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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste

Festsetzung der Koths vu juAkmevs ä'0l6ron, die seit dem Jahre 1100 alle
Strandverbrechen mit furchtbarer Rachsucht bekämpften. Diese westfranzösischen
Usancen und Rechtssätze erlangten auch in England Geltung, wurden als
Seerecht von Damme oder Westcapelle nach Holland übertragen und bildeten
mit dem wisbyschen, bremischen, hamburgischen und Mischen Seerecht und
dem die Seerechtssatzungen der am Mittelmeer wohnenden Völker enthaltenden
(Zvnsolato Ast mars die Grundlage der Ordnung am europäischen Strande.

Die Kaiser Friedrich der Zweite, Ludwig der Bayer und Karl der Fünfte
erließen Gesetze gegen das Strandrecht, die Lateransynoden von 1110 und 1179
bedrohten den, der schiffbrüchige Christen beraubte, mit der Moomiiiunioatio latas
LMtöntias, Papst Gregor der Dreizehnte behielt sich in der Bulle In poena
voraini die Lossprechung von der wegen Strandraubs verhängten Exkommuni¬
kation vor. Mit Erfolg bekämpfte nur die Hansa das Strandrecht, solange
ihre Macht ungebrochen war. Als sie niederging, erhob das alte Unrecht
wieder das Haupt. Erst im neunzehnten Jahrhundert ist es verschwunden.

Die Sage vom Strandsegen hat sich erhalten. Sie ist weit verbreitet,
ich bin ihr seit meiner Jugend oft begegnet, und immer hat sie mich unheim¬
lich berührt, fast wie die Kunde von den Hexenprozessen, die Jahrhunderte
unsrer Geschichte mit Brandschwaden verdüstern.

Die frühste mir bekannte Erwähnung der Sage findet sich in einer 1703
erschienenen Hallischen Dissertation ve stawuin iinxsrü xotestats leZislatorig,
voudra w8 communs von Sigmund Jakob Holzschuher. Ich habe die Stelle
nicht selbst gefunden, eine Anmerkung des Hamburgers Schuback in seiner
Abhandlung über das Strandrecht (Hamburg, 1751) führte mich darauf.
Zuletzt begegnete ich der Sage in der Spemannschen Knabenzeitung Der gute
Kamerad (15. Folge, S. 310) und in der Zeitschrift Vom Fels zum Meer
(Jahrgang 1903, Heft 22, S. 1532). Die Bestimmtheit, womit in der Knaben¬
zeitung erwähnt wird, daß König Friedrich Wilhelm der Dritte noch im
Jahre 1827 das auf Rügen bis dahin von alters her geübte Gebet um einen
gesegneten Strand verbieten mußte, veranlaßte mich zu dem Versuche, die
dieser Angabe zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen. Diese Untersuchung
führte mich immer tiefer in die alte Zeit, immer weiter den deutschen Strand
entlang, von der Ostsee zur Nordsee. So wurde aus dem Versuche, die
Wurzeln des nur eine deutsche Insel treffenden Gerüchts bloßzulegen, ein
Versuch, die Strandsegenfrage zu klären, soweit sie die deutsche Küste berührt.

1

Die Akten der Regierung zu Stralsund, die von den frühern Königlich
Preußischen Rettungseinrichtungen an der vorpommerschen Küste und auf
Rügen handeln, bieten keine Stütze für die in dem Guten Kameraden enthaltne
Angabe, obwohl sie bis zum Jahre 1827 zurückgehn, und obwohl an zwei
Stellen das Verbot eines Gebets um Strandgut hätte erwähnt werden müssen,
wenn es ergangen wäre.

Im Jahre 1852 ersuchte der Vorsitzende des englischen Komitees zur
Beschaffung der besten Lebensboote das preußische Handelsministerium um


Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste

Festsetzung der Koths vu juAkmevs ä'0l6ron, die seit dem Jahre 1100 alle
Strandverbrechen mit furchtbarer Rachsucht bekämpften. Diese westfranzösischen
Usancen und Rechtssätze erlangten auch in England Geltung, wurden als
Seerecht von Damme oder Westcapelle nach Holland übertragen und bildeten
mit dem wisbyschen, bremischen, hamburgischen und Mischen Seerecht und
dem die Seerechtssatzungen der am Mittelmeer wohnenden Völker enthaltenden
(Zvnsolato Ast mars die Grundlage der Ordnung am europäischen Strande.

Die Kaiser Friedrich der Zweite, Ludwig der Bayer und Karl der Fünfte
erließen Gesetze gegen das Strandrecht, die Lateransynoden von 1110 und 1179
bedrohten den, der schiffbrüchige Christen beraubte, mit der Moomiiiunioatio latas
LMtöntias, Papst Gregor der Dreizehnte behielt sich in der Bulle In poena
voraini die Lossprechung von der wegen Strandraubs verhängten Exkommuni¬
kation vor. Mit Erfolg bekämpfte nur die Hansa das Strandrecht, solange
ihre Macht ungebrochen war. Als sie niederging, erhob das alte Unrecht
wieder das Haupt. Erst im neunzehnten Jahrhundert ist es verschwunden.

Die Sage vom Strandsegen hat sich erhalten. Sie ist weit verbreitet,
ich bin ihr seit meiner Jugend oft begegnet, und immer hat sie mich unheim¬
lich berührt, fast wie die Kunde von den Hexenprozessen, die Jahrhunderte
unsrer Geschichte mit Brandschwaden verdüstern.

