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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Der Zeugmieid im Zivil und im lnirgerlichmi Strafprozeß

Übermuts hoch gehn, sind sie mimeutlich für alle im Osten weilenden Deutschen
eine wohltätige Erscheinung. Ihr Hauptunglück ist, daß sie zu zahlreich sind.
Da sie meist schon in sehr jungen Jahren heiraten, ist ihre Familie fast in
allen Fällen sehr kopfreich, und ihre Zahl ist in einem unglücklichen Ver¬
hältnisse gestiegen. Dazu sind im letzten halben Jahrhundert starke Ein¬
wanderungen nach Galizien gekommen, namentlich aus den Balkanlündern;
auch als Kaiser Alexander der Dritte vor zwanzig Jahren drakonische Ver¬
fügungen gegen die Juden erließ, kamen sie massenhaft aus Rußland nach
Galizien und vergrößerten dort den ohnehin schon überaus hohen Prozent¬
satz der Juden unter der Bevölkerung. In neuster Zeit kommt auch noch der
Zuzug aus Bulgarien. Es ist leicht begreiflich, daß für die heimischen Juden
diese Zuwanderung fremder höchst unwillkommen ist; ans einer Versammlung
von Vertretern israelitischer Kultusgemeindell Galiziens in Lemberg sprach man
sich vor zwei Jahren anch gar nicht gastfreundlich gegenüber den rumänischen
und den bulgarischen Stammesgenossen aus. Eine weitere Einwanderung
wäre für das Wohl des Landes und auch für die Gesamtmonarchie eine Ver¬
legenheit. Es gibt jetzt schon Ortschaften in Galizien, die kaum fünfhundert
Einwohner haben, nud in denen es doch zwanzig lind mehr jüdische Kram¬
läden gibt, die zugleich Winkelschünken sind.

(Schluß folgt)




9er Zeugeneid im Zivil- und im bürgerlichen
Strafprozeß

le Klage über die Häufigkeit des Verbrechens des Meineids ist
nicht verstummt. Sie ist auch heute noch ebenso berechtigt, wie
sie es vor Jahren gewesen ist, wenn mich nach den neuesten
Feststellungen erfreulicherweise ein Rückgang darin verzeichnet
werden kaun; denn nach den Mitteilungen, die Professor Kahl
kürzlich bei den Verhandlungen des "Evangelisch-sozialen Kongresses" in Darm¬
stadt gemacht hat, sollen die Bestrafungen wegen Meineids in Deutschland von
1011 im Jahre 1882 auf 761 im Jahre 1902 gesunken sein.

Inwieweit dabei die in einer Verletzung des Zeugeneids bestehenden im
Verhältnis zu den sonstigen Eidesverbrechen beteiligt sind, ist nicht mitgeteilt
worden; aber wenn auch wirklich eine sehr große Abnahme dieser Verbrechen
nachweisbar sein sollte, so bleibt doch immer noch Anlaß genng übrig, den Ur¬
sachen dieser Verfehlung und den Mitteln zur Herbeiführung einer weitern
Besf erun g na chzuforsch en.

Daß sie sich im letzten Grunde aus der menschlichen Natur, aus dem
Mangel an sittlichem Ernst, an Religion und an Rechtssinn erklärt, bedarf
freilich keiner nähern Untersuchung. In diesen Beziehungen Wandel zu schaffen,
muß man der Volkserziehung überlassen; die vorliegende Untersuchung dagegen


Der Zeugmieid im Zivil und im lnirgerlichmi Strafprozeß

Übermuts hoch gehn, sind sie mimeutlich für alle im Osten weilenden Deutschen
eine wohltätige Erscheinung. Ihr Hauptunglück ist, daß sie zu zahlreich sind.
Da sie meist schon in sehr jungen Jahren heiraten, ist ihre Familie fast in
allen Fällen sehr kopfreich, und ihre Zahl ist in einem unglücklichen Ver¬
hältnisse gestiegen. Dazu sind im letzten halben Jahrhundert starke Ein¬
wanderungen nach Galizien gekommen, namentlich aus den Balkanlündern;
auch als Kaiser Alexander der Dritte vor zwanzig Jahren drakonische Ver¬
fügungen gegen die Juden erließ, kamen sie massenhaft aus Rußland nach
Galizien und vergrößerten dort den ohnehin schon überaus hohen Prozent¬
satz der Juden unter der Bevölkerung. In neuster Zeit kommt auch noch der
Zuzug aus Bulgarien. Es ist leicht begreiflich, daß für die heimischen Juden
diese Zuwanderung fremder höchst unwillkommen ist; ans einer Versammlung
von Vertretern israelitischer Kultusgemeindell Galiziens in Lemberg sprach man
sich vor zwei Jahren anch gar nicht gastfreundlich gegenüber den rumänischen
und den bulgarischen Stammesgenossen aus. Eine weitere Einwanderung
wäre für das Wohl des Landes und auch für die Gesamtmonarchie eine Ver¬
legenheit. Es gibt jetzt schon Ortschaften in Galizien, die kaum fünfhundert
Einwohner haben, nud in denen es doch zwanzig lind mehr jüdische Kram¬
läden gibt, die zugleich Winkelschünken sind.

