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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Es liegt sogar das Versprechen vor, durch den Reichskanzler für die Erlangung
weiterer Mittel bemüht sein zu wollen. Der Reichstag hat mit diesem Beschluß
wieder einmal eine der vielen Unbegreiflichkeiten begangen, an denen seine Geschichte
leider so reich ist; ihm kommt es nun auch zu, den Fehler wieder zu verbessern.

Nun kann man wohl hören, daß dnrch ein energisches, persönliches Eintreten
des Reichskanzlers mehr zu erreichen gewesen wäre. Vielleicht, wahrscheinlich aber
nicht. Dem Reichskanzler fehlten zu jener Zeit noch die ausreichenden Unterlagen.
Dieser Umstand dient auch dem Reichstag einigermaßen zur Entschuldigung. Wäre
aber der Reichskanzler mit seinem persönlichen Eintreten gescheitert, so wäre es für
den Reichstag weit schwieriger gewesen, bei der nächsten Budgetberatuug auf den
Beschluß korrigierend zurückzukommen. Auch Graf Bülow hat keineswegs die An¬
sicht geteilt, daß die zwei Millionen Mark eine ausreichende, des Reichs würdige
und der durch die kaiserlichen Schutzbriefe eingegangnen moralischen Verpflichtung
entsprechende Entschädigung wäre. Sein reserviertes Verhalten hat zwar zu¬
nächst des populären Nimbus entbehrt, der ja mit einer Rede leicht zu erreichen
gewesen wäre, aber es ist für die Sache selbst voraussichtlich praktischer und nütz¬
licher gewesen. Ein Staatsmann muß warten können -- und die vom Reichs¬
kanzler befolgte Taktik war zweifellos die richtigere. Auch ein Parlament und
dessen Strömungen muß man zu behandeln versteh" und ihm die Verbesserung
begangner Fehler nicht erschweren oder unmöglich machen. Wer da verlangt, daß
Graf Bülow dauernd "in Kürassierstiefeln" vor den Reichstag trete, der übersieht,
daß die Stiefel allein es nicht machen, sondern daß zu ihrer Wirksamkeit vor allem
der Weg weltbewegender Erfolge gehört, den sie gegangen sind. Bismarcks Uni¬
form und Stiefel machen doch noch nicht den Bismarck aus. Dazu bedarf es seiner
gigantischen Taten, die nicht in jedem Jahrzehnt von neuem getan werden
können, schon deshalb nicht, weil die großen Ziele einer Nation natürlich nur
spärlich gesät sind und auch nur in längern Zeitläuften auftauchen. Die Nachfolger
des ersten Kanzlers, die dafür sorgen, daß das von ihm Erreichte erhalten, ge¬
festigt und ausgebaut wird, haben vollen Anspruch auf den Dank der Zeitgenossen,
weil sie dafür gesorgt haben werden, daß die Nation bereit und ihre Kraft gestählt
ist, wenn dereinst neue große Ziele in erreichbare Nähe rücken.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber man braucht ihn eben¬
sowenig vor dem Abend zu tadeln. Deutschland zu einigen, war gewiß eine
schwere, aber auch eine sehr dankbare Aufgabe, weil sie der Befriedigung eines
großen Sehnens galt, und weil das Siegesfeuer die Gluten für die Kaiserkrone
hergab. Die Saat war reif. Heute, nach einem dreiunddreißigjährigen Frieden
ist vieles von dem, was die Gewitterstürme einer ereignisschwangern Zeit ver¬
scheucht und zerstiebt hatten, wieder in den Vordergrund getreten, mit ihm die
Nationalfehler der Deutschen, die der Donner und der Blitz der Weltgeschichte nur
vorübergehend unwirksam gemacht und unbeugsam in den Dienst großer Taten ge¬
stellt hatte. Deutschland heute mit der Verweichlichung und dem hochgesteigerten
Wohlleben eines dreiunddreißigjährigen Friedens auf der Politischen Höhe nicht
nur, sondern auch auf der sittlichen Höhe seiner Erfolge zu erhalten, dazu bedarf
es eines weitschauenden Geistes, der die Ziele auch einer noch fernen Zukunft selbst
durch den Dunst des Parteigezänks hindurch zu erspähen und den nationalen
Kräften frühzeitig die Richtung auf diese Ziele zu geben vermag, auch auf die
Gefahr hin, wie Moses das verheißne Land nicht mehr selbst zu schauen. Das
energische, kraftvolle Handeln ist immer dankbarer als das langsame Vorbereiten,
zumal wenn dieses zum nicht geringen, ja zum größern Teile leider darin bestehn
muß, zu verhüten, daß die Gegensätze, an denen unser Volkstum krankt, unsre
nationalen Kräfte gänzlich zerspalten. Nach dem großen Heldentum einer schon
weit zurückliegenden Zeit ist das schlichte gefolgt, "das frommet und nicht glänzt,"
wie es in Uhlands Dichtung heißt. Wer es wohlmeint mit Deutschland und
seiner Zukunft, hat die Pflicht, sich diesem schlichten Heldentum um so emsiger zu
weihen



Maßgebliches und Unmaßgebliches

Es liegt sogar das Versprechen vor, durch den Reichskanzler für die Erlangung
weiterer Mittel bemüht sein zu wollen. Der Reichstag hat mit diesem Beschluß
wieder einmal eine der vielen Unbegreiflichkeiten begangen, an denen seine Geschichte
leider so reich ist; ihm kommt es nun auch zu, den Fehler wieder zu verbessern.

