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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die wahre Legende vom Monte Testciceio

-- ig, vsra, IsMnäa. äst
monts ?sstaeeio -- ist der Titel, unter dem neulich G. Tomassetti in Nummer 25
des Z'-mtuIln, ctsUs, vomsnioa einen interessanten Aufsatz veröffentlicht hat, dessen
Ausführungen sich natürlich auf den denkwürdigen nahe bei dem Aventin am
Rande des Tiberflusses aufsteigenden Hügel beziehn. Zunächst wird die Bedeu¬
tung des Wortes besprochen und die bekannte, schon dem Bädeker einverleibte
Ansicht vorgetragen, daß der Monte Testaccio -- ?sstaeeio wird abgeleitet von
tsstg, -- seinen Namen erhalten habe von den Scherben der Weingefäße, die vom
Auslande eingeführt und an dieser Stelle gelandet wurden. Der Inhalt der Ge¬
fäße wurde dann, wie Tomassetti weiter ausführt, in die den römischen Handels¬
häusern gehörenden Fässer abgefüllt, die Originalfässer aber, weil sie wertlos waren,
an das Ufer geworfen, wo sie dann allmählich zu einem ansehnlichen Scherben¬
hügel emporwuchsen. Die Scherben haben vielfach Inschriften, die den Namen des
Weins, den Ort seiner Herkunft und die Zeit des Transports angeben, und es
ergibt sich daraus, daß namentlich die Einfuhr des Weins aus Spanien bedeutend
war. Aber zur Zeit des Kaiserreichs nahm der Import ab und hörte zuletzt völlig
auf. Das letzte der aufgefundnen und gelesenen Daten weist auf das Jahr 255
unsrer Zeitrechnung. Nun hat sich die Scherbenmasse mit grünem Rasen bedeckt,
auf dem Maßlieb und andre Blumen hervorsprießen.

Aber auch über den eben angeführten Tatsachen ist das Gras der Vergessen¬
heit gewachsen, an die Stelle der angegebnen Erklärung des Wortes IsLtaoeio ist
eine andre getreten. Man erzählte, der Hügel sei durch Aufhäufung der Gefäße
gebildet worden, in denen die unterworfnen Provinzen der mächtigen Herrin Roma
ihren Tribut gesandt hätten. Diese Legende wurde namentlich von den Humanisten
geglaubt und in Ualan-f gesetzt. Sie findet sich schon in einer dem Papst Martin
dem Fünften gewidmeten Beschreibung Roms aus dem Anfange des fünfzehnten
Jahrhunderts. Aber auch ein dem Städelschen Museum in Frankfurt gehörendes
Bild, das ein Panorama von Rom im sechzehnten Jahrhundert darstellt, und als
dessen Maler Fra Filippo Lippi gilt -- es ist 1892 von Professor Hülsen im
Lullötino Oomunalo veröffentlicht worden --, scheint für diese Auffassung zu zeugen.
Die vielen Vasen "een moko rilievo ni'oro," die der auf dem Bilde sichtbare Monte
Testaccio im Innern enthält, sind doch wohl, wie auch Hülsen meint, eine An¬
spielung auf jene Legende. Sie mag entstanden sein aus dem Umstände, daß die
aus den spanischen Goldbergwerken alljährlich nach Rom gebrachten Goldbarren an
derselben Stelle ausgeladen wurden, wo auch die Weingefäße ans Land kamen.
Die Landung des kostbaren Goldes mochte länger in der Erinnerung haften als
die des wertlosern Weins. Und die zahlreichen auf Spanien hinweisenden In¬
schriften der Scherben konnten mir dazu dienen, die neue Legende zu bekräftigen.

