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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Straßlnu'ger Büder

geschmückten Platz mit den rauschenden Springbrunnen, dahinter die Ill, über die
die schöne breite Uuiversitätsbrücke zur eleganten Kaiser-Wilhelmstraße führt, während
eine Brückenabzweignng den Zugang zur evangelischen Garnisonkirche bildet, die
mit dem wunderbaren Ebenmaß und der vornehmen Schlichtheit ihrer frühgotischen
Formen das Entzücken auch der münstergläubigsten Altstrnßburger wachruft, rechts
und links als Abschluß des Bildes stattliche Gebäude, die über die grünen Baum¬
kronen emporragen, und geradeaus am Ende der Kaiser-Wilhelmstraße und jenseits
des schmucken Kaiserplatzes die einfachen und doch mächtigen Formen des Kniser¬
palastes, dessen .Konturen sich gegen den flammeudroten Abendhimmel abheben, während
die letzten Strahlen der scheidenden Sonne die hohen Fenster der Kuppel durch¬
glühen, von deren Spitze zwei bronzene Rcichshcrolde Hinüberschanen nach Altdeutsch-
land -- so frage ich mich, obwohl ich ein Vielgewanderter bin, vergeblich, ob ich
ein ähnlich harmonisches modernes Städtebild schon anderwärts gesehen habe. Und
das ist bei weitem nicht der einzige schöne Blick, den das "neue Straßbnrg"
gewährt, wo weder an Raum noch an Geld gespart worden ist, die heißumstrittene
Schöne noch viel begehrenswerter zu macheu.

Haben wir sie denn nun auch wirklich erobert? Nun, ganz noch nicht; ebenso¬
wenig wie wir sie jemals ganz verloren hatten. Aber wir sind wohl ans dem
besten Wege, und wer ein offnes Auge hat, der sieht, daß für den Elsässer der
Vogesenkcunm immer mehr zur Grenze, der Rhein immer mehr zur Straße wird.
Daß wir auf diesem Wege schon weiter sein könnten, wenn nicht arge Fehler gemacht
worden wären, steht fest. Desgleichen, daß sehr viele Altdeutsche im Lande, und
zwar hauptsächlich aus den Beamten- und den Offizierkreisen, die schwere Unter¬
lassungssünde begehn, sich nicht oder viel zu wenig um deu Elsässer zu kümmern,
und hübsch reserviert möglichst "unter sich" bleiben. Das gelingt ihnen denn auch
nicht schwer, und die Folge davon ist, daß hente noch, wie im ganzen Elsaß so
in Straßbnrg, "Deutsche" und "Elsässer" nebeneinander wohnen und leben, wie
zwei verschiedne Nationen mit andern Sitten, andrer Sprache, andern Zielen.
Natürlich gibt es mannigfache Berührungspunkte; dienstlich und geschäftlich kommen
beide Teile miteinander täglich und stündlich zusammen; wissenschaftliche und
künstlerische Bestrebungen näher" und einigen sie; gastlich öffnet sich manch alt-
einheimisches Hans auch den Altdeutschen, und mancher Elsässer verkehrt in Familien,
die von der Elbe oder der Jsar, jn sogar von der Weichsel oder der "Wntcrknnte"
hierher verschlagen worden sind. "Verschlägen" -- so fassen es die meisten Alt¬
deutschen leider auf, und darin liegt des Übels Wurzel. Nicht, daß sie es unangenehm
empfänden, hier in der "wunderschönen Stadt," in dem herrlichen Rheintal zwischen
Schwarzwald und Vogesen zu leben -- sie würden sich rin Händen und Füßen
dagegen sträuben, mit Posen oder Magdeburg, Elberfeld oder Halle zu tauschen.
Etwas teuer ist das Leben hier jn wohl, aber Berlin und Dresden, Köln und
Hamburg lassen den Geldbeutel auch nicht gerade drzu kommen, daß er um Ver¬
fettung leidet; sie fühlen sich hier vielmehr gnr zu leicht als Fremde, und es sind
ihrer zu viele, als dnß es ihnen nicht leicht wäre, unter sich zu bleiben und sich
den Eingesessenen gegenüber nbwnrtend zu Verhalten. Daß diese kein lebhaftes
Bedürfnis fühlen, den Zustand zu ändern, kann man nicht verwunderlich finden, anch
bei deuen nicht, die nicht mehr mit dem ältern Geschlecht in den Altdeutschen die
Eroberer oder mit dem jüngern die Eindringlinge sehen. Bedenkt man, mit wie
unsäglichem Stolz z. B. der Hamburger auf die Leute hernbsieht, die nicht mindestens
sechzehn Hnmbnrger Ahnen aufweisen können, oder der rechte Berliner auf alle, die
nicht "mit Spreewnsser jekooft" sind, so wird nur im Verhalten der Elsässer
gegenüber den Altdeutschen eher eine echt deutsche Eigentümlichkeit mis Protestler-
tnm sehen.