Die frühste mir bekannte Erwähnung der Sage findet sich in einer 1703
erschienenen Hallischen Dissertation ve stawuin iinxsrü xotestats leZislatorig,
voudra w8 communs von Sigmund Jakob Holzschuher. Ich habe die Stelle
nicht selbst gefunden, eine Anmerkung des Hamburgers Schuback in seiner
Abhandlung über das Strandrecht (Hamburg, 1751) führte mich darauf.
Zuletzt begegnete ich der Sage in der Spemannschen Knabenzeitung Der gute
Kamerad (15. Folge, S. 310) und in der Zeitschrift Vom Fels zum Meer
(Jahrgang 1903, Heft 22, S. 1532). Die Bestimmtheit, womit in der Knaben¬
zeitung erwähnt wird, daß König Friedrich Wilhelm der Dritte noch im
Jahre 1827 das auf Rügen bis dahin von alters her geübte Gebet um einen
gesegneten Strand verbieten mußte, veranlaßte mich zu dem Versuche, die
dieser Angabe zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen. Diese Untersuchung
führte mich immer tiefer in die alte Zeit, immer weiter den deutschen Strand
entlang, von der Ostsee zur Nordsee. So wurde aus dem Versuche, die
Wurzeln des nur eine deutsche Insel treffenden Gerüchts bloßzulegen, ein
Versuch, die Strandsegenfrage zu klären, soweit sie die deutsche Küste berührt.

1

Die Akten der Regierung zu Stralsund, die von den frühern Königlich
Preußischen Rettungseinrichtungen an der vorpommerschen Küste und auf
Rügen handeln, bieten keine Stütze für die in dem Guten Kameraden enthaltne
Angabe, obwohl sie bis zum Jahre 1827 zurückgehn, und obwohl an zwei
Stellen das Verbot eines Gebets um Strandgut hätte erwähnt werden müssen,
wenn es ergangen wäre.

Im Jahre 1852 ersuchte der Vorsitzende des englischen Komitees zur
Beschaffung der besten Lebensboote das preußische Handelsministerium um


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[0261] Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste Festsetzung der Koths vu juAkmevs ä'0l6ron, die seit dem Jahre 1100 alle Strandverbrechen mit furchtbarer Rachsucht bekämpften. Diese westfranzösischen Usancen und Rechtssätze erlangten auch in England Geltung, wurden als Seerecht von Damme oder Westcapelle nach Holland übertragen und bildeten mit dem wisbyschen, bremischen, hamburgischen und Mischen Seerecht und dem die Seerechtssatzungen der am Mittelmeer wohnenden Völker enthaltenden (Zvnsolato Ast mars die Grundlage der Ordnung am europäischen Strande. Die Kaiser Friedrich der Zweite, Ludwig der Bayer und Karl der Fünfte erließen Gesetze gegen das Strandrecht, die Lateransynoden von 1110 und 1179 bedrohten den, der schiffbrüchige Christen beraubte, mit der Moomiiiunioatio latas LMtöntias, Papst Gregor der Dreizehnte behielt sich in der Bulle In poena voraini die Lossprechung von der wegen Strandraubs verhängten Exkommuni¬ kation vor. Mit Erfolg bekämpfte nur die Hansa das Strandrecht, solange ihre Macht ungebrochen war. Als sie niederging, erhob das alte Unrecht wieder das Haupt. Erst im neunzehnten Jahrhundert ist es verschwunden. Die Sage vom Strandsegen hat sich erhalten. Sie ist weit verbreitet, ich bin ihr seit meiner Jugend oft begegnet, und immer hat sie mich unheim¬ lich berührt, fast wie die Kunde von den Hexenprozessen, die Jahrhunderte unsrer Geschichte mit Brandschwaden verdüstern. Die frühste mir bekannte Erwähnung der Sage findet sich in einer 1703 erschienenen Hallischen Dissertation ve stawuin iinxsrü xotestats leZislatorig, voudra w8 communs von Sigmund Jakob Holzschuher. Ich habe die Stelle nicht selbst gefunden, eine Anmerkung des Hamburgers Schuback in seiner Abhandlung über das Strandrecht (Hamburg, 1751) führte mich darauf. Zuletzt begegnete ich der Sage in der Spemannschen Knabenzeitung Der gute Kamerad (15. Folge, S. 310) und in der Zeitschrift Vom Fels zum Meer (Jahrgang 1903, Heft 22, S. 1532). Die Bestimmtheit, womit in der Knaben¬ zeitung erwähnt wird, daß König Friedrich Wilhelm der Dritte noch im Jahre 1827 das auf Rügen bis dahin von alters her geübte Gebet um einen gesegneten Strand verbieten mußte, veranlaßte mich zu dem Versuche, die dieser Angabe zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen. Diese Untersuchung führte mich immer tiefer in die alte Zeit, immer weiter den deutschen Strand entlang, von der Ostsee zur Nordsee. So wurde aus dem Versuche, die Wurzeln des nur eine deutsche Insel treffenden Gerüchts bloßzulegen, ein Versuch, die Strandsegenfrage zu klären, soweit sie die deutsche Küste berührt. 1 Die Akten der Regierung zu Stralsund, die von den frühern Königlich Preußischen Rettungseinrichtungen an der vorpommerschen Küste und auf Rügen handeln, bieten keine Stütze für die in dem Guten Kameraden enthaltne Angabe, obwohl sie bis zum Jahre 1827 zurückgehn, und obwohl an zwei Stellen das Verbot eines Gebets um Strandgut hätte erwähnt werden müssen, wenn es ergangen wäre. Im Jahre 1852 ersuchte der Vorsitzende des englischen Komitees zur Beschaffung der besten Lebensboote das preußische Handelsministerium um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/261>, abgerufen am 27.04.2024.