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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und Japan

dem Kriege hervorgehn, d. h. die Japaner über den Jalu zurückwerfen oder
auf ihre Schiffe treiben sollte, würde es einer Reihe von Jahren der Ruhe
und der Sammlung, des militärischen und des finanziellen Retablissements be¬
dürfen, bevor es an neue kriegerische Unternehmungen denken könnte. Das
Gortschakowsche I^s, Russin 8e rsoasills träte wieder in seine Rechte. Japan
würde es ebenso machen, aber es würde, wenn besiegt, in seinem Revanche¬
bedürfnis erst recht zu Englands Verfügung bleiben.

Diese Anlehnung an England wird es um so mehr zu erhalten suchen,
als Amerika mit seinen Ansprüchen auf den Supremat über den Stillen Ozean
auf Japans Interessen stößt, das die Vorherrschaft auf der asiatischen Seite
des Pacific für sich selbst in Anspruch nimmt und sich durch Amerikas Stellung
auf den Philippinen schon heute bedroht sieht. Hier spielt der große englisch¬
amerikanische Gegensatz hinein, der früher oder später ebenfalls auf den
Fluten des Ozeans seine Entscheidung suchen wird. Das Bedürfnis nach
Anlehnung an England somit auch für ein siegreiches, aber durch den opfer¬
reichen Krieg geschwächtes Japan sichert Großbritannien davor, daß die
japanischen Vorherrschaft - und Expansionsbestrebungen die englischen Inter¬
essen in Mitleidenschaft ziehn. Schon wird französischerseits darauf hinge¬
wiesen (Major Devrez in der ^rsnos Niliwirs), daß das nächste japanische
Angriffsobjekt der französische Kolonialbesitz in Ostasien, Tonkin, Aram, Cochin-
china sein werde, die Frankreich gegen einen japanischen Augriff nicht zu ver¬
teidigen vermöge. Der Plan zu einer Landung in Jndochina liege im
japanischen Genercilstabe fertig ausgearbeitet. Wenn dem so ist, könnte man
sich um so mehr wundern, daß Frankreich Rußland im jetzigen Kriege im
Stich gelassen hat. Aber eine Beteiligung Frankreichs am Kriege würde eine
Beteiligung Englands infolge des englisch-japanischen Vertrages von 1902
zur Folge gehabt haben. In Asien würde sich also durch ein Eingreifen
Frankreichs gar nichts geändert haben, wohl aber wäre es in Europa zu
einem englisch-französischen Kriege gekommen. Vielleicht vertraut Frankreich
infolge seines Abkommens mit England darauf, daß England dem Expansions¬
bedürfnis eines siegreichen Japans selbst Schranken ziehn wird. Englands
Interesse gipfelt darin, sich Japan als Verbündeten gegen Amerika wie gegen
Rußland zu erhalten, ebenso wie Japan den engen Anschluß an England zu
erhalte" bestrebt sein wird. Somit liegt auf absehbare Zeit kein Bedürfnis
für Japan vor, sich gegen Englands asiatische Stellung zu wenden, die zu
groß und zu geschützt ist, als daß sie von Japan -- auch im Bunde mit
Amerika -- erschüttert werden könnte. Die Japaner werden sich immer nur
solchen Zielen zuwenden, die sie aus eignen Kräften zu erreichen vermögen;
den Weltkrieg zu entzünden werden sie nach Möglichkeit vermeiden.

