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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren 1. 370 und ^ 37 ^

der Geschichte der bisher unbekannten Geschlechter, die jahrhundertelang im stillen
gewirkt und geschafft haben, zur Erweiterung der allgemeinen Kultur- nud
Wirtschaftsgeschichte bei, auf die heute so großer Wert gelegt wird.

Ebensowenig wie diese falsche Scham darf den Familienforscher aber auch
umgekehrt der andre Vorwurf anfechten, den man ihm wohl in der Presse
gemacht hat, daß es die bürgerlichen Familien dem Adel gleich tun wollten,
daß man damit eine neue Aristokratie, einen neuen Geburtsstand hervorbringen,
eine Geldaristokratie heranzüchten wollte. Im Vorworte zum neunten Bande
des Körnerschen Handbuchs ist dieser Vorwurf mit folgenden Worten abgetan
worden: "Echter Adel ist nur dort vorhanden, wo es einen Stamm überlieferter
Ehr- und Sittenbegriffe, wo es eine Familienüberlieserung und ein einheitliches
bewußtes Wollen innerhalb der Sippe gibt. Eine neue Aristokratie kann daher
nur dann entsteh", wenn bestimmte Familiengruppen, die nicht zur alten Aristo¬
kratie gehören, in dem, was das edelste im Adel ist, ihm gleichkommen, im Adel
der Gesinnung und des Handelns, im Stolz auf die Familie, im Festhalten an
der Erinnerung an die Vorfahren und in dem Bestreben, den ererbten Namen
rem und fleckenlos zu erhalten und zu seinem Glänze und seiner Macht als
ewes von vielen Gliedern desselben Bluts und derselben Sippe beizutragen,
soviel ein jeder vermag. Jene alte Aristokratie wird einen Mitbewerber -- keinen
Nebenbuhler -- nur dann finden, wenn echter Bürgerstolz und echter Bürger¬
sinn im Streben nach den höchsten Gütern ihr zur Seite tritt. In Ehren er-
worbner Reichtum, durch Generationen vermehrtes Vermögen und Wissen wird
den bürgerlichen Geschlechtern Macht geben, wenn sie ihre Gediegenheit und ihr
Selbstbewußtsein bewahren."

Das sind beachtenswerte Worte in unsrer hastigen, nach materiellem Gewinn
und Wohlleben jagenden Zeit, wo so viele nur für gutes Essen und Trinken
volles Verständnis haben, alle idealen Bestrebungen mitleidig belächeln und das
s° oft mißverstcmdne Schillersche Wort: "Was du ererbt von deinen Vätern
Mök, erwirb es, um es zu besitzen" ausschließlich auf die reiche Erbschaft be¬
lehn, die ihnen Gesetz und Testament gesichert haben, und darüber der "Väter"
selbst R. "rieg vergessen.




Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft
in den Jahren ^870 und ^87^
(Schluß)

in Hotel du Nord habe ich bis gegen Ende des Dezembers gelebt,
danach bezog ich eine olminbrs gN-rio. Wir hatten im Hotel zu
je zweien ein nnheizbnres Schlafzimmer, außerdem war den dort
wohnenden deutschen Offizieren zusammen ein Salon zur Verfügung
gestellt, wo man den größten Teil des Tags zubrachte. Unser Leben
--I spielte sich anfangs im allgemeinen in der Weise ab, daß man bis
im K ^ danach sich gegen elf Uhr zum gemeinsamen clchsunsi'
^cuon zusammenfand, dann weiter dort blieb und mit verschiedner Beschäftigung,


Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren 1. 370 und ^ 37 ^

der Geschichte der bisher unbekannten Geschlechter, die jahrhundertelang im stillen
gewirkt und geschafft haben, zur Erweiterung der allgemeinen Kultur- nud
Wirtschaftsgeschichte bei, auf die heute so großer Wert gelegt wird.

Ebensowenig wie diese falsche Scham darf den Familienforscher aber auch
umgekehrt der andre Vorwurf anfechten, den man ihm wohl in der Presse
gemacht hat, daß es die bürgerlichen Familien dem Adel gleich tun wollten,
daß man damit eine neue Aristokratie, einen neuen Geburtsstand hervorbringen,
eine Geldaristokratie heranzüchten wollte. Im Vorworte zum neunten Bande
des Körnerschen Handbuchs ist dieser Vorwurf mit folgenden Worten abgetan
worden: „Echter Adel ist nur dort vorhanden, wo es einen Stamm überlieferter
Ehr- und Sittenbegriffe, wo es eine Familienüberlieserung und ein einheitliches
bewußtes Wollen innerhalb der Sippe gibt. Eine neue Aristokratie kann daher
nur dann entsteh», wenn bestimmte Familiengruppen, die nicht zur alten Aristo¬
kratie gehören, in dem, was das edelste im Adel ist, ihm gleichkommen, im Adel
der Gesinnung und des Handelns, im Stolz auf die Familie, im Festhalten an
der Erinnerung an die Vorfahren und in dem Bestreben, den ererbten Namen
rem und fleckenlos zu erhalten und zu seinem Glänze und seiner Macht als
ewes von vielen Gliedern desselben Bluts und derselben Sippe beizutragen,
soviel ein jeder vermag. Jene alte Aristokratie wird einen Mitbewerber — keinen
Nebenbuhler — nur dann finden, wenn echter Bürgerstolz und echter Bürger¬
sinn im Streben nach den höchsten Gütern ihr zur Seite tritt. In Ehren er-
worbner Reichtum, durch Generationen vermehrtes Vermögen und Wissen wird
den bürgerlichen Geschlechtern Macht geben, wenn sie ihre Gediegenheit und ihr
Selbstbewußtsein bewahren."

