Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches gegen die Sozialdemokratie Stellung zu nehmen, ist vom Reichstage nichts zu er¬ Die Reichs finanzfrage. Im Reichstage ist diese an den großen Rede- Der Tabak ist überhaupt nicht Nahrungsmittel, sondern ausschließich ß Grenzboten IV 1903 1^
Maßgebliches und Unmaßgebliches gegen die Sozialdemokratie Stellung zu nehmen, ist vom Reichstage nichts zu er¬ Die Reichs finanzfrage. Im Reichstage ist diese an den großen Rede- Der Tabak ist überhaupt nicht Nahrungsmittel, sondern ausschließich ß Grenzboten IV 1903 1^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0887" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242959"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3368" prev="#ID_3367"> gegen die Sozialdemokratie Stellung zu nehmen, ist vom Reichstage nichts zu er¬<lb/> warten. Man kann das bedauern von der Anschauung aus. daß Revressivmaßnahmeu<lb/> gegen die Sozialdemokratie ein Puffer zwischen dem Staat und den extremen Parteien,<lb/> zugleich aber auch dazu angetan wären, vielen blinden Mitläufern die Augen zu<lb/> öffnen. Gewiß! Aber um solche Puffer zu schaffen, braucht man eben eine Majorität,<lb/> so lange man innerhalb des Nahmens der Verfassung bleiben will. Außerhalb<lb/> dieses Nahmens zu handeln, kann ja notwendig werden, denn es gibt eine Linie,<lb/> über die hinaus der Staat die Sozialdemokratie nicht Vordringen lassen darf und<lb/> wird. Die Rede des Grafen Bülow hat bewiesen, daß er bei aller humanen<lb/> Auffassung, die er auch in der Politik bekundet, doch diese Möglichkeit nicht außer<lb/> acht läßt. Sie zu vermeiden, so lange das Interesse des Staates es erlaubt, ist<lb/> seine Pflicht. Aber er ist ganz und gar nicht gewillt, bei der Sozialdemokratie<lb/> und sonst im Lande die Ansicht aufkommen zu lassen, als ob es für ihn kein „bis<lb/> hierher und nicht weiter!" gäbe. Wer das glaubte oder andre glauben machen wollte,<lb/> hätte die Rechnung ohne den Wirt gemacht.</p><lb/> <div n="2"> <head> Die Reichs finanzfrage.</head> <p xml:id="ID_3369"> Im Reichstage ist diese an den großen Rede-<lb/> rngen recht kurz gekommen. Für die Sache war das jedenfalls kein Nachteil, und<lb/> der Reichsschahsekretär dürfte damit ganz zufrieden gewesen sein, zumal dn irgend<lb/> ein neuer Gedanke doch nicht zu erwarten war. Es hat auch gar keinen Zweck,<lb/> sich in dieser Frage gegenseitig noch irgend etwas weis zu machend Unter „Finanz¬<lb/> reform" ist in einem Bundesstaat, der neben und über seine» souveränen Gliederic<lb/> seinen eignen Haushalt führt, in der Hauptsache schwerlich jemals etwas andres zu<lb/> verstehn als eine Vermehrung der Reichseinnahmen. Denn der reformatorische Teil:<lb/> Beseitigung der verfassungswidrigen Franckensteinschen Klausel ganz oder teilweise<lb/> und Verbesserung des in seinem Wortlaut zum Teil recht unbequemen Artikels 70<lb/> der Verfassung, trifft weit mehr die Finanzverwaltung als die Einnahmen.<lb/> Die Verwaltung wird übersichtlicher und bequemer, aber eine Vermehrung der<lb/> eignen Einnahmen des Reichs in einem den Bedürfnissen entsprechenden Umfange<lb/> wird dadurch nicht herbeigeführt. Nur das Rechnen mit künstlichen Überschüssen<lb/> und das umständliche Hin- und Herschicken großer Summen zwischen der Reichs¬<lb/> hauptkasse und den Zeutralkassen der Einzelstaaten wird eingeschränkt, leider noch<lb/> ruht beseitigt. Es bleibt ein widersinniges Verhältnis, daß das Reich irgendwelche<lb/> Beträge an die Einzelstaaten auszahlt, so lange diese für den Neichsbedarf all-<lb/> inhrlich noch mehr zulegen müssen. Hier stehn sich zwei alte Gegensätze gegenüber, die<lb/> nun schon nach Jahrzehnten zählen. Eine wirkliche Erhöhung der Reichseinkünfte ist<lb/> und bleibt nur durch erhöhte Besteuerung von Bier und Tabak erreichbar. Alles,<lb/> Was dagegen vorgebracht worden ist und noch vorgebracht werden wird, ist<lb/> grane Theorie oder Wüstenrabe. Beim Bier kann man allenfalls noch über die Be¬<lb/> steuerung eines „Nahrungsmittels" räsonieren, obwohl immerhin ein recht be¬<lb/> trächtlicher Teil der Deutschen entweder kein Bier oder so wenig trinkt, daß die<lb/> Erhöhung der Steuer diesen alljährlich kaum wenige Mark kosten würde. Wer mehr<lb/> wult, kann mich mehr zahlen. Die Erhöhung der Abgaben braucht aber auch gar<lb/> weht auf den Biertrinker abgewälzt zu werden, man könnte eine Erhöhung der<lb/> Bierpreise als Ausgleich für die Steuer sogar im Gesetz verbieten. Denn die<lb/> Brauereien und die Pächter der Ansschankstellen verdienen so reichlich, daß die Steuer<lb/> >ehr gut auf die Fabrikation gelegt und von dieser getragen werden kann. Heut-<lb/> -Mcige trinkt jeder „richtige" Maurer auf dem Bau seine vier bis sechs Flaschen<lb/> A'er. das ja meist in größern Mengen angekauft wird, und in Bayern ist der<lb/> Bierholer eigentlich den ganzen Tag unterwegs. Es ist absolut nicht einzusehen,<lb/> weshalb ein so bedeutender Konsum nicht zu einer höhern Abgabe herangezogen<lb/> werden soll, von der auf den Liter Bier doch nur ein minimaler Bruchteil entfällt.<lb/> lGenu-</p><lb/> <p xml:id="ID_3370" next="#ID_3371"> Der Tabak ist überhaupt nicht Nahrungsmittel, sondern ausschließich ß<lb/> «"edel, obendrein nur für eine» geringen Bruchteil der Bevölkerung, nämlich für den</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1903 1^</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0887]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
