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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Louise von Sachsen-Weimar

lehr in angemessener Weise zu verteilen. Nicht Starrheit und Einheitlichkeit,
sondern Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit muß im Tarifwescn der Verkehrs-
anstalten in Zukunft die Losung sein, und zwar nicht bloß der städtischen Tram¬
bahnen, sondern auch der Eisenbahnen, auf deren Tarife wir vielleicht bei einer
andern Gelegenheit zu sprechen kommen.




Louise von Sachsen-Weimar
Julius R. Haarhaus von

Wischer den uns allen durch zahlreiche biographische und literar¬
historische Werke vertraut gewordnen lebenswarmen Gestalten
Anna Amaliens und ihres Sohnes Karl August, in denen die
Nachwelt die Schöpfer des Weimarischen Musenhofes verehrt,
stand bisher die Gemahlin des fürstlichen Dichterfreundes, die
Herzogin Louise, wie ein wesenloser stummer Schemen. Was man in weitern
Kreisen von ihr wußte, beschränkte sich so ziemlich auf die Andeutungen über
ihr zu Anfang nicht glückliches eheliches Leben, die wir in den Erläuterungen
zu Goethes "Lila" finden, und auf die Kenntnis der kurzen Zeitspanne, wo sie,
die so lange Verkannte und Unbeachtete, tatkräftig in den Gang der politischen
Ereignisse eingriff und mit bewnndernswertem Mut dem siegreichen Napoleon
entgegentrat. Darüber hinaus flößte uns -- gestehen wirs nur offen zu! --
die kühle stille Frau kein besondres Interesse ein; man hatte die unklare
Empfindung, als sei sie in dem lustigen Weimar der Dichterzeit nicht am rechten
Platze gewesen. Ihr ganzes Dasein erschien uns wie eine verkörperte Mi߬
billigung der Ideen und der Bestrebungen, die damals in der kleinen Residenz
an der Ilm die Gemüter bewegten.

Das ist anders geworden, seit uus Eleonore von Bojcmowski durch einen
in der Deutschen Rundschau veröffentlichten längern Aufsatz über die Beziehungen
Louisens zu Herder einen Einblick in das Seelenleben der merkwürdigen Frau
erschlossen hat. Wir sahen die Fürstin mit einemmal auf die Höhe ihres
Gemahls erhoben, sahen, wie sie im engen Anschluß an Herder ein moralisches
Gegengewicht gegen das "genialische" Treiben Karl Augusts und Goethes zu
schaffen sucht, und wie sie bei aller Zurückhaltung ihr politisches Talent pflegt
und sich für die großen Aufgaben ihrer spätern Lebensjahre vorbereitet.

Mit aufrichtiger Freude haben wir deshalb das Erscheinen einer aus¬
führlichen Biographie Louisens aus der Feder Eleonorens von Vojanowski be¬
grüßtund dürfen bekennen, daß unsre Erwartungen nicht getäuscht wordeu
sind. Die Verfasserin hat die Quellen mit großem Geschick benutzt und aus
den Mosaitsteiuchcu der in Briefen, Memorienwcrken, Gelegenheitsschriften,



^) Louise, Grobherzogin von Sachsen-Weimar, und ihre Beziehungen zu den Zeitgenossen,
Nach größtenteils unveröffentlichten Briefen und Niederschriften. Mit einem Porträt. Stuttgart
und Berlin, Cölln. 7,S0 Mark.
Louise von Sachsen-Weimar

lehr in angemessener Weise zu verteilen. Nicht Starrheit und Einheitlichkeit,
sondern Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit muß im Tarifwescn der Verkehrs-
anstalten in Zukunft die Losung sein, und zwar nicht bloß der städtischen Tram¬
bahnen, sondern auch der Eisenbahnen, auf deren Tarife wir vielleicht bei einer
andern Gelegenheit zu sprechen kommen.




Louise von Sachsen-Weimar
Julius R. Haarhaus von

Wischer den uns allen durch zahlreiche biographische und literar¬
historische Werke vertraut gewordnen lebenswarmen Gestalten
Anna Amaliens und ihres Sohnes Karl August, in denen die
Nachwelt die Schöpfer des Weimarischen Musenhofes verehrt,
stand bisher die Gemahlin des fürstlichen Dichterfreundes, die
Herzogin Louise, wie ein wesenloser stummer Schemen. Was man in weitern
Kreisen von ihr wußte, beschränkte sich so ziemlich auf die Andeutungen über
ihr zu Anfang nicht glückliches eheliches Leben, die wir in den Erläuterungen
zu Goethes „Lila" finden, und auf die Kenntnis der kurzen Zeitspanne, wo sie,
die so lange Verkannte und Unbeachtete, tatkräftig in den Gang der politischen
Ereignisse eingriff und mit bewnndernswertem Mut dem siegreichen Napoleon
entgegentrat. Darüber hinaus flößte uns — gestehen wirs nur offen zu! —
die kühle stille Frau kein besondres Interesse ein; man hatte die unklare
Empfindung, als sei sie in dem lustigen Weimar der Dichterzeit nicht am rechten
Platze gewesen. Ihr ganzes Dasein erschien uns wie eine verkörperte Mi߬
billigung der Ideen und der Bestrebungen, die damals in der kleinen Residenz
an der Ilm die Gemüter bewegten.