(Schluß folgt)




9er Zeugeneid im Zivil- und im bürgerlichen
Strafprozeß

le Klage über die Häufigkeit des Verbrechens des Meineids ist
nicht verstummt. Sie ist auch heute noch ebenso berechtigt, wie
sie es vor Jahren gewesen ist, wenn mich nach den neuesten
Feststellungen erfreulicherweise ein Rückgang darin verzeichnet
werden kaun; denn nach den Mitteilungen, die Professor Kahl
kürzlich bei den Verhandlungen des „Evangelisch-sozialen Kongresses" in Darm¬
stadt gemacht hat, sollen die Bestrafungen wegen Meineids in Deutschland von
1011 im Jahre 1882 auf 761 im Jahre 1902 gesunken sein.

Inwieweit dabei die in einer Verletzung des Zeugeneids bestehenden im
Verhältnis zu den sonstigen Eidesverbrechen beteiligt sind, ist nicht mitgeteilt
worden; aber wenn auch wirklich eine sehr große Abnahme dieser Verbrechen
nachweisbar sein sollte, so bleibt doch immer noch Anlaß genng übrig, den Ur¬
sachen dieser Verfehlung und den Mitteln zur Herbeiführung einer weitern
Besf erun g na chzuforsch en.

Daß sie sich im letzten Grunde aus der menschlichen Natur, aus dem
Mangel an sittlichem Ernst, an Religion und an Rechtssinn erklärt, bedarf
freilich keiner nähern Untersuchung. In diesen Beziehungen Wandel zu schaffen,
muß man der Volkserziehung überlassen; die vorliegende Untersuchung dagegen


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[0424] Der Zeugmieid im Zivil und im lnirgerlichmi Strafprozeß Übermuts hoch gehn, sind sie mimeutlich für alle im Osten weilenden Deutschen eine wohltätige Erscheinung. Ihr Hauptunglück ist, daß sie zu zahlreich sind. Da sie meist schon in sehr jungen Jahren heiraten, ist ihre Familie fast in allen Fällen sehr kopfreich, und ihre Zahl ist in einem unglücklichen Ver¬ hältnisse gestiegen. Dazu sind im letzten halben Jahrhundert starke Ein¬ wanderungen nach Galizien gekommen, namentlich aus den Balkanlündern; auch als Kaiser Alexander der Dritte vor zwanzig Jahren drakonische Ver¬ fügungen gegen die Juden erließ, kamen sie massenhaft aus Rußland nach Galizien und vergrößerten dort den ohnehin schon überaus hohen Prozent¬ satz der Juden unter der Bevölkerung. In neuster Zeit kommt auch noch der Zuzug aus Bulgarien. Es ist leicht begreiflich, daß für die heimischen Juden diese Zuwanderung fremder höchst unwillkommen ist; ans einer Versammlung von Vertretern israelitischer Kultusgemeindell Galiziens in Lemberg sprach man sich vor zwei Jahren anch gar nicht gastfreundlich gegenüber den rumänischen und den bulgarischen Stammesgenossen aus. Eine weitere Einwanderung wäre für das Wohl des Landes und auch für die Gesamtmonarchie eine Ver¬ legenheit. Es gibt jetzt schon Ortschaften in Galizien, die kaum fünfhundert Einwohner haben, nud in denen es doch zwanzig lind mehr jüdische Kram¬ läden gibt, die zugleich Winkelschünken sind. (Schluß folgt) 9er Zeugeneid im Zivil- und im bürgerlichen Strafprozeß le Klage über die Häufigkeit des Verbrechens des Meineids ist nicht verstummt. Sie ist auch heute noch ebenso berechtigt, wie sie es vor Jahren gewesen ist, wenn mich nach den neuesten Feststellungen erfreulicherweise ein Rückgang darin verzeichnet werden kaun; denn nach den Mitteilungen, die Professor Kahl kürzlich bei den Verhandlungen des „Evangelisch-sozialen Kongresses" in Darm¬ stadt gemacht hat, sollen die Bestrafungen wegen Meineids in Deutschland von 1011 im Jahre 1882 auf 761 im Jahre 1902 gesunken sein. Inwieweit dabei die in einer Verletzung des Zeugeneids bestehenden im Verhältnis zu den sonstigen Eidesverbrechen beteiligt sind, ist nicht mitgeteilt worden; aber wenn auch wirklich eine sehr große Abnahme dieser Verbrechen nachweisbar sein sollte, so bleibt doch immer noch Anlaß genng übrig, den Ur¬ sachen dieser Verfehlung und den Mitteln zur Herbeiführung einer weitern Besf erun g na chzuforsch en. Daß sie sich im letzten Grunde aus der menschlichen Natur, aus dem Mangel an sittlichem Ernst, an Religion und an Rechtssinn erklärt, bedarf freilich keiner nähern Untersuchung. In diesen Beziehungen Wandel zu schaffen, muß man der Volkserziehung überlassen; die vorliegende Untersuchung dagegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/424>, abgerufen am 05.05.2024.