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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

doch sehr modern, sehr von Gottes Gnaden und doch sehr volkstümlich ist/' Eine
Äußerung, die es wohl wert ist, verzeichnet zu werden.

Wie aus den Preßstimmen des Auslandes ausnahmslos ersichtlich ist, gilt auch
bei ihnen der Ausdruck ihrer warmen Teilnahme nicht nnr dem Träger der Macht
des Deutschen Reichs, sondern ebenso der Persönlichkeit des Kaisers, die dem aus¬
ländischen Publikum losgelöst von all den innern Kämpfen und Gegensätzen, die
Deutschland bewegen, allein im Lichte ihrer internationalen Bedeutung und einer
rastlosen, weitschanenden Betätigung erscheint.

Abgesehen von den preußischen Landtagswahlen, die wiederum manchen Be¬
weis für die Indifferenz und den Mangel um Ausdauer der bürgerlichen Parteien
erbracht haben, im großen und ganzen aber die Parteiverhältnisse des Abgeordneten¬
hauses unberührt lassen -- der sozialdemokratische Ansturm ist für diesesmal
völlig abgeschlagen --, wird das allgemeine Interesse durch den vor dem Metzer
Kriegsgericht verhandelten Prozeß des Leutnants Bilse in Auspruch genommen.
Die volle Öffentlichkeit, in der dieser Prozeß verhandelt worden ist, hat ja ohne
Zweifel zwei Seiten. Aber die Öffentlichkeit beweist erstlich, daß die berufnen
Instanzen absolut nichts vertuscht wissen wollten, zweitens enthält sie eine ernste
Warnung an die Offizierkorps der kleinen Garnisonen. Das Sittengemälde, das
der Prozeß enthüllt hat, ist sicherlich sehr betrübend und wird gewiß nach mancher
Richtung hin ein wohltätiges Eingreifen zur Folge haben. Mau sieht daraus, daß
in der Purifizierung der Offizierkorps nicht streng genug und nicht energisch genug
vorgegangen werden kann. In dem Roman "Sedan oder Jena?", in Bühnen¬
stücken und jetzt in dem Metzer Prozeß siud Nachtseiten unsers militärischen Lebens
rückhaltlos beleuchtet worden; es ist immerhin ein gutes Zeichen und es spricht für
die Gesundheit der Armee, daß sie solche Beleuchtung verträgt. Aber Fingerzeige,
wo die bessernde Hand anzulegen ist, sind damit gegeben. Nicht nur die kleinen
Garnisonen als solche kommen in Betracht, auch die einzelnen Waffen. In der
Trainwaffe besteht eine Stagnation, die innerhalb einer kleinen Garnison unver¬
meidlich Sumpfpflanzen treiben muß, und wenn bei der Infanterie schon 120 Leut-
nantstelleu an dem ohnehin viel zu knnppeu Sollbestande unbesetzt sind, so ist das
gleichfalls ein nicht unbedenkliches und zum großen Teil auch mit der Frage der
Grenzgarnisoueu eng verbundues Symptom. Ein aller zwei Jahre vorzunehmender
Garnisouwechscl innerhalb des Korpsverbands in den Grenzprovinzen ist jedenfalls
z. durchführbar und sollte ohne Rücksicht auf die Kosten eingeführt werden.


Noch etwas vom Wolkensteiner.

Der spätere Minnesang steht in keinem
guten Rufe, weder ethisch noch ästhetisch, und im allgemeinen mit Recht. Aber
bemerkenswert ist doch, daß bei den stärkern Talenten im vierzehnten Jahrhuuoert
und vollends zu Beginn des fünfzehnten ein Trieb nach genauerer Individualisierung
der Lebcnsmitteiluugen am Werke ist, wodurch auch die Poeten individueller er¬
scheinen. Ein überraschendes Beispiel davon bietet schon der sogenannte wilde
Alexander, der einmal als alter Mann im Anschauen der völlig veränderten Heimat
Einzeleindrücke des Waldlebens seiner Kindertage zu einem rührenden Bilde zu¬
sammenstellt, das Erdbeersnchen zwischen Stock und Stein, von der Tanne hin zur
Buche: die Stätte ist nun ein Weideplatz geworden, wo sich Rinder tummeln.

Bei Oswald von Wolkenstein steht dieses Vermögen, das einzelne genauer
und lebhafter zu ergreifen, in voller Blüte, wenn wir von einigen konventionellen
Jugendliedern absehen. Ein Gedicht wie das Gespräch eines werdenden Edelmanns
mit dem ihn ablehnenden Fräulein, so gewiß sein allgemeiner Nahmen und Ver¬
lauf noch jener Minnepoesie angehört, deren Höhepunkt der zweihundert Jahre
frühere Walter von der Vogelweide bedeutet, klingt doch seiner Einzclausprägung
nach schon fast hanssachsisch. Und mag es der Ritter auch zunächst nur für den
Einzelvortrag bestimmt haben, so hat er doch später der eigentlichen Melodie, dem
Tenor, einen Kvntratenor und einen Diskant hinzugefügt, streng und behutsam
Note gegen Note nach der frühesten Berechtigungsgeltung der Intervalle zu ein¬
ander setzend. Der Werber beginnt:


Maßgebliches und Unmaßgebliches

doch sehr modern, sehr von Gottes Gnaden und doch sehr volkstümlich ist/' Eine
Äußerung, die es wohl wert ist, verzeichnet zu werden.