Nun kann man wohl hören, daß dnrch ein energisches, persönliches Eintreten
des Reichskanzlers mehr zu erreichen gewesen wäre. Vielleicht, wahrscheinlich aber
nicht. Dem Reichskanzler fehlten zu jener Zeit noch die ausreichenden Unterlagen.
Dieser Umstand dient auch dem Reichstag einigermaßen zur Entschuldigung. Wäre
aber der Reichskanzler mit seinem persönlichen Eintreten gescheitert, so wäre es für
den Reichstag weit schwieriger gewesen, bei der nächsten Budgetberatuug auf den
Beschluß korrigierend zurückzukommen. Auch Graf Bülow hat keineswegs die An¬
sicht geteilt, daß die zwei Millionen Mark eine ausreichende, des Reichs würdige
und der durch die kaiserlichen Schutzbriefe eingegangnen moralischen Verpflichtung
entsprechende Entschädigung wäre. Sein reserviertes Verhalten hat zwar zu¬
nächst des populären Nimbus entbehrt, der ja mit einer Rede leicht zu erreichen
gewesen wäre, aber es ist für die Sache selbst voraussichtlich praktischer und nütz¬
licher gewesen. Ein Staatsmann muß warten können — und die vom Reichs¬
kanzler befolgte Taktik war zweifellos die richtigere. Auch ein Parlament und
dessen Strömungen muß man zu behandeln versteh» und ihm die Verbesserung
begangner Fehler nicht erschweren oder unmöglich machen. Wer da verlangt, daß
Graf Bülow dauernd „in Kürassierstiefeln" vor den Reichstag trete, der übersieht,
daß die Stiefel allein es nicht machen, sondern daß zu ihrer Wirksamkeit vor allem
der Weg weltbewegender Erfolge gehört, den sie gegangen sind. Bismarcks Uni¬
form und Stiefel machen doch noch nicht den Bismarck aus. Dazu bedarf es seiner
gigantischen Taten, die nicht in jedem Jahrzehnt von neuem getan werden
können, schon deshalb nicht, weil die großen Ziele einer Nation natürlich nur
spärlich gesät sind und auch nur in längern Zeitläuften auftauchen. Die Nachfolger
des ersten Kanzlers, die dafür sorgen, daß das von ihm Erreichte erhalten, ge¬
festigt und ausgebaut wird, haben vollen Anspruch auf den Dank der Zeitgenossen,
weil sie dafür gesorgt haben werden, daß die Nation bereit und ihre Kraft gestählt
ist, wenn dereinst neue große Ziele in erreichbare Nähe rücken.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber man braucht ihn eben¬
sowenig vor dem Abend zu tadeln. Deutschland zu einigen, war gewiß eine
schwere, aber auch eine sehr dankbare Aufgabe, weil sie der Befriedigung eines
großen Sehnens galt, und weil das Siegesfeuer die Gluten für die Kaiserkrone
hergab. Die Saat war reif. Heute, nach einem dreiunddreißigjährigen Frieden
ist vieles von dem, was die Gewitterstürme einer ereignisschwangern Zeit ver¬
scheucht und zerstiebt hatten, wieder in den Vordergrund getreten, mit ihm die
Nationalfehler der Deutschen, die der Donner und der Blitz der Weltgeschichte nur
vorübergehend unwirksam gemacht und unbeugsam in den Dienst großer Taten ge¬
stellt hatte. Deutschland heute mit der Verweichlichung und dem hochgesteigerten
Wohlleben eines dreiunddreißigjährigen Friedens auf der Politischen Höhe nicht
nur, sondern auch auf der sittlichen Höhe seiner Erfolge zu erhalten, dazu bedarf
es eines weitschauenden Geistes, der die Ziele auch einer noch fernen Zukunft selbst
durch den Dunst des Parteigezänks hindurch zu erspähen und den nationalen
Kräften frühzeitig die Richtung auf diese Ziele zu geben vermag, auch auf die
Gefahr hin, wie Moses das verheißne Land nicht mehr selbst zu schauen. Das
energische, kraftvolle Handeln ist immer dankbarer als das langsame Vorbereiten,
zumal wenn dieses zum nicht geringen, ja zum größern Teile leider darin bestehn
muß, zu verhüten, daß die Gegensätze, an denen unser Volkstum krankt, unsre
nationalen Kräfte gänzlich zerspalten. Nach dem großen Heldentum einer schon
weit zurückliegenden Zeit ist das schlichte gefolgt, „das frommet und nicht glänzt,"
wie es in Uhlands Dichtung heißt. Wer es wohlmeint mit Deutschland und
seiner Zukunft, hat die Pflicht, sich diesem schlichten Heldentum um so emsiger zu
weihen