Das ist anders geworden, seit uus Eleonore von Bojcmowski durch einen
in der Deutschen Rundschau veröffentlichten längern Aufsatz über die Beziehungen
Louisens zu Herder einen Einblick in das Seelenleben der merkwürdigen Frau
erschlossen hat. Wir sahen die Fürstin mit einemmal auf die Höhe ihres
Gemahls erhoben, sahen, wie sie im engen Anschluß an Herder ein moralisches
Gegengewicht gegen das „genialische" Treiben Karl Augusts und Goethes zu
schaffen sucht, und wie sie bei aller Zurückhaltung ihr politisches Talent pflegt
und sich für die großen Aufgaben ihrer spätern Lebensjahre vorbereitet.

Mit aufrichtiger Freude haben wir deshalb das Erscheinen einer aus¬
führlichen Biographie Louisens aus der Feder Eleonorens von Vojanowski be¬
grüßtund dürfen bekennen, daß unsre Erwartungen nicht getäuscht wordeu
sind. Die Verfasserin hat die Quellen mit großem Geschick benutzt und aus
den Mosaitsteiuchcu der in Briefen, Memorienwcrken, Gelegenheitsschriften,



^) Louise, Grobherzogin von Sachsen-Weimar, und ihre Beziehungen zu den Zeitgenossen,
Nach größtenteils unveröffentlichten Briefen und Niederschriften. Mit einem Porträt. Stuttgart
und Berlin, Cölln. 7,S0 Mark.
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[0438] Louise von Sachsen-Weimar lehr in angemessener Weise zu verteilen. Nicht Starrheit und Einheitlichkeit, sondern Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit muß im Tarifwescn der Verkehrs- anstalten in Zukunft die Losung sein, und zwar nicht bloß der städtischen Tram¬ bahnen, sondern auch der Eisenbahnen, auf deren Tarife wir vielleicht bei einer andern Gelegenheit zu sprechen kommen. Louise von Sachsen-Weimar Julius R. Haarhaus von Wischer den uns allen durch zahlreiche biographische und literar¬ historische Werke vertraut gewordnen lebenswarmen Gestalten Anna Amaliens und ihres Sohnes Karl August, in denen die Nachwelt die Schöpfer des Weimarischen Musenhofes verehrt, stand bisher die Gemahlin des fürstlichen Dichterfreundes, die Herzogin Louise, wie ein wesenloser stummer Schemen. Was man in weitern Kreisen von ihr wußte, beschränkte sich so ziemlich auf die Andeutungen über ihr zu Anfang nicht glückliches eheliches Leben, die wir in den Erläuterungen zu Goethes „Lila" finden, und auf die Kenntnis der kurzen Zeitspanne, wo sie, die so lange Verkannte und Unbeachtete, tatkräftig in den Gang der politischen Ereignisse eingriff und mit bewnndernswertem Mut dem siegreichen Napoleon entgegentrat. Darüber hinaus flößte uns — gestehen wirs nur offen zu! — die kühle stille Frau kein besondres Interesse ein; man hatte die unklare Empfindung, als sei sie in dem lustigen Weimar der Dichterzeit nicht am rechten Platze gewesen. Ihr ganzes Dasein erschien uns wie eine verkörperte Mi߬ billigung der Ideen und der Bestrebungen, die damals in der kleinen Residenz an der Ilm die Gemüter bewegten. Das ist anders geworden, seit uus Eleonore von Bojcmowski durch einen in der Deutschen Rundschau veröffentlichten längern Aufsatz über die Beziehungen Louisens zu Herder einen Einblick in das Seelenleben der merkwürdigen Frau erschlossen hat. Wir sahen die Fürstin mit einemmal auf die Höhe ihres Gemahls erhoben, sahen, wie sie im engen Anschluß an Herder ein moralisches Gegengewicht gegen das „genialische" Treiben Karl Augusts und Goethes zu schaffen sucht, und wie sie bei aller Zurückhaltung ihr politisches Talent pflegt und sich für die großen Aufgaben ihrer spätern Lebensjahre vorbereitet. Mit aufrichtiger Freude haben wir deshalb das Erscheinen einer aus¬ führlichen Biographie Louisens aus der Feder Eleonorens von Vojanowski be¬ grüßtund dürfen bekennen, daß unsre Erwartungen nicht getäuscht wordeu sind. Die Verfasserin hat die Quellen mit großem Geschick benutzt und aus den Mosaitsteiuchcu der in Briefen, Memorienwcrken, Gelegenheitsschriften, ^) Louise, Grobherzogin von Sachsen-Weimar, und ihre Beziehungen zu den Zeitgenossen, Nach größtenteils unveröffentlichten Briefen und Niederschriften. Mit einem Porträt. Stuttgart und Berlin, Cölln. 7,S0 Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/438>, abgerufen am 05.05.2024.