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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Straßburger Bilder

Der Minister widersprach dem sofort und bestimmt; er erklärte, nur einer Aus¬
setzung der Beschlußfassung über den beantragten Zusatz zu Artikel 1 hätte er
das Wort geredet. Das war deutlich und nicht mehr in diplomatische Phra¬
seologie eingehüllt. Da verstand auch Pilaski, was die Negierung wirklich
sann. Eilig wollte er seinen Antrag wieder aufnehmen. Der Präsident lehnte
das als unzulässig ab, weil die Diskussion geschlossen wäre. Gewiß, der Präsident
hatte Recht. Jedoch, nur kurze Zeit vorher hatte derselbe Präsident in der¬
selben Sitzung andern Abgeordneten zuliebe die Diskussion, die auch schon
geschlossen gewesen war, von neuem eröffnet und nachträglich noch mehrfach und
lange zur Sache sprechen lassen. Hat er im Falle Pilaski anders gehandelt,
so hat er, wie sein vorhergehendes Verfahren beweist, das nicht aus geschäfts-
ordnuugsmäßiger Überzeugung getan, sondern aus anderen Grunde, und dieser
Grund kann nur sachlicher Widerwille gegen deu Antrag Pilaski gewesen sein.
Den Präsidenten hat die Kammer gewähren lassen; sie hat also sein die Polen
schädigendes und uicht unparteiisches Vorgehen gebilligt, und dafür kann auch
nur derselbe Grund wie beim Präsidenten bestimmend gewesen sein. Tatsäch¬
lich hat sie unmittelbar nach dem Intermezzo zwischen dem Präsidenten und
Pilaski den Artikel 1 kurzweg in der Regieruugsfassung angenommen. Aus
der ganzen Verhandlung ergibt sich, von andern: abgesehen, mit unanfechtbarer
Gewißheit zunächst das Eine, daß sowohl die Regierung wie die überwältigende
deutsche Mehrheit der Ersten Kammer die Polensache, der sie dem Anschein
nach höchstens eine untergeordnete Berücksichtigung und Regelung im Rahmen
eines Proviuzialstatuts angedeihen lassen wollten, in keiner Weise einer ma߬
gebenden Beratung und Beschlußfassung vom Range der politischen Bedeutung der
allgemeinen verfassungsrechtlichen Erörterungen über die großen Fragen der
öffentlichen Angelegenheiten Gesamtpreußens für würdig oder auch nur ge¬
eignet erachteten. folgt)




Htraßburger Bilder

>b Straßburg jemals in den Ruf der "wunderschönen Stadt" gelangt
sein würde, wenn es sein Münster nicht hätte, kann man wohl be¬
zweifeln, denn die engen und winkligen Straßen der alten Stadt
bestehn meist aus ziemlich unregelmäßigen Reihen engbrüstiger Häuser,
die nur durch einige interessante öffentliche Bauten und hier und da
I durch die Umfassungsmauern eines größern Patrizierhauses oder eines
Klosters unterbrochen werden. Aber in den neuen Stadtteilen, die seit der 188V
begonnenen Erweiterung der Umwallung erbaut sind, sind nicht nur herrliche breite
Straßen und große denn- und blumengeschmückte Plätze, stattliche stilvolle Monu¬
mentalbauten, vornehm stille schöne Villenreihen entstanden, sondern, was mehr sagen
will, auch geschickte Gruppierungen und sehr geschmackvolle Gesamtanlagen, sodaß
man wirklich von einem schönen Städtebild reden kann. Wenn ich z. B. an einem
Sommerabend die Freitreppe der Universität hinabgehe, vor mir den großen dann-


Straßburger Bilder

Der Minister widersprach dem sofort und bestimmt; er erklärte, nur einer Aus¬
setzung der Beschlußfassung über den beantragten Zusatz zu Artikel 1 hätte er
das Wort geredet. Das war deutlich und nicht mehr in diplomatische Phra¬
seologie eingehüllt. Da verstand auch Pilaski, was die Negierung wirklich
sann. Eilig wollte er seinen Antrag wieder aufnehmen. Der Präsident lehnte
das als unzulässig ab, weil die Diskussion geschlossen wäre. Gewiß, der Präsident
hatte Recht. Jedoch, nur kurze Zeit vorher hatte derselbe Präsident in der¬
selben Sitzung andern Abgeordneten zuliebe die Diskussion, die auch schon
geschlossen gewesen war, von neuem eröffnet und nachträglich noch mehrfach und
lange zur Sache sprechen lassen. Hat er im Falle Pilaski anders gehandelt,
so hat er, wie sein vorhergehendes Verfahren beweist, das nicht aus geschäfts-
ordnuugsmäßiger Überzeugung getan, sondern aus anderen Grunde, und dieser
Grund kann nur sachlicher Widerwille gegen deu Antrag Pilaski gewesen sein.
Den Präsidenten hat die Kammer gewähren lassen; sie hat also sein die Polen
schädigendes und uicht unparteiisches Vorgehen gebilligt, und dafür kann auch
nur derselbe Grund wie beim Präsidenten bestimmend gewesen sein. Tatsäch¬
lich hat sie unmittelbar nach dem Intermezzo zwischen dem Präsidenten und
Pilaski den Artikel 1 kurzweg in der Regieruugsfassung angenommen. Aus
der ganzen Verhandlung ergibt sich, von andern: abgesehen, mit unanfechtbarer
Gewißheit zunächst das Eine, daß sowohl die Regierung wie die überwältigende
deutsche Mehrheit der Ersten Kammer die Polensache, der sie dem Anschein
nach höchstens eine untergeordnete Berücksichtigung und Regelung im Rahmen
eines Proviuzialstatuts angedeihen lassen wollten, in keiner Weise einer ma߬
gebenden Beratung und Beschlußfassung vom Range der politischen Bedeutung der
allgemeinen verfassungsrechtlichen Erörterungen über die großen Fragen der
öffentlichen Angelegenheiten Gesamtpreußens für würdig oder auch nur ge¬
eignet erachteten. folgt)




