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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Ausblicke übers Meer

n den letzten Wochen sind unsre Blicke sehr nachdrücklich übers Meer
gelenkt worden. Zuerst kam der Hereroaufstand. So schmerzlich
die Verluste an Menschen und Gütern sind, die sein plötzlicher, und
wie es scheint, auch die Behörden ganz überraschender Ausbruch
uns zugefügthat, er hat uns doch auch schützbare Lehren gegeben,
die hoffentlich nicht erfolglos gewesen sein, sondern auf unsre künftige Kolonial¬
politik ihren Einfluß äußern werde". Zunächst die Lehre, daß unsre Verwaltung
den Schwarzen gegenüber zu vertrauensselig gewesen ist. Daß sie Hinterladcr-
gewehre an die Eingebornen verkauft hat, wenn sie sich auch besonders hohe Preise
zahlen ließ, wenn auch viele Waffen über die schlecht bewachte portugiesische
Grenze eingeschmuggelt worden sein mögen, daß sogar die Geschütze von Windhnk
zur Reparatur nach Deutschland geschickt wurden, ohne daß mau zugleich für
Ersatz aus der Heimat sorgte, das sind sicher Dinge, die nicht wieder vorkommen
dürfen. Die zweite Lehre aber war, daß wir dort schon viel größere Interessen
zu schützen haben, daß die Zahl unsrer Ansiedler und der Wert ihrer Güter
schon viel ansehnlicher sind, als man sich das im allgemeinen vorgestellt hatte,
woraus freilich eine dritte folgt, nämlich die, daß unsre militärische Macht dank
der knauserigen Zurückhaltung, die bisher die Rcichstagsmehrheit in solchen
Fragen gezeigt hat, dort viel zu gering war -- ein schwaches Reiterregiment
auf einer Fläche, die um die Hälfte größer ist als das Deutsche Reich --, als
daß sie hinreichenden Schutz gegen plötzliche unberechenbare Aufstandsgelnste der
Hottentotten und der Kaffern gewähren könnten. Solchen Lehren steht um glück¬
licherweise noch eine andre gegenüber. Bei der Überraschung und bei den ge¬
ringen Streitkrüften hat sich der Wert unsrer Eisenbahn Swakopmnnd-Windhuk
aufs klarste herausgestellt, und unsre Leute da drüben haben sich aufs trefflichste
bewährt. Jeder Offizier und Unteroffizier tat in der schwierigsten Läge, oft an
der Spitze einer Handvoll von Männern, selbständig, nach eignem Urteil, was
eben in seiner Lage zu tun war, und unsre heimische Organisation wußte in
der kürzesten Frist ansehnliche, wohlausgerüstete Verstärkungen hinüberzuwerfen,
die ausreichen werden, die Kolonie zu sichern. Auch der Reichstag hat hier
einmal einmütig getan, was er tun mußte.


