Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

trefflichen Geschichte des Kriegs von 1866 berichtet: "Was fordern wir? -- Annexion
von Schleswig-Holstein, Suprematie über ganz Deutschland, Ersatz der Kriegskosten,
Abdikation der feindlichen Souveräne von Hannover, Kurhessen, Meiningen, Nassau
zugunsten ihrer Thronfolger, Abtretung etwa eines böhmischen Grenzstrichs, Ost¬
frieslands, Erbansprüche auf Braunschweig; -- oder abschlagen?" Dieses historisch
so wertvolle Blatt, von dessen Existenz Lettow-Vorbeck zuerst weitern Kreisen Kunde
gegeben hat, legt eine sehr umfassende Reihe psychologischer und politischer Be¬
trachtungen nahe. Wir wollen uns heute auf die eine beschränken, daß König
Wilhelm schon damals die Erbansprüche auf Braunschweig zu fordern gedachte,
also die dereinstige Vereinigung Braunschweigs mit Preußen in Aussicht nahm,
obwohl er Hannover als Königreich bestehn lassen wollte. Der praktische Blick des
Königs bekundet sich auch hierin. Ob Bismarck diese Forderung aufgenommen und
sie in Nikolsburg vertreten hat, ist nicht bekannt, aber ihre Anerkennung würde
unter den Artikel 6 des Prager Friedens gefallen sein, worin der Kaiser von
Österreich im voraus verspricht, "die vom König von Preußen in Norddeutschland
herzustellenden neuen Einrichtungen einschließlich der Territorialveränderungen an¬
zuerkennen." Wenn Preußen die Erbansprüche auf Braunschweig dennoch nicht mit
der energischen Konsequenz verfolgt hat, die es bei der Einheimsung der andern
Früchte des Jahres 1866 bekundete, so ist es wohl die Haltung Englands, der
Wunsch der Königin Victoria gewesen, denen das Berliner Kabinett Rechnung ge¬
tragen hat. Selbst als Herzog Wilhelm im Jahre 1884 die Augen geschlossen
hatte, und der Herzog von Cumberland seinen "Regierungsantritt" anmeldete, ohne
mit Preußen Frieden zu machen und sich von dem Hietzinger Protest seines Vaters,
den dieser am 23. September 1866 "für sich und seine gesetzlichen Nachfolger"
ausgesprochen hatte, loszusagen, hat Preußen den nächstliegenden Schritt, die Erb¬
ansprüche des Hauses Hannover auf Braunschweig dadurch für verfallen und er¬
loschen zu erklären, nicht getan, sondern sich mit dem Auskunftmittel einer vor¬
liegenden Erbverhinderung begnügt, das bis heute fortbesteht.

Bismarcks Meinung mag dahin gegangen sein, daß, wenn Preußen in Gestalt
der Regentschaft die Hand auf Braunschweig lege, dieser Ausweg sachlich genüge,
und daß die Einmischung Englands in diese Dinge so am besten vermieden werde.
Hatte doch der nächste Agnat, der Herzog von Cambridge, den Antritt der Re¬
gierung abgelehnt, weil er den Herzog von Cumberland als den berechtigten Erben
ansah. Seit der Einsetzung der Regentschaft sind nahezu zwanzig Jahre verflossen.
Prinz Albrecht hat mit großer Selbstverleugnung auf diesem Posten ausgeharrt,
eine den Wünschen Preußens entsprechende Militärkonvention ist abgeschlossen, die
Eisenbahnen des Landes sind in preußischen Staatsbesitz übergegangen. Aber die
Militärkonvention ist kundbar, und der Braunschweiger Landtag hat bei der Fest¬
stellung des Huldigungseides an den Regenten die Aufrechterhaltung der im Erb¬
huldigungseide dem Hause Braunschweig gegenüber eingegangnen Verpflichtung aus¬
drücklich von neuem bestätigt.