gegen die Sozialdemokratie Stellung zu nehmen, ist vom Reichstage nichts zu er¬
warten. Man kann das bedauern von der Anschauung aus. daß Revressivmaßnahmeu
gegen die Sozialdemokratie ein Puffer zwischen dem Staat und den extremen Parteien,
zugleich aber auch dazu angetan wären, vielen blinden Mitläufern die Augen zu
öffnen. Gewiß! Aber um solche Puffer zu schaffen, braucht man eben eine Majorität,
so lange man innerhalb des Nahmens der Verfassung bleiben will. Außerhalb
dieses Nahmens zu handeln, kann ja notwendig werden, denn es gibt eine Linie,
über die hinaus der Staat die Sozialdemokratie nicht Vordringen lassen darf und
wird. Die Rede des Grafen Bülow hat bewiesen, daß er bei aller humanen
Auffassung, die er auch in der Politik bekundet, doch diese Möglichkeit nicht außer
acht läßt. Sie zu vermeiden, so lange das Interesse des Staates es erlaubt, ist
seine Pflicht. Aber er ist ganz und gar nicht gewillt, bei der Sozialdemokratie
und sonst im Lande die Ansicht aufkommen zu lassen, als ob es für ihn kein „bis
hierher und nicht weiter!" gäbe. Wer das glaubte oder andre glauben machen wollte,
hätte die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Die Reichs finanzfrage. Im Reichstage ist diese an den großen Rede-
rngen recht kurz gekommen. Für die Sache war das jedenfalls kein Nachteil, und
der Reichsschahsekretär dürfte damit ganz zufrieden gewesen sein, zumal dn irgend
ein neuer Gedanke doch nicht zu erwarten war. Es hat auch gar keinen Zweck,
sich in dieser Frage gegenseitig noch irgend etwas weis zu machend Unter „Finanz¬
reform" ist in einem Bundesstaat, der neben und über seine» souveränen Gliederic
seinen eignen Haushalt führt, in der Hauptsache schwerlich jemals etwas andres zu
verstehn als eine Vermehrung der Reichseinnahmen. Denn der reformatorische Teil:
Beseitigung der verfassungswidrigen Franckensteinschen Klausel ganz oder teilweise
und Verbesserung des in seinem Wortlaut zum Teil recht unbequemen Artikels 70
der Verfassung, trifft weit mehr die Finanzverwaltung als die Einnahmen.
Die Verwaltung wird übersichtlicher und bequemer, aber eine Vermehrung der
eignen Einnahmen des Reichs in einem den Bedürfnissen entsprechenden Umfange
wird dadurch nicht herbeigeführt. Nur das Rechnen mit künstlichen Überschüssen
und das umständliche Hin- und Herschicken großer Summen zwischen der Reichs¬
hauptkasse und den Zeutralkassen der Einzelstaaten wird eingeschränkt, leider noch
ruht beseitigt. Es bleibt ein widersinniges Verhältnis, daß das Reich irgendwelche
Beträge an die Einzelstaaten auszahlt, so lange diese für den Neichsbedarf all-
inhrlich noch mehr zulegen müssen. Hier stehn sich zwei alte Gegensätze gegenüber, die
nun schon nach Jahrzehnten zählen. Eine wirkliche Erhöhung der Reichseinkünfte ist
und bleibt nur durch erhöhte Besteuerung von Bier und Tabak erreichbar. Alles,
Was dagegen vorgebracht worden ist und noch vorgebracht werden wird, ist
grane Theorie oder Wüstenrabe. Beim Bier kann man allenfalls noch über die Be¬
steuerung eines „Nahrungsmittels" räsonieren, obwohl immerhin ein recht be¬
trächtlicher Teil der Deutschen entweder kein Bier oder so wenig trinkt, daß die
Erhöhung der Steuer diesen alljährlich kaum wenige Mark kosten würde. Wer mehr
wult, kann mich mehr zahlen. Die Erhöhung der Abgaben braucht aber auch gar
weht auf den Biertrinker abgewälzt zu werden, man könnte eine Erhöhung der
Bierpreise als Ausgleich für die Steuer sogar im Gesetz verbieten. Denn die
Brauereien und die Pächter der Ansschankstellen verdienen so reichlich, daß die Steuer
>ehr gut auf die Fabrikation gelegt und von dieser getragen werden kann. Heut-
-Mcige trinkt jeder „richtige" Maurer auf dem Bau seine vier bis sechs Flaschen
A'er. das ja meist in größern Mengen angekauft wird, und in Bayern ist der
Bierholer eigentlich den ganzen Tag unterwegs. Es ist absolut nicht einzusehen,
weshalb ein so bedeutender Konsum nicht zu einer höhern Abgabe herangezogen
werden soll, von der auf den Liter Bier doch nur ein minimaler Bruchteil entfällt.
lGenu-
Der Tabak ist überhaupt nicht Nahrungsmittel, sondern ausschließich ß
«"edel, obendrein nur für eine» geringen Bruchteil der Bevölkerung, nämlich für den
Grenzboten IV 1903 1^
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