Übrigens Wird jeder, der Gelegenheit gehabt hat, Elsässern irgendwie näher
zu treten, anerkennen müssen, dnß sie gern entgegenkommend und freundlich sind,
freilich in ihrer Art, die anreden an die rnngstcifen Formen und höflich-schneidigen


Straßlnu'ger Büder

geschmückten Platz mit den rauschenden Springbrunnen, dahinter die Ill, über die
die schöne breite Uuiversitätsbrücke zur eleganten Kaiser-Wilhelmstraße führt, während
eine Brückenabzweignng den Zugang zur evangelischen Garnisonkirche bildet, die
mit dem wunderbaren Ebenmaß und der vornehmen Schlichtheit ihrer frühgotischen
Formen das Entzücken auch der münstergläubigsten Altstrnßburger wachruft, rechts
und links als Abschluß des Bildes stattliche Gebäude, die über die grünen Baum¬
kronen emporragen, und geradeaus am Ende der Kaiser-Wilhelmstraße und jenseits
des schmucken Kaiserplatzes die einfachen und doch mächtigen Formen des Kniser¬
palastes, dessen .Konturen sich gegen den flammeudroten Abendhimmel abheben, während
die letzten Strahlen der scheidenden Sonne die hohen Fenster der Kuppel durch¬
glühen, von deren Spitze zwei bronzene Rcichshcrolde Hinüberschanen nach Altdeutsch-
land — so frage ich mich, obwohl ich ein Vielgewanderter bin, vergeblich, ob ich
ein ähnlich harmonisches modernes Städtebild schon anderwärts gesehen habe. Und
das ist bei weitem nicht der einzige schöne Blick, den das „neue Straßbnrg"
gewährt, wo weder an Raum noch an Geld gespart worden ist, die heißumstrittene
Schöne noch viel begehrenswerter zu macheu.