Die Gründe, weshalb Preußen nach dem Tode Herzog Wilhelms nicht ent¬
schlossener zugriff, sind heute belanglos, auch die Abneigung, ja Befürchtung der
Braunschweiger, Preußisch zu werden, fiel dabei ins Gewicht. Man hatte schon
bei Lebzeiten des Herzogs Wilhelm alle Überschüsse der Landesfinanzverwaltung
systematisch für das Land festgelegt oder aufgebraucht, um die reichen Mittel nicht
dereinst in die Hände Preußens fallen zu lassen. Würde sich somit der Prinz
Georg Wilhelm wirklich von dem auch für thu rechtsverbindlichen Protest seines
Großvaters freimachen können und wollen, so müßte seine Einsetzung in Braun-
schweig doch mit sehr weitgehenden Bürgschaften seiner Bundestreue umgeben
werden. Dazu würde zu allererst die dauernde, nicht kündbare, und unbeschränkte
Militärhoheit der preußischen Krone gehören, und der Fahneneid wäre ausschließlich
dem Könige zu leisten. Nachdem Preußen die Erbberechtigung des Hauses Hannover
in Braunschweig durch Konstatierung einer Erbbehinderung anerkannt hat, anstatt


Grenzboten III 1904 32
Maßgebliches und Unmaßgebliches

trefflichen Geschichte des Kriegs von 1866 berichtet: „Was fordern wir? — Annexion
von Schleswig-Holstein, Suprematie über ganz Deutschland, Ersatz der Kriegskosten,
Abdikation der feindlichen Souveräne von Hannover, Kurhessen, Meiningen, Nassau
zugunsten ihrer Thronfolger, Abtretung etwa eines böhmischen Grenzstrichs, Ost¬
frieslands, Erbansprüche auf Braunschweig; — oder abschlagen?" Dieses historisch
so wertvolle Blatt, von dessen Existenz Lettow-Vorbeck zuerst weitern Kreisen Kunde
gegeben hat, legt eine sehr umfassende Reihe psychologischer und politischer Be¬
trachtungen nahe. Wir wollen uns heute auf die eine beschränken, daß König
Wilhelm schon damals die Erbansprüche auf Braunschweig zu fordern gedachte,
also die dereinstige Vereinigung Braunschweigs mit Preußen in Aussicht nahm,
obwohl er Hannover als Königreich bestehn lassen wollte. Der praktische Blick des
Königs bekundet sich auch hierin. Ob Bismarck diese Forderung aufgenommen und
sie in Nikolsburg vertreten hat, ist nicht bekannt, aber ihre Anerkennung würde
unter den Artikel 6 des Prager Friedens gefallen sein, worin der Kaiser von
Österreich im voraus verspricht, „die vom König von Preußen in Norddeutschland
herzustellenden neuen Einrichtungen einschließlich der Territorialveränderungen an¬
zuerkennen." Wenn Preußen die Erbansprüche auf Braunschweig dennoch nicht mit
der energischen Konsequenz verfolgt hat, die es bei der Einheimsung der andern
Früchte des Jahres 1866 bekundete, so ist es wohl die Haltung Englands, der
Wunsch der Königin Victoria gewesen, denen das Berliner Kabinett Rechnung ge¬
tragen hat. Selbst als Herzog Wilhelm im Jahre 1884 die Augen geschlossen
hatte, und der Herzog von Cumberland seinen „Regierungsantritt" anmeldete, ohne
mit Preußen Frieden zu machen und sich von dem Hietzinger Protest seines Vaters,
den dieser am 23. September 1866 „für sich und seine gesetzlichen Nachfolger"
ausgesprochen hatte, loszusagen, hat Preußen den nächstliegenden Schritt, die Erb¬
ansprüche des Hauses Hannover auf Braunschweig dadurch für verfallen und er¬
loschen zu erklären, nicht getan, sondern sich mit dem Auskunftmittel einer vor¬
liegenden Erbverhinderung begnügt, das bis heute fortbesteht.

Bismarcks Meinung mag dahin gegangen sein, daß, wenn Preußen in Gestalt
der Regentschaft die Hand auf Braunschweig lege, dieser Ausweg sachlich genüge,
und daß die Einmischung Englands in diese Dinge so am besten vermieden werde.
Hatte doch der nächste Agnat, der Herzog von Cambridge, den Antritt der Re¬
gierung abgelehnt, weil er den Herzog von Cumberland als den berechtigten Erben
ansah. Seit der Einsetzung der Regentschaft sind nahezu zwanzig Jahre verflossen.
Prinz Albrecht hat mit großer Selbstverleugnung auf diesem Posten ausgeharrt,
eine den Wünschen Preußens entsprechende Militärkonvention ist abgeschlossen, die
Eisenbahnen des Landes sind in preußischen Staatsbesitz übergegangen. Aber die
Militärkonvention ist kundbar, und der Braunschweiger Landtag hat bei der Fest¬
stellung des Huldigungseides an den Regenten die Aufrechterhaltung der im Erb¬
huldigungseide dem Hause Braunschweig gegenüber eingegangnen Verpflichtung aus¬
drücklich von neuem bestätigt.