Das sind beachtenswerte Worte in unsrer hastigen, nach materiellem Gewinn
und Wohlleben jagenden Zeit, wo so viele nur für gutes Essen und Trinken
volles Verständnis haben, alle idealen Bestrebungen mitleidig belächeln und das
s° oft mißverstcmdne Schillersche Wort: „Was du ererbt von deinen Vätern
Mök, erwirb es, um es zu besitzen" ausschließlich auf die reiche Erbschaft be¬
lehn, die ihnen Gesetz und Testament gesichert haben, und darüber der „Väter"
selbst R. «rieg vergessen.




Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft
in den Jahren ^870 und ^87^
(Schluß)

in Hotel du Nord habe ich bis gegen Ende des Dezembers gelebt,
danach bezog ich eine olminbrs gN-rio. Wir hatten im Hotel zu
je zweien ein nnheizbnres Schlafzimmer, außerdem war den dort
wohnenden deutschen Offizieren zusammen ein Salon zur Verfügung
gestellt, wo man den größten Teil des Tags zubrachte. Unser Leben
—I spielte sich anfangs im allgemeinen in der Weise ab, daß man bis
im K ^ danach sich gegen elf Uhr zum gemeinsamen clchsunsi'
^cuon zusammenfand, dann weiter dort blieb und mit verschiedner Beschäftigung,


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[0785] Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren 1. 370 und ^ 37 ^ der Geschichte der bisher unbekannten Geschlechter, die jahrhundertelang im stillen gewirkt und geschafft haben, zur Erweiterung der allgemeinen Kultur- nud Wirtschaftsgeschichte bei, auf die heute so großer Wert gelegt wird. Ebensowenig wie diese falsche Scham darf den Familienforscher aber auch umgekehrt der andre Vorwurf anfechten, den man ihm wohl in der Presse gemacht hat, daß es die bürgerlichen Familien dem Adel gleich tun wollten, daß man damit eine neue Aristokratie, einen neuen Geburtsstand hervorbringen, eine Geldaristokratie heranzüchten wollte. Im Vorworte zum neunten Bande des Körnerschen Handbuchs ist dieser Vorwurf mit folgenden Worten abgetan worden: „Echter Adel ist nur dort vorhanden, wo es einen Stamm überlieferter Ehr- und Sittenbegriffe, wo es eine Familienüberlieserung und ein einheitliches bewußtes Wollen innerhalb der Sippe gibt. Eine neue Aristokratie kann daher nur dann entsteh», wenn bestimmte Familiengruppen, die nicht zur alten Aristo¬ kratie gehören, in dem, was das edelste im Adel ist, ihm gleichkommen, im Adel der Gesinnung und des Handelns, im Stolz auf die Familie, im Festhalten an der Erinnerung an die Vorfahren und in dem Bestreben, den ererbten Namen rem und fleckenlos zu erhalten und zu seinem Glänze und seiner Macht als ewes von vielen Gliedern desselben Bluts und derselben Sippe beizutragen, soviel ein jeder vermag. Jene alte Aristokratie wird einen Mitbewerber — keinen Nebenbuhler — nur dann finden, wenn echter Bürgerstolz und echter Bürger¬ sinn im Streben nach den höchsten Gütern ihr zur Seite tritt. In Ehren er- worbner Reichtum, durch Generationen vermehrtes Vermögen und Wissen wird den bürgerlichen Geschlechtern Macht geben, wenn sie ihre Gediegenheit und ihr Selbstbewußtsein bewahren." Das sind beachtenswerte Worte in unsrer hastigen, nach materiellem Gewinn und Wohlleben jagenden Zeit, wo so viele nur für gutes Essen und Trinken volles Verständnis haben, alle idealen Bestrebungen mitleidig belächeln und das s° oft mißverstcmdne Schillersche Wort: „Was du ererbt von deinen Vätern Mök, erwirb es, um es zu besitzen" ausschließlich auf die reiche Erbschaft be¬ lehn, die ihnen Gesetz und Testament gesichert haben, und darüber der „Väter" selbst R. «rieg vergessen. Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^87^ (Schluß) in Hotel du Nord habe ich bis gegen Ende des Dezembers gelebt, danach bezog ich eine olminbrs gN-rio. Wir hatten im Hotel zu je zweien ein nnheizbnres Schlafzimmer, außerdem war den dort wohnenden deutschen Offizieren zusammen ein Salon zur Verfügung gestellt, wo man den größten Teil des Tags zubrachte. Unser Leben —I spielte sich anfangs im allgemeinen in der Weise ab, daß man bis im K ^ danach sich gegen elf Uhr zum gemeinsamen clchsunsi' ^cuon zusammenfand, dann weiter dort blieb und mit verschiedner Beschäftigung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/785>, abgerufen am 06.05.2024.