Aber Tomassetti will noch mehr, er will auch beweisen, daß die im Mittelalter
am Fuße des Monte Testaccio abgehaltnen, seit dem Jahre 1256 nachweisbaren
Wagenrennen, die xiuooln all Iksweeio, in Beziehung zu dieser Legende stehn.
Der römische Senat, die Munizipalbehörde des mittelalterlichen Roms, habe als
der Erbe der altrömischen Herrlichkeit und ihrer Ansprüche darauf gehalten, daß
die Tribute der kleinen der römischen Kommune damals unterworfnen Gemeinden,
wie Terracina, Tivoli, Corneto u. a. in., genau an derselben Stelle entrichtet wurden,
wo einst die kostbaren spanischen Goldschätze zur Zeit des römischen Kaiserreichs
gelandet worden waren. Und aus diesem Grunde habe man gerade die Ebene
unterhalb des Monte Testaccio zur Abhaltung der erwähnten Spiele gewählt. Das
ist gewiß möglich, aber im Grunde doch nicht mehr als eine ansprechende Hypo¬
these, wofür der zwingende Beweis fehlt. Übrigens sind diese Spiele vielfach mit
den Aiuoolii ^xons,Il verwechselt worden, das sind die, die in dem cireo Fanale,
d. i. auf der xiiWa Navona. -- Mvona scheint verderbt aus ^Zona, zu sein --
gefeiert wurden. Tomassetti betont aber nachdrücklich, daß diese Identifizierung der
beiden Spiele verkehrt sei. Die Agonalspiele seien erst im sechzehnten Jahrhundert
eingeführt worden und an die Stelle der ssiuoolü all Isstaeeio getreten. Diese


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die wahre Legende vom Monte Testciceio

— ig, vsra, IsMnäa. äst
monts ?sstaeeio — ist der Titel, unter dem neulich G. Tomassetti in Nummer 25
des Z'-mtuIln, ctsUs, vomsnioa einen interessanten Aufsatz veröffentlicht hat, dessen
Ausführungen sich natürlich auf den denkwürdigen nahe bei dem Aventin am
Rande des Tiberflusses aufsteigenden Hügel beziehn. Zunächst wird die Bedeu¬
tung des Wortes besprochen und die bekannte, schon dem Bädeker einverleibte
Ansicht vorgetragen, daß der Monte Testaccio — ?sstaeeio wird abgeleitet von
tsstg, — seinen Namen erhalten habe von den Scherben der Weingefäße, die vom
Auslande eingeführt und an dieser Stelle gelandet wurden. Der Inhalt der Ge¬
fäße wurde dann, wie Tomassetti weiter ausführt, in die den römischen Handels¬
häusern gehörenden Fässer abgefüllt, die Originalfässer aber, weil sie wertlos waren,
an das Ufer geworfen, wo sie dann allmählich zu einem ansehnlichen Scherben¬
hügel emporwuchsen. Die Scherben haben vielfach Inschriften, die den Namen des
Weins, den Ort seiner Herkunft und die Zeit des Transports angeben, und es
ergibt sich daraus, daß namentlich die Einfuhr des Weins aus Spanien bedeutend
war. Aber zur Zeit des Kaiserreichs nahm der Import ab und hörte zuletzt völlig
auf. Das letzte der aufgefundnen und gelesenen Daten weist auf das Jahr 255
unsrer Zeitrechnung. Nun hat sich die Scherbenmasse mit grünem Rasen bedeckt,
auf dem Maßlieb und andre Blumen hervorsprießen.