Die Gründe, weshalb Preußen nach dem Tode Herzog Wilhelms nicht ent¬
schlossener zugriff, sind heute belanglos, auch die Abneigung, ja Befürchtung der
Braunschweiger, Preußisch zu werden, fiel dabei ins Gewicht. Man hatte schon
bei Lebzeiten des Herzogs Wilhelm alle Überschüsse der Landesfinanzverwaltung
systematisch für das Land festgelegt oder aufgebraucht, um die reichen Mittel nicht
dereinst in die Hände Preußens fallen zu lassen. Würde sich somit der Prinz
Georg Wilhelm wirklich von dem auch für thu rechtsverbindlichen Protest seines
Großvaters freimachen können und wollen, so müßte seine Einsetzung in Braun-
schweig doch mit sehr weitgehenden Bürgschaften seiner Bundestreue umgeben
werden. Dazu würde zu allererst die dauernde, nicht kündbare, und unbeschränkte
Militärhoheit der preußischen Krone gehören, und der Fahneneid wäre ausschließlich
dem Könige zu leisten. Nachdem Preußen die Erbberechtigung des Hauses Hannover
in Braunschweig durch Konstatierung einer Erbbehinderung anerkannt hat, anstatt


Grenzboten III 1904 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294660"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1051" prev="#ID_1050"> trefflichen Geschichte des Kriegs von 1866 berichtet: &#x201E;Was fordern wir? &#x2014; Annexion<lb/>
von Schleswig-Holstein, Suprematie über ganz Deutschland, Ersatz der Kriegskosten,<lb/>
Abdikation der feindlichen Souveräne von Hannover, Kurhessen, Meiningen, Nassau<lb/>
zugunsten ihrer Thronfolger, Abtretung etwa eines böhmischen Grenzstrichs, Ost¬<lb/>
frieslands, Erbansprüche auf Braunschweig; &#x2014; oder abschlagen?" Dieses historisch<lb/>
so wertvolle Blatt, von dessen Existenz Lettow-Vorbeck zuerst weitern Kreisen Kunde<lb/>
gegeben hat, legt eine sehr umfassende Reihe psychologischer und politischer Be¬<lb/>
trachtungen nahe. Wir wollen uns heute auf die eine beschränken, daß König<lb/>
Wilhelm schon damals die Erbansprüche auf Braunschweig zu fordern gedachte,<lb/>
also die dereinstige Vereinigung Braunschweigs mit Preußen in Aussicht nahm,<lb/>
obwohl er Hannover als Königreich bestehn lassen wollte. Der praktische Blick des<lb/>
Königs bekundet sich auch hierin. Ob Bismarck diese Forderung aufgenommen und<lb/>
sie in Nikolsburg vertreten hat, ist nicht bekannt, aber ihre Anerkennung würde<lb/>
unter den Artikel 6 des Prager Friedens gefallen sein, worin der Kaiser von<lb/>
Österreich im voraus verspricht, &#x201E;die vom König von Preußen in Norddeutschland<lb/>
herzustellenden neuen Einrichtungen einschließlich der Territorialveränderungen an¬<lb/>
zuerkennen." Wenn Preußen die Erbansprüche auf Braunschweig dennoch nicht mit<lb/>
der energischen Konsequenz verfolgt hat, die es bei der Einheimsung der andern<lb/>
Früchte des Jahres 1866 bekundete, so ist es wohl die Haltung Englands, der<lb/>
Wunsch der Königin Victoria gewesen, denen das Berliner Kabinett Rechnung ge¬<lb/>
tragen hat. Selbst als Herzog Wilhelm im Jahre 1884 die Augen geschlossen<lb/>
hatte, und der Herzog von Cumberland seinen &#x201E;Regierungsantritt" anmeldete, ohne<lb/>
mit Preußen Frieden zu machen und sich von dem Hietzinger Protest seines Vaters,<lb/>
den dieser am 23. September 1866 &#x201E;für sich und seine gesetzlichen Nachfolger"<lb/>
ausgesprochen hatte, loszusagen, hat Preußen den nächstliegenden Schritt, die Erb¬<lb/>
ansprüche des Hauses Hannover auf Braunschweig dadurch für verfallen und er¬<lb/>