Haben wir sie denn nun auch wirklich erobert? Nun, ganz noch nicht; ebenso¬
wenig wie wir sie jemals ganz verloren hatten. Aber wir sind wohl ans dem
besten Wege, und wer ein offnes Auge hat, der sieht, daß für den Elsässer der
Vogesenkcunm immer mehr zur Grenze, der Rhein immer mehr zur Straße wird.
Daß wir auf diesem Wege schon weiter sein könnten, wenn nicht arge Fehler gemacht
worden wären, steht fest. Desgleichen, daß sehr viele Altdeutsche im Lande, und
zwar hauptsächlich aus den Beamten- und den Offizierkreisen, die schwere Unter¬
lassungssünde begehn, sich nicht oder viel zu wenig um deu Elsässer zu kümmern,
und hübsch reserviert möglichst „unter sich" bleiben. Das gelingt ihnen denn auch
nicht schwer, und die Folge davon ist, daß hente noch, wie im ganzen Elsaß so
in Straßbnrg, „Deutsche" und „Elsässer" nebeneinander wohnen und leben, wie
zwei verschiedne Nationen mit andern Sitten, andrer Sprache, andern Zielen.
Natürlich gibt es mannigfache Berührungspunkte; dienstlich und geschäftlich kommen
beide Teile miteinander täglich und stündlich zusammen; wissenschaftliche und
künstlerische Bestrebungen näher» und einigen sie; gastlich öffnet sich manch alt-
einheimisches Hans auch den Altdeutschen, und mancher Elsässer verkehrt in Familien,
die von der Elbe oder der Jsar, jn sogar von der Weichsel oder der „Wntcrknnte"
hierher verschlagen worden sind. „Verschlägen" — so fassen es die meisten Alt¬
deutschen leider auf, und darin liegt des Übels Wurzel. Nicht, daß sie es unangenehm
empfänden, hier in der „wunderschönen Stadt," in dem herrlichen Rheintal zwischen
Schwarzwald und Vogesen zu leben — sie würden sich rin Händen und Füßen
dagegen sträuben, mit Posen oder Magdeburg, Elberfeld oder Halle zu tauschen.
Etwas teuer ist das Leben hier jn wohl, aber Berlin und Dresden, Köln und
Hamburg lassen den Geldbeutel auch nicht gerade drzu kommen, daß er um Ver¬
fettung leidet; sie fühlen sich hier vielmehr gnr zu leicht als Fremde, und es sind
ihrer zu viele, als dnß es ihnen nicht leicht wäre, unter sich zu bleiben und sich
den Eingesessenen gegenüber nbwnrtend zu Verhalten. Daß diese kein lebhaftes
Bedürfnis fühlen, den Zustand zu ändern, kann man nicht verwunderlich finden, anch
bei deuen nicht, die nicht mehr mit dem ältern Geschlecht in den Altdeutschen die
Eroberer oder mit dem jüngern die Eindringlinge sehen. Bedenkt man, mit wie
unsäglichem Stolz z. B. der Hamburger auf die Leute hernbsieht, die nicht mindestens
sechzehn Hnmbnrger Ahnen aufweisen können, oder der rechte Berliner auf alle, die
nicht „mit Spreewnsser jekooft" sind, so wird nur im Verhalten der Elsässer
gegenüber den Altdeutschen eher eine echt deutsche Eigentümlichkeit mis Protestler-
tnm sehen.

Übrigens Wird jeder, der Gelegenheit gehabt hat, Elsässern irgendwie näher
zu treten, anerkennen müssen, dnß sie gern entgegenkommend und freundlich sind,
freilich in ihrer Art, die anreden an die rnngstcifen Formen und höflich-schneidigen


