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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Der westafri.karische Neger

den Bau von Eisenbahnen in Ostafrika (Dar es Satanen---Mrogoro) und Togo.
Da besteht doch die Hoffnung, daß mit dem zunehmenden Verständnis für die
modernen Aufgaben im Volke auch in seiner Vertretung ein solches Ver¬
ständnis mehr und mehr zur Geltung kommen wird, namentlich dann, wenn
endlich die Reichsfinanzen, die die kurzsichtige Politik der Mittelstaaten gegen¬
über dem Reichseisenbahnprojekt von 1876 zu ihrem eignen empfindlichen Nachteil
so schwer geschädigt hat, leistungsfähiger werden. Zu einer Elite der Nation
wird freilich der Reichstag unter dem jetzigen Wahlgesetz auch dann niemals
werden, aber die Zeit ist nicht dazu angetan, ohne die dringendste Not eine
Parlamentsreform zu unternehmen. Und nur an eine solche Notlage hat der
Reichskanzler am 11. Mai gedacht. Ob sie schon vorhanden ist, kann niemand
besser beurteilen als er.




Der westafrikanische Neger, sein Verhalten dem
Fremden gegenüber und seine Behandlung
Ein Beitrag zur Psychologie der Negerrasse
Hauxtmann a. D. Hutter, von Murnau in Bayern

l urch die ganze Völkerbeurteilung, sagt Ratzel, geht die unzweifel¬
hafte Grundtatsache des Gefühls individueller Überhebung, daß
man lieber ungünstig als günstig über seine Nebenmenschen denkt.
Welche tiefe Wahrheit, leider, diesem Ausspruche zugrunde liegt,
klenn gerade der Afrikaforscher am besten bezeugen. Wegwerfende
Urteile über die schwarze Rasse sind in der Heimat leider so allgemein, daß
meine Antwort auf Fragen wie: "nicht wahr, der Neger ist recht häßlich?"
"der Neger ist geistig und körperlich eigentlich untergeordnet?" usw. in ihrer
von mir absichtlich gewählten schroffen Fassung: "nicht mehr als ein ganz er¬
klecklicher Teil der kaukasischen Rasse auch!" meist unwilliges Erstaunen hervor¬
gerufen hat. Den einen, innern, Grund dieser lieblosen und tatsächlich unrichtigen
Beurteilung gibt das angeführte Wort unsers berühmten Ethnographen; einen
großen Teil der Schuld muß ich den Afrikafahrern selbst aufbürden, namentlich
solchen, die sich draußen nur kurze Zeit und diese meist nur an der Küste auf¬
gehalten haben, aber sich trotzdem zu einem abschließenden (und deshalb meist
falschen) Urteil berechtigt glauben. Der Nest, und zwar der ganz beträchtliche
Rest der Schuld liegt in dem so sehr beliebten Fehler der Verallgemeinerung.

Um beim afrikanischen Neger zu bleiben, wird diese Verallgemeinerung in
der Weise kritiklos geübt, daß von einem oder einigen Vertretern der schwarzen
Rasse frischweg auf alle ihre Angehörigen geschlossen wird. Der dabei begangne
Fehler ist um so gründlicher, als der Vertreter meist einem Küstenstamm oder
den amerikanischen Negern angehört; beide sind seit Jahrhunderten mit dem
Europäer in viel zu innige Berührung gekommen, als daß sie nur annähernd ein
reines Bild einer der Negerraffen geben könnten; beide haben mit den tiefer im


Grenzboten III 1904 2
Der westafri.karische Neger

den Bau von Eisenbahnen in Ostafrika (Dar es Satanen—-Mrogoro) und Togo.
Da besteht doch die Hoffnung, daß mit dem zunehmenden Verständnis für die
modernen Aufgaben im Volke auch in seiner Vertretung ein solches Ver¬
ständnis mehr und mehr zur Geltung kommen wird, namentlich dann, wenn
endlich die Reichsfinanzen, die die kurzsichtige Politik der Mittelstaaten gegen¬
über dem Reichseisenbahnprojekt von 1876 zu ihrem eignen empfindlichen Nachteil
so schwer geschädigt hat, leistungsfähiger werden. Zu einer Elite der Nation
wird freilich der Reichstag unter dem jetzigen Wahlgesetz auch dann niemals
werden, aber die Zeit ist nicht dazu angetan, ohne die dringendste Not eine
Parlamentsreform zu unternehmen. Und nur an eine solche Notlage hat der
Reichskanzler am 11. Mai gedacht. Ob sie schon vorhanden ist, kann niemand
besser beurteilen als er.




Der westafrikanische Neger, sein Verhalten dem
Fremden gegenüber und seine Behandlung
Ein Beitrag zur Psychologie der Negerrasse
Hauxtmann a. D. Hutter, von Murnau in Bayern

l urch die ganze Völkerbeurteilung, sagt Ratzel, geht die unzweifel¬
hafte Grundtatsache des Gefühls individueller Überhebung, daß
man lieber ungünstig als günstig über seine Nebenmenschen denkt.
Welche tiefe Wahrheit, leider, diesem Ausspruche zugrunde liegt,
klenn gerade der Afrikaforscher am besten bezeugen. Wegwerfende
Urteile über die schwarze Rasse sind in der Heimat leider so allgemein, daß
meine Antwort auf Fragen wie: „nicht wahr, der Neger ist recht häßlich?"
„der Neger ist geistig und körperlich eigentlich untergeordnet?" usw. in ihrer
von mir absichtlich gewählten schroffen Fassung: „nicht mehr als ein ganz er¬
klecklicher Teil der kaukasischen Rasse auch!" meist unwilliges Erstaunen hervor¬
gerufen hat. Den einen, innern, Grund dieser lieblosen und tatsächlich unrichtigen
Beurteilung gibt das angeführte Wort unsers berühmten Ethnographen; einen
großen Teil der Schuld muß ich den Afrikafahrern selbst aufbürden, namentlich
solchen, die sich draußen nur kurze Zeit und diese meist nur an der Küste auf¬
gehalten haben, aber sich trotzdem zu einem abschließenden (und deshalb meist
falschen) Urteil berechtigt glauben. Der Nest, und zwar der ganz beträchtliche
Rest der Schuld liegt in dem so sehr beliebten Fehler der Verallgemeinerung.

Um beim afrikanischen Neger zu bleiben, wird diese Verallgemeinerung in
der Weise kritiklos geübt, daß von einem oder einigen Vertretern der schwarzen
Rasse frischweg auf alle ihre Angehörigen geschlossen wird. Der dabei begangne
Fehler ist um so gründlicher, als der Vertreter meist einem Küstenstamm oder
den amerikanischen Negern angehört; beide sind seit Jahrhunderten mit dem
Europäer in viel zu innige Berührung gekommen, als daß sie nur annähernd ein
reines Bild einer der Negerraffen geben könnten; beide haben mit den tiefer im


Grenzboten III 1904 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/17>, abgerufen am 28.04.2024.