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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sie als erloschen zu erklären, ist der Fall des AufHörens dieser Erbbehinderung
selbstverständlich konstruierbar. Der beste Ausweg wäre vielleicht der, daß Braun¬
schweig zu Preußen in ein Verhältnis träte wie Wcildeck-Pyrmont, d. h. daß Preußen
die Regierung des Landes bestellte und durch diese die zwei Bundesratsstimmen
führen ließe. Für Waldeck-Pyrmont hat Preußen bekanntlich ziemlich große Zu¬
schüsse zu den Landeseinkünften zu zahlen gehabt, bei Braunschweig würde das
wegfallen. Will man so weit nicht gehn, so kann man die Bestellung der Regierung
durch Preußen auf einen bestimmten Zeitraum stipulieren. Auch bei der vollsten
Ehrlichkeit Preußen gegenüber würde der Herzog in bezug auf die welfische Partei
immer in einer schwierigen Lage sein, je ehrlicher desto schwieriger für ihn. Er
kann die alten Anhänger seines Hauses nicht von sich abweisen, er wird immer
nur mit großer Mühe verhüten und verhindern können, daß sein Hof nicht wider
seinen eignen Willen ein welfisches Hauptquartier werde. Will er also überhaupt
seinen Frieden mit Preußen machen, um in Braunschweig zu regieren, so kann dies
nur im engsten Anschluß an den Berliner Hof geschehen. In Berlin aber ist man
seit 1892 um die Erfahrung reicher, daß die loyale Herausgabe des Welfenfonds die
erwartete versöhnende Wirkung nicht gehabt hat.

Bei jeder Neichstagswahl tritt im Gegenteil das Welfentum immer dreister auf,
in der Presse, in Vereinen und in Versammlungen geht es mit einer Ungeniertheit vor,
die auf alles andre eher schließen läßt als auf eine bevorstehende Aussöhnung. Denken
wir an das alte Wort, daß eine Taube in der Hand besser ist als zwei auf dem
Dache; die Regentschaft in Braunschweig ist besser als ein unter schwierigen Ver¬
hältnissen existierender Herzog. Jedenfalls liegt preußischerseits kein Anlaß vor,
Versöhnungsvorschläge zu machen, wohl aber mit großer Umsicht und Sorgfalt die
Vorschläge zu prüfen, die an Preußen herantreten sollten. Die Selbständigkeit des
Herzogtums soll für alle Zeiten unangetastet bleiben; aber regiert kann dort nur
werden unter der loyalsten Anerkennung der Reichsverfassung und der durch diese
verbürgten Ergebnisse des Jahres 1866. Sie sind unantastbar und wichtiger als
"z* jede dynastische Frage.




staatlicher Übereifer.

Gelegentlich haben wir in diesen Blättern die
Behauptung aufgestellt, daß selten der Staat, seine Gesetze und Einrichtungen in
so hohem Maße ein Gegenstand des Mißtrauens, der Gleichgiltigkeit, ja der Mi߬
achtung und des Hasses breiter Volksschichten gewesen seien wie gegenwärtig bei
uns. So ist es, obgleich oder vielleicht gerade weil unsre Gesetzgeber und unsre
Behörden von allzu großem Eifer erfüllt sind, es allen recht zu machen, das Volk
auch gegen seinen Willen zu beglücken. ?eeeatur mers, muro8 et Mirs,. Hier können
Wir nur den Zweig der Tätigkeit des Staates auf seine Mitschuld hin prüfen, der
dem Berufe des Schreibers dieser Zeilen nahe liegt, die Strafrechtspflege. Wir
sagen nicht: Es wird heute bei uns zu viel gestraft; wohl aber: Es wird zu viel
angeklagt, oder technisch gesagt, "strafverfolgt." Es liegt uns fern, hiermit der
Gewissenhaftigkeit und der Urteilsfähigkeit unsrer Polizei- und "Strafverfolgungs¬
behörden" zu nahe treten zu wollen; die Schuld liegt an dem Verfahren, an dem Geist
unsrer Gesetze. In Flauberts berühmtem Roman Madame Bovary kann der Apotheker
Homais der Versuchung, gelegentlich Kurpfuscherei zu treiben, nicht widerstehn. Der
Staatsanwalt hat es erfahren, lädt ihn vor sich und macht ihm den Standpunkt
klar. Auf Homais hat die Strafpredigt einen solchen Eindruck gemacht, daß er
nach dem Verlassen des Gerichtsgebäudes in einem Cafe' ein Glas Rum mit Selters¬
wasser genießen muß, um seine Lebensgeister wieder aufzufrischen. Die Lektion
wirkt zwar nicht auf die Dauer, aber doch mindestens so lange wie eine gering¬
fügige Geldstrafe.

