterhaltung gerechnet
werden, und die Gemeinschaftspflege folgen Erziehung und Unterricht von Kindern
mit sechs, Erziehung und Bewahrung der Jugend mit neun verschiednen Arten von
Anstalten und Vereinen, dann die Bewahrung der Gefährdeten, die Rettung der
Verlornen, die Pflege der Gebrechlichen und der Kranken, der Kampf gegen soziale
Notstände mit zusammen 26 verschiednen Einrichtungen.

Die Geguer, deren einflußreichste auf der einen Seite die Vertreter der
Gartenlanbenhumanitcit, auf der andern die Sozialdemokraten sind, werfen der
Innern Mission vor, daß sie die Liebestätigkeit nur als Mittel für kirchliche Zwecke
übe, und daß sie die Pfleglinge ihrer Wohltätigkeitsanstalten mit Bigotterie und
Pietisterei nicht allein quäle, sondern auch, sofern es sich um erziehuugsbedürftigc
handelt, verbitte, wo nicht zugrunde richte. Jedoch wo Mißgriffe vorkommen, die
den zweiten Vorwurf rechtfertigen, entstammen sie dem Unverstand untergeordneter
Organe, nicht den Absichten der Leiter und dem Geiste des Instituts. Schäfer
hebt in der Beschreibung aller Arten von Kinder- und Jugeudaustalten als not¬
wendig hervor, daß es darin fröhlich zugehn müsse. Von der Herberge zur Heimat
sagt er, sie solle ein gutes christliches Gasthaus, keine Bekehrungsanstalt sein. „Was
an geistlichem Einfluß möglich ist, darf nur soweit wie in jedem christlichen Hause
sich geltend machen: vor allem dadurch, daß man es den Reisenden so gut gibt und
so behaglich macht, wie für billiges Geld möglich ist. Wehe, wenn man das Christen¬
tum nur an der Hnusiuschrift merkt, nicht aber auch an der vollen Schüssel, dem
reinlichen Bett! Sodann dadurch, daß sich der Hausvater um das Wohl und Wehe
seiner Gäste mit Teilnahme kümmert, ihnen persönlich nahe kommt, sich mit ihnen
unterhält, sie berät. Endlich durch Bewahrung vor den, Laster durch die christ¬
liche Hausordnung, die jede ernste Versuchung fernhält, und durch die Einladung
zur Morgen- und Abendandacht, der Folge zu leisten niemand gezwungen wird."
Und in dem Abschnitt über die Behandlung der verwahrlosten Kinder heißt es:
„Eine große Gefahr bei ihrer Erziehung ist das Anpredigen, viele christliche Worte
machen. Man spreche wenig, handle konsequent, voll Liebe — das wirkt mehr."
Die Züchtigungen, wo sie notwendig sind, sollen nicht zuchthausmäßig sein, sondern
den Sitten des christlichen Hauses entsprechen.

Der erste Vorwurf ist insofern begründet, als die Innere Mission offen be¬
kennt, daß ihr das Heil der Seelen über alles gehe, die Wiedergewinnung der der
Kirche Entfremdeten ihr Hauptzweck, die nnßerkirchliche Verkündigung des Gottes-
worls ihr vornehmstes Mittel und alle Liebcstätigkeit nur ein Mittel zweiter
Ordnung sei. Aber das Elend in seinen hunderterlei Gestalten ist nnn einmal
vorhanden, und wenn sich für Tausende von Hilfsbedürftigen keine andern Retter
finden, als die durch religiöse Beweggründe getriebnen, will man jene lieber um¬
kommen als durch Pietisten retten lassen? Die Innere Mission hat in Deutsch¬
land 400 Rcttuugshduser für 14000 Kinder begründet. Ist das nicht eine gro߬
artige und unbedingt dankenswerte Leistung? Am wenigsten sind Zcitnngschreibcr
dagegen zu eifern berechtigt, deren Humanität sich nnr im Geschwätz äußert, nicht
in persönlichen Opfern bewährt. Die dort angegebne Zahl erinnert uns an einen
Mangel des Buches: sie steht so ziemlich allein. Statistische Nachweise der Wirk¬
samkeit der Missionare und ihrer Erfolge fehlen gänzlich, und das macht arg¬
wöhnisch in unsrer statistisch exakten Zeit. Freilich ist das Buch nur für die
Diakonen und Diakonissen geschrieben. Aber wenn der Verfasser den guten Ruf
der Jnnern Mission fördern will, den sie doch nicht entbehren kann, dann muß
er wünschen, daß es auch Außenstehende lesen, und solche würden ihm gern für


