Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage

außer acht lassen. In Amerika und Frankreich, den beiden Großmachtsrepubliken,
findet das allgemeine Stimmrecht sein Korrektiv im Senat, ebenso in Italien; in
England, in Österreich-Ungarn in den Oberhäusern, dort mögen Diäten für das
Unterhaus weniger bedenklich sein. Es ist bekannt, das; von 1866 bis 1870
der damalige Kronprinz und die Großherzoge ein Oberhaus für das Reich
lebhaft befürwortet haben, daß aber Bismarck entschieden dagegen war, der darin
nur ein schwierig zu behandelndes partiknlaristisches Institut oder eine Fort¬
setzung des Versniller Hauptquartiers mit unberechenbaren Einflüssen sah. Jeden¬
falls hielt er es für ein die Reichsmaschine unnötig komplizierendes Rad, er
hatte damals mehr Vertrauen zu dem Reichstag und dessen Wählern als zu
den Dynastien. Später hat sich seine Ansicht allerdings wesentlich gewandelt.
Heute, nach dreißig Jahren gefestigter Reichsgemeinschaft, ließe sich ein Oberhaus
organisieren, das bei richtiger Abmessung seiner Rechte wohl nützliche Dienste
leisten könnte. Aber dieser Ausweg wäre immerhin nicht nur der bei weitem
schwierigere, sondern für das angestrebte Ziel auch ein Umweg.

Deutschland braucht wegen der Zusammensetzung seines Reichstags noch
nicht zu verzweifeln. Es gibt, sollten die Sozialdemokraten von ihrer Stärke
und der Indolenz der andern Parteien wirklich einen unerträglichen Gebrauch
machen, noch Mittel genug zur Abhilfe. Die Nation hat noch das Vertrauen,
daß die Regierung nicht vor dein Entschlüsse zurückschrecken wird, die Existenz
Deutschlands nicht durch den Übermut des sozialistischen Züngleins an der
Reichswage in Frage stellen zu lassen. Eine entschlossene Negierung hat auf
freudige Heerfolge zu rechnen. Auch da würde dann wieder der Satz gelten:
"Wenn Revolution sein soll, wollen wir sie lieber macheu als erleiden."

Je mehr die Sozialdemokratie sich aufblühe, desto schneller wird sie hoffentlich
wieder zusammensinken. Mit Ausnahme des durch das konfessionelle Band noch
zusammengehaltuen Zentrums sind bisher alle Parteien nach Überschreitung
eines gewissen Höhepunkts zersplittert, die Konservativen wie die Liberalen; der
Sozialdemokratie wird es nicht anders ergehn. Mehr als man erwartete, kann
die letzte Neichstagswahl Deutschland zum Segen gereichen, t'fre uiiäa nee rsAiwr.
Freilich wird auch die politische Woge nur den Mutigeu und Willensstarken

tragen.


h- I-


Zur preußisch-polnischen Hprachenfrage
Ludwig Trampe von

>le Frage nach der Anwendbarkeit der polnischen Sprache in
öffentlichen Angelegenheiten Preußens ist brennend geworden.
In schneller Aufeinanderfolge mehren sich die Sprüche des Ober-
!verwaltungsgcrichts über deu Sprachen streit zwischen Aufsichts¬
behörden und Polenvereiniguugen. Immer erregter werden die
Besprechungen der Presse über die Vorkommnisse in diesem Streit und die
Stellung des Oberverwaltuugsgerichts dazu. Deshalb erscheint eine Erörterung
der Frage in ihrem vollen Umfang und unter eingehender Prüfung der mit ihrer
Entwicklung zusammenhängenden geschichtlichen Vorgänge dringend geboten.


Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage

außer acht lassen. In Amerika und Frankreich, den beiden Großmachtsrepubliken,
findet das allgemeine Stimmrecht sein Korrektiv im Senat, ebenso in Italien; in
England, in Österreich-Ungarn in den Oberhäusern, dort mögen Diäten für das
Unterhaus weniger bedenklich sein. Es ist bekannt, das; von 1866 bis 1870
der damalige Kronprinz und die Großherzoge ein Oberhaus für das Reich
lebhaft befürwortet haben, daß aber Bismarck entschieden dagegen war, der darin
nur ein schwierig zu behandelndes partiknlaristisches Institut oder eine Fort¬
setzung des Versniller Hauptquartiers mit unberechenbaren Einflüssen sah. Jeden¬
falls hielt er es für ein die Reichsmaschine unnötig komplizierendes Rad, er
hatte damals mehr Vertrauen zu dem Reichstag und dessen Wählern als zu
den Dynastien. Später hat sich seine Ansicht allerdings wesentlich gewandelt.
Heute, nach dreißig Jahren gefestigter Reichsgemeinschaft, ließe sich ein Oberhaus
organisieren, das bei richtiger Abmessung seiner Rechte wohl nützliche Dienste
leisten könnte. Aber dieser Ausweg wäre immerhin nicht nur der bei weitem
schwierigere, sondern für das angestrebte Ziel auch ein Umweg.