loschen zu erklären, nicht getan, sondern sich mit dem Auskunftmittel einer vor¬<lb/>
liegenden Erbverhinderung begnügt, das bis heute fortbesteht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1052"> Bismarcks Meinung mag dahin gegangen sein, daß, wenn Preußen in Gestalt<lb/>
der Regentschaft die Hand auf Braunschweig lege, dieser Ausweg sachlich genüge,<lb/>
und daß die Einmischung Englands in diese Dinge so am besten vermieden werde.<lb/>
Hatte doch der nächste Agnat, der Herzog von Cambridge, den Antritt der Re¬<lb/>
gierung abgelehnt, weil er den Herzog von Cumberland als den berechtigten Erben<lb/>
ansah. Seit der Einsetzung der Regentschaft sind nahezu zwanzig Jahre verflossen.<lb/>
Prinz Albrecht hat mit großer Selbstverleugnung auf diesem Posten ausgeharrt,<lb/>
eine den Wünschen Preußens entsprechende Militärkonvention ist abgeschlossen, die<lb/>
Eisenbahnen des Landes sind in preußischen Staatsbesitz übergegangen. Aber die<lb/>
Militärkonvention ist kundbar, und der Braunschweiger Landtag hat bei der Fest¬<lb/>
stellung des Huldigungseides an den Regenten die Aufrechterhaltung der im Erb¬<lb/>
huldigungseide dem Hause Braunschweig gegenüber eingegangnen Verpflichtung aus¬<lb/>
drücklich von neuem bestätigt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1053" next="#ID_1054"> Die Gründe, weshalb Preußen nach dem Tode Herzog Wilhelms nicht ent¬<lb/>
schlossener zugriff, sind heute belanglos, auch die Abneigung, ja Befürchtung der<lb/>
Braunschweiger, Preußisch zu werden, fiel dabei ins Gewicht. Man hatte schon<lb/>
bei Lebzeiten des Herzogs Wilhelm alle Überschüsse der Landesfinanzverwaltung<lb/>
systematisch für das Land festgelegt oder aufgebraucht, um die reichen Mittel nicht<lb/>
dereinst in die Hände Preußens fallen zu lassen. Würde sich somit der Prinz<lb/>
Georg Wilhelm wirklich von dem auch für thu rechtsverbindlichen Protest seines<lb/>
Großvaters freimachen können und wollen, so müßte seine Einsetzung in Braun-<lb/>
schweig doch mit sehr weitgehenden Bürgschaften seiner Bundestreue umgeben<lb/>
werden. Dazu würde zu allererst die dauernde, nicht kündbare, und unbeschränkte<lb/>
Militärhoheit der preußischen Krone gehören, und der Fahneneid wäre ausschließlich<lb/>
dem Könige zu leisten. Nachdem Preußen die Erbberechtigung des Hauses Hannover<lb/>
in Braunschweig durch Konstatierung einer Erbbehinderung anerkannt hat, anstatt</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1904 32</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] Maßgebliches und Unmaßgebliches trefflichen Geschichte des Kriegs von 1866 berichtet: „Was fordern wir? — Annexion von Schleswig-Holstein, Suprematie über ganz Deutschland, Ersatz der Kriegskosten, Abdikation der feindlichen Souveräne von Hannover, Kurhessen, Meiningen, Nassau zugunsten ihrer Thronfolger, Abtretung etwa eines böhmischen Grenzstrichs, Ost¬ frieslands, Erbansprüche auf Braunschweig; — oder abschlagen?" Dieses historisch so wertvolle Blatt, von dessen Existenz Lettow-Vorbeck zuerst weitern Kreisen Kunde gegeben hat, legt eine sehr umfassende Reihe psychologischer und politischer Be¬ trachtungen nahe. Wir wollen uns heute auf die eine beschränken, daß König Wilhelm schon damals die Erbansprüche auf Braunschweig zu fordern gedachte, also die dereinstige Vereinigung Braunschweigs mit Preußen in Aussicht nahm, obwohl er Hannover als Königreich bestehn lassen wollte. Der praktische Blick des Königs