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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die private Feuerversicherung

Das ganze Optantenwesen hat viel Unheil für die einzelnen mit sich ge¬
bracht, aber daran ist nicht der Artikel 19 an sich schuld, auch sind es nicht
die deutschen und die dänischen Behörden, sondern die dänische Agitation, die
von vornherein in gewissenloser Weise alles getan hat, die Frage bis hierher
offen zu halten. Zuerst trieb man geradezu die gutgläubigen Leute zum Op¬
tieren, später gab man dann die Parole aus, Naturalisation als preußische
Untertanen zu suchen. Die also uaturalisierteu Optanten aber zog die dänische
Führerschaft so in die staatsfeindlichen Umtriebe hinein, daß der Staat es sich
selbst schuldig war, die Wiederaufnahme von Optanten einzustellen. Anstatt
über Härte der preuszischcu Behörden zu klagen, können die dänischen Agi¬
tatoren und ihre Freunde in Dänemark, die im letzten Ziele noch immer die
Vereinigung Schleswigs mit Dänemark erstreben, sich die Schuld beimessen,
daß es überhaupt noch eine Optantenfrage gibt. Man redete sogar den Op¬
tanten ein, ihnen könne nichts geschehen, wenn sie sich anch an den Wühlereien
beteiligten. Die Staatsregierung hat wiederholt durch ihre Vertreter im Ab-
geordnetenhause die unzweideutige Erklärung abgegeben, daß an gesetzgeberische
Maßregeln, wodurch die anormalen Verhältnisse der Optanten und Optcmtcn-
kinder beseitigt würden, nicht gedacht werden könne, solange die dänische Agi¬
tation in Schleswig mit den bekannten Zielen in Tätigkeit wäre. Für die
fortwährende Offenhaltung der Optantcnfrage ist einzig und allein das "Süd-
jütentum" alias Eiderdünentum verantwortlich zu machen.




Die private Feuerversicherung

le öffentliche Meinung, dieses vielköpfige Ungeheuer, das den
Kaffeeklatsch und die Bierbank zu Eltern und die Zeitungsfrau
zur Amme hat, ist immer auf der Suche "ach Sündeuböcken, denen
sie die Last der eignen Fehler aushalfen, und die sie dafür ver¬
antwortlich machen kann, wenn sie irgendwo der Schuh drückt.
Aber dieses Ungeheuer macht Fortschritte, und auch seinen blindtastenden Polypen-
armen hat die Kultur, "die alle Welt beleckt," neue Manieren beigebracht;
nicht mehr so leicht wie in frühern "dunklern" Zeiten werden einzelne Persön¬
lichkeiten ans Fleisch und Blut auf die Anklagebank gezerrt, sondern "Systeme"
und "Institutionen" sind es, gegen die sich heute der blinde Haß der urteils¬
losen Menge richtet. Wenn in den ersten Jcchrhnnderten unsrer Zeitrechnung
die Getreideschiffe nicht rechtzeitig einliefen, oder andauerndes Mißgeschick sich
an die Farben einer Zirkuspartei heftete, so ballten sich in den Großstädten
des römischen Reichs die groben Fäuste der heidnischen Proletarier gegen die
verhaßten Christen; und wenn im Mittelalter der Schwarze Tod oder andre
Seuchen ihre Opfer zu Tausenden dahinrafften, oder Mißernten das grinsende
Gespenst der Hungersnot ins Land gerufen hatten, dann tobte das "christliche"


Die private Feuerversicherung

Das ganze Optantenwesen hat viel Unheil für die einzelnen mit sich ge¬
bracht, aber daran ist nicht der Artikel 19 an sich schuld, auch sind es nicht
die deutschen und die dänischen Behörden, sondern die dänische Agitation, die
von vornherein in gewissenloser Weise alles getan hat, die Frage bis hierher
offen zu halten. Zuerst trieb man geradezu die gutgläubigen Leute zum Op¬
tieren, später gab man dann die Parole aus, Naturalisation als preußische
Untertanen zu suchen. Die also uaturalisierteu Optanten aber zog die dänische
Führerschaft so in die staatsfeindlichen Umtriebe hinein, daß der Staat es sich
selbst schuldig war, die Wiederaufnahme von Optanten einzustellen. Anstatt
über Härte der preuszischcu Behörden zu klagen, können die dänischen Agi¬
tatoren und ihre Freunde in Dänemark, die im letzten Ziele noch immer die
Vereinigung Schleswigs mit Dänemark erstreben, sich die Schuld beimessen,
daß es überhaupt noch eine Optantenfrage gibt. Man redete sogar den Op¬
tanten ein, ihnen könne nichts geschehen, wenn sie sich anch an den Wühlereien
beteiligten. Die Staatsregierung hat wiederholt durch ihre Vertreter im Ab-
geordnetenhause die unzweideutige Erklärung abgegeben, daß an gesetzgeberische
Maßregeln, wodurch die anormalen Verhältnisse der Optanten und Optcmtcn-
kinder beseitigt würden, nicht gedacht werden könne, solange die dänische Agi¬
tation in Schleswig mit den bekannten Zielen in Tätigkeit wäre. Für die
fortwährende Offenhaltung der Optantcnfrage ist einzig und allein das „Süd-
jütentum" alias Eiderdünentum verantwortlich zu machen.




