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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Kaiser und Kanzler

s wird Ihnen nicht gelingen, dem Kaiser Wilhelm im Deutschen
Reiche zu verbieten, daß er zu seinem Volke spricht . . . wie wollen
Sie einem Könige verbieten, über die Geschicke des Landes,
welches er regiert, eine eigne Meinung zu haben und sie zu
äußern! Wenn die andre Ansicht richtig wäre, so wäre es gleich-
giltig, wer regierte. -- So sprach sich Fürst Bismarck am 29. November 1881
im Reichstag über eine Frage aus, die während seiner Zeit nur einmal auf¬
geworfen wurde, die aber in unsern Tagen fast ausschließlich den Grundton
aller öffentlichen Erörterungen abgibt, und deren Gegenstand immer wieder hin
und her gerollt wird, ohne doch eigentlich seine Lage zu verändern. Wie Frei¬
herr von Mittnacht in seinen vor kurzem veröffentlichten Erinnerungen schildert
und damit der allgemeinen Auffassung Recht gibt, trat Bismarck in der Öffent¬
lichkeit "vermöge seiner Stellung als Minister handelnd und sprechend mehr
und häufiger hervor und den Zeitgenossen näher als der Monarch, der politische
Unterhaltungen und persönliche Auslassungen nicht liebte." Aus dieser Neigung
Kaiser Wilhelms des Ersten erklärt es sich hinreichend, daß Bismarck nur
einmal zu dieser politischen Frage Stellung nahm, auf die zurückzukommen er
sich in der Gegenwart unzweifelhaft mehrfach veranlaßt gefühlt hätte. Die er¬
wähnte Äußerung des Altreichskanzlers bezog sich auf die mannigfachen Kritiken,
die der kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881, die doch vom Reichs¬
kanzler gegengezeichnet war, gefolgt waren und das Recht des Monarchen be¬
zweifelten, sich direkt an das Volk zu wenden. Der doktrinäre Liberalismus
aus den dreißiger und vierziger Jahren, nach dessen Ansicht ein Monarch
überhaupt nicht wohl daran tut oder eigentlich gar nicht das Recht hat zu
reden, machte gegen den Begründer des Deutschen Reiches mobil und wollte
ihm sogar bestreiten, selbst schriftlich zu dem deutschen Volke zu reden. Da hielt
Bismarck für nötig, das Recht seines Kaisers zu wahren.

Es kann eigentlich gar nichts Widersinnigeres geben als die Auslegung
der in den Verfassungen der monarchischen Staaten enthaltnen Bestimmung,
wonach alle staatsrechtlichen Akte des Monarchen von dem die Verantwortung
vor dem Gesetz tragenden Minister zu unterzeichnen sind, in dem Sinne, daß
der Monarch nicht reden dürfe, weil eine Rede nicht gegengezeichnet werden


Grenzboten III 1904 81


Kaiser und Kanzler

s wird Ihnen nicht gelingen, dem Kaiser Wilhelm im Deutschen
Reiche zu verbieten, daß er zu seinem Volke spricht . . . wie wollen
Sie einem Könige verbieten, über die Geschicke des Landes,
welches er regiert, eine eigne Meinung zu haben und sie zu
äußern! Wenn die andre Ansicht richtig wäre, so wäre es gleich-
giltig, wer regierte. — So sprach sich Fürst Bismarck am 29. November 1881
im Reichstag über eine Frage aus, die während seiner Zeit nur einmal auf¬
geworfen wurde, die aber in unsern Tagen fast ausschließlich den Grundton
aller öffentlichen Erörterungen abgibt, und deren Gegenstand immer wieder hin
und her gerollt wird, ohne doch eigentlich seine Lage zu verändern. Wie Frei¬
herr von Mittnacht in seinen vor kurzem veröffentlichten Erinnerungen schildert
und damit der allgemeinen Auffassung Recht gibt, trat Bismarck in der Öffent¬
lichkeit „vermöge seiner Stellung als Minister handelnd und sprechend mehr
und häufiger hervor und den Zeitgenossen näher als der Monarch, der politische
Unterhaltungen und persönliche Auslassungen nicht liebte." Aus dieser Neigung
Kaiser Wilhelms des Ersten erklärt es sich hinreichend, daß Bismarck nur
einmal zu dieser politischen Frage Stellung nahm, auf die zurückzukommen er
sich in der Gegenwart unzweifelhaft mehrfach veranlaßt gefühlt hätte. Die er¬
wähnte Äußerung des Altreichskanzlers bezog sich auf die mannigfachen Kritiken,
die der kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881, die doch vom Reichs¬
kanzler gegengezeichnet war, gefolgt waren und das Recht des Monarchen be¬
zweifelten, sich direkt an das Volk zu wenden. Der doktrinäre Liberalismus
aus den dreißiger und vierziger Jahren, nach dessen Ansicht ein Monarch
überhaupt nicht wohl daran tut oder eigentlich gar nicht das Recht hat zu
reden, machte gegen den Begründer des Deutschen Reiches mobil und wollte
ihm sogar bestreiten, selbst schriftlich zu dem deutschen Volke zu reden. Da hielt
Bismarck für nötig, das Recht seines Kaisers zu wahren.

Es kann eigentlich gar nichts Widersinnigeres geben als die Auslegung
der in den Verfassungen der monarchischen Staaten enthaltnen Bestimmung,
wonach alle staatsrechtlichen Akte des Monarchen von dem die Verantwortung
vor dem Gesetz tragenden Minister zu unterzeichnen sind, in dem Sinne, daß
der Monarch nicht reden dürfe, weil eine Rede nicht gegengezeichnet werden


Grenzboten III 1904 81
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/617>, abgerufen am 28.04.2024.