Grenzboten I 1904 57


Ausblicke übers Meer

n den letzten Wochen sind unsre Blicke sehr nachdrücklich übers Meer
gelenkt worden. Zuerst kam der Hereroaufstand. So schmerzlich
die Verluste an Menschen und Gütern sind, die sein plötzlicher, und
wie es scheint, auch die Behörden ganz überraschender Ausbruch
uns zugefügthat, er hat uns doch auch schützbare Lehren gegeben,
die hoffentlich nicht erfolglos gewesen sein, sondern auf unsre künftige Kolonial¬
politik ihren Einfluß äußern werde». Zunächst die Lehre, daß unsre Verwaltung
den Schwarzen gegenüber zu vertrauensselig gewesen ist. Daß sie Hinterladcr-
gewehre an die Eingebornen verkauft hat, wenn sie sich auch besonders hohe Preise
zahlen ließ, wenn auch viele Waffen über die schlecht bewachte portugiesische
Grenze eingeschmuggelt worden sein mögen, daß sogar die Geschütze von Windhnk
zur Reparatur nach Deutschland geschickt wurden, ohne daß mau zugleich für
Ersatz aus der Heimat sorgte, das sind sicher Dinge, die nicht wieder vorkommen
dürfen. Die zweite Lehre aber war, daß wir dort schon viel größere Interessen
zu schützen haben, daß die Zahl unsrer Ansiedler und der Wert ihrer Güter
schon viel ansehnlicher sind, als man sich das im allgemeinen vorgestellt hatte,
woraus freilich eine dritte folgt, nämlich die, daß unsre militärische Macht dank
der knauserigen Zurückhaltung, die bisher die Rcichstagsmehrheit in solchen
Fragen gezeigt hat, dort viel zu gering war — ein schwaches Reiterregiment
auf einer Fläche, die um die Hälfte größer ist als das Deutsche Reich —, als
daß sie hinreichenden Schutz gegen plötzliche unberechenbare Aufstandsgelnste der
Hottentotten und der Kaffern gewähren könnten. Solchen Lehren steht um glück¬
licherweise noch eine andre gegenüber. Bei der Überraschung und bei den ge¬
ringen Streitkrüften hat sich der Wert unsrer Eisenbahn Swakopmnnd-Windhuk
aufs klarste herausgestellt, und unsre Leute da drüben haben sich aufs trefflichste
bewährt. Jeder Offizier und Unteroffizier tat in der schwierigsten Läge, oft an
der Spitze einer Handvoll von Männern, selbständig, nach eignem Urteil, was
eben in seiner Lage zu tun war, und unsre heimische Organisation wußte in
der kürzesten Frist ansehnliche, wohlausgerüstete Verstärkungen hinüberzuwerfen,
die ausreichen werden, die Kolonie zu sichern. Auch der Reichstag hat hier
einmal einmütig getan, was er tun mußte.


Grenzboten I 1904 57
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[0445] [Abbildung] Ausblicke übers Meer n den letzten Wochen sind unsre Blicke sehr nachdrücklich übers Meer gelenkt worden. Zuerst kam der Hereroaufstand. So schmerzlich die Verluste an Menschen und Gütern sind, die sein plötzlicher, und wie es scheint, auch die Behörden ganz überraschender Ausbruch uns zugefügthat, er hat uns doch auch schützbare Lehren gegeben, die hoffentlich nicht erfolglos gewesen sein, sondern auf unsre künftige Kolonial¬ politik ihren Einfluß äußern werde». Zunächst die Lehre, daß unsre Verwaltung den Schwarzen gegenüber zu vertrauensselig gewesen ist. Daß sie Hinterladcr- gewehre an die Eingebornen verkauft hat, wenn sie sich auch besonders hohe Preise zahlen ließ, wenn auch viele Waffen über die schlecht bewachte portugiesische Grenze eingeschmuggelt worden sein mögen, daß sogar die Geschütze von Windhnk zur Reparatur nach Deutschland geschickt wurden, ohne daß mau zugleich für Ersatz aus der Heimat sorgte, das sind sicher Dinge, die nicht wieder vorkommen dürfen. Die zweite Lehre aber war, daß wir dort schon viel größere Interessen zu schützen haben, daß die Zahl unsrer Ansiedler und der Wert ihrer Güter schon viel ansehnlicher sind, als man sich das im allgemeinen vorgestellt hatte, woraus freilich eine dritte folgt, nämlich die, daß unsre militärische Macht dank der knauserigen Zurückhaltung, die bisher die Rcichstagsmehrheit in solchen Fragen gezeigt hat, dort viel zu gering war — ein schwaches Reiterregiment auf einer Fläche, die um die Hälfte größer ist als das Deutsche Reich —, als daß sie hinreichenden Schutz gegen plötzliche unberechenbare Aufstandsgelnste der Hottentotten und der Kaffern gewähren könnten. Solchen Lehren steht um glück¬ licherweise noch eine andre gegenüber. Bei der Überraschung und bei den ge¬ ringen Streitkrüften hat sich der Wert unsrer Eisenbahn Swakopmnnd-Windhuk aufs klarste herausgestellt, und unsre Leute da drüben haben sich aufs trefflichste bewährt. Jeder Offizier und Unteroffizier tat in der schwierigsten Läge, oft an der Spitze einer Handvoll von Männern, selbständig, nach eignem Urteil, was eben in seiner Lage zu tun war, und unsre heimische Organisation wußte in der kürzesten Frist ansehnliche, wohlausgerüstete Verstärkungen hinüberzuwerfen, die ausreichen werden, die Kolonie zu sichern. Auch der Reichstag hat hier einmal einmütig getan, was er tun mußte. Grenzboten I 1904 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/445>, abgerufen am 06.05.2024.