bekundet sich auch hierin. Ob Bismarck diese Forderung aufgenommen und sie in Nikolsburg vertreten hat, ist nicht bekannt, aber ihre Anerkennung würde unter den Artikel 6 des Prager Friedens gefallen sein, worin der Kaiser von Österreich im voraus verspricht, „die vom König von Preußen in Norddeutschland herzustellenden neuen Einrichtungen einschließlich der Territorialveränderungen an¬ zuerkennen." Wenn Preußen die Erbansprüche auf Braunschweig dennoch nicht mit der energischen Konsequenz verfolgt hat, die es bei der Einheimsung der andern Früchte des Jahres 1866 bekundete, so ist es wohl die Haltung Englands, der Wunsch der Königin Victoria gewesen, denen das Berliner Kabinett Rechnung ge¬ tragen hat. Selbst als Herzog Wilhelm im Jahre 1884 die Augen geschlossen hatte, und der Herzog von Cumberland seinen „Regierungsantritt" anmeldete, ohne mit Preußen Frieden zu machen und sich von dem Hietzinger Protest seines Vaters, den dieser am 23. September 1866 „für sich und seine gesetzlichen Nachfolger" ausgesprochen hatte, loszusagen, hat Preußen den nächstliegenden Schritt, die Erb¬ ansprüche des Hauses Hannover auf Braunschweig dadurch für verfallen und er¬ loschen zu erklären, nicht getan, sondern sich mit dem Auskunftmittel einer vor¬ liegenden Erbverhinderung begnügt, das bis heute fortbesteht. Bismarcks Meinung mag dahin gegangen sein, daß, wenn Preußen in Gestalt der Regentschaft die Hand auf Braunschweig lege, dieser Ausweg sachlich genüge, und daß die Einmischung Englands in diese Dinge so am besten vermieden werde. Hatte doch der nächste Agnat, der Herzog von Cambridge, den Antritt der Re¬ gierung abgelehnt, weil er den Herzog von Cumberland als den berechtigten Erben ansah. Seit der Einsetzung der Regentschaft sind nahezu zwanzig Jahre verflossen. Prinz Albrecht hat mit großer Selbstverleugnung auf diesem Posten ausgeharrt, eine den Wünschen Preußens entsprechende Militärkonvention ist abgeschlossen, die Eisenbahnen des Landes sind in preußischen Staatsbesitz übergegangen. Aber die Militärkonvention ist kundbar, und der Braunschweiger Landtag hat bei der Fest¬ stellung des Huldigungseides an den Regenten die Aufrechterhaltung der im Erb¬ huldigungseide dem Hause Braunschweig gegenüber eingegangnen Verpflichtung aus¬ drücklich von neuem bestätigt. Die Gründe, weshalb Preußen nach dem Tode Herzog Wilhelms nicht ent¬ schlossener zugriff, sind heute belanglos, auch die Abneigung, ja Befürchtung der Braunschweiger, Preußisch zu werden, fiel dabei ins Gewicht. Man hatte schon bei Lebzeiten des Herzogs Wilhelm alle Überschüsse der Landesfinanzverwaltung systematisch für das Land festgelegt oder aufgebraucht, um die reichen Mittel nicht dereinst in die Hände Preußens fallen zu lassen. Würde sich somit der Prinz Georg Wilhelm wirklich von dem auch für thu rechtsverbindlichen Protest seines Großvaters freimachen können und wollen, so müßte seine Einsetzung in Braun- schweig doch mit sehr weitgehenden Bürgschaften seiner Bundestreue umgeben werden. Dazu würde zu allererst die dauernde, nicht kündbare, und unbeschränkte Militärhoheit der preußischen Krone gehören, und der Fahneneid wäre ausschließlich dem Könige zu leisten. Nachdem Preußen die Erbberechtigung des Hauses Hannover in Braunschweig durch Konstatierung einer Erbbehinderung anerkannt hat, anstatt Grenzboten III 1904 32

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/243>, abgerufen am 12.05.2024.