Aber auch über den eben angeführten Tatsachen ist das Gras der Vergessen¬
heit gewachsen, an die Stelle der angegebnen Erklärung des Wortes IsLtaoeio ist
eine andre getreten. Man erzählte, der Hügel sei durch Aufhäufung der Gefäße
gebildet worden, in denen die unterworfnen Provinzen der mächtigen Herrin Roma
ihren Tribut gesandt hätten. Diese Legende wurde namentlich von den Humanisten
geglaubt und in Ualan-f gesetzt. Sie findet sich schon in einer dem Papst Martin
dem Fünften gewidmeten Beschreibung Roms aus dem Anfange des fünfzehnten
Jahrhunderts. Aber auch ein dem Städelschen Museum in Frankfurt gehörendes
Bild, das ein Panorama von Rom im sechzehnten Jahrhundert darstellt, und als
dessen Maler Fra Filippo Lippi gilt — es ist 1892 von Professor Hülsen im
Lullötino Oomunalo veröffentlicht worden —, scheint für diese Auffassung zu zeugen.
Die vielen Vasen „een moko rilievo ni'oro," die der auf dem Bilde sichtbare Monte
Testaccio im Innern enthält, sind doch wohl, wie auch Hülsen meint, eine An¬
spielung auf jene Legende. Sie mag entstanden sein aus dem Umstände, daß die
aus den spanischen Goldbergwerken alljährlich nach Rom gebrachten Goldbarren an
derselben Stelle ausgeladen wurden, wo auch die Weingefäße ans Land kamen.
Die Landung des kostbaren Goldes mochte länger in der Erinnerung haften als
die des wertlosern Weins. Und die zahlreichen auf Spanien hinweisenden In¬
schriften der Scherben konnten mir dazu dienen, die neue Legende zu bekräftigen.

Aber Tomassetti will noch mehr, er will auch beweisen, daß die im Mittelalter
am Fuße des Monte Testaccio abgehaltnen, seit dem Jahre 1256 nachweisbaren
Wagenrennen, die xiuooln all Iksweeio, in Beziehung zu dieser Legende stehn.
Der römische Senat, die Munizipalbehörde des mittelalterlichen Roms, habe als
der Erbe der altrömischen Herrlichkeit und ihrer Ansprüche darauf gehalten, daß
die Tribute der kleinen der römischen Kommune damals unterworfnen Gemeinden,
wie Terracina, Tivoli, Corneto u. a. in., genau an derselben Stelle entrichtet wurden,
wo einst die kostbaren spanischen Goldschätze zur Zeit des römischen Kaiserreichs
gelandet worden waren. Und aus diesem Grunde habe man gerade die Ebene
unterhalb des Monte Testaccio zur Abhaltung der erwähnten Spiele gewählt. Das
ist gewiß möglich, aber im Grunde doch nicht mehr als eine ansprechende Hypo¬
these, wofür der zwingende Beweis fehlt. Übrigens sind diese Spiele vielfach mit
den Aiuoolii ^xons,Il verwechselt worden, das sind die, die in dem cireo Fanale,
d. i. auf der xiiWa Navona. — Mvona scheint verderbt aus ^Zona, zu sein —
gefeiert wurden. Tomassetti betont aber nachdrücklich, daß diese Identifizierung der
beiden Spiele verkehrt sei. Die Agonalspiele seien erst im sechzehnten Jahrhundert
eingeführt worden und an die Stelle der ssiuoolü all Isstaeeio getreten. Diese