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[0432] Maßgebliches und Unmaßgebliches Es liegt sogar das Versprechen vor, durch den Reichskanzler für die Erlangung weiterer Mittel bemüht sein zu wollen. Der Reichstag hat mit diesem Beschluß wieder einmal eine der vielen Unbegreiflichkeiten begangen, an denen seine Geschichte leider so reich ist; ihm kommt es nun auch zu, den Fehler wieder zu verbessern. Nun kann man wohl hören, daß dnrch ein energisches, persönliches Eintreten des Reichskanzlers mehr zu erreichen gewesen wäre. Vielleicht, wahrscheinlich aber nicht. Dem Reichskanzler fehlten zu jener Zeit noch die ausreichenden Unterlagen. Dieser Umstand dient auch dem Reichstag einigermaßen zur Entschuldigung. Wäre aber der Reichskanzler mit seinem persönlichen Eintreten gescheitert, so wäre es für den Reichstag weit schwieriger gewesen, bei der nächsten Budgetberatuug auf den Beschluß korrigierend zurückzukommen. Auch Graf Bülow hat keineswegs die An¬ sicht geteilt, daß die zwei Millionen Mark eine ausreichende, des Reichs würdige und der durch die kaiserlichen Schutzbriefe eingegangnen moralischen Verpflichtung entsprechende Entschädigung wäre. Sein reserviertes Verhalten hat zwar zu¬ nächst des populären Nimbus entbehrt, der ja mit einer Rede leicht zu erreichen gewesen wäre, aber es ist für die Sache selbst voraussichtlich praktischer und nütz¬ licher gewesen. Ein Staatsmann muß warten können — und die vom Reichs¬ kanzler befolgte Taktik war zweifellos die richtigere. Auch ein Parlament und dessen Strömungen muß man zu behandeln versteh» und ihm die Verbesserung begangner Fehler nicht erschweren oder unmöglich machen. Wer da verlangt, daß Graf Bülow dauernd „in Kürassierstiefeln" vor den Reichstag trete, der übersieht, daß die Stiefel allein es nicht machen, sondern daß zu ihrer Wirksamkeit vor allem der Weg weltbewegender Erfolge gehört, den sie gegangen sind. Bismarcks Uni¬ form und Stiefel machen doch noch nicht den Bismarck aus. Dazu bedarf es seiner gigantischen Taten, die nicht in jedem Jahrzehnt von neuem getan werden können, schon deshalb nicht, weil die großen Ziele einer Nation natürlich nur spärlich gesät sind und auch nur in längern Zeitläuften auftauchen. Die Nachfolger des ersten Kanzlers, die dafür sorgen, daß das von ihm Erreichte erhalten, ge¬ festigt und ausgebaut wird, haben vollen Anspruch auf den Dank der Zeitgenossen, weil sie dafür gesorgt haben werden, daß die Nation bereit und ihre Kraft gestählt ist, wenn dereinst neue große Ziele in erreichbare Nähe rücken. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, aber man braucht ihn eben¬ sowenig vor dem Abend zu tadeln. Deutschland zu einigen, war gewiß eine schwere, aber auch eine sehr dankbare Aufgabe, weil sie der Befriedigung eines großen Sehnens galt, und weil das Siegesfeuer die Gluten für die Kaiserkrone hergab. Die Saat war reif. Heute, nach einem dreiunddreißigjährigen Frieden ist vieles von dem, was die Gewitterstürme einer ereignisschwangern Zeit ver¬ scheucht und zerstiebt hatten, wieder in den Vordergrund getreten, mit ihm die Nationalfehler der Deutschen, die der Donner und der Blitz der Weltgeschichte nur vorübergehend unwirksam gemacht und unbeugsam in den Dienst großer Taten ge¬ stellt hatte. Deutschland heute mit der Verweichlichung und dem hochgesteigerten Wohlleben eines dreiunddreißigjährigen Friedens auf der Politischen Höhe nicht nur, sondern auch auf der sittlichen Höhe seiner Erfolge zu erhalten, dazu bedarf es eines weitschauenden Geistes, der die Ziele auch einer noch fernen Zukunft selbst durch den Dunst des Parteigezänks hindurch zu erspähen und den nationalen Kräften frühzeitig die Richtung auf diese Ziele zu geben vermag, auch auf die Gefahr hin, wie Moses das verheißne Land nicht mehr selbst zu schauen. Das energische, kraftvolle Handeln ist immer dankbarer als das langsame Vorbereiten, zumal wenn dieses zum nicht geringen, ja zum größern Teile leider darin bestehn muß, zu verhüten, daß die Gegensätze, an denen unser Volkstum krankt, unsre nationalen Kräfte gänzlich zerspalten. Nach dem großen Heldentum einer schon weit zurückliegenden Zeit ist das schlichte gefolgt, „das frommet und nicht glänzt," wie es in Uhlands Dichtung heißt. Wer es wohlmeint mit Deutschland und seiner Zukunft, hat die Pflicht, sich diesem schlichten Heldentum um so emsiger zu weihen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/432>, abgerufen am 13.05.2024.