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[0144] Maßgebliches und Unmaßgebliches fcssor Lücke 1843 zum erstenmal gebraucht, und die wesentlichen Einrichtungen: Kindcranstalt, Brüdcranstnlt, Innere Mission im engern Sinne hat bekanntlich Johann Heinrich Wiehern geschaffen. Dem geschichtlichen Teile, der zahlreiche bio¬ graphische Skizzen enthält, reiht sich als zweiter und Hnnptteil die Beschreibung des gegenwärtigen Bestandes der Innern Mission an. Wie reich sich deren Tätig¬ keit entfaltet hat, bezeugen schon die Kapitelüberschriften. Auf die „Evangelisation," zu der auch die Veranstaltungen für Volksbildung und Volksnnterhaltung gerechnet werden, und die Gemeinschaftspflege folgen Erziehung und Unterricht von Kindern mit sechs, Erziehung und Bewahrung der Jugend mit neun verschiednen Arten von Anstalten und Vereinen, dann die Bewahrung der Gefährdeten, die Rettung der Verlornen, die Pflege der Gebrechlichen und der Kranken, der Kampf gegen soziale Notstände mit zusammen 26 verschiednen Einrichtungen. Die Geguer, deren einflußreichste auf der einen Seite die Vertreter der Gartenlanbenhumanitcit, auf der andern die Sozialdemokraten sind, werfen der Innern Mission vor, daß sie die Liebestätigkeit nur als Mittel für kirchliche Zwecke übe, und daß sie die Pfleglinge ihrer Wohltätigkeitsanstalten mit Bigotterie und Pietisterei nicht allein quäle, sondern auch, sofern es sich um erziehuugsbedürftigc handelt, verbitte, wo nicht zugrunde richte. Jedoch wo Mißgriffe vorkommen, die den zweiten Vorwurf rechtfertigen, entstammen sie dem Unverstand untergeordneter Organe, nicht den Absichten der Leiter und dem Geiste des Instituts. Schäfer hebt in der Beschreibung aller Arten von Kinder- und Jugeudaustalten als not¬ wendig hervor, daß es darin fröhlich zugehn müsse. Von der Herberge zur Heimat sagt er, sie solle ein gutes christliches Gasthaus, keine Bekehrungsanstalt sein. „Was an geistlichem Einfluß möglich ist, darf nur soweit wie in jedem christlichen Hause sich geltend machen: vor allem dadurch, daß man es den Reisenden so gut gibt und so behaglich macht, wie für billiges Geld möglich ist. Wehe, wenn man das Christen¬ tum nur an der Hnusiuschrift merkt, nicht aber auch an der vollen Schüssel, dem reinlichen Bett! Sodann dadurch, daß sich der Hausvater um das Wohl und Wehe seiner Gäste mit Teilnahme kümmert, ihnen persönlich nahe kommt, sich mit ihnen unterhält, sie berät. Endlich durch Bewahrung vor den, Laster durch die christ¬ liche Hausordnung, die jede ernste Versuchung fernhält, und durch die Einladung zur Morgen- und Abendandacht, der Folge zu leisten niemand gezwungen wird." Und in dem Abschnitt über die Behandlung der verwahrlosten Kinder heißt es: „Eine große Gefahr bei ihrer Erziehung ist das Anpredigen, viele christliche Worte machen. Man spreche wenig, handle konsequent, voll Liebe — das wirkt mehr." Die Züchtigungen, wo sie notwendig sind, sollen nicht zuchthausmäßig sein, sondern den Sitten des christlichen Hauses entsprechen. Der erste Vorwurf ist insofern begründet, als die Innere Mission offen be¬ kennt, daß ihr das Heil der Seelen über alles gehe, die Wiedergewinnung der der Kirche Entfremdeten ihr Hauptzweck, die nnßerkirchliche Verkündigung des Gottes- worls ihr vornehmstes Mittel und alle Liebcstätigkeit nur ein Mittel zweiter Ordnung sei. Aber das Elend in seinen hunderterlei Gestalten ist nnn einmal vorhanden, und wenn sich für Tausende von Hilfsbedürftigen keine andern Retter finden, als die durch religiöse Beweggründe getriebnen, will man jene lieber um¬ kommen als durch Pietisten retten lassen? Die Innere Mission hat in Deutsch¬ land 400 Rcttuugshduser für 14000 Kinder begründet. Ist das nicht eine gro߬ artige und unbedingt dankenswerte Leistung? Am wenigsten sind Zcitnngschreibcr dagegen zu eifern berechtigt, deren Humanität sich nnr im Geschwätz äußert, nicht in persönlichen Opfern bewährt. Die dort angegebne Zahl erinnert uns an einen Mangel des Buches: sie steht so ziemlich allein. Statistische Nachweise der Wirk¬ samkeit der Missionare und ihrer Erfolge fehlen gänzlich, und das macht arg¬ wöhnisch in unsrer statistisch exakten Zeit. Freilich ist das Buch nur für die Diakonen und Diakonissen geschrieben. Aber wenn der Verfasser den guten Ruf der Jnnern Mission fördern will, den sie doch nicht entbehren kann, dann muß er wünschen, daß es auch Außenstehende lesen, und solche würden ihm gern für

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/144>, abgerufen am 18.05.2024.