Htraßburger Bilder

>b Straßburg jemals in den Ruf der „wunderschönen Stadt" gelangt
sein würde, wenn es sein Münster nicht hätte, kann man wohl be¬
zweifeln, denn die engen und winkligen Straßen der alten Stadt
bestehn meist aus ziemlich unregelmäßigen Reihen engbrüstiger Häuser,
die nur durch einige interessante öffentliche Bauten und hier und da
I durch die Umfassungsmauern eines größern Patrizierhauses oder eines
Klosters unterbrochen werden. Aber in den neuen Stadtteilen, die seit der 188V
begonnenen Erweiterung der Umwallung erbaut sind, sind nicht nur herrliche breite
Straßen und große denn- und blumengeschmückte Plätze, stattliche stilvolle Monu¬
mentalbauten, vornehm stille schöne Villenreihen entstanden, sondern, was mehr sagen
will, auch geschickte Gruppierungen und sehr geschmackvolle Gesamtanlagen, sodaß
man wirklich von einem schönen Städtebild reden kann. Wenn ich z. B. an einem
Sommerabend die Freitreppe der Universität hinabgehe, vor mir den großen dann-


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[0183] Straßburger Bilder Der Minister widersprach dem sofort und bestimmt; er erklärte, nur einer Aus¬ setzung der Beschlußfassung über den beantragten Zusatz zu Artikel 1 hätte er das Wort geredet. Das war deutlich und nicht mehr in diplomatische Phra¬ seologie eingehüllt. Da verstand auch Pilaski, was die Negierung wirklich sann. Eilig wollte er seinen Antrag wieder aufnehmen. Der Präsident lehnte das als unzulässig ab, weil die Diskussion geschlossen wäre. Gewiß, der Präsident hatte Recht. Jedoch, nur kurze Zeit vorher hatte derselbe Präsident in der¬ selben Sitzung andern Abgeordneten zuliebe die Diskussion, die auch schon geschlossen gewesen war, von neuem eröffnet und nachträglich noch mehrfach und lange zur Sache sprechen lassen. Hat er im Falle Pilaski anders gehandelt, so hat er, wie sein vorhergehendes Verfahren beweist, das nicht aus geschäfts- ordnuugsmäßiger Überzeugung getan, sondern aus anderen Grunde, und dieser Grund kann nur sachlicher Widerwille gegen deu Antrag Pilaski gewesen sein. Den Präsidenten hat die Kammer gewähren lassen; sie hat also sein die Polen schädigendes und uicht unparteiisches Vorgehen gebilligt, und dafür kann auch nur derselbe Grund wie beim Präsidenten bestimmend gewesen sein. Tatsäch¬ lich hat sie unmittelbar nach dem Intermezzo zwischen dem Präsidenten und Pilaski den Artikel 1 kurzweg in der Regieruugsfassung angenommen. Aus der ganzen Verhandlung ergibt sich, von andern: abgesehen, mit unanfechtbarer Gewißheit zunächst das Eine, daß sowohl die Regierung wie die überwältigende deutsche Mehrheit der Ersten Kammer die Polensache, der sie dem Anschein nach höchstens eine untergeordnete Berücksichtigung und Regelung im Rahmen eines Proviuzialstatuts angedeihen lassen wollten, in keiner Weise einer ma߬ gebenden Beratung und Beschlußfassung vom Range der politischen Bedeutung der allgemeinen verfassungsrechtlichen Erörterungen über die großen Fragen der öffentlichen Angelegenheiten Gesamtpreußens für würdig oder auch nur ge¬ eignet erachteten. folgt) Htraßburger Bilder >b Straßburg jemals in den Ruf der „wunderschönen Stadt" gelangt sein würde, wenn es sein Münster nicht hätte, kann man wohl be¬ zweifeln, denn die engen und winkligen Straßen der alten Stadt bestehn meist aus ziemlich unregelmäßigen Reihen engbrüstiger Häuser, die nur durch einige interessante öffentliche Bauten und hier und da I durch die Umfassungsmauern eines größern Patrizierhauses oder eines Klosters unterbrochen werden. Aber in den neuen Stadtteilen, die seit der 188V begonnenen Erweiterung der Umwallung erbaut sind, sind nicht nur herrliche breite Straßen und große denn- und blumengeschmückte Plätze, stattliche stilvolle Monu¬ mentalbauten, vornehm stille schöne Villenreihen entstanden, sondern, was mehr sagen will, auch geschickte Gruppierungen und sehr geschmackvolle Gesamtanlagen, sodaß man wirklich von einem schönen Städtebild reden kann. Wenn ich z. B. an einem Sommerabend die Freitreppe der Universität hinabgehe, vor mir den großen dann-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/183>, abgerufen am 05.05.2024.