Ein so einfaches und vernünftiges Verfahren ist bei uns leider unmöglich.
Der deutsche Staatsanwalt ist nach Paragraph 152 der Strafprozeßordnung ver-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sie als erloschen zu erklären, ist der Fall des AufHörens dieser Erbbehinderung
selbstverständlich konstruierbar. Der beste Ausweg wäre vielleicht der, daß Braun¬
schweig zu Preußen in ein Verhältnis träte wie Wcildeck-Pyrmont, d. h. daß Preußen
die Regierung des Landes bestellte und durch diese die zwei Bundesratsstimmen
führen ließe. Für Waldeck-Pyrmont hat Preußen bekanntlich ziemlich große Zu¬
schüsse zu den Landeseinkünften zu zahlen gehabt, bei Braunschweig würde das
wegfallen. Will man so weit nicht gehn, so kann man die Bestellung der Regierung
durch Preußen auf einen bestimmten Zeitraum stipulieren. Auch bei der vollsten
Ehrlichkeit Preußen gegenüber würde der Herzog in bezug auf die welfische Partei
immer in einer schwierigen Lage sein, je ehrlicher desto schwieriger für ihn. Er
kann die alten Anhänger seines Hauses nicht von sich abweisen, er wird immer
nur mit großer Mühe verhüten und verhindern können, daß sein Hof nicht wider
seinen eignen Willen ein welfisches Hauptquartier werde. Will er also überhaupt
seinen Frieden mit Preußen machen, um in Braunschweig zu regieren, so kann dies
nur im engsten Anschluß an den Berliner Hof geschehen. In Berlin aber ist man
seit 1892 um die Erfahrung reicher, daß die loyale Herausgabe des Welfenfonds die
erwartete versöhnende Wirkung nicht gehabt hat.

Bei jeder Neichstagswahl tritt im Gegenteil das Welfentum immer dreister auf,
in der Presse, in Vereinen und in Versammlungen geht es mit einer Ungeniertheit vor,
die auf alles andre eher schließen läßt als auf eine bevorstehende Aussöhnung. Denken
wir an das alte Wort, daß eine Taube in der Hand besser ist als zwei auf dem
Dache; die Regentschaft in Braunschweig ist besser als ein unter schwierigen Ver¬
hältnissen existierender Herzog. Jedenfalls liegt preußischerseits kein Anlaß vor,
Versöhnungsvorschläge zu machen, wohl aber mit großer Umsicht und Sorgfalt die
Vorschläge zu prüfen, die an Preußen herantreten sollten. Die Selbständigkeit des
Herzogtums soll für alle Zeiten unangetastet bleiben; aber regiert kann dort nur
werden unter der loyalsten Anerkennung der Reichsverfassung und der durch diese
verbürgten Ergebnisse des Jahres 1866. Sie sind unantastbar und wichtiger als
»z* jede dynastische Frage.




staatlicher Übereifer.

Gelegentlich haben wir in diesen Blättern die
Behauptung aufgestellt, daß selten der Staat, seine Gesetze und Einrichtungen in
so hohem Maße ein Gegenstand des Mißtrauens, der Gleichgiltigkeit, ja der Mi߬
achtung und des Hasses breiter Volksschichten gewesen seien wie gegenwärtig bei
uns. So ist es, obgleich oder vielleicht gerade weil unsre Gesetzgeber und unsre
Behörden von allzu großem Eifer erfüllt sind, es allen recht zu machen, das Volk
auch gegen seinen Willen zu beglücken. ?eeeatur mers, muro8 et Mirs,. Hier können
Wir nur den Zweig der Tätigkeit des Staates auf seine Mitschuld hin prüfen, der
dem Berufe des Schreibers dieser Zeilen nahe liegt, die Strafrechtspflege. Wir
sagen nicht: Es wird heute bei uns zu viel gestraft; wohl aber: Es wird zu viel
angeklagt, oder technisch gesagt, „strafverfolgt." Es liegt uns fern, hiermit der
Gewissenhaftigkeit und der Urteilsfähigkeit unsrer Polizei- und „Strafverfolgungs¬
behörden" zu nahe treten zu wollen; die Schuld liegt an dem Verfahren, an dem Geist
unsrer Gesetze. In Flauberts berühmtem Roman Madame Bovary kann der Apotheker
Homais der Versuchung, gelegentlich Kurpfuscherei zu treiben, nicht widerstehn. Der
Staatsanwalt hat es erfahren, lädt ihn vor sich und macht ihm den Standpunkt
klar. Auf Homais hat die Strafpredigt einen solchen Eindruck gemacht, daß er
nach dem Verlassen des Gerichtsgebäudes in einem Cafe' ein Glas Rum mit Selters¬
wasser genießen muß, um seine Lebensgeister wieder aufzufrischen. Die Lektion
wirkt zwar nicht auf die Dauer, aber doch mindestens so lange wie eine gering¬
fügige Geldstrafe.

