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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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schwäbisches Weltbürgertum vor hundert Jahren

Stellung in Tsingtau haben wesentlich nur die Bestimmung, der von Jahr
zu Jahr mächtig anwachsenden wirtschaftlichen Arbeit als Deckung zu dienen.
Mit dieser Entwicklung ist selbstverständlich auch ein wachsender politischer
Einfluß verbunden. Wie weit und wie lange dieser Einfluß und. unsre
gesamte wirtschaftliche Arbeit in Ostasien einem siegreichen Japan und dessen
Bestrebungen gegenüber aufrecht erhalten werden können, vermag nur die
Zeit zu lehren. Jedoch -- auch die japanischen Bäume pflegen nicht in den
Himmel zu wachsen. Shanghai ist zu international, und der englische Ein¬
fluß dort zu groß, als daß Japan versuchen sollte, diesen großen Eintritts¬
punkt Europas in Ostasien für sich zu gewinnen. Ebenso wird es im Jangtse-
tal England nicht behindern wollen, folglich auch uns dort nicht. Die Provinz
Shantung aber, unser eigentliches Arbeitsfeld, liegt außerhalb der Zone der
japanischen Bestrebungen, so lange diese es nicht darauf abgesehen haben, sich
in Peking selbst zu etablieren. Darüber müssen wir uns aber in Deutschland
klar sein, daß wir unsre Stellung in Tsingtau, dem militärischen Stützpunkt
unsrer wirtschaftlichen Arbeit, mit einem Kreuzergeschwader nicht behaupten
können. Einstweilen ist freilich kein Grund vorhanden zu der Annahme,
daß ein siegreiches Japan Shantung und Tsingtau zu seinen nächsten Zielen
wählen wird. Japan wird -- auch wenn siegreich -- zu Deutschland in guten
Beziehungen zu bleiben suchen, wir unsrerseits haben keinen Grund, die Fort¬
setzung dieser Beziehungen, ja ihre Befestigung, nicht aufrichtig zu wünschen-
Aber immerhin muß sich Deutschland damit vertraut machen, daß im Falle
eines endgiltigen Sieges Japans das politische und das wirtschaftliche Gesamt¬
bild Ostasiens mit der Zeit starke Veränderungen erfahren dürste.

Je stärker zur See wir dann sein werden, desto weniger werden diese
Veränderungen uns berühren; wir werden dann nur mit der japanischen
Konkurrenz, nicht mit der japanischen Macht zu rechnen haben. Aber auf
alle Fälle berührt dieser Krieg Deutschlands Zukunftsaufgaben, die sehr viel
wichtiger für uns sind als alle unsre innern Kämpfe und Parteigegensätze.
Mögen auch unsre politischen Parteien und möge namentlich der Reichstag
eingedenk sein, daß regieren -- voraussehen bedeutet.


Hugo Jacobi


schwäbisches Weltbürgertum vor hundert Jahren
E. Hesselmeyer von in Tübingen

KM/> chon vor hundert Jahren gab es Männer genug, die sich mit der
Frage der politischen Wiedergeburt Deutschlands, sogar im Sinne
des Einheitsgedankens und der Kaiseridee beschäftigten. Wenigstens
für Schwaben können wir das nachweisen, obwohl man schon ge¬
sagt hat, daß das deutsche Publikum vor hundert Jahren allen
politischen Gegenständen gegenüber apathisch gewesen sei und sich in ganz andern
Sphären bewegt habe, wie denn überhaupt in der deutschen Natur wenig poli¬
tischer Sinn liege. Wenn man nun auch zugeben kann, daß eine öffentliche


schwäbisches Weltbürgertum vor hundert Jahren

Stellung in Tsingtau haben wesentlich nur die Bestimmung, der von Jahr
zu Jahr mächtig anwachsenden wirtschaftlichen Arbeit als Deckung zu dienen.
Mit dieser Entwicklung ist selbstverständlich auch ein wachsender politischer
Einfluß verbunden. Wie weit und wie lange dieser Einfluß und. unsre
gesamte wirtschaftliche Arbeit in Ostasien einem siegreichen Japan und dessen
Bestrebungen gegenüber aufrecht erhalten werden können, vermag nur die
Zeit zu lehren. Jedoch — auch die japanischen Bäume pflegen nicht in den
Himmel zu wachsen. Shanghai ist zu international, und der englische Ein¬
fluß dort zu groß, als daß Japan versuchen sollte, diesen großen Eintritts¬
punkt Europas in Ostasien für sich zu gewinnen. Ebenso wird es im Jangtse-
tal England nicht behindern wollen, folglich auch uns dort nicht. Die Provinz
Shantung aber, unser eigentliches Arbeitsfeld, liegt außerhalb der Zone der
japanischen Bestrebungen, so lange diese es nicht darauf abgesehen haben, sich
in Peking selbst zu etablieren. Darüber müssen wir uns aber in Deutschland
klar sein, daß wir unsre Stellung in Tsingtau, dem militärischen Stützpunkt
unsrer wirtschaftlichen Arbeit, mit einem Kreuzergeschwader nicht behaupten
können. Einstweilen ist freilich kein Grund vorhanden zu der Annahme,
daß ein siegreiches Japan Shantung und Tsingtau zu seinen nächsten Zielen
wählen wird. Japan wird — auch wenn siegreich — zu Deutschland in guten
Beziehungen zu bleiben suchen, wir unsrerseits haben keinen Grund, die Fort¬
setzung dieser Beziehungen, ja ihre Befestigung, nicht aufrichtig zu wünschen-
Aber immerhin muß sich Deutschland damit vertraut machen, daß im Falle
eines endgiltigen Sieges Japans das politische und das wirtschaftliche Gesamt¬
bild Ostasiens mit der Zeit starke Veränderungen erfahren dürste.