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[0433] Maßgebliches und Unmaßgebliches Die wahre Legende vom Monte Testciceio — ig, vsra, IsMnäa. äst monts ?sstaeeio — ist der Titel, unter dem neulich G. Tomassetti in Nummer 25 des Z'-mtuIln, ctsUs, vomsnioa einen interessanten Aufsatz veröffentlicht hat, dessen Ausführungen sich natürlich auf den denkwürdigen nahe bei dem Aventin am Rande des Tiberflusses aufsteigenden Hügel beziehn. Zunächst wird die Bedeu¬ tung des Wortes besprochen und die bekannte, schon dem Bädeker einverleibte Ansicht vorgetragen, daß der Monte Testaccio — ?sstaeeio wird abgeleitet von tsstg, — seinen Namen erhalten habe von den Scherben der Weingefäße, die vom Auslande eingeführt und an dieser Stelle gelandet wurden. Der Inhalt der Ge¬ fäße wurde dann, wie Tomassetti weiter ausführt, in die den römischen Handels¬ häusern gehörenden Fässer abgefüllt, die Originalfässer aber, weil sie wertlos waren, an das Ufer geworfen, wo sie dann allmählich zu einem ansehnlichen Scherben¬ hügel emporwuchsen. Die Scherben haben vielfach Inschriften, die den Namen des Weins, den Ort seiner Herkunft und die Zeit des Transports angeben, und es ergibt sich daraus, daß namentlich die Einfuhr des Weins aus Spanien bedeutend war. Aber zur Zeit des Kaiserreichs nahm der Import ab und hörte zuletzt völlig auf. Das letzte der aufgefundnen und gelesenen Daten weist auf das Jahr 255 unsrer Zeitrechnung. Nun hat sich die Scherbenmasse mit grünem Rasen bedeckt, auf dem Maßlieb und andre Blumen hervorsprießen. Aber auch über den eben angeführten Tatsachen ist das Gras der Vergessen¬ heit gewachsen, an die Stelle der angegebnen Erklärung des Wortes IsLtaoeio ist eine andre getreten. Man erzählte, der Hügel sei durch Aufhäufung der Gefäße gebildet worden, in denen die unterworfnen Provinzen der mächtigen Herrin Roma ihren Tribut gesandt hätten. Diese Legende wurde namentlich von den Humanisten geglaubt und in Ualan-f gesetzt. Sie findet sich schon in einer dem Papst Martin dem Fünften gewidmeten Beschreibung Roms aus dem Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts. Aber auch ein dem Städelschen Museum in Frankfurt gehörendes Bild, das ein Panorama von Rom im sechzehnten Jahrhundert darstellt, und als dessen Maler Fra Filippo Lippi gilt — es ist 1892 von Professor Hülsen im Lullötino Oomunalo veröffentlicht worden —, scheint für diese Auffassung zu zeugen. Die vielen Vasen „een moko rilievo ni'oro," die der auf dem Bilde sichtbare Monte Testaccio im Innern enthält, sind doch wohl, wie auch Hülsen meint, eine An¬ spielung auf jene Legende. Sie mag entstanden sein aus dem Umstände, daß die aus den spanischen Goldbergwerken alljährlich nach Rom gebrachten Goldbarren an derselben Stelle ausgeladen wurden, wo auch die Weingefäße ans Land kamen. Die Landung des kostbaren Goldes mochte länger in der Erinnerung haften als die des wertlosern Weins. Und die zahlreichen auf Spanien hinweisenden In¬ schriften der Scherben konnten mir dazu dienen, die neue Legende zu bekräftigen. Aber Tomassetti will noch mehr, er will auch beweisen, daß die im Mittelalter am Fuße des Monte Testaccio abgehaltnen, seit dem Jahre 1256 nachweisbaren Wagenrennen, die xiuooln all Iksweeio, in Beziehung zu dieser Legende stehn. Der römische Senat, die Munizipalbehörde des mittelalterlichen Roms, habe als der Erbe der altrömischen Herrlichkeit und ihrer Ansprüche darauf gehalten, daß die Tribute der kleinen der römischen Kommune damals unterworfnen Gemeinden, wie Terracina, Tivoli, Corneto u. a. in., genau an derselben Stelle entrichtet wurden, wo einst die kostbaren spanischen Goldschätze zur Zeit des römischen Kaiserreichs gelandet worden waren. Und aus diesem Grunde habe man gerade die Ebene unterhalb des Monte Testaccio zur Abhaltung der erwähnten Spiele gewählt. Das ist gewiß möglich, aber im Grunde doch nicht mehr als eine ansprechende Hypo¬ these, wofür der zwingende Beweis fehlt. Übrigens sind diese Spiele vielfach mit den Aiuoolii ^xons,Il verwechselt worden, das sind die, die in dem cireo Fanale, d. i. auf der xiiWa Navona. — Mvona scheint verderbt aus ^Zona, zu sein — gefeiert wurden. Tomassetti betont aber nachdrücklich, daß diese Identifizierung der beiden Spiele verkehrt sei. Die Agonalspiele seien erst im sechzehnten Jahrhundert eingeführt worden und an die Stelle der ssiuoolü all Isstaeeio getreten. Diese

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/433>, abgerufen am 28.04.2024.