Ein so einfaches und vernünftiges Verfahren ist bei uns leider unmöglich.
Der deutsche Staatsanwalt ist nach Paragraph 152 der Strafprozeßordnung ver-


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[0244] Maßgebliches und Unmaßgebliches sie als erloschen zu erklären, ist der Fall des AufHörens dieser Erbbehinderung selbstverständlich konstruierbar. Der beste Ausweg wäre vielleicht der, daß Braun¬ schweig zu Preußen in ein Verhältnis träte wie Wcildeck-Pyrmont, d. h. daß Preußen die Regierung des Landes bestellte und durch diese die zwei Bundesratsstimmen führen ließe. Für Waldeck-Pyrmont hat Preußen bekanntlich ziemlich große Zu¬ schüsse zu den Landeseinkünften zu zahlen gehabt, bei Braunschweig würde das wegfallen. Will man so weit nicht gehn, so kann man die Bestellung der Regierung durch Preußen auf einen bestimmten Zeitraum stipulieren. Auch bei der vollsten Ehrlichkeit Preußen gegenüber würde der Herzog in bezug auf die welfische Partei immer in einer schwierigen Lage sein, je ehrlicher desto schwieriger für ihn. Er kann die alten Anhänger seines Hauses nicht von sich abweisen, er wird immer nur mit großer Mühe verhüten und verhindern können, daß sein Hof nicht wider seinen eignen Willen ein welfisches Hauptquartier werde. Will er also überhaupt seinen Frieden mit Preußen machen, um in Braunschweig zu regieren, so kann dies nur im engsten Anschluß an den Berliner Hof geschehen. In Berlin aber ist man seit 1892 um die Erfahrung reicher, daß die loyale Herausgabe des Welfenfonds die erwartete versöhnende Wirkung nicht gehabt hat. Bei jeder Neichstagswahl tritt im Gegenteil das Welfentum immer dreister auf, in der Presse, in Vereinen und in Versammlungen geht es mit einer Ungeniertheit vor, die auf alles andre eher schließen läßt als auf eine bevorstehende Aussöhnung. Denken wir an das alte Wort, daß eine Taube in der Hand besser ist als zwei auf dem Dache; die Regentschaft in Braunschweig ist besser als ein unter schwierigen Ver¬ hältnissen existierender Herzog. Jedenfalls liegt preußischerseits kein Anlaß vor, Versöhnungsvorschläge zu machen, wohl aber mit großer Umsicht und Sorgfalt die Vorschläge zu prüfen, die an Preußen herantreten sollten. Die Selbständigkeit des Herzogtums soll für alle Zeiten unangetastet bleiben; aber regiert kann dort nur werden unter der loyalsten Anerkennung der Reichsverfassung und der durch diese verbürgten Ergebnisse des Jahres 1866. Sie sind unantastbar und wichtiger als »z* jede dynastische Frage. staatlicher Übereifer. Gelegentlich haben wir in diesen Blättern die Behauptung aufgestellt, daß selten der Staat, seine Gesetze und Einrichtungen in so hohem Maße ein Gegenstand des Mißtrauens, der Gleichgiltigkeit, ja der Mi߬ achtung und des Hasses breiter Volksschichten gewesen seien wie gegenwärtig bei uns. So ist es, obgleich oder vielleicht gerade weil unsre Gesetzgeber und unsre Behörden von allzu großem Eifer erfüllt sind, es allen recht zu machen, das Volk auch gegen seinen Willen zu beglücken. ?eeeatur mers, muro8 et Mirs,. Hier können Wir nur den Zweig der Tätigkeit des Staates auf seine Mitschuld hin prüfen, der dem Berufe des Schreibers dieser Zeilen nahe liegt, die Strafrechtspflege. Wir sagen nicht: Es wird heute bei uns zu viel gestraft; wohl aber: Es wird zu viel angeklagt, oder technisch gesagt, „strafverfolgt." Es liegt uns fern, hiermit der Gewissenhaftigkeit und der Urteilsfähigkeit unsrer Polizei- und „Strafverfolgungs¬ behörden" zu nahe treten zu wollen; die Schuld liegt an dem Verfahren, an dem Geist unsrer Gesetze. In Flauberts berühmtem Roman Madame Bovary kann der Apotheker Homais der Versuchung, gelegentlich Kurpfuscherei zu treiben, nicht widerstehn. Der Staatsanwalt hat es erfahren, lädt ihn vor sich und macht ihm den Standpunkt klar. Auf Homais hat die Strafpredigt einen solchen Eindruck gemacht, daß er nach dem Verlassen des Gerichtsgebäudes in einem Cafe' ein Glas Rum mit Selters¬ wasser genießen muß, um seine Lebensgeister wieder aufzufrischen. Die Lektion wirkt zwar nicht auf die Dauer, aber doch mindestens so lange wie eine gering¬ fügige Geldstrafe. Ein so einfaches und vernünftiges Verfahren ist bei uns leider unmöglich. Der deutsche Staatsanwalt ist nach Paragraph 152 der Strafprozeßordnung ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/244>, abgerufen am 28.04.2024.