Je stärker zur See wir dann sein werden, desto weniger werden diese
Veränderungen uns berühren; wir werden dann nur mit der japanischen
Konkurrenz, nicht mit der japanischen Macht zu rechnen haben. Aber auf
alle Fälle berührt dieser Krieg Deutschlands Zukunftsaufgaben, die sehr viel
wichtiger für uns sind als alle unsre innern Kämpfe und Parteigegensätze.
Mögen auch unsre politischen Parteien und möge namentlich der Reichstag
eingedenk sein, daß regieren — voraussehen bedeutet.


Hugo Jacobi


schwäbisches Weltbürgertum vor hundert Jahren
E. Hesselmeyer von in Tübingen

KM/> chon vor hundert Jahren gab es Männer genug, die sich mit der
Frage der politischen Wiedergeburt Deutschlands, sogar im Sinne
des Einheitsgedankens und der Kaiseridee beschäftigten. Wenigstens
für Schwaben können wir das nachweisen, obwohl man schon ge¬
sagt hat, daß das deutsche Publikum vor hundert Jahren allen
politischen Gegenständen gegenüber apathisch gewesen sei und sich in ganz andern
Sphären bewegt habe, wie denn überhaupt in der deutschen Natur wenig poli¬
tischer Sinn liege. Wenn man nun auch zugeben kann, daß eine öffentliche


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[0504] schwäbisches Weltbürgertum vor hundert Jahren Stellung in Tsingtau haben wesentlich nur die Bestimmung, der von Jahr zu Jahr mächtig anwachsenden wirtschaftlichen Arbeit als Deckung zu dienen. Mit dieser Entwicklung ist selbstverständlich auch ein wachsender politischer Einfluß verbunden. Wie weit und wie lange dieser Einfluß und. unsre gesamte wirtschaftliche Arbeit in Ostasien einem siegreichen Japan und dessen Bestrebungen gegenüber aufrecht erhalten werden können, vermag nur die Zeit zu lehren. Jedoch — auch die japanischen Bäume pflegen nicht in den Himmel zu wachsen. Shanghai ist zu international, und der englische Ein¬ fluß dort zu groß, als daß Japan versuchen sollte, diesen großen Eintritts¬ punkt Europas in Ostasien für sich zu gewinnen. Ebenso wird es im Jangtse- tal England nicht behindern wollen, folglich auch uns dort nicht. Die Provinz Shantung aber, unser eigentliches Arbeitsfeld, liegt außerhalb der Zone der japanischen Bestrebungen, so lange diese es nicht darauf abgesehen haben, sich in Peking selbst zu etablieren. Darüber müssen wir uns aber in Deutschland klar sein, daß wir unsre Stellung in Tsingtau, dem militärischen Stützpunkt unsrer wirtschaftlichen Arbeit, mit einem Kreuzergeschwader nicht behaupten können. Einstweilen ist freilich kein Grund vorhanden zu der Annahme, daß ein siegreiches Japan Shantung und Tsingtau zu seinen nächsten Zielen wählen wird. Japan wird — auch wenn siegreich — zu Deutschland in guten Beziehungen zu bleiben suchen, wir unsrerseits haben keinen Grund, die Fort¬ setzung dieser Beziehungen, ja ihre Befestigung, nicht aufrichtig zu wünschen- Aber immerhin muß sich Deutschland damit vertraut machen, daß im Falle eines endgiltigen Sieges Japans das politische und das wirtschaftliche Gesamt¬ bild Ostasiens mit der Zeit starke Veränderungen erfahren dürste. Je stärker zur See wir dann sein werden, desto weniger werden diese Veränderungen uns berühren; wir werden dann nur mit der japanischen Konkurrenz, nicht mit der japanischen Macht zu rechnen haben. Aber auf alle Fälle berührt dieser Krieg Deutschlands Zukunftsaufgaben, die sehr viel wichtiger für uns sind als alle unsre innern Kämpfe und Parteigegensätze. Mögen auch unsre politischen Parteien und möge namentlich der Reichstag eingedenk sein, daß regieren — voraussehen bedeutet. Hugo Jacobi schwäbisches Weltbürgertum vor hundert Jahren E. Hesselmeyer von in Tübingen KM/> chon vor hundert Jahren gab es Männer genug, die sich mit der Frage der politischen Wiedergeburt Deutschlands, sogar im Sinne des Einheitsgedankens und der Kaiseridee beschäftigten. Wenigstens für Schwaben können wir das nachweisen, obwohl man schon ge¬ sagt hat, daß das deutsche Publikum vor hundert Jahren allen politischen Gegenständen gegenüber apathisch gewesen sei und sich in ganz andern Sphären bewegt habe, wie denn überhaupt in der deutschen Natur wenig poli¬ tischer Sinn liege. Wenn man nun auch zugeben kann, daß eine öffentliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/504>, abgerufen am 28.04.2024.