Deutschland braucht wegen der Zusammensetzung seines Reichstags noch
nicht zu verzweifeln. Es gibt, sollten die Sozialdemokraten von ihrer Stärke
und der Indolenz der andern Parteien wirklich einen unerträglichen Gebrauch
machen, noch Mittel genug zur Abhilfe. Die Nation hat noch das Vertrauen,
daß die Regierung nicht vor dein Entschlüsse zurückschrecken wird, die Existenz
Deutschlands nicht durch den Übermut des sozialistischen Züngleins an der
Reichswage in Frage stellen zu lassen. Eine entschlossene Negierung hat auf
freudige Heerfolge zu rechnen. Auch da würde dann wieder der Satz gelten:
„Wenn Revolution sein soll, wollen wir sie lieber macheu als erleiden."

Je mehr die Sozialdemokratie sich aufblühe, desto schneller wird sie hoffentlich
wieder zusammensinken. Mit Ausnahme des durch das konfessionelle Band noch
zusammengehaltuen Zentrums sind bisher alle Parteien nach Überschreitung
eines gewissen Höhepunkts zersplittert, die Konservativen wie die Liberalen; der
Sozialdemokratie wird es nicht anders ergehn. Mehr als man erwartete, kann
die letzte Neichstagswahl Deutschland zum Segen gereichen, t'fre uiiäa nee rsAiwr.
Freilich wird auch die politische Woge nur den Mutigeu und Willensstarken

tragen.