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[0184] Straßlnu'ger Büder geschmückten Platz mit den rauschenden Springbrunnen, dahinter die Ill, über die die schöne breite Uuiversitätsbrücke zur eleganten Kaiser-Wilhelmstraße führt, während eine Brückenabzweignng den Zugang zur evangelischen Garnisonkirche bildet, die mit dem wunderbaren Ebenmaß und der vornehmen Schlichtheit ihrer frühgotischen Formen das Entzücken auch der münstergläubigsten Altstrnßburger wachruft, rechts und links als Abschluß des Bildes stattliche Gebäude, die über die grünen Baum¬ kronen emporragen, und geradeaus am Ende der Kaiser-Wilhelmstraße und jenseits des schmucken Kaiserplatzes die einfachen und doch mächtigen Formen des Kniser¬ palastes, dessen .Konturen sich gegen den flammeudroten Abendhimmel abheben, während die letzten Strahlen der scheidenden Sonne die hohen Fenster der Kuppel durch¬ glühen, von deren Spitze zwei bronzene Rcichshcrolde Hinüberschanen nach Altdeutsch- land — so frage ich mich, obwohl ich ein Vielgewanderter bin, vergeblich, ob ich ein ähnlich harmonisches modernes Städtebild schon anderwärts gesehen habe. Und das ist bei weitem nicht der einzige schöne Blick, den das „neue Straßbnrg" gewährt, wo weder an Raum noch an Geld gespart worden ist, die heißumstrittene Schöne noch viel begehrenswerter zu macheu. Haben wir sie denn nun auch wirklich erobert? Nun, ganz noch nicht; ebenso¬ wenig wie wir sie jemals ganz verloren hatten. Aber wir sind wohl ans dem besten Wege, und wer ein offnes Auge hat, der sieht, daß für den Elsässer der Vogesenkcunm immer mehr zur Grenze, der Rhein immer mehr zur Straße wird. Daß wir auf diesem Wege schon weiter sein könnten, wenn nicht arge Fehler gemacht worden wären, steht fest. Desgleichen, daß sehr viele Altdeutsche im Lande, und zwar hauptsächlich aus den Beamten- und den Offizierkreisen, die schwere Unter¬ lassungssünde begehn, sich nicht oder viel zu wenig um deu Elsässer zu kümmern, und hübsch reserviert möglichst „unter sich" bleiben. Das gelingt ihnen denn auch nicht schwer, und die Folge davon ist, daß hente noch, wie im ganzen Elsaß so in Straßbnrg, „Deutsche" und „Elsässer" nebeneinander wohnen und leben, wie zwei verschiedne Nationen mit andern Sitten, andrer Sprache, andern Zielen. Natürlich gibt es mannigfache Berührungspunkte; dienstlich und geschäftlich kommen beide Teile miteinander täglich und stündlich zusammen; wissenschaftliche und künstlerische Bestrebungen näher» und einigen sie; gastlich öffnet sich manch alt- einheimisches Hans auch den Altdeutschen, und mancher Elsässer verkehrt in Familien, die von der Elbe oder der Jsar, jn sogar von der Weichsel oder der „Wntcrknnte" hierher verschlagen worden sind. „Verschlägen" — so fassen es die meisten Alt¬ deutschen leider auf, und darin liegt des Übels Wurzel. Nicht, daß sie es unangenehm empfänden, hier in der „wunderschönen Stadt," in dem herrlichen Rheintal zwischen Schwarzwald und Vogesen zu leben — sie würden sich rin Händen und Füßen dagegen sträuben, mit Posen oder Magdeburg, Elberfeld oder Halle zu tauschen. Etwas teuer ist das Leben hier jn wohl, aber Berlin und Dresden, Köln und Hamburg lassen den Geldbeutel auch nicht gerade drzu kommen, daß er um Ver¬ fettung leidet; sie fühlen sich hier vielmehr gnr zu leicht als Fremde, und es sind ihrer zu viele, als dnß es ihnen nicht leicht wäre, unter sich zu bleiben und sich den Eingesessenen gegenüber nbwnrtend zu Verhalten. Daß diese kein lebhaftes Bedürfnis fühlen, den Zustand zu ändern, kann man nicht verwunderlich finden, anch bei deuen nicht, die nicht mehr mit dem ältern Geschlecht in den Altdeutschen die Eroberer oder mit dem jüngern die Eindringlinge sehen. Bedenkt man, mit wie unsäglichem Stolz z. B. der Hamburger auf die Leute hernbsieht, die nicht mindestens sechzehn Hnmbnrger Ahnen aufweisen können, oder der rechte Berliner auf alle, die nicht „mit Spreewnsser jekooft" sind, so wird nur im Verhalten der Elsässer gegenüber den Altdeutschen eher eine echt deutsche Eigentümlichkeit mis Protestler- tnm sehen. Übrigens Wird jeder, der Gelegenheit gehabt hat, Elsässern irgendwie näher zu treten, anerkennen müssen, dnß sie gern entgegenkommend und freundlich sind, freilich in ihrer Art, die anreden an die rnngstcifen Formen und höflich-schneidigen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/184>, abgerufen am 25.05.2024.