Die private Feuerversicherung

le öffentliche Meinung, dieses vielköpfige Ungeheuer, das den
Kaffeeklatsch und die Bierbank zu Eltern und die Zeitungsfrau
zur Amme hat, ist immer auf der Suche »ach Sündeuböcken, denen
sie die Last der eignen Fehler aushalfen, und die sie dafür ver¬
antwortlich machen kann, wenn sie irgendwo der Schuh drückt.
Aber dieses Ungeheuer macht Fortschritte, und auch seinen blindtastenden Polypen-
armen hat die Kultur, „die alle Welt beleckt," neue Manieren beigebracht;
nicht mehr so leicht wie in frühern „dunklern" Zeiten werden einzelne Persön¬
lichkeiten ans Fleisch und Blut auf die Anklagebank gezerrt, sondern „Systeme"
und „Institutionen" sind es, gegen die sich heute der blinde Haß der urteils¬
losen Menge richtet. Wenn in den ersten Jcchrhnnderten unsrer Zeitrechnung
die Getreideschiffe nicht rechtzeitig einliefen, oder andauerndes Mißgeschick sich
an die Farben einer Zirkuspartei heftete, so ballten sich in den Großstädten
des römischen Reichs die groben Fäuste der heidnischen Proletarier gegen die
verhaßten Christen; und wenn im Mittelalter der Schwarze Tod oder andre
Seuchen ihre Opfer zu Tausenden dahinrafften, oder Mißernten das grinsende
Gespenst der Hungersnot ins Land gerufen hatten, dann tobte das „christliche"


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[0568] Die private Feuerversicherung Das ganze Optantenwesen hat viel Unheil für die einzelnen mit sich ge¬ bracht, aber daran ist nicht der Artikel 19 an sich schuld, auch sind es nicht die deutschen und die dänischen Behörden, sondern die dänische Agitation, die von vornherein in gewissenloser Weise alles getan hat, die Frage bis hierher offen zu halten. Zuerst trieb man geradezu die gutgläubigen Leute zum Op¬ tieren, später gab man dann die Parole aus, Naturalisation als preußische Untertanen zu suchen. Die also uaturalisierteu Optanten aber zog die dänische Führerschaft so in die staatsfeindlichen Umtriebe hinein, daß der Staat es sich selbst schuldig war, die Wiederaufnahme von Optanten einzustellen. Anstatt über Härte der preuszischcu Behörden zu klagen, können die dänischen Agi¬ tatoren und ihre Freunde in Dänemark, die im letzten Ziele noch immer die Vereinigung Schleswigs mit Dänemark erstreben, sich die Schuld beimessen, daß es überhaupt noch eine Optantenfrage gibt. Man redete sogar den Op¬ tanten ein, ihnen könne nichts geschehen, wenn sie sich anch an den Wühlereien beteiligten. Die Staatsregierung hat wiederholt durch ihre Vertreter im Ab- geordnetenhause die unzweideutige Erklärung abgegeben, daß an gesetzgeberische Maßregeln, wodurch die anormalen Verhältnisse der Optanten und Optcmtcn- kinder beseitigt würden, nicht gedacht werden könne, solange die dänische Agi¬ tation in Schleswig mit den bekannten Zielen in Tätigkeit wäre. Für die fortwährende Offenhaltung der Optantcnfrage ist einzig und allein das „Süd- jütentum" alias Eiderdünentum verantwortlich zu machen. Die private Feuerversicherung le öffentliche Meinung, dieses vielköpfige Ungeheuer, das den Kaffeeklatsch und die Bierbank zu Eltern und die Zeitungsfrau zur Amme hat, ist immer auf der Suche »ach Sündeuböcken, denen sie die Last der eignen Fehler aushalfen, und die sie dafür ver¬ antwortlich machen kann, wenn sie irgendwo der Schuh drückt. Aber dieses Ungeheuer macht Fortschritte, und auch seinen blindtastenden Polypen- armen hat die Kultur, „die alle Welt beleckt," neue Manieren beigebracht; nicht mehr so leicht wie in frühern „dunklern" Zeiten werden einzelne Persön¬ lichkeiten ans Fleisch und Blut auf die Anklagebank gezerrt, sondern „Systeme" und „Institutionen" sind es, gegen die sich heute der blinde Haß der urteils¬ losen Menge richtet. Wenn in den ersten Jcchrhnnderten unsrer Zeitrechnung die Getreideschiffe nicht rechtzeitig einliefen, oder andauerndes Mißgeschick sich an die Farben einer Zirkuspartei heftete, so ballten sich in den Großstädten des römischen Reichs die groben Fäuste der heidnischen Proletarier gegen die verhaßten Christen; und wenn im Mittelalter der Schwarze Tod oder andre Seuchen ihre Opfer zu Tausenden dahinrafften, oder Mißernten das grinsende Gespenst der Hungersnot ins Land gerufen hatten, dann tobte das „christliche"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/568>, abgerufen am 28.04.2024.