h- I-


Zur preußisch-polnischen Hprachenfrage
Ludwig Trampe von

>le Frage nach der Anwendbarkeit der polnischen Sprache in
öffentlichen Angelegenheiten Preußens ist brennend geworden.
In schneller Aufeinanderfolge mehren sich die Sprüche des Ober-
!verwaltungsgcrichts über deu Sprachen streit zwischen Aufsichts¬
behörden und Polenvereiniguugen. Immer erregter werden die
Besprechungen der Presse über die Vorkommnisse in diesem Streit und die
Stellung des Oberverwaltuugsgerichts dazu. Deshalb erscheint eine Erörterung
der Frage in ihrem vollen Umfang und unter eingehender Prüfung der mit ihrer
Entwicklung zusammenhängenden geschichtlichen Vorgänge dringend geboten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242155"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_271" prev="#ID_270"> außer acht lassen. In Amerika und Frankreich, den beiden Großmachtsrepubliken,<lb/>
findet das allgemeine Stimmrecht sein Korrektiv im Senat, ebenso in Italien; in<lb/>
England, in Österreich-Ungarn in den Oberhäusern, dort mögen Diäten für das<lb/>
Unterhaus weniger bedenklich sein. Es ist bekannt, das; von 1866 bis 1870<lb/>
der damalige Kronprinz und die Großherzoge ein Oberhaus für das Reich<lb/>
lebhaft befürwortet haben, daß aber Bismarck entschieden dagegen war, der darin<lb/>
nur ein schwierig zu behandelndes partiknlaristisches Institut oder eine Fort¬<lb/>
setzung des Versniller Hauptquartiers mit unberechenbaren Einflüssen sah. Jeden¬<lb/>
falls hielt er es für ein die Reichsmaschine unnötig komplizierendes Rad, er<lb/>
hatte damals mehr Vertrauen zu dem Reichstag und dessen Wählern als zu<lb/>
den Dynastien. Später hat sich seine Ansicht allerdings wesentlich gewandelt.<lb/>
Heute, nach dreißig Jahren gefestigter Reichsgemeinschaft, ließe sich ein Oberhaus<lb/>
organisieren, das bei richtiger Abmessung seiner Rechte wohl nützliche Dienste<lb/>
leisten könnte. Aber dieser Ausweg wäre immerhin nicht nur der bei weitem<lb/>
schwierigere, sondern für das angestrebte Ziel auch ein Umweg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_272"> Deutschland braucht wegen der Zusammensetzung seines Reichstags noch<lb/>
nicht zu verzweifeln. Es gibt, sollten die Sozialdemokraten von ihrer Stärke<lb/>
und der Indolenz der andern Parteien wirklich einen unerträglichen Gebrauch<lb/>
machen, noch Mittel genug zur Abhilfe. Die Nation hat noch das Vertrauen,<lb/>
daß die Regierung nicht vor dein Entschlüsse zurückschrecken wird, die Existenz<lb/>
Deutschlands nicht durch den Übermut des sozialistischen Züngleins an der<lb/>
Reichswage in Frage stellen zu lassen. Eine entschlossene Negierung hat auf<lb/>
freudige Heerfolge zu rechnen. Auch da würde dann wieder der Satz gelten:<lb/>
&#x201E;Wenn Revolution sein soll, wollen wir sie lieber macheu als erleiden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_273" next="#ID_274"> Je mehr die Sozialdemokratie sich aufblühe, desto schneller wird sie hoffentlich<lb/>
wieder zusammensinken. Mit Ausnahme des durch das konfessionelle Band noch<lb/>
zusammengehaltuen Zentrums sind bisher alle Parteien nach Überschreitung<lb/>
eines gewissen Höhepunkts zersplittert, die Konservativen wie die Liberalen; der<lb/>
Sozialdemokratie wird es nicht anders ergehn. Mehr als man erwartete, kann<lb/>
die letzte Neichstagswahl Deutschland zum Segen gereichen, t'fre uiiäa nee rsAiwr.<lb/>
Freilich wird auch die politische Woge nur den Mutigeu und Willensstarken</p><lb/>
          <p xml:id="ID_274" prev="#ID_273"> tragen.</p><lb/>
          <note type="byline"> h- I-</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur preußisch-polnischen Hprachenfrage<lb/><note type="byline"> Ludwig Trampe</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_275"> &gt;le Frage nach der Anwendbarkeit der polnischen Sprache in<lb/>
öffentlichen Angelegenheiten Preußens ist brennend geworden.<lb/>
In schneller Aufeinanderfolge mehren sich die Sprüche des Ober-<lb/>
!verwaltungsgcrichts über deu Sprachen streit zwischen Aufsichts¬<lb/>
behörden und Polenvereiniguugen. Immer erregter werden die<lb/>
Besprechungen der Presse über die Vorkommnisse in diesem Streit und die<lb/>
Stellung des Oberverwaltuugsgerichts dazu. Deshalb erscheint eine Erörterung<lb/>
der Frage in ihrem vollen Umfang und unter eingehender Prüfung der mit ihrer<lb/>
Entwicklung zusammenhängenden geschichtlichen Vorgänge dringend geboten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Zur preußisch-polnischen Sprachenfrage außer acht lassen. In Amerika und Frankreich, den beiden Großmachtsrepubliken, findet das allgemeine Stimmrecht sein Korrektiv im Senat, ebenso in Italien; in England, in Österreich-Ungarn in den Oberhäusern, dort mögen Diäten für das Unterhaus weniger bedenklich sein. Es ist bekannt, das; von 1866 bis 1870 der damalige Kronprinz und die Großherzoge ein Oberhaus für das Reich lebhaft befürwortet haben, daß aber Bismarck entschieden dagegen war, der darin nur ein schwierig zu behandelndes partiknlaristisches Institut oder eine Fort¬ setzung des Versniller Hauptquartiers mit unberechenbaren Einflüssen sah. Jeden¬ falls hielt er es für ein die Reichsmaschine unnötig komplizierendes Rad, er hatte damals mehr Vertrauen zu dem Reichstag und dessen Wählern als zu den Dynastien. Später hat sich seine Ansicht allerdings wesentlich gewandelt. Heute, nach dreißig Jahren gefestigter Reichsgemeinschaft, ließe sich ein Oberhaus organisieren, das bei richtiger Abmessung seiner Rechte wohl nützliche Dienste leisten könnte. Aber dieser Ausweg wäre immerhin nicht nur der bei weitem schwierigere, sondern für das angestrebte Ziel auch ein Umweg. Deutschland braucht wegen der Zusammensetzung seines Reichstags noch nicht zu verzweifeln. Es gibt, sollten die Sozialdemokraten von ihrer Stärke und der Indolenz der andern Parteien wirklich einen unerträglichen Gebrauch machen, noch Mittel genug zur Abhilfe. Die Nation hat noch das Vertrauen, daß die Regierung nicht vor dein Entschlüsse zurückschrecken wird, die Existenz Deutschlands nicht durch den Übermut des sozialistischen Züngleins an der Reichswage in Frage stellen zu lassen. Eine entschlossene Negierung hat auf freudige Heerfolge zu rechnen. Auch da würde dann wieder der Satz gelten: „Wenn Revolution sein soll, wollen wir sie lieber macheu als erleiden." Je mehr die Sozialdemokratie sich aufblühe, desto schneller wird sie hoffentlich wieder zusammensinken. Mit Ausnahme des durch das konfessionelle Band noch zusammengehaltuen Zentrums sind bisher alle Parteien nach Überschreitung eines gewissen Höhepunkts zersplittert, die Konservativen wie die Liberalen; der Sozialdemokratie wird es nicht anders ergehn. Mehr als man erwartete, kann die letzte Neichstagswahl Deutschland zum Segen gereichen, t'fre uiiäa nee rsAiwr. Freilich wird auch die politische Woge nur den Mutigeu und Willensstarken tragen. h- I- Zur preußisch-polnischen Hprachenfrage Ludwig Trampe von >le Frage nach der Anwendbarkeit der polnischen Sprache in öffentlichen Angelegenheiten Preußens ist brennend geworden. In schneller Aufeinanderfolge mehren sich die Sprüche des Ober- !verwaltungsgcrichts über deu Sprachen streit zwischen Aufsichts¬ behörden und Polenvereiniguugen. Immer erregter werden die Besprechungen der Presse über die Vorkommnisse in diesem Streit und die Stellung des Oberverwaltuugsgerichts dazu. Deshalb erscheint eine Erörterung der Frage in ihrem vollen Umfang und unter eingehender Prüfung der mit ihrer Entwicklung zusammenhängenden geschichtlichen Vorgänge dringend geboten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/87>, abgerufen am 05.05.2024.