Wie aus den Preßstimmen des Auslandes ausnahmslos ersichtlich ist, gilt auch
bei ihnen der Ausdruck ihrer warmen Teilnahme nicht nnr dem Träger der Macht
des Deutschen Reichs, sondern ebenso der Persönlichkeit des Kaisers, die dem aus¬
ländischen Publikum losgelöst von all den innern Kämpfen und Gegensätzen, die
Deutschland bewegen, allein im Lichte ihrer internationalen Bedeutung und einer
rastlosen, weitschanenden Betätigung erscheint.

Abgesehen von den preußischen Landtagswahlen, die wiederum manchen Be¬
weis für die Indifferenz und den Mangel um Ausdauer der bürgerlichen Parteien
erbracht haben, im großen und ganzen aber die Parteiverhältnisse des Abgeordneten¬
hauses unberührt lassen — der sozialdemokratische Ansturm ist für diesesmal
völlig abgeschlagen —, wird das allgemeine Interesse durch den vor dem Metzer
Kriegsgericht verhandelten Prozeß des Leutnants Bilse in Auspruch genommen.
Die volle Öffentlichkeit, in der dieser Prozeß verhandelt worden ist, hat ja ohne
Zweifel zwei Seiten. Aber die Öffentlichkeit beweist erstlich, daß die berufnen
Instanzen absolut nichts vertuscht wissen wollten, zweitens enthält sie eine ernste
Warnung an die Offizierkorps der kleinen Garnisonen. Das Sittengemälde, das
der Prozeß enthüllt hat, ist sicherlich sehr betrübend und wird gewiß nach mancher
Richtung hin ein wohltätiges Eingreifen zur Folge haben. Mau sieht daraus, daß
in der Purifizierung der Offizierkorps nicht streng genug und nicht energisch genug
vorgegangen werden kann. In dem Roman „Sedan oder Jena?", in Bühnen¬
stücken und jetzt in dem Metzer Prozeß siud Nachtseiten unsers militärischen Lebens
rückhaltlos beleuchtet worden; es ist immerhin ein gutes Zeichen und es spricht für
die Gesundheit der Armee, daß sie solche Beleuchtung verträgt. Aber Fingerzeige,
wo die bessernde Hand anzulegen ist, sind damit gegeben. Nicht nur die kleinen
Garnisonen als solche kommen in Betracht, auch die einzelnen Waffen. In der
Trainwaffe besteht eine Stagnation, die innerhalb einer kleinen Garnison unver¬
meidlich Sumpfpflanzen treiben muß, und wenn bei der Infanterie schon 120 Leut-
nantstelleu an dem ohnehin viel zu knnppeu Sollbestande unbesetzt sind, so ist das
gleichfalls ein nicht unbedenkliches und zum großen Teil auch mit der Frage der
Grenzgarnisoueu eng verbundues Symptom. Ein aller zwei Jahre vorzunehmender
Garnisouwechscl innerhalb des Korpsverbands in den Grenzprovinzen ist jedenfalls
z. durchführbar und sollte ohne Rücksicht auf die Kosten eingeführt werden.


Noch etwas vom Wolkensteiner.

Der spätere Minnesang steht in keinem
guten Rufe, weder ethisch noch ästhetisch, und im allgemeinen mit Recht. Aber
bemerkenswert ist doch, daß bei den stärkern Talenten im vierzehnten Jahrhuuoert
und vollends zu Beginn des fünfzehnten ein Trieb nach genauerer Individualisierung
der Lebcnsmitteiluugen am Werke ist, wodurch auch die Poeten individueller er¬
scheinen. Ein überraschendes Beispiel davon bietet schon der sogenannte wilde
Alexander, der einmal als alter Mann im Anschauen der völlig veränderten Heimat
Einzeleindrücke des Waldlebens seiner Kindertage zu einem rührenden Bilde zu¬
sammenstellt, das Erdbeersnchen zwischen Stock und Stein, von der Tanne hin zur
Buche: die Stätte ist nun ein Weideplatz geworden, wo sich Rinder tummeln.

Bei Oswald von Wolkenstein steht dieses Vermögen, das einzelne genauer
und lebhafter zu ergreifen, in voller Blüte, wenn wir von einigen konventionellen
Jugendliedern absehen. Ein Gedicht wie das Gespräch eines werdenden Edelmanns
mit dem ihn ablehnenden Fräulein, so gewiß sein allgemeiner Nahmen und Ver¬
lauf noch jener Minnepoesie angehört, deren Höhepunkt der zweihundert Jahre
frühere Walter von der Vogelweide bedeutet, klingt doch seiner Einzclausprägung
nach schon fast hanssachsisch. Und mag es der Ritter auch zunächst nur für den
Einzelvortrag bestimmt haben, so hat er doch später der eigentlichen Melodie, dem
Tenor, einen Kvntratenor und einen Diskant hinzugefügt, streng und behutsam
Note gegen Note nach der frühesten Berechtigungsgeltung der Intervalle zu ein¬
ander setzend. Der Werber beginnt:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/540>, abgerufen am 05.05.2024.