Aus dem allen ergibt sich zur Genüge das große Interesse, das Deutsch¬
land, von seinen Handelsbeziehungen zu Japan ganz abgesehen, an der Ent¬
wicklung der japanischen Verhältnisse hat. Auch unsre Stellung in Ostasien
wird von den Ergebnissen dieses Krieges nicht unberührt bleiben, obwohl sie
dort viel mehr wirtschaftlicher als politischer oder militärischer Natur ist.
Unser entwickeltes Konsulats- und Postwesen in China sowie die militärische


Deutschland und Japan

dem Kriege hervorgehn, d. h. die Japaner über den Jalu zurückwerfen oder
auf ihre Schiffe treiben sollte, würde es einer Reihe von Jahren der Ruhe
und der Sammlung, des militärischen und des finanziellen Retablissements be¬
dürfen, bevor es an neue kriegerische Unternehmungen denken könnte. Das
Gortschakowsche I^s, Russin 8e rsoasills träte wieder in seine Rechte. Japan
würde es ebenso machen, aber es würde, wenn besiegt, in seinem Revanche¬
bedürfnis erst recht zu Englands Verfügung bleiben.

Diese Anlehnung an England wird es um so mehr zu erhalten suchen,
als Amerika mit seinen Ansprüchen auf den Supremat über den Stillen Ozean
auf Japans Interessen stößt, das die Vorherrschaft auf der asiatischen Seite
des Pacific für sich selbst in Anspruch nimmt und sich durch Amerikas Stellung
auf den Philippinen schon heute bedroht sieht. Hier spielt der große englisch¬
amerikanische Gegensatz hinein, der früher oder später ebenfalls auf den
Fluten des Ozeans seine Entscheidung suchen wird. Das Bedürfnis nach
Anlehnung an England somit auch für ein siegreiches, aber durch den opfer¬
reichen Krieg geschwächtes Japan sichert Großbritannien davor, daß die
japanischen Vorherrschaft - und Expansionsbestrebungen die englischen Inter¬
essen in Mitleidenschaft ziehn. Schon wird französischerseits darauf hinge¬
wiesen (Major Devrez in der ^rsnos Niliwirs), daß das nächste japanische
Angriffsobjekt der französische Kolonialbesitz in Ostasien, Tonkin, Aram, Cochin-
china sein werde, die Frankreich gegen einen japanischen Augriff nicht zu ver¬
teidigen vermöge. Der Plan zu einer Landung in Jndochina liege im
japanischen Genercilstabe fertig ausgearbeitet. Wenn dem so ist, könnte man
sich um so mehr wundern, daß Frankreich Rußland im jetzigen Kriege im
Stich gelassen hat. Aber eine Beteiligung Frankreichs am Kriege würde eine
Beteiligung Englands infolge des englisch-japanischen Vertrages von 1902
zur Folge gehabt haben. In Asien würde sich also durch ein Eingreifen
Frankreichs gar nichts geändert haben, wohl aber wäre es in Europa zu
einem englisch-französischen Kriege gekommen. Vielleicht vertraut Frankreich
infolge seines Abkommens mit England darauf, daß England dem Expansions¬
bedürfnis eines siegreichen Japans selbst Schranken ziehn wird. Englands
Interesse gipfelt darin, sich Japan als Verbündeten gegen Amerika wie gegen
Rußland zu erhalten, ebenso wie Japan den engen Anschluß an England zu
erhalte» bestrebt sein wird. Somit liegt auf absehbare Zeit kein Bedürfnis
für Japan vor, sich gegen Englands asiatische Stellung zu wenden, die zu
groß und zu geschützt ist, als daß sie von Japan — auch im Bunde mit
Amerika — erschüttert werden könnte. Die Japaner werden sich immer nur
solchen Zielen zuwenden, die sie aus eignen Kräften zu erreichen vermögen;
den Weltkrieg zu entzünden werden sie nach Möglichkeit vermeiden.

Aus dem allen ergibt sich zur Genüge das große Interesse, das Deutsch¬
land, von seinen Handelsbeziehungen zu Japan ganz abgesehen, an der Ent¬
wicklung der japanischen Verhältnisse hat. Auch unsre Stellung in Ostasien
wird von den Ergebnissen dieses Krieges nicht unberührt bleiben, obwohl sie
dort viel mehr wirtschaftlicher als politischer oder militärischer Natur ist.
Unser entwickeltes Konsulats- und Postwesen in China sowie die militärische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/503>, abgerufen am 11.05.2024.