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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die kleine Marina und ihr Gemahl

immer das Gebetbuch in der Hand und zog den Weißen Shawl tiefer über die ge¬
schwungnen Brauen.

Es war der einundzwanzigjährige Don Francisco de silva, Marquis von
El Viso, der Erbe des Majorats Santa Cruz und vieler Städte und Dörfer in
der Provinz La Mancha, der seit seiner frühesten Jugend mit der noch nicht er¬
wachsenen Tochter des Herzogs von Lorma und Jnfautado, der Dona Maria
Leopoldma de Toledo, vermählt war.


2

Jeden Tag, wenn Prinz Emanuel Zeit hatte, las er deutsch mit seiner
Schwestertochter. Diese, Dona Maria, hatte von jeher große Lust zum Lernen
gehabt, Bescheid über alles Mögliche zu wissen. Ihr Vater pflegte zu sagen, das
müsse daher kommen, daß ihre Mutter eine Deutsche sei, denn die Fürstinnen des
Hauses Toledo hatten sich sonst gerade nicht durch Wißbegierde ausgezeichnet. Sie
hatten ihr Ave und ihr Credo gekannt, hatten gelernt zu lesen, ein Rondeau zu
singen, auf der Guitarre zu klimpern oder auf dem Klavizimbel zu spielen -- und
die meisten von ihnen hatten schreiben können. Außerdem waren sie natürlich auch
mit dem verwickelten Hofzeremoniell vertraut gewesen, das auf den verschiednen
Lustschlösser" gefordert wurde, und hatten an den Fingern herzuzählen gewußt,
was sich für eine Dame der allervornehmsten Grandezza geziemte. Sie hatten auch
gewußt, daß die Sonne in Sr. katholischen Majestät Reichen und Ländern niemals
unterging, aber wie das eigentlich zuging, war ihnen nicht recht klar geworden.
Vermutlich beruhte das auf einer besondern Gnade des Himmels. Darüber hinaus
hatte keine von ihnen viel mehr gewußt -- das übrige hatten sie geglaubt.

Aber damit wollte Marina sich nicht begnügen -- sie forschte und fragte.
Im Anfang waren es nur solche Dinge, wie: ob die Sterne von wirklichem Gold
wären, oder ob es nur Pailletten wären, oder ob es derselbe Mond sei, der auf
den Burghof im Jnfantadopalast in Madrid herabscheine und durch die spitzen
Fenster daheim auf dem Lande auf Guadalajara; ob die Goldfische etwas dächten,
wenn sie im Aquarium herumschwömmen, oder ob die Blumen etwas fühlten, wenn
sie gepflückt würden. Später war es immer mehr und mehr, worüber sie Bescheid
haben wollte -- am liebsten über alles zwischen Himmel und Erde --, und als
sie den Oheim Emanuel nach seiner langen Reise durch ganz Europa wieder
sah, stürzte sich Maria Leopoldina ganz natürlich auf ihn und fragte ihn nach
allem aus.

Selbstverständlich wurde eine Tochter des Hauses Toledo in der Hauptsache
nach alter spanischer Sitte erzogen, d. h. sie wurde nicht -- wie das in Frankreich
üblich war -- von der übrigen Welt abgesperrt gehalten in Gesellschaft einer
Gouvernante und einiger Kammerzofen, sondern sie erhielt Erlaubnis, sich überall
im Hause aufzuhalten, wo sie wollte, und mit ihren Eltern und Geschwistern, Ver¬
wandten und Dienern zusammen zu sein. Unter Fremden hatte Dona Maria da¬
gegen riethe sonderlich viel Bekannte, denn sie war noch zu jung, als daß sie schon
an dein eigentlichen Gesellschaftsleben hätte teilnehmen können, das gerade jetzt hier
in Paris sehr bunt und kosmopolitisch war. Aber sie kannte die meisten Mitglieder
ihrer eignen Familie und des Hauses silva, dem ihr Mann angehörte.

Die vornehme spanische Familie führte in Paris ein sehr stilles, fast zurück¬
gezognes Leben. Der Hausherr selber war häufig in Spanien, um sich nach seinen
ausgedehnten Gütern umzusehen, und die Herzogin beschäftigte sich fast ausschließlich
mit Andachtsübungen, Wohltätigkeit und der Erziehung ihrer Kinder -- namentlich
ihrer Tochter. Sie selbst hatte keine besonders hervorragende Erziehung erhalten --
von Literatur, Philosophie und Kunst, womit sich zu beschäftigen jetzt so sehr in
der Mode war, hatte sie keinen Begriff. Aber die Fürstin von Starhemberg, ihre
Schwester, legte großen Wert auf Gelehrsamkeit und "Virtuosität," wie man eine
zeitgemäße Bildung im Jahre 1778 mit einem einzigen treffenden Ausdruck be¬
zeichnete. Die gottesfürchtige Herzogin von Jnfantado, die ihr Heim liebte, hatte


Die kleine Marina und ihr Gemahl

immer das Gebetbuch in der Hand und zog den Weißen Shawl tiefer über die ge¬
schwungnen Brauen.

Es war der einundzwanzigjährige Don Francisco de silva, Marquis von
El Viso, der Erbe des Majorats Santa Cruz und vieler Städte und Dörfer in
der Provinz La Mancha, der seit seiner frühesten Jugend mit der noch nicht er¬
wachsenen Tochter des Herzogs von Lorma und Jnfautado, der Dona Maria
Leopoldma de Toledo, vermählt war.


2

Jeden Tag, wenn Prinz Emanuel Zeit hatte, las er deutsch mit seiner
Schwestertochter. Diese, Dona Maria, hatte von jeher große Lust zum Lernen
gehabt, Bescheid über alles Mögliche zu wissen. Ihr Vater pflegte zu sagen, das
müsse daher kommen, daß ihre Mutter eine Deutsche sei, denn die Fürstinnen des
Hauses Toledo hatten sich sonst gerade nicht durch Wißbegierde ausgezeichnet. Sie
hatten ihr Ave und ihr Credo gekannt, hatten gelernt zu lesen, ein Rondeau zu
singen, auf der Guitarre zu klimpern oder auf dem Klavizimbel zu spielen — und
die meisten von ihnen hatten schreiben können. Außerdem waren sie natürlich auch
mit dem verwickelten Hofzeremoniell vertraut gewesen, das auf den verschiednen
Lustschlösser» gefordert wurde, und hatten an den Fingern herzuzählen gewußt,
was sich für eine Dame der allervornehmsten Grandezza geziemte. Sie hatten auch
gewußt, daß die Sonne in Sr. katholischen Majestät Reichen und Ländern niemals
unterging, aber wie das eigentlich zuging, war ihnen nicht recht klar geworden.
Vermutlich beruhte das auf einer besondern Gnade des Himmels. Darüber hinaus
hatte keine von ihnen viel mehr gewußt — das übrige hatten sie geglaubt.

Aber damit wollte Marina sich nicht begnügen — sie forschte und fragte.
Im Anfang waren es nur solche Dinge, wie: ob die Sterne von wirklichem Gold
wären, oder ob es nur Pailletten wären, oder ob es derselbe Mond sei, der auf
den Burghof im Jnfantadopalast in Madrid herabscheine und durch die spitzen
Fenster daheim auf dem Lande auf Guadalajara; ob die Goldfische etwas dächten,
wenn sie im Aquarium herumschwömmen, oder ob die Blumen etwas fühlten, wenn
sie gepflückt würden. Später war es immer mehr und mehr, worüber sie Bescheid
haben wollte — am liebsten über alles zwischen Himmel und Erde —, und als
sie den Oheim Emanuel nach seiner langen Reise durch ganz Europa wieder
sah, stürzte sich Maria Leopoldina ganz natürlich auf ihn und fragte ihn nach
allem aus.

Selbstverständlich wurde eine Tochter des Hauses Toledo in der Hauptsache
nach alter spanischer Sitte erzogen, d. h. sie wurde nicht — wie das in Frankreich
üblich war — von der übrigen Welt abgesperrt gehalten in Gesellschaft einer
Gouvernante und einiger Kammerzofen, sondern sie erhielt Erlaubnis, sich überall
im Hause aufzuhalten, wo sie wollte, und mit ihren Eltern und Geschwistern, Ver¬
wandten und Dienern zusammen zu sein. Unter Fremden hatte Dona Maria da¬
gegen riethe sonderlich viel Bekannte, denn sie war noch zu jung, als daß sie schon
an dein eigentlichen Gesellschaftsleben hätte teilnehmen können, das gerade jetzt hier
in Paris sehr bunt und kosmopolitisch war. Aber sie kannte die meisten Mitglieder
ihrer eignen Familie und des Hauses silva, dem ihr Mann angehörte.

Die vornehme spanische Familie führte in Paris ein sehr stilles, fast zurück¬
gezognes Leben. Der Hausherr selber war häufig in Spanien, um sich nach seinen
ausgedehnten Gütern umzusehen, und die Herzogin beschäftigte sich fast ausschließlich
mit Andachtsübungen, Wohltätigkeit und der Erziehung ihrer Kinder — namentlich
ihrer Tochter. Sie selbst hatte keine besonders hervorragende Erziehung erhalten —
von Literatur, Philosophie und Kunst, womit sich zu beschäftigen jetzt so sehr in
der Mode war, hatte sie keinen Begriff. Aber die Fürstin von Starhemberg, ihre
Schwester, legte großen Wert auf Gelehrsamkeit und „Virtuosität," wie man eine
zeitgemäße Bildung im Jahre 1778 mit einem einzigen treffenden Ausdruck be¬
zeichnete. Die gottesfürchtige Herzogin von Jnfantado, die ihr Heim liebte, hatte


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[0054] Die kleine Marina und ihr Gemahl immer das Gebetbuch in der Hand und zog den Weißen Shawl tiefer über die ge¬ schwungnen Brauen. Es war der einundzwanzigjährige Don Francisco de silva, Marquis von El Viso, der Erbe des Majorats Santa Cruz und vieler Städte und Dörfer in der Provinz La Mancha, der seit seiner frühesten Jugend mit der noch nicht er¬ wachsenen Tochter des Herzogs von Lorma und Jnfautado, der Dona Maria Leopoldma de Toledo, vermählt war. 2 Jeden Tag, wenn Prinz Emanuel Zeit hatte, las er deutsch mit seiner Schwestertochter. Diese, Dona Maria, hatte von jeher große Lust zum Lernen gehabt, Bescheid über alles Mögliche zu wissen. Ihr Vater pflegte zu sagen, das müsse daher kommen, daß ihre Mutter eine Deutsche sei, denn die Fürstinnen des Hauses Toledo hatten sich sonst gerade nicht durch Wißbegierde ausgezeichnet. Sie hatten ihr Ave und ihr Credo gekannt, hatten gelernt zu lesen, ein Rondeau zu singen, auf der Guitarre zu klimpern oder auf dem Klavizimbel zu spielen — und die meisten von ihnen hatten schreiben können. Außerdem waren sie natürlich auch mit dem verwickelten Hofzeremoniell vertraut gewesen, das auf den verschiednen Lustschlösser» gefordert wurde, und hatten an den Fingern herzuzählen gewußt, was sich für eine Dame der allervornehmsten Grandezza geziemte. Sie hatten auch gewußt, daß die Sonne in Sr. katholischen Majestät Reichen und Ländern niemals unterging, aber wie das eigentlich zuging, war ihnen nicht recht klar geworden. Vermutlich beruhte das auf einer besondern Gnade des Himmels. Darüber hinaus hatte keine von ihnen viel mehr gewußt — das übrige hatten sie geglaubt. Aber damit wollte Marina sich nicht begnügen — sie forschte und fragte. Im Anfang waren es nur solche Dinge, wie: ob die Sterne von wirklichem Gold wären, oder ob es nur Pailletten wären, oder ob es derselbe Mond sei, der auf den Burghof im Jnfantadopalast in Madrid herabscheine und durch die spitzen Fenster daheim auf dem Lande auf Guadalajara; ob die Goldfische etwas dächten, wenn sie im Aquarium herumschwömmen, oder ob die Blumen etwas fühlten, wenn sie gepflückt würden. Später war es immer mehr und mehr, worüber sie Bescheid haben wollte — am liebsten über alles zwischen Himmel und Erde —, und als sie den Oheim Emanuel nach seiner langen Reise durch ganz Europa wieder sah, stürzte sich Maria Leopoldina ganz natürlich auf ihn und fragte ihn nach allem aus. Selbstverständlich wurde eine Tochter des Hauses Toledo in der Hauptsache nach alter spanischer Sitte erzogen, d. h. sie wurde nicht — wie das in Frankreich üblich war — von der übrigen Welt abgesperrt gehalten in Gesellschaft einer Gouvernante und einiger Kammerzofen, sondern sie erhielt Erlaubnis, sich überall im Hause aufzuhalten, wo sie wollte, und mit ihren Eltern und Geschwistern, Ver¬ wandten und Dienern zusammen zu sein. Unter Fremden hatte Dona Maria da¬ gegen riethe sonderlich viel Bekannte, denn sie war noch zu jung, als daß sie schon an dein eigentlichen Gesellschaftsleben hätte teilnehmen können, das gerade jetzt hier in Paris sehr bunt und kosmopolitisch war. Aber sie kannte die meisten Mitglieder ihrer eignen Familie und des Hauses silva, dem ihr Mann angehörte. Die vornehme spanische Familie führte in Paris ein sehr stilles, fast zurück¬ gezognes Leben. Der Hausherr selber war häufig in Spanien, um sich nach seinen ausgedehnten Gütern umzusehen, und die Herzogin beschäftigte sich fast ausschließlich mit Andachtsübungen, Wohltätigkeit und der Erziehung ihrer Kinder — namentlich ihrer Tochter. Sie selbst hatte keine besonders hervorragende Erziehung erhalten — von Literatur, Philosophie und Kunst, womit sich zu beschäftigen jetzt so sehr in der Mode war, hatte sie keinen Begriff. Aber die Fürstin von Starhemberg, ihre Schwester, legte großen Wert auf Gelehrsamkeit und „Virtuosität," wie man eine zeitgemäße Bildung im Jahre 1778 mit einem einzigen treffenden Ausdruck be¬ zeichnete. Die gottesfürchtige Herzogin von Jnfantado, die ihr Heim liebte, hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/54>